Cities of translators Ljubljana Ljubljana hat gegeben. Wird es auch nehmen?
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Ljubljana hat gegeben. Wird es auch nehmen?

Vor kurzem erwartete mich in meinem Briefkasten eine Abmahnung unserer Hausverwaltung, dass sie „von Seiten einiger Eigentümer darüber in Kenntnis gesetzt“ worden sei, dass zwei Personen in meiner Wohnung leben – gemeldet sei aber nur eine. Zuerst packte mich die Wut, dass mich jemand beobachtet und dabei auskundschaftet, ob ich in meiner Wohnung wirklich allein lebe. Doch ungeachtet des unangenehmen Gefühls, beobachtet zu werden, und einer gewissen Schönfärberei (die Hausverwaltung beruhigte mich, ich solle dies im Geiste der Sorge um die gemeinsamen Instandhaltungskosten verstehen), durchfuhr es mich plötzlich, dass die Wohnung wirklich mir gehört. Etwas, was zuvor in Gestalt einer abstrakten Kategorie bestand, hat sich nun angesichts der Abmahnung der Hausverwaltung ein Stück materialisiert. Ja, ich bin Eigentümer einer Wohnung in Šiška, einer der immer gefragteren Nachbarschaften in Ljubljana, und daran sind auch einige Rechte und Pflichten gebunden. All das sind im Grunde jedoch Luxusprobleme, denn ich komme nicht an der Tatsache vorbei, dass ich gewaltiges Glück habe, weder Miete noch einen Kredit zahlen zu müssen, was es mir ermöglicht, einem freien Beruf in der Kultur nachzugehen – und das in einer immer teureren Stadt, wo man schon bald kein Eis mehr für drei Euro die Kugel bekommt. Als wäre die ganze Stadt vom Goldstaub bedeckt, der einst in der legendären Zeit, als sich noch die Argonauten mit Jason an ihrer Spitze hier herumgetummelt haben sollen, vom goldenen Vlies gestoben ist.

© Vid Brezočnik

Obwohl der Übersetzerberuf für einen Einzelgänger, der tagelang zu Hause hocken kann und jegliche erforderliche Kommunikation über elektronische Kanäle abwickelt, angemessen erscheint, kann ich für mich behaupten, dass die Präsenz in einer großen, oder, genauer gesagt, der größten Stadt Sloweniens, für einen literarischen Übersetzer schon gehörig wichtig ist. Wie für den gesamten Kulturbereich gültig, sind eine kritische Masse von Menschen mit ähnlichen Interessen, Berufskolleg·innen, mit denen man sich treffen und debattieren kann, eine ausreichend große Zuhörerschaft sowie genügend Plätze, wo diese formellen oder informellen Treffen vonstattengehen können, von allerhöchstem Stellenwert, wobei es nicht um den Elitismus der großen urbanen Zentren geht.

In jungen Jahren dachte ich nie ernsthaft über literarisches Übersetzen nach, doch als ich an die Universität kam, siebte sich die Welt der Menschen mit gleichen oder ähnlichen Interessen zu einem engeren Kreis von Bekannten und Freund·innen aus. Mit ihnen bin ich mehr oder weniger noch immer in Verbindung. Der Umgang mit Übersetzerkolleg·innen, die zu jener Zeit ebenfalls am Anfang standen, obwohl einige von ihnen bereits die ein oder andere veröffentlichte Übersetzung hinter sich hatten, gab mir das Gefühl, dass es sich beim Übersetzen um eine völlig erhabene Tätigkeit handelt, die Boheme, Disziplin, Rationalität und einen Funken Intuition gemeinsam unter sich vereint. Gerade letztere ist beim Übersetzen fast allgegenwärtig, wenngleich auch unbeschreiblich und undefinierbar. Und wäre es nicht für genau diese kritische Masse von Bekannten gewesen, hätte ich höchstwahrscheinlich einen anderen Kurs eingeschlagen. In meinen Teenagerjahren schwankten meine Interessen nämlich von den Naturwissenschaften bis zur Kunst, außerdem fiel es mir als Jüngling schwerer, meine Wünsche zu bündeln, und noch jetzt spüre ich, dass mich diese Neugier nicht verlassen hat. Die Literatur war jedoch stets meine Konstante.

© Vid Brezočnik

Fürs Übersetzen habe ich mich aus völlig rationalen Gründen entschieden, nachdem mein kurzer Exkurs in eine feste Anstellung an der japanischen Botschaft mit der Erkenntnis meiner Arbeitgeber endete, dass keine richtige Chemie zwischen uns herrschte. Nicht, dass Sie glauben, dass die Arbeit an der Botschaft so traumatisch und beschwerlich gewesen wäre, doch dieser Job im berühmten Ravnikarhochhaus am Trg republike (Platz der Republik), das 2018 sogar am Titelblatt des Katalogs über den jugoslawischen Brutalismus im New Yorker Museum of Modern Art verewigt wurde, impfte mir eine solch ausgeprägte Abneigung gegen hierarchische Strukturen ein, dass ich sofort in freie Gewässer sprang und nach anderen Beschäftigungsmöglichkeiten nicht einmal Ausschau hielt. Es ist nicht so, dass ich als Freiberufler ein märchenhaftes Einkommen hätte, doch im Büro herumzuhocken und sinnlose, geisttötende Beamtenarbeit zu erledigen, wirkte auf mich geradezu kafkaesk, wie eine Beleidigung meines Intellekts und insbesondere all der Anstrengung, die ich in mein Wissen gesteckt hatte. Die einzige Lösung war also, mich seriöser mit dem literarischen Übersetzen zu befassen, in das ich bereits vor meinