Cities of translators Ljubljana Schreiben über Übersetzen | Suchen nach dem Übertragen
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Schreiben über Übersetzen | Suchen nach dem Übertragen

I.

Meine Aufgabe ist es, bis Ende August ein Essay zu verfassen.

Ich weiß jedoch, dass in meinem Kopf vorwiegend ein Chaos herrscht, das ich nicht einmal selbst verstehe, dennoch setze ich immer mal wieder einige Fragmente, die zumindest annähernd kontrollierbar sind, in ein Gerüst der Poesie, von dem mir scheint, dass es das gestattet.

Darum unternehme ich also lediglich den Versuch, etwas zu schreiben, das in der Abfolge seiner Fragmente, wie in der Schule, in ein grobes dramaturgisches Dreieck, gestellt wird. Oder noch einfacher: Einleitung – Hauptteil – Schluss. Obwohl ich nicht an Ende glaube. Nur so nebenbei.

In den letzten Monaten liegt wieder die Poesie von Walt Whitman vor mir und wieder ist es Juli, so wie es Juli war, als ich die Leaves of Grass, auf Slowenisch Listi trave (dt. Grashalme) finalisiert habe, die Neuübersetzung, die vor ein paar Jahren erschienen ist. Nun liegt sie vor mir, da die erste Ausgabe von Listi trave vergriffen ist und in der Neuauflage einige neue Übersetzungen hinzugefügt werden. Song of the Open Road, Crossing Brooklin Ferry, For You, etc.

© Vid Brezočnik

Schon zwei Tage läuft bei mir Emahoy Tsege Mariam Gebru in der Dauerschleife. Balad of the Spirits um genau zu sein. Ein einziges Lied. Und womöglich habe ich mich genau deshalb hingesetzt und diese „Problematik“ in Angriff genommen.

Ich habe mich dazu entschieden, dass Whitmans Zitate auf Englisch bleiben. Ich selbst lese lieber in der Originalsprache, selbst wenn ich sie nur ein bisschen beherrsche. Weil ich mir das, was ich nicht verstehe, überhaupt einzelne unverständliche Wörter, normalerweise auf meine Weise erkläre. Ich versuche, das Wort einzufangen und auszusprechen, suche seine Klangfarbe, bis ich ihre Entsprechung in meiner Sprache finde. Bevorzugt bemühe ich mich, nicht zu verstehen, sondern einfach zu empfangen. Und mich bei dem, was ich empfange, dem Unbekannten anzupassen, überhaupt wenn das, was ich mir vorstelle, heimelig, erträglich, zauberhaft und geheimnisvoll ist. Um ein Haar perfekt.

Zum Beispiel ein beliebiger Vers aus dem Gedicht Crossing Brooklyn Ferry zum Einstieg:

Which fuses me into you now, and pours my meaning into you?

© Vid Brezočnik

Dieser Satz bringt, isoliert vom Ganzen, völlig elegant und direkt jene Fragen auf, die ich mir die ganze Zeit über stelle. Unter anderem, wenn ich beim Übersetzen darüber nachdenke, wie und wann es dazu kommt, dass ich mich inmitten des Rummels von Brooklyn vor 200 Jahren wiederfinde, und auch, wenn ich auf der Fähre stehe und die Spiegelung der Abendsonne auf den schaumigen Wellen betrachte, die das Schiff hinter sich zurücklässt. Ebenso, wenn ich in die Augen der Männer und Frauen unter den Sonnenschirmen an Deck schaue oder mit ihnen mitten in ihren Arbeiten am Feld oder an der Schotterstraße, die zu den Heuhaufen inmitten des späten Augusts führt, ein, zwei Worte wechsle. Also wirklich immer. Wenn ich eine Übersetzung hinauszögere, weil ich mich an einem einzelnen Wort aufhänge, das ich, obwohl es sich noch nicht niederschrieben lässt, dennoch verstehe. Und ich dieses Wort dann mehrere Tage mit mir herumschleppe. Was mir ein Wort am nackten Anfang, noch bevor es seine Bedeutung überträgt, entbietet, sind nur Bilder und deren Verständnis, jedoch keinerlei momentane Lösungen in einem vollständigen Satz. Und das Wort aus den fragmentarischen Bildern dann einzufangen – das kann bei mir äußerst lange dauern.

