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Die Gesichter entlang meines Werdegangs

Bekenntnisse eines Bedeutungsschmugglers aus der Schatzkammer der deutschen Literatur

Entscheidend ist es, die Bedeutung zu packen und an allen Stolperfallen vorbei so auf die andere Seite zu übertragen, dass dort niemand behaupten kann, es handle sich nicht um die richtige. Dass mir das zumeist auch gelungen ist, verdanke ich vielen Gesichtern, die mir zur Seite gestanden und mir auf die ein oder andere Art geholfen haben, sodass ich im Schmuggeln immer besser wurde und immer adäquatere Bedeutungen fand, die oberflächliche Struktur aufgab und aus der Tiefe schöpfte, nicht bloß den Text, sondern seine Wirkung übersetzte, leeren Floskeln und einem Überfluss an Zeichen aus dem Weg ging, mich in die literarische Situation des Originals einfühlte und nicht nur vom Papier übersetzte, erkannte, dass die Bedeutung klingt und der Klang Bedeutung trägt, mich fragte, wie der Autor seine Botschaft auf Slowenisch ausdrücken würde... und schlussendlich ist es ihr Verdienst, dass ich mich überhaupt an einer derartigen Arbeit stählen konnte, da sie mich mit ihrem aufmunternden und ermutigenden Urteil über meine Arbeit angespornt haben... Auch dank ihnen konnte ich die meisten Stolperfallen, in die man als Übersetzer tappen kann, umgehen.

© Vid Brezočnik

Meine Reise begann auf der Terrasse im Studentenheim von Ljubljana, wo ich am Ende meines Germanistik- und Anglistikstudiums an der Philosophischen Fakultät in Ljubljana auf einer Decke versuchsweise einen Ausschnitt aus Hermann Hesses Siddharta übersetzte. Einfach so, als Kostprobe in ein Heft hinein, der festen Überzeugung, wahrscheinlich nicht genügend Talent fürs literarische Übersetzen zu besitzen – und dennoch mit einer romantischen Vorstellung von dieser schönen Tätigkeit. Dass es mich auf den Übersetzerpfad zog, ging mit besonderen Windungen des Schicksals einher, ihnen zugrunde lag jedoch meine Affinität zu Büchern, von denen ich bereits in meiner frühen Jugend geradezu angezogen wurde, in etwa von Autoren wie France Bevk, Jules Verne, Karl May, Walter Scott, Mark Twain, Henrik Sienkiewicz, Tone Seliškar, Brane Dolinar, Janko Kersnik, Josip Jurčič, Fran Saleški Finžgar, Anton Ingolič, Prežihov Voranc... Damit waren die Grundpfeiler wahrscheinlich gelegt: ein intuitiver Sinn für die literarische Diktion, die weitab der Amtssprache liegt. Und als ich dann den Übersetzerpfad einschlug, waren die anspornenden Reaktionen von ausschlaggebender Bedeutung; dass ich an ihm festhielt, war jedoch in großem Ausmaß auch der Verdienst der Autor·innen, Übersetzer·innen und Lektor·innen, die mir darauf Augen und Türen geöffnet haben. Diese Abfassung widme ich denjenigen unter ihnen, sowohl den lebenden als auch bereits verstorbenen, die mich ganz besonders geprägt haben und durch die ich mich am stärksten entwickelt habe.

© Vid Brezočnik

Zu meinen Anfängen kann ich mehrere kleinere Schlüsselpunkte erwähnen: Zuallererst nahm ich einige Kurzgeschichten und trug sie zu Radio Slovenija, in die Hände des zuständigen Redakteurs Drago Bajt, und erhielt von ihm nach der Veröffentlichung ein motivierendes Feedback sowie die Einladung, noch Weiteres aus meiner Feder zu bringen. Von dort führte mich mein Weg zum Dichter Ivan Minatti, Redakteur beim Verlag Mladinska knjiga, der mir einen Jugendroman zum Übersetzen gab. Es folgte ein sehr lehrreicher „Workshop“ beim einmaligen Phänomen der slowenischen Übersetzerzunft, Janko Moder (leider muss ich seine Einzigartigkeit an dieser Stelle beiseitelassen), der mich zur Mitarbeit an der Übersetzung des Nobelpreisträgers Carl Spitteler einlud, mich zuvor jedoch noch auf die Probe stellte. Dafür übersetzte ich die ersten zwanzig Seiten aus dessen Roman. Erst danach engagierte er mich. Und in diesem Workshop, so wie auch später noch, konnte ich viel von ihm lernen, das Wichtigste für meinen weiteren Weg war jedoch, dass ich seinen Standpunkten innig beipflichtete. Als er, wie er es zu sagen pflegte, meinte: das ist papieren oder das ist nichts und wieder nichts, wusste ich, dass er Recht hatte und wunderte mich beinah, dass es mir nicht selbst bereits aufgefallen war. Heute würde ich sagen, dass es sich um eine Aneinanderreihung hohler Worte handelte, um eine Auswahl gekünstelter Diktion, um schulische anstelle lebendiger Sprache. Er bemerkte bei mir jedoch eine gesunde Struktur, so irgendwie lautete seine Formulierung, und nicht allzu selten fügte er auch hinzu: lejga fanta! (dt. schaut euch den Jungen an!) – und das war sein größtes Lob. Natürlich war eine derartige Schule ein großer Ansporn für mich, um weiterzumachen. Die nächste bedeutendere Station in meinen Anfängen war Tone Pavček, Redakteur beim Verlag Cankarjeva založba, der mich auf Moders Empfehlung zur Mitarbeit an der Monografie Naši na tujih tleh (dt. Die Unseren auf fremden Boden) einlud. In meiner Schublade bewahre ich einige seiner begeisterten Zeilen auf, die er mir anlässlich meiner Übersetzung der Briefe von Bernard Smolnikar, einem slowenischen Missionar in Amerika und Zeitgenossen von France Prešeren, aus dem Deutschen in ein Prešeren-typisches Slowenisch aus dem 19. Jahrhundert geschickt hatte. Dabei hatte ich mich auf Prešerens deutsche Briefe gestützt und in der Übersetzung versucht, eine mit ihnen verwandte, antiquierte Ausdrucksform zu finden. Das erste wirklich gewichtige literarische Werk wurde mir jedoch vom charismatischen Aleš Berger, dem Redakteur beim Verlag Mladinska knjiga, angeboten. Er engagierte mich für die Übersetzung des Romans Die letzte Welt (Poslednji svet, 1990) von Christoph Ransmayr und offerierte mir damit den Autor mit dem musikalischsten Stil von allen, die ich jemals – sowohl damals als auch später – übersetzt habe. Ransmayr schreibt wirklich so, als wollte er in seiner Prosa die berühmten Anforderungen von Nietzsche und Benjamin verwirklichen, wenn die beiden vom qualitativen Stil in der Prosa sprechen. „Der Takt des guten Prosaikers“ – so schrieb in etwa Nietzsche„in der Wahl seiner Mittel besteht darin, dicht an die Poesie heranzutreten, aber niemals zu ihr überzutreten…“ Ähnlich auch Benjamin: „Eine Periode, die, metrisch konzipiert, nachträglich an einer einzigen Stelle im Rhythmus gestört wird, macht den schönsten Prosasatz, der sich denken läßt…“ Und es fiel mir nicht allzu schwer, diese Musik, diesen rhythmischen Wellengang von Ransmayrs Schreibstil einzufangen, da ich Texte schon seit jeher als die Musik der Worte wahrnehme.

