sl de

UP

Žabarji. Froschmenschen werden wir, Bewohner von Ljubljana, auch genannt – wegen des Sumpfgebiets südlich der Stadt. Offiziell »Ljubljančani«. Arrogant und unnahbar, sagt man. Wir nennen es diskret und rücksichtsvoll, wie soll man sonst in der Großstadt, die zwar objektiv gesehen keine ist, überleben. Slowenen sind ein Volk der Dichter und Einzelgänger. Rockstars oder weltberühmte Politiker können unbehelligt durch die Straßen von Ljubljana schlendern, denn sie werden von den Menschen nicht angehalten oder angesprochen.1

© Vid Brezočnik

Selten kommt es vor, dass auch die Eltern und sogar ¾ der Großeltern im Stadtzentrum von Ljubljana geboren sind, wie in meinem Fall. Die familiären Bindungen sind eng wie die geographischen Distanzen – ich wohne nur 7 Minuten von meiner Mutter entfernt. Unsere Biografien sind langweilig: geboren in Ljubljana, Grundschule in Ljubljana, Gymnasium in Ljubljana, Studium in Ljubljana ... man zieht zwar mehrmals um, aber die Lebensqualität ist so hoch, dass man nur ungerne wegzieht aus der Stadt, in die so viele hinziehen möchten – aus ganz Slowenien, vom halben Balkan ... Selbst bin ich ungefähr fünf Mal umgezogen, kleine geographische Variationen auf das gleiche Thema, doch sehr unterschiedlich vom Gefühl her – der einzige beständige Ort blieb die Nacht, in der ich übersetzte.

In meiner Kindheit war Ljubljana die Hauptstadt des Nebels. Die Stadt liegt in einem Kessel, umgeben von Sumpf, man heizte mit unreiner jugoslawischer Kohle. Der Nebel war dicht wie die Milch und um die Straßenlaternen herum leuchtete er orangefarben. Die Partikel der Kohle konnte man nicht nur riechen (sie bleiben in Haaren und Kleidern haften, wie der Zigarettenrauch, der so typisch war für Jugoslawien), sondern regelrecht sehen. Auch sonst war alles irgendwie grün-orange, was mir schon damals missfiel, obwohl ich in diese Umgebung hineingeboren wurde. Lange dachte ich, dass sei die jugoslawische Ästhetik gewesen, beim Anschauen der Kindheitsfotos einer WG-Mitbewohnerin in Tübingen wurde es mir später klar, dass dies offenbar die Farben der 70-er Jahre europaweit waren. Was mit als Kind damals nicht aufgefallen ist, ist die Tatsache, dass Ljubljana zwischen 1970 und 1980 von 180.000 auf 260.000 Einwohner gewachsen ist. Das passierte unbemerkt, wenigstens von mir. Nur 40.000 sind bis heute noch dazu gekommen.

© Vid Brezočnik

Sonst aber scheint die Stadt geschrumpft zu sein – auf alten Fotos sieht man in der Altstadt Autos, die am Straßenrand parkten und daneben war noch die Fahrbahn ... heute gibt es dort gerade genug Platz für einen Restauranttisch. Über die Dreibrücken fuhren Busse und Autos, wo es heute kaum Platz genug gibt für die (zu) vielen Touristen, die die Stadt besuchen ... Vielleicht war eine der Besonderheiten des jugoslawischen Sozialismus gerade die, dass die Bonzen das Leben zu genießen wussten und es auch den Mitbürger*innengönnten. So ähnlich geht es heute in Ljubljana zu – die Immobilienmafia läßt uns zwar keine erschwingliche Wohnung in Ljubljana finden, erlaubt uns jedoch, die Stadt mit ihren neuen Brücken, Galerien, einer um 360% größeren Fußgängerzone und vielen kleinen Lokalen zu genießen. Trotz allem liebe ich meine Geburtsstadt, flaniere durch die Straßen wie eine Touristin, arbeite und plaudere in Cafés ... es ist eine Stadt für Fußgänger, wie der Architekt Plečnik (1872-1957) sich das vorgestellt hat. Eine weitere Vorstellung von ihm war, dass man mit Hilfe von Büchern aus der Dunkelheit der Unwissenheit zum Licht der »Erleuchtung« aufsteigen könnte. Das symbolisieren die Treppen in der Nationalbibliothek NUK – eine dunkle, schwere Granittreppe führt zum lichtüberfluteten, vier Stockwerke hohen Lesesaal.   