So lange, dass ich in der Zwischenzeit alles Mögliche mache. Ich schreibe, koche, lese, mache den Abwasch, unterhalte mich mit meinen Jungs, spiele mit meinem Kater verstecken, denke an meine Mutter, anstelle sie anzurufen, spiele Solitaire am Computer und höre die ganze Zeit über Musik. Wenn ich gerade nicht Musik höre und auch keine anderen Interaktionen mehr zur Verfügung stehen, also bevor ich einschlafe, denke ich an das Wort, das ich noch immer nicht übersetzt habe, und schalte schnell einen Film oder eine Serie ein, um vor dem Einschlafen noch ein wenig auf andere Gedanken zu kommen. Denn das Wort kann warten. Weil der Abgabetermin für das, woran ich arbeite, noch weit genug entfernt ist und weil auch der Satz, der dieses richtige Wort beinhalten wird, offensichtlich noch wartet, warte auch ich, muss ich abwarten, kann ich noch abwarten etc.

Das Ende bleibt an dieser Stelle offen.

© Vid Brezočnik

II.

Hätte ich nicht zufällig das Buch Die Stadt der Träumenden Bücher von Walter Moers in slowenischer Übersetzung von Stana Anželj aufgeschlagen, hätte ich mit diesem zweiten Teil niemals begonnen. Ich habe wieder damit angefangen, meinem Sohn vor dem Schlafen laut vorzulesen, weil seine Angst vor dem Schlafen, dem Tod, der Dunkelheit und ähnlichen Ungeheuern zurückgekehrt ist. Nun haben wir uns also diese Geschichte gegriffen. Es ist verrückt, dass ich mich, sobald ich dieses wirklich dicke Buch zu lesen beginne, schlagartig in die Welt der Wesen aus dem Bücherland teleportiert fühle, während er jedoch im Nu einschläft. Die Geschichte sorgt also für zwei Fliegen auf einen Streich. Wahrscheinlich wirkt diese Digression jetzt störend, aber ich kehre zum Ausgangspunkt zurück, ich muss nur zur Sprache bringen, dass der Erzähler zu Beginn den horror vacui anspricht, die Angst vor dem leeren Blatt, das den Autor anstarrt, ihn zur Erzählung zwingt und gleichzeitig in ihm den Widerwillen davor weckt, den Sprung ins Schreiben zu wagen. Bevor sich der Erzähler in die Stadt begibt, die in jeder möglichen Bedeutung der Phrase zwischen den Büchern liegt, liest er sich den Brief durch, den ihm sein Dichtpate Danzelot vorlegt, kurz bevor dieser mit achthundertachtundachtzig Jahren verstirbt. Auf seinem Sterbebett liegend, berichtet er dem Erzähler Hildegunst von Mythenmetz von dem Brief sowie davon, wie der Schreibstil darin schlagartig sein Leben und sein Verhältnis zum Schreiben verändert hat. Der Brief wurde Danzelot nämlich angeblich von einem jungen Genie geschickt, damit er ihn anleiten oder ihm zumindest bestätigen würde, dass er sich auf dem richtigen Weg zur Karriere befand. Der Inhalt spielt dabei überhaupt keine Rolle, vielmehr geht es darum, dass der zehn Seiten lange Brief angeblich so genial verfasst ist, sodass jegliches menschliche Streben nach dem Schreiben völlig versiegt, nachdem man auf etwas so Makelloses gestoßen ist. Das Geheimnis liegt also nicht in der Geschichte, sondern in den Worten, die den Erzähler aus einer, nennen wir es „dichterischen Krise“ ziehen oder sie, umgekehrt, jedoch auch auslösen kann. Danzelot beschließt nach seiner Lektüre nämlich, dass er das Schreiben nicht fortsetzen kann. Doch andererseits weckt der ziemlich einfache Satz am Ende des Briefs „Und hier fängt die Geschichte an“ in Hildegunst den Wunsch zu schreiben. Er bindet sich sein Bündel um, verlässt die Lindwurmfeste und begibt sich nach Buchhaim.