Jede solide Übersetzung lässt einen etwas reifen und eröffnet einem bislang unbekannte Register im stilistischen Assortiment, mit denen man versucht, dem Original gerecht zu werden. Manchmal sogar eine ganze Palette auf einen Schlag, wie es mir bei meiner Begegnung mit Novalis passiert ist. Zuerst übersetzte ich einige seiner Hymnen an die Nacht für Radio Slovenija, dann noch ein paar für die Zeitschrift Nova revija, woraufhin mich derselbe Aleš Berger von Mladinska knjiga dazu einlud, eine Auswahl von Novalis’ Werken für die angesehene Kondor-Reihe zu übersetzen. Darin stellte ich die vollständigen Hymnen an die Nacht, seinen romantischen Roman Heinrich von Ofterdingen und eine Auswahl aus seinen Fragmenten vor. Als Titel des Buches wählte ich seinen Vers „Die Welt wird Traum, der Traum wird Welt“ (slow. Svet so sanje, sanje svet, Mladinska knjiga 1995). Dieses Werk war mir eine große Schule des Übersetzens von reglementierter Lyrik, wobei die härteste Nuss genau seine Hymnen waren. Novalis starb im Jahr 1802, die charakteristische Silhouette seines Gesichts begleitet mich jedoch in einer ganz besonderen Facette meiner grauen Zellen, die – wenn ich mir einen Scherz erlauben darf – erst als allerletzte der Senilität zum Opfer fallen wird.

© Vid Brezočnik

Nach Novalis tritt vor mich das Gesicht von Libuše Moníková, einer Tschechin und deutschsprachigen Autorin, die 1994 für ihren großen Roman Die Fassade (slow. Fasada) mit dem Vilenica-Literaturpreis ausgezeichnet wurde. Der Roman, den ich genau zu diesem Anlass übersetzt hatte, thematisiert Tschechien als vergessene Hochkultur hinter dem Eisernen Vorhang. Ich erinnere mich an eine Unterredung mit der Autorin in Ljubljana und ihre Anmerkung, dass viele Übersetzer eine zynische Replik in ihrem Roman, der übrigens in mehrere europäische Sprachen übersetzt wurde, missinterpretiert hätten. Ein Sprecher im Roman äußert in einem Gespräch über die Anfänge des 2. Weltkriegs in Polen nämlich zynisch, dass „England bis zum letzten Polen kämpfen werde”, diese übersetzten jedoch, dass „England für den letzten Polen kämpfen werde”.

Zu dieser Zeit vertiefte ich mich auch immer problembezogener ins Übersetzen. Ich fragte mich, weshalb ich so klar spürte oder wusste, dass eine bestimmte Möglichkeit besser war als die andere, ich es fachlich jedoch nicht begründen konnte. Ich begann damit, die Theorie eingehend zu studieren und mir während der übersetzerischen Praxis Notizen von entsprechenden Beispielen zu machen. Die Frucht der zehnjährigen Beschäftigung mit diesem Thema war der Abschluss meines Magisterstudiums an der Philosophischen Fakultät in Ljubljana mit der Diplomarbeit Grundlegende Aspekte und Prinzipien der Theorie des literarischen Übersetzens (slow. Temeljni aspekti in principi teorije literarnega prevajanja, Buchausgabe beim Verlag Študentska založba 2001). Dabei unterstützte mich Neva Šlibar, eine hervorragende Professorin an der Philosophischen Fakultät in Ljubljana, die meinen Horizont erweiterte und mich später auch zu meinem Doktorat an der Germanistik bewegte. Ich las also viel Theorie, am meisten gaben mir Jiři, Levý, Anton Popovič, Stepan Barhudarov, Jurij Lotman, Eugene Nida, Fritz Güttinger, Norbert Hoffmann, Gideon Toury, Albrecht Neubert... Raymond van den Broek, José Lambert, Ranko Bugarski... Mir entstand der Eindruck, dass die Deutschen und der europäische Osten (Tschechen, Slowaken, Serben, Kroaten, Russen) ein tieferes Verständnis für die Probleme des literarischen Übersetzens aufbringen als die Theoretiker·innen der angloamerikanischen Welt.