Ljubljana war dann buchstäblich mein erster übersetzerischer Arbeitgeber: Die Abteilung für Protokoll und Internationale Beziehungen bei der Stadtgemeinde Ljubljana. Es waren die Zeiten der Fax-Korrespondenz. Alles, was ich übersetzte, landete am anderen Ende, sobald es gelesen wurde, sofort im Papierkorb. Da habe ich mir geschworen, nur noch Bücher zu übersetzen; etwas, das bleibt. Zum Büro führte eine alte Treppe, an der Büste des berühmtesten Bürgermeister Ljubljanas Ivan Hribar (1851-1941) vorbei. Seitdem sehe ich das Übersetzen wie Treppensteigen, möchte die Metapher aber jetzt nicht überstrapazieren.

© Vid Brezočnik

Wortwörtliches Treppensteigen begleitete die ersten Abgabetermine der übersetzen Bücher, denn Ende der 90er Jahre musste man die Übersetzungen auf einer Diskette und ausgedruckt auf dem Papier abgeben. Herzklopfen war doppelt – wegen des erwarteten Feedbacks des Lektors und wegen Treppensteigen (zu der Zeit immer mit Baby auf dem Arm). Die Zeiten der politischen Transition aus dem Sozialismus in den Kapitalismus könnte man vielleicht so zusammenfassen, dass zu den neuen, kleinen Verlagen, die kurz vor oder kurz nach der Verselbständigung Sloweniens entstanden sind, meist Treppen führten, wogegen die großen, früher staatlichen, danach wildprivatisierten Verlage (von nun an AGs) über Aufzüge verfügten.

Ljubljana ist für mich eine wahre Stadt der Übersetzer*innen in mehrfachem Sinne. Hier befindet sich der Sitz des slowenischen Übersetzerverbandes, zu dem auch einige schöne alte Holztreppen führen und dessen Mitglied ich seit mehr als zwanzig Jahren bin und zu dem ich nach wie vor eine tiefe Zugehörigkeit empfinde. Von Anfang an fühlte ich mich willkommen, besonders von den Übersetzern mit der gleichen Sprachkombination, was überraschend klingen mag. Lučka Jenčič nahm mich unter ihre Fittiche, der erfahrenere Kollege Štefan Vevar sprach mit mir auf Augenhöhe. Es ist ein Verband ohne Skandale (was in Slowenien eher selten ist). Veranstaltungen mit Diskussionen auf hohem Fachniveau und mit viel gegenseitigem Respekt. Viel Engagement, vor allem seitens der jetzigen Präsidentin Tanja Petrič und des Vizepräsidenten Iztok Ilc. Deswegen bedeutet es mir besonders viel, von Kollegen*innen, die ich über alles schätze, für Preise vorgeschlagen oder damit ausgezeichnet worden zu sein. Ihre positives Urteil bedeutet mir mehr als alles andere..

© Vid Brezočnik

Ljubljana ist eine Stadt der Übersetzer*innen auch deswegen, weil es hier die Abteilung für Übersetzer und Dolmetscher gibt. Mitglied von internationalen Netzwerken wie EMT und EMCI. Eines der besten Ausbildungsprogramme für herangehende Übersetzer und Dolmetscher. Mein Arbeitgeber seit ebenfalls mehr als 22 Jahren. Mein Lebenslauf scheint echt überschaubar und von lang andauernden Dazugehörigkeiten geprägt, jedoch hängt das vor allem mit der Freiheit zusammen, die mir dieser Job bietet. Die Freiheit, wegzugehen, an anderen verwandten Projekten wie dem Ehrengast Projekt der Frankfurter Buchmesse zu arbeiten, und immer wieder in die Klassenzimmer zurückzukehren. Die Studierenden sehe ich immer als zukünftige Kollegen – in Brüssel sitzen wir dann tatsächlich zusammen in der Dolmetschkabine und sie sind viel besser als ich und helfen mit, da ich nur von Zeit zu Zeit dazustosse ...