© Vid Brezočnik

Vielleicht habe ich mir das wieder einmal ganz auf meine Weise und aufgrund meiner Schuldigkeit erklärt. Weil ich wusste, dass ich etwas schreiben – und nicht nur darüber nachdenken – muss.

Und wieder sitze ich am Computer und springe von Walt zu diesem Text. Und dabei wird mir bewusst, dass ich nicht erklären kann, welche Probleme beim Transfer von Versen aus einer längst vergangenen Epoche dieses Dichters in die heutige Zeit, die so anders ist, entstehen. Ich weiß nur, dass es sie gibt. Ich nehme meine Arbeit absolut ernst und erlaube mir nicht allzu viele Ausrutscher, obwohl es die immer geben wird, von ernsteren Fehlern gar nicht zu sprechen. Ich überprüfe jedes Wort, obwohl ich es etwa kenne. Zuerst im Wörterbuch und dann im stillen, sich wiederholenden Rhythmus nur für mich, wenn das Wort oder mehrere Wörter in den Satz eingebunden sind. Erst dann verlasse ich den Vers und begebe mich zum nächsten. Dabei denke ich mehrmals an den Autor, in diesem Fall Whitman, und überlege zum Beispiel, wie er den gesamten Schreibkomplex selbst betrachtet hat. War er vehement oder nachdenklich? War er womöglich ruhiger und zurückhaltender, als es auf den ersten Blick scheint, obwohl er laut das sich stets ergänzende Lied der Grashalme sang? Wenn er nach einer Meeresschlacht heiter die auf tragische Weise getöteten Seemänner und Soldaten analysierte oder einem verständlich machte, dass er nicht nur eins mit allem ist, sondern nur ein einzelnes unter all den anderen, unzähligen Atomen? Worüber dachte er nach, als er seinen Blick auf den Nachthimmel und das Universum dahinter haftete, was er dann jedoch nicht niederschrieb? Was behielt er für sich? Für welche Verbindungen fand er keine Worte? Dachte er wahrlich, dass wir alle gleich sind und uns am Ende wirklich wiederbegegnen?

Ich habe das Gefühl, es stimmt, dass wir uns wiederbegegnen. Aber erst dann, wenn ich ein Buch aufschlage. Denn an die Zeit, in der ich übersetze, in der ich den Dichter und sein Wortfeld in das meine übertrage, bleibt mir lediglich eine trübe Erinnerung, unabhängig davon, wie intensiv die Momente waren, in denen mir bewusstwurde, dass ich mich unglaublicher Weise und dennoch mit Leichtigkeit irgendwohin teleportiert habe, wovon ich es nicht für möglich gehalten hätte. Die trübe Erinnerung an dieses Gefühl bleibt nach dem Lesen von alles Möglichem zurück. Alles Übrige landet im Äther. Wird sind also, ohne uns zu begegnen, die ganze Zeit verbunden. Man kann es auch so betrachten, und das ist mir ein Trost.

© Vid Brezočnik

Auf mich warten einige von Whitmans Gedichten. Ich weiß nicht, ob die Arbeit getan ist. Nicht einmal, ob mir das Schreiben gefallen wird. Es ist jedoch das Element einer Zeit. Und auch dieses Ende bleibt offen.

III.

Darum ist noch nicht Schluss, darum fahre ich fort. Mit den Jahren lernt der Mensch, dass die Dinge eigentlich niemals wirklich abgeschlossen sind. Nun ja, vielleicht nicht jeder Mensch, womöglich gibt es Leute, die sich damit noch nicht einmal beschäftigen, doch sicherlich gibt es einige Menschen, die Letzteres bezweifeln. Ich behaupte nicht, Whitman gut genug zu kennen, doch wenn ich nur den Schreibstil seiner unendlichen Leaves of grass aus der Nähe und nicht bloß oberflächlich betrachte, dann ja, dann war er einer dieser Menschen. Weil er sich über zurückliegende und bevorstehende Jahrhunderte den Kopf zerbrach.

Wenn er im Gedicht To You meint:

Whoever you are, I fear you are walking the walks of dreams,

I fear these supposed realities are to melt from under your feet and hands....