© Vid Brezočnik

Das nächste Gesicht, an dem ich nicht vorbeikomme, wenn ich meinen Entwicklungsweg/Werdegang beschreibe, ist der Gigant aus Weimar, Goethe. Mit keinem anderen Autor habe ich mich so viel und auf so unterschiedliche Weise beschäftigt wie mit diesem Titan der deutschen und Weltliteratur. Zuerst war es sein Entwicklungsroman Wilhelm Meisters Lehrjahre (slow. Učna leta Wilhelma Meistra, Mladinska knjiga 1998), im Anschluss eine Auswahl seiner Lyrik (Mladinska knjiga 2001) und zu guter Letzt eine Auswahl aus seiner umfassenden Autobiografie Dichtung und Wahrheit (slow. Poezija in resnično, Študentska založba 2007). Noch intensiver beschäftigte ich mich mit Goethe im Rahmen meines Doktorats als Verfasser der Dissertation Das Phänomen Goethe: Seine Ästhetik und Poesie zwischen Original und slowenischer Übersetzung (slow. Fenomen Goethe: Njegova estetika in poetika med originalom in slovenskim prevodom, Disputation an der Philosophischen Fakultät in Ljubljana 2011, als Monografie erschienen bei Založba Literatura 2012). Zu dieser Zeit erhielt ich drei Stipendien der Goethe-Gesellschaft in Weimar, wo ich insgesamt drei Monate verbrachte. Dabei erfuhr ich vom damaligen Vorsitzenden und späteren Ehrenvorsitzenden der Goethe-Gesellschaft, Werner Keller, als eine Art nicht beschiedenem Mentor, außerordentliche Unterstützung. Für die Goethe-Statue, die ich als Andenken von der Goethe-Gesellschaft erhielt, bedankte ich mich bei ihm somit mit einer Travestie von Goethes berühmten Gingo Biloba:

Dieser Goethe*, der vom Norden
Seinem "Jünger" anvertraut,
Ist mir heimlich liebgeworden,
Wohl erwischt' mich dessen Hauch!

Ist es ein lebendig Wesen,
Das sich in sich selbst getrennt?
Sind es viele im Überwesen,
Das als JWG man kennt?

Solche Fragen zu erwidern
Fand ich längst den rechten Sinn,
Doch verraten solche Liedern,
Welch ein armer Jünger seins – ich bin!

Das nächste Gesicht, das mich dauerhaft geprägt hat, ist Franz Kafka. Keinem anderen Autor seiner Zeit ist es gelungen, auf solch scharfsinnige Art und Weise die Gefährdung des zeitgenössischen Menschen in der technisierten, bürokratischen Welt darzustellen und in seinen Werken solch überzeugende Erfahrungen mit den grotesken Dimensionen des modernen Lebens uns dessen Machtverhältnisse darzulegen. Kafkas Erzähltechnik ist eine geschickte, beinah realistisch akkurate klinische Diagnostik, die fernab des Wohlklangs liegt und innerhalb einer klaren Schilderung angerissene Bedeutungsknoten aneinanderreiht – starke Identifikationspunkte, die nicht völlig zu entschlüsseln sind und deren Bedeutungsspur man manchmal fast nicht zu betreten wagt. Von 2008 bis 2012 übersetzte ich im Rahmen von Kafkas gesammelten Werken für den Verlag Beletrina seine gesamte Kurzprosa in vier Büchern. Am 2012 folgendem Kafka-Symposium widmete ich mich den „Übersetzungstechnischen Implikationen von Kafkas Schreiben in der Perspektive der slowenischen Übersetzung“ (slow. Prevodne implikacije Kafkove pisave v perspektivi slovenskega prevoda). Dort traf ich auch auf Rainer Stach, der sich damals mitten im Schreiben von Kafkas heute berühmter und umfangreichster Biografie (endgültig erschienen 2014) befand, mit der sich Stach nicht nur bislang unerreichbar profund in Kafkas menschliche und künstlerische Natur vertiefte, sondern auch sein eigenes literarisches Talent unter Beweis stellte.

