Cities of translators Nahaufnahmen

Tatiana Svetashova | Татьяна Светашёва
ÜBERSETZEN ALS HERAUSFORDERUNG

Tatiana Svetashova im Jahr 2016, © Dirk Skiba

Dichterin, Übersetzerin, Literaturwissenschaftlerin. Geboren 1984 in Minsk. Absolventin der Philologischen Fakultät der Belarussischen Staatlichen Universität, an der sie heute als Dozentin für Russische Literatur arbeitet. Sie ist Teil der literarischen Bewegung “Minsker Schule”, die vom Dichter Dimitri Strotsew gegründet wurde. Für den Almanach der “Minsker Schule”  übersetzt sie belarussische Lyrik ins Russische. Sie selbst schreibt auf Russisch und Belarussisch.

1.

Unsere Kulturlandschaft nicht sehr nahrhaft und die Arbeit im Bereich der Literatur daher immer eine Art Freiwilligendienst. Die Angst vor der geringen Nachfrage in diesem Beruf ist extrem demotivierend. Andererseits eröffnet die mangelnde materielle Motivation einem auch gewisse Freiheiten. Für mich ist das Übersetzen eine rein ästhetische Herausforderung, eine Denkaufgabe. Dabei schwingt ein eigenartiger schöpferischer Eifer mit - man möchte sich gerne schnellstens mit dem Resultat rühmen. So entstehen kulturelle Verbindungen und Kontinuität. Die Arbeit an literarischen Übersetzungen ist besonders inspirierend. Sie durchbricht bestehende Routinen und stärkt den Glauben an die Wichtigkeit des Schaffens.

2.

Anfänglich sah es die “Minsker Schule” als eine ihrer Kernaufgaben, die kulturelle Vielfalt der Stadt Minsk wiederzuspiegeln, in der stets verschiedene Nationalitäten verflochten und Sprachen zu hören waren. Der Almanach erscheint auf Russisch, Übersetzungen aus anderen Sprachen verfassen wir selbst – somit vertreten wir im Grunde auch eine “Minsker Schule” der Übersetzung. Das Projekt hat für mich eine große Bedeutung, ich bin froh, daran teilzunehmen und halte es für wichtig, verschiedene literarische Strömungen in einem gemeinsamen kulturellen Prozess zu vereinen.

3.

Im Wesentlichen übersetze ich belarussische Gedichte zeitgenössischer Lyriker. Am Anfang war die Liebe: An Texten, die mir besonders gut gefielen, wollte ich “teilhaben” und ihre Mechanismen genauer untersuchen. Wie ein Kind, das sein Lieblingsspielzeuge inspiziert. Und in gewisser Weise ist das wie ein Geschenk an den Autor, denn im Leben eines Textes ist seine Übersetzung ein wichtiges Ereignis. Schließlich erhöht eine Übersetzung ins Russische die Reichweite eines Textes sehr und man möchte doch, dass möglichst viele Menschen unsere Dichter kennen. Gute Texte können nur davon profitieren, dass sie in anderen Sprachen ertönen und verbreitet werden.

4.

Auch habe ich Gedichte aus dem Ukrainischen ins Russische und Belarussische und aus dem Russischen ins Belarussische übersetzt.

Die Übersetzung in eine eng verwandte Sprache ist ein Ereignis der “Assimilation” und “Aneignung” von Kultur durch die Sprache einer gekonnten Ausführung. Für die belarussische Kultur ist das äußerst aktuell. Eine Übersetzung ins Belarussische ist auch eine kulturelle Missionsarbeit, die den Lesermarkt nährt: Wir brauchen viele viele gute Gedichte auf Belarussisch, damit die Sprache lebendig und gefragt bleibt.

5.

Beim Übersetzen von Lyrik bemühe ich mich, die Harmonie des Textes bestmöglich zu bewahren: Der Schatten des Fotografen sollte im Bild nicht zu sehen sein. Bedeutungen müssen rausgehört und der Text “neu geordnet”, der Code umgeschrieben werden - wenn möglich, ohne dabei etwas zu verlieren. Eine philologische Ausbildung ist dabei sehr hilfreich: Neben einer intuitiven Wahrnehmung habe ich ein wissenschaftliches Verständnis dafür, wie ein Text aufgenommen wird. Das erlaubt es mir, ihn möglicherweise in anderen Spracheinheiten nachzubilden, ohne dabei die Struktur des Verses zu verletzen.

6.

Meine Muttersprache ist Russisch: Meine Mama russischer Herkunft. Auch im Alltag spreche ich Russisch. Aber in meinem Wirken bin ich bilingual.

Ich habe erst als Erwachsene begonnen, Gedichte auf Belarussisch zu schreiben, als ich meinen Platz in der Literatur nicht mehr suchen und mich an keine Umstände mehr anpassen musste. Nicht zuletzt hat mich dabei meine übersetzerische Tätigkeit beeinflusst. Eine erstaunliche Entdeckung: Man erhält ein neues System aus Buchstaben und Codes, als würde man ein neues Musikinstrument auspacken. Das Belarussische bietet viel mehr Möglichkeiten für neue Wörter und frische Verwendungen. Ich achte sehr auf die intuitive, irrationale Komponente der Inspiration - und irgendwie scheinen sich meine Texte selbst auszusuchen, auf welcher Sprache sie geschrieben werden.

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