Whoever you are, now I place my hand upon you, that you be my poem...

glaube ich ihm völlig ohne Bedenken. Er äußert es so selbstverständlich, dass ich wirklich höre, wie vom Mensch neben mir bloß ein Flüstern zurückbleibt, das eine Wahrheit ausspricht, die ich nur im Gedicht finden kann. Es gibt viele Wahrheiten. Und es geht lediglich darum, dass die Wahrheit in Wahrheit nur eine Frage der Wahl ist, so scheint mir. Ähnlich, wie mit der Freiheit. Und wenn man die beiden miteinander vereint, ist das Resultat die freie Wahl. Man kann das eine Vereinfachung nennen, aber in diesem Moment glaube ich daran.

© Vid Brezočnik

Die Musik wurde in der Zwischenzeit gewechselt. Phillip Glass, wie er von Max Cooper bearbeitet und von Bruce Brubaker interpretiert wird – in der Dauerschleife das Lied The Poet Act. Um mich etwas länger bei dem aufzuhalten, was mir durch den Kopf geht, um die Fragmente einzufangen, die Teil dieses Essays sind und nicht allzu sehr der äußeren Wirklichkeit. Weil du, während ich das schreibe, bei mir in der Stražarstraße bist. Am Stadtrand von Ljubljana. Ganz in der Nähe von Žale, dem großen Friedhof. Weil Sommerferien sind und inzwischen bereits der späte August gekommen ist, übersetze, überlege und schreibe ich, während alle bereits aus allen möglichen Ecken in unserem Haus eingetrudelt sind. In der Küche rinnt das Wasser, während das Wasser auf dem Herd noch nicht kocht. Ich übersetze das Gedicht To You. Und schreibe dir. Die Musik dient mehr als Grundlage und verleiht diesen essentiellen Fragmenten, die von den zuvor aufgezählten Geräuschen nicht reduziert werden, einen Rhythmus.

Musik habe ich dazu, um mir, während ich schreibe, zu vertrauen. Und auch ansonsten. Um das Leben erträglicher zu machen. Die Musik läuft während der Arbeit, damit ich dem, was Whitman schreibt, glaube, und dann noch mir selbst. Weil nur so kann man wissen, dass man dazugehört. Damit ich quasi etwas zum Abschied sagen kann.

PDF

© JAK, Nejc Čampelj

Ana Pepelnik ist Dichterin und Übersetzerin. Ihr erster Gedichtband Ena od varijant kako ravnati s skrivnostjo (dt. Eine der Varianten, mit einem Geheimnis umzugehen, LUD Literatura 2007) wurde für den Preis für das beste Erstlingswerk nominiert, 2009 erschien beim selben Verlag ihr zweiter Band, Utrip oranžnih luči na semaforjih (dt. Flimmern der orangen Lichter an den Ampeln), 2013 die Sammlung Cela večnost (dt. Eine ganze Ewigkeit). Ihr vierter Gedichtband Pod vtisom (dt. Unter dem Eindruck) erschien 2015 beim Šerpa-Verlag, ebenso 2017 ihr fünfter Band Tehno (dt. Techno), der für den Jenko- und den Veronika-Preis nominiert wurde, so wie ihr auch der 2021 erschienene Gedichtband Treš (vom engl. Trash) eine Nominierung für den Veronika-Preis einbrachte. Vor kurzem wurde ihr siebter Gedichtband to se ne pove (dt. das erzählt man nicht, 2023) beim Verlag LUD Literatura veröffentlicht. Zudem übersetzt sie zeitgenössische amerikanische Lyrik: Joshua Beckman, Matthew Zapruder, Matthew Rohrer, Noelle Kocot, Jennifer Clement, aber auch Sylvia Plath, James Tate, James Schuyler, Elizabeth Bishop, Wallace Stevens und Walt Whitman. In den USA erschien in Zusammenarbeit mit Matthew Rohrer ihre Übersetzung von Tone Škrjanec' Werk Koža (engl. Skin). Als Dichterin nahm sie am internationalen Multimediaprojekt „Metropoetica“ (unter der Leitung der walisischen Dichterin Zoë Skoulding) teil; als Sprecherin trat sie mit dem Impro-Trio CPG Impro“ auf und in beiden Rollen wirkte sie wiederum beim Projekt „Poetrix“ mit, einem Klangprojekt des Musikers und Sounddesigners Jaka Berger – Brgs.

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