Journale Ein Übersetzungsroadtrip.

HUMOR ÜBERSETZEN

Von Sinéad Crowe, übersetzt von Rasha Khayat


Wie zuvor schon erwähnt, haben mich an Töchter vor allem der Witz und der Humor gereizt und begeistert. Ich hoffte, mit meiner Übersetzung meinen eigenen kleinen Beitrag dazu leisten zu können, um zu zeigen, dass deutsche Literatur nicht immer nur schwer und humorlos sein muss. Aber die vielen witzigen Szenen und Anspielungen machten mich auch nervös. Humor zu übersetzen ist eine der schwierigsten Aufgaben überhaupt, und wenn man es nicht richtig hinbekommt, schreit es geradezu von der Buchseite. Der Übersetzungstheoretiker Jeroen Vandaele beschreibt es so: „Der humorvolle Moment zeigt sich durch physische Reaktionen: Lachen, Lächeln, Erregung.“ Somit gilt: „Übersetzungsfehler werden daher direkt sichtbar: Wenn niemand lacht, hat der Übersetzer seinen Job nicht richtig gemacht.“1  Wenn ich einen schlechten Tag habe, stelle ich mir manchmal vor, meine Übersetzung sei ein Stand-up Comedian, der vor einem versteinerten Publikum flache Witze reißt.

Ehe ich mit der Übersetzung anfing, las ich das Buch noch ein zweites Mal, diesmal, um mir mögliche Übersetzungsherausforderungen genauer anzuschauen. Meine Sorge wurde umso größer, je genauer ich erkannte, wie stark der Humor von Töchter entweder auf Wortspielen oder Neologismen beruht, oder eben auf dem spezifisch deutschen Kontext. Es gibt Witze über die AirBnB-fizierung von Kreuzberg oder den Kleidungsstil der Bewohner∙innen von Marzahn; außerdem finden sich unzählige humorvolle Beschreibungen des normalen Lebens in Deutschland, zum Beispiel über die Kaufhauskette Karstadt, die Eckkneipe oder die Moderatorin Sandra Maischberger. Selbst die Stellen im Roman, die in Italien oder Griechenland spielen, ziehen ihren Humor oft daraus, dass sie die deutsche Nachkriegsromantisierung des Südens, wie sie in Schlagern verewigt wurde (beispielsweise hier oder hier), aufs Korn nehmen. Ich befürchtete, dass ein Großteil des Humors sich englischsprachigen Leser∙innen nicht erschließen würde. Sollte ich ein Glossar anlegen, um die Wortspiele zu erklären? Nein, ich entschied, dass das nicht funktionieren würde. Jeder weiß: Ein Witz ist nicht mehr witzig, wenn man ihn erklärt. Aber ich wollte auch Lucys Witze nicht mit Äquivalenten aus der englischen Kultur ersetzen. Das Buch sollte ja seine deutschen Eigenheiten nicht verlieren.

Betty selbst sagt an einer Stelle, wenn ein schwieriger Weg vor einem liegt, muss man einfach sagen: “Dann wollen wir mal!” Also legte ich los und hoffte, ich würde die Hürden im Laufe der Reise meistern. Nachdem ich einmal angefangen hatte zu übersetzen, stellte ich fest, dass Lucys Figuren und ihre Stimmen so stark und authentisch sind, dass der kulturell spezifische Kontext für den Humor gar nicht mehr so wichtig schien.

Das Auge Gottes: die Kuppel des Pantheons, hier ohne einen Luftballon von Victoria’s Secret. Foto: Mohammad Reza Domiri Ganji.

Der Roman beginnt beispielsweise mit einer schönen, lebendigen Szene, in der wir Betty und ihre zynische Haltung zum Leben, ihre Angewohnheit, immer das Haar in der Suppe zu suchen, kennen lernen, während sie das Pantheon in Rom besucht. Anstatt sich an der herrlichen Architektur zu freuen, ist sie vollkommen fixiert auf die anderen Touristen („hunderte von Degenerierten“, wie es heißt), die allesamt einen pinkfarbenen Victoria’s Secret Luftballon („eine verdammte Dessouswerbung“) anstarren, der an der Decke des Doms schwebt. Viele Szenen in dem Roman funktionieren genau in diesem Spannungsbereich, dem Wechsel zwischen Ernsthaftigkeit und Absurdität, Bathos, das in jeder Sprache witzig ist. Bis ich also bei der Stelle über Sandra Maischberger später im Buch angekommen war, hatte ich meine Nervosität bezüglich des Humors längst vergessen. Es war gar nicht nötig, irgendwelche Erklärungen oder Anpassungen für die englischen Leser∙innen einzufügen, denn der Witz funktionierte auch, ohne dass man weiß, wer Sandra Maischberger ist. Der Humor steckt in der Szene selbst: Als das Trio am Lago Maggiore ankommt, will Kurt, der am nächsten Tag sein Leben beenden möchte, nur eines: in dem billigen Hotel fernsehen. Was seine Tochter Martha frustriert, da sie ihrem Vater eine Art magischen letzten Moment in seinem Leben wünscht.

Lago Maggiore mag zwar wunderschön sein, aber Kurt sieht lieber fern. Foto: Alessandro Vecchi.
 