Born or made. Die ewige Frage der Dolmetschausbildung. Gilt auch für das literarische Übersetzen. Talent ist alles. Ich bin fest davon überzeugt, dass es angeboren ist und dass man auch ohne Uni-Abschluss hervorragend dolmetschen wie auch Literatur übersetzen kann. Das (globale, nicht nur slowenische) Universitätssystem fördert Mediokrität und zieht Fleiß dem Genie vor. Auch ist unser Programm eher aufs technische Übersetzen und Konferenzdolmetschen für die EU-Institutionen ausgerichtet, jedoch sind unter dem Lehrkörper etliche Kolleg*innen, die auch Literatur übersetzen, so dass wir immer wieder kleinere oder größere Projekte zum Thema literarisches Übersetzen organisieren.

© Vid Brezočnik

Den Studierenden kann man nur helfen, sich weiterzuentwickeln, die richtigen (online) Ressourcen zu finden, und ihnen eine erste Gelegenheit bieten, z. B. ein Buch zu übersetzen. Es gab viele talentierte Studierende in all diesen Jahren, erwähnen möchte ich an dieser Stelle Stana Anželj – ein übersetzerisches »Wunderkind« vom Anfang an – so einfallsreich, sprachlich geschmeidig und zugleich äußerst präzise. Als mir ein Verleger die Übersetzung mehrerer Titel von Walter Moers anvertrauen wollte, schlug ich vor, ihr die umfangreiche Übersetzung anzuvertrauen, mit dem Versprechen, dass ich sie durchlese. Die Übersetzung, die auch Ana Pepelnik in ihrem Beitrag zu Ljubljana – City of Translators – erwähnt, war genial. Ich wäre keinesfalls im Stande gewesen, mir all die Namen auszudenken, mich so sehr in diese Fantasiewelt zu vertiefen. Freue mich immer, wenn meine »Schüler« besser sind als ich.

Freue mich auch besonders, dass es uns in Ljubljana auch außerhalb der Universität gelungen ist, mit der großzügigen Hilfe der Slowenischen Buchagentur JAK schon unter der Direktorin Renata Zamida und unter der jetzigen Direktorin Katja Stergar und unter der Leitung der unermüdlichen Tanja Petrič, Talente auszubilden, eine neue Generation von hervorragenden Übersetzer*innen ins Deutsche – hervorheben möchte ich Liza Linde, Lars Felgner und Metka Wakounig (letztere lebt in Wien).

Das Moorgebiet von Ljubljana scheint doch fruchtbar zu sein.

Wovon träumt man als Kind, wenn man in einer Stadt wohnt, in die alle hinziehen möchten? Vom Weggehen. Ich mag Ljubljana, die man auch Ljubljena – die geliebte Stadt – nennen kann, identifiziere mich aber leicht mit den Worten der Protagonistin aus dem wunderbaren Buch Die Aufdrängung von Ariane Koch: »Überhaupt habe ich schon mein Leben lang Abschiedssehnsüchte und gehe dann doch nie weg. Überhaupt denke und spreche ich bereits mein Leben lang vom Weggehen, aber bin noch immer hier.«

05.10.2023
Fußnoten
1
PDF

© Vid Brezočnik

Amalija Maček arbeitet als Dozentin an der Philosophischen Fakultät der Universität Ljubljana, wo sie Dolmetschen und Übersetzen aus dem Deutschen ins Slowenische unterrichtet. Sie ist akkreditierte Konferenzdolmetscherin und Literaturübersetzerin (u. a. Ilse Aichinger, Marlen Haushofer, Franz Kafka, Bertolt Brecht, Peter Handke, Josef Winkler, Ulrich Peltzer und Terézia Mora). Zusammen mit Erwin Köstler leitete sie zwei Vice-Versa-Übersetzerwerkstätten. Sie wurde 2021 für Sovre-Preis für ihre Übersetzung des Romans Mein Jahr in der Niemandsbucht von Peter Handke nominiert und erhielt dasselbe Jahr für das Buch den renommierten Fabjan-Hafner-Preis. Seit der Gründung der Slowenischen Buchagentur ist sie dort als Mitglied der Kommission zur internationalen Promotion slowenischer Literatur bestrebt, die Bekanntheit slowenischer Literatur im deutschsprachigen Raum zu erhöhen. Beim Projekt Frankfurt 2023 ist sie als Programmberaterin tätig.

Verwandte Artikel
12.04.2023
Dazwischen
Journal zum Übersetzen des Gedichtbandes »Tagesgedichte« von Miljana Cunta im Tandem mit Matthias Göritz
27.09.2023
Video | Nächste Haltestelle: LJUBLJANA
Schreiben über Übersetzen | Suchen nach dem Übertragen
Video | Interview mit Ludwig Hartinger