© Vid Brezočnik

Ein großer Bewunderer von Franz Kafka war W. G. Sebald, ein sehr spezifischer Autor, der mir gehörig ans Herz gewachsen ist. Seine dokumentarische Prosa imponiert mir, ebenso seine tiefe Hingabe an die Materie, seine Detailbesessenheit, seine Verschreibung der Erinnerungsarchäologie, wie auch seine Belesenheit und Fähigkeit, verschiedene Tatsachen aus der Welt der Geschichte, Wissenschaft und Kultur miteinander zu verflechten, und selbstverständlich gefällt mir sein Stil – dieses Aneinanderreihen langer und präziser Perioden, in denen er die aufwendigsten Gedankenstränge verstrickt und wiederum völlig klar auflöst. Ich habe seine Novellensammlung Die Ausgewanderten (slow. Izseljeni), seine Reiseprosa Die Ringe des Saturns (slow. Saturnovi prstani) und seinen Roman Austerlitz übersetzt. Dieser hat mich völlig überwältigt. Als mich der Redakteur Mitja Čander darum bat, etwas für den Buchumschlag zu schreiben, verfiel ich unabsichtlich in Sebalds Stil: Ein ungewöhnlicher Text. Er lässt einen nicht leicht an sich heran, so wie Austerlitz, diese starke und ergreifende menschliche Figur, niemanden an sich heranlässt. Man wird zum Restaurator und Übersetzer, der die zufälligen und schicksalhaften, niederschmetternden und rührenden... Etappen seines Lebens unter dem Putz hervorschält. Diese Arbeit vollzieht sich langsam und minutiös, die mosaikhafte Erzählung lagert sich als eine Kette abgeschlossener, nahezu amorpher Segmente im Bewusstsein ein; erst am Ende erwachen letztere zum Leben und agglutinieren sich gänzlich erhellt zu einer lebendigen organischen Erzählung: von Professor Austerlitz, dem Menschen ohne Herkunft, seiner Flucht vor sich selbst, aber auch von seiner endgültigen Auseinandersetzung mit dem eigenen Schicksal. Erst nachdem man den letzten Putz vom geistigen Fresco der komplexen Persönlichkeit gekratzt hat und vom exzentrischen Gemälde ein paar Schritte zur Seite tritt, erfährt und vernimmt man es in all seiner beeindruckenden Größe...

Unter all meinen Übersetzungen befindet sich keine, die auf eine vergleichende gesellschaftliche Resonanz gestoßen wäre wie Engel des Vergessens (slow. Angel pozabe). Die Autorin Maja Haderlap, die dafür den prestigeträchtigen Ingeborg-Bachmann-Preis und später noch weitere Auszeichnungen erhalten hat, entschied sich zwischen mehreren möglichen Übersetzern für mich. Bei der Arbeit spürte ich die umso größere Bürde der Verantwortung, da Maja Haderlap sehr gut Slowenisch kann und ich wusste, dass mir meine strengste Kritikerin über den Rücken in den Text schielen würde. Engel des Vergessens ist ein Gesellschaftsroman, der die tragische und groteske Stigmatisierung der Kärntner slowenischen Volksgruppe in Raum und Zeit thematisiert. Gleichzeitig ist es ein autobiografischer Familienroman, in dem die unverhohlene autobiografische Chronik von Haderlaps Familie die gesellschaftliche Problematik belebt und ihr eine tiefere Authentizität und Nachempfindbarkeit verleiht. Die Erzählung ist ein filigranes Gewebe, das mit seiner stillen Sprache bewegt und erschüttert, mit seiner bewegenden Schilderung der tragischen Machtlosigkeit und aus Kriegstraumata entsprungenen Hilfslosigkeit der Kärntner Slowenen als Staatsbürger·innen zweiter Klasse. Das grundlegende übersetzerische Problem bestand darin, die sanften Lyrismen von Majas Sprache in der Übersetzung zu erfassen und die ökonomische Anmut dieser Melancholie aufrechtzuerhalten. Wie sollte ich die lyrischen Sedimente wiedergeben, damit diese sprachlich gleich elegisch, sanft und elegant wirkten; wie mir eine überzeugende und authentische stille Sprache von den verschwiegenen Dingen zurechtlegen? Ich kann festhalten, dass die Autorin mein ästhetisches Verfahren guthieß, dass wir mehrere Arbeitstreffen abhielten, in denen wir die Übersetzung erörterten, sowie, dass sie mit dem Text sehr zufrieden war.