Die klugen und witzigen Dialoge der starken Figuren machten beim Übersetzen  besonders viel Spaß. Vor allem die Gespräche zwischen der zynischen Betty und der überspannten Martha, die beinahe pathologische Angst vor Kontrollverlust hat, sind großartig; wenn Betty Martha beispielsweise als “Linksheulerin” beschreibt (ein Neologismus, den ich als “left-eyed-bawler” übersetzt habe). Die Dialoge sind auch deshalb so gut zu übersetzen, weil Martha und Betty sprechen, wie echte Frauen wirklich miteinander sprechen. Ihre Fähigkeit, immer wieder aufzustehen und ihren Humor nicht zu verlieren, egal, welche Steine das Leben ihnen in den Weg legt, erinnert mich an viele liebe Freunde, die überall auf der Welt verstreut leben. Als ich endlich die Stimme der beiden gefunden hatte, wurde mir klar, dass Tonfall und Rhythmus der Sprache einen großen Teil zum Humor des Textes beitragen. Jede∙r Komiker∙in wird es bestätigen: Es ist alles eine Frage der Performance. Die schnellen Wortwechsel sind, denke ich wenigstens, auch witzig, wenn man nicht so vertraut mit dem kulturellen Kontext ist. Beispielsweise in dieser Szene:

«Was soll das eigentlich werden?», fragte ich. «Thelma und Louise?»

«Die waren jung, sexy und unterdrückt», sagte Martha. «Guck uns an, wir sind nicht mal unterdrückt.»

«Tschick?», probierte ich weiter.

«Das waren Jungs. Wir sind Frauen kurz vor den Wechseljahren. Ich hoffe, das willst du nicht vergleichen.»

(Töchter, S. 88)

‘So what are we going for here?’ I asked. ‘Thelma and Louise?’

‘They were young, sexy and downtrodden,’ Martha said. ‘Look at us, we’re not even downtrodden.’

I tried again. ‘Why We Took the Car?’

‘They were teenage boys. We’re premenopausal women. I don’t quite see the comparison.’

(Daughters, 76)

Der Film Thelma und Louise wird vermutlich jedem englischsprachigen Leser bekannt sein und einleuchten:

Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte von www.youtube.com angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt. TOLEDO hat darauf keinen Einfluss. Näheres dazu lesen Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Die Anspielung auf Tschick ist dagegen etwas komplizierter. Das vielfach ausgezeichnete Jugendbuch des verstorbenen, großartigen Wolfgang Herrndorf war in Deutschland ein großer Bestseller, wurde später verfilmt und gilt inzwischen als Klassiker der deutschen Road Trip-Literatur. 2014 wurde es zwar von Tim Mohr ins Englische übersetzt und unter dem Titel Why we took the car veröffentlicht, doch der Einfluss des Buches auf den englischsprachigen Raum lässt sich nicht mit der Wirkung in Deutschland vergleichen. Daher wird die Erwähnung des Buchtitels kaum eine ähnliche Assoziation hervorrufen, wie es bei dem deutschen Leser der Fall ist. Ich entschied mich erneut dagegen, die Referenz für englischsprachige Leser∙innen und vom deutschen Kontext weg anzupassen. Ich glaube, der Humor funktioniert trotzdem, denn er liegt auch in Marthas schneller Antwort, erneut im Spannungsfeld des Bathos – Tragik und Komik in einem Satz.

Während ich Bettys und Marthas Dialoge und die fast slapstick-artigen Situationen, in die sie immer wieder herein geraten, übersetzte, fühlte ich mich an klassische Comedy-Duos erinnert, wie zum Beispiel Laurel und Hardy, Patsy und Edina aus Absolutely Fabulous oder Becketts Vladimir und Estragon. (Bin ich eigentlich allein mit meiner Idee, dass in dem “Dann wollen wir mal” von Lucys Figuren durchaus etwas von den existenziellen Nöten von Beckett’s Warten auf Godot mitschwingt?) Der schwarze Humor, mit dem der Roman über die inneren Kämpfe der Protagonistinnen, die älter werdenden Eltern, berufliche Sackgassen, biologische Uhren, Enttäuschungen in Beziehungen und die Unwürdigkeit des Alters erzählt, hat etwas extrem Zeitloses. Wenn auch viele Anspielungen sich speziell auf Deutschland beziehen, so ist der Humor als solcher, und wie er mit ganz allgemein gültigen Themen umgeht, doch universell.

Auch wenn ich mir viele Gedanken und Sorgen darüber gemacht habe, ob englischsprachige Leser∙innen wohl auch lachen würde, so hoffe ich, dass ich auch die Traurigkeit, Sehnsucht und Hoffnung im Kern der Geschichte getroffen habe. Inzwischen habe ich den Roman unzählige Male gelesen, und trotzdem kommen mir bei bestimmten Szenen immer noch die Tränen – und nicht nur aus dem linken, sondern aus beiden Augen. Töchter ist weit mehr als nur eine Ansammlung düsterer Witze. Im Kern ist es eine unfassbar berührende Familiengeschichte über Verlust und darüber, wie man sich manchmal mit einer alten Freundin betrinken sollte. Diese Themen werden hoffentlich auch außerhalb von Deutschland die Leser∙innen für sich einnehmen!

Mehr über Sinéads, Isabelles und Marías Herausforderungen kulturell spezifischer Übersetzung gibt es hier.

 

Auf der Route bleiben.

Fußnoten
1
PDF