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Ihar Krebs | Ігар Крэбс
ÜBERSETZEN ALS HEILUNG

Ihar Krebs bei sich zuhause, © Yulia Tsimafejeva

Geboren 1969 in Viciebsk. Wie viele Belarussen zog er zum Studium in die Hauptstadt und absolvierte dort die Minsker Staatliche Linguistische Universität. Bekannt in erster Linie durch seine Übersetzungen aus dem Deutschen: Ins Belarussische übertrug er “Die Abenteuer des Baron Münchhausen”, Wilhelm Hauffs Märchen sowie Gedichte von Georg Heym und Heinrich Heine. Auch übersetzt er Lyrik aus dem Englischen und Russischen. Seit 2013 ist er aktives Mitglied des Online-Projektes “PrajdziSvet”. Nach zwei Jahren ärztlicher Behandlung in Israel kehrte er zurück nach Minsk.

Ich übersetze für mich selbst. Zwar ist es schön, mein Buch in Händen zu halten und Komplimente von meinen Kollegen zu erhalten, wenn mir eine Übersetzung gelungen ist, aber letztlich ist das nebensächlich. Wesentlich ist für mich die Zufriedenheit, die ich bei der Suche nach Lösungen für komplizierte Aufgaben empfinde, denn geben tut es sie immer. Von solchen kleinen Erfolgen und Glückshormonen kann man sich nur schwer losreißen: So ein “Junkie” bin ich gerne.

Deutsch und Belarussisch sind meine Heimatsprachen. Nicht die ersten – denn zuerst sprach ich Russisch – aber doch die meines Herzens. Es mag passieren, dass ich ein Wort nachschlagen muss, oder einen fehlerhaften Satz bilde, aber ich weiß genau was Heym fühlte, als er seine Gedichte schrieb, warum er ein Wort dem anderen vorzog und welches belarussische seine Gefühle am besten wiedergeben könnte. Verantwortlich ist für diese Illusion vielleicht mein Deutschlehrer, der uns stets auf Deutsch anredete, statt uns Deklinationen und Endungen einzubläuen. In Sachen Belarussisch war es meine Lehrerin für Literatur, die Maksim Bahdanovič so gefühlvoll rezitierte, dass einem jedes Wort unter die Haut ging.

Ich war 12 oder 13 Jahre alt, als unser Deutschlehrer der Klasse auftrug, ein kleines Gedicht von Heine ins Russische zu übersetzen. Mein Versuch gelang unerwartet gut. Und so fing alles an: In den Buchhandlungen kaufte ich sämtliche Werke Heines und übersetzte von morgens bis abends - ich konnte nicht mehr aufhören. Später kehrte ich im Studium an der Linguistischen Universität zum Übersetzen zurück. Damals entschied ich mich, unter Einfluss der Ereignisse der 90er Jahre, fürs Belarussische. Aber mit der Zeit lief alles ins Leere - vielleicht mangelte es mir an einem literarischen Umfeld.

Und so wurde das Leben zu meinem Hauptanliegen. Ich hielt mich für glücklich, bis ich krank wurde und, bis auf einige Freunde, alles und jeden verlor. Besonders schwer wog der Verlust der Hoffnung. Ohne eine Zukunft konnte ich mich auf das konzentrieren, was ich ohnehin immer im Hinterkopf behalten hatte: das Übersetzen von Lyrik. In der dunkelsten Zeit meines Lebens stellte meine alte Freundin Maryna Shoda mich der Übersetzerin Hanna Jankuta vor, die mir mit der Zeit behutsam ein Übersetzergehirn verpflanzte, wie nur wenig später die israelischen Ärzte mein Knochenmark. Ich habe überlebt und das Übersetzen ist seitdem meine Zukunft und Hoffnung, eine große, fast tägliche, Freude. So wie ein täglicher Shabbat für einen gläubigen Juden. 

Wenn ich mir heute die Liste meiner Übersetzungen anschaue, wird mir bewusst, wie eng viele von ihnen mit der jüdischen Thematik verbunden sind: Heinrich Heines “Hebräische Melodien”, Theodor Herzls Schriften und sein Roman, die Gedichten des israelischen Lyrikers Boris Stern. Vielleicht ist das Übersetzen für mich auch ein Weg, mich mit meiner eigenen Identität auseinanderzusetzen, Vergangenem wiederzubegegnen. Das scheint jedenfalls gut zu funktionieren.

Ich verdiene an meinen Verkäufen. Jeder Verkauf ist wie ein Risikosport und ich gewinne gerne. Zweifellos ist es einfacher, den Käufer von einer “Ware” zu überzeugen, an deren Wert man selbst glaubt und ihn sogar mitbestimmt.  Auf Märkten und Veranstaltungen treffe ich beim Verkauf meiner Bücher auf gleichgesinnte Menschen. Ihnen in die Augen zu sehen und diese Verbindung zu spüren, ist sehr angenehm. Bisher verdient man mit belarussischen Büchern nur wenig Geld. Den Verkauf der Bücher sehe ich daher eher als Gelegenheit, meine Energiereserven aufzuladen. Wie eine Art Büchervampir.

Der Markt für Literatur ist in Belarus ist sehr klein und staatliche Förderungen für die Herausgabe von Büchern gibt es nicht. Da ist es nicht verwunderlich, dass man als Übersetzerin·in Zeit an organisatorische Aufgaben verliert und nicht in originelle männliche Reime steckt. Aber das ist nicht immer schlecht. Für die einen ist die Beteiligung am Verlagswesen und der Öffentlichkeitsarbeit eine Erweiterung des Schaffensprozesses – ein Weg gesehen zu werden und auf die kulturelle Situation im Lande einzuwirken. Allerdings sollte es doch möglich sein, dass Literaturübersetzer·innen auch normal von ihrer Arbeit leben können. Solange das nicht der Fall ist, bleiben Übersetzungen ins Belarussische eine Laiendisziplin – wenn auch auf hohem Niveau.

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