© Vid Brezočnik

An dieser Stelle müsste ich mit Peter Handke, Thomas Bernhard, Robert Schneider, Arno Geiger, Sten Nadolny, Erich Fried, Eugen Ruge, Josef Winkler, Norbert Gstrein, Lutz Seiler und Eva Menasse fortfahren, doch ich muss mich kurz fassen; auch die deutschen Klassiker, denen ich mich in meinen ersten Jahren, aber auch später viel gewidmet habe (Heinrich Heine, Adalbert Stifter, Friedrich Schiller, Theodor Fontane, E.T.A. Hoffmann, Günter Grass, Friedrich Dürrenmatt, Jurek Becker, Heiner Müller) muss ich leider beiseitelassen. Doch auch ihnen bin ich zum Dank verpflichtet, bei jedem einzelnen habe ich einen Lernworkshop mit Stilübungen absolviert.

Des Weiteren verdanke ich auch viel meinen Standesgenoss·innen, die mir während der Debatten im Verband slowenischer Literaturübersetzer oder unter seiner Schirmherrschaft die Augen geöffnet haben. Mit ganz besonderer Dankbarkeit erinnere ich mich an dieser Stelle jedoch an alle „Kompliz·innen” auf meinem einsamen Schmugglerweg (vor allem an die Redakteure und Lektoren), auf dem man bei jedem Schritt der „Grenzpolizei” in die Arme fallen kann, die einem bei sachlichen Fehlern, Abschweifungen, leeren Floskeln, formalen Umstellungen, Kalkierungen uvm. auf den Fersen ist... Für die zahlreichen Pflastersteine, die mir vor die Füße gelegt wurden, damit ich mich nicht durchs Gestrüpp kämpfen musste, sowie die vielen offenen Türen ein Dankeschön an einige der bereits Erwähnten, darüber hinaus jedoch auch an Franc Kattnig, Mitja Čander, Bojan Žalec, Zdravko Duša, Petra Vidali, Zoja Skušek, Neda Pagon, Branimir Nešović, Evald Flisar und Jana Bauer, Marta Kocjan Barle...

25.09.2023
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Štefan Vevar studierte Anglistik und Germanistik an der Philosophischen Fakultät Ljubljana, wo er 2011 am Institut für Germanistik mit Dissertation „Das Phänomen Goethe: seine Ästhetik und Poetik im Vergleich zwischen Original und slowenischer Übersetzung“ promovierte. Er übersetze zahlreiche Werke der deutschen, österreichischen und Schweizer Literatur ins Slowenische, allen voran deutsche Klassiker wie Goethe, Schiller, Musil, Broch, Kafka, Stifter, Bernhard, Fontane, Grass, Novalis und Sebald, aber auch zeitgenössische Autor·innen wie Geiger, Ransmayr, Haderlap und Seiler. Zudem ist er Autor mehrerer Aufsätze und Vorworte zur deutschen Literatur in slowenischen Übersetzungen sowie Beiträgen zur Übersetzungstheorie und -kritik, u. a. der Monografie Temeljni vidiki in principi teorije literarnega prevajanja (2000, dt. Grundlegende Aspekte und Prinzipien der literarischen Übersetzungstheorie). 1999 erhielt er für seine Übersetzung von Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre mit dem Sovre-Preis. 2013 erschien seine übersetzungswissenschaftliche Monografie Vrvohodska umetnost prevajanja (dt. Die akrobatische Kunst des Übersetzens), 2017 erhielt er für seine Romanübersetzung von W. G. Sebalds Die Ringe des Saturns den renommierten Fabjan-Hafner-Preis, 2019 folgte auch der Österreichische Staatspreis für literarische Übersetzung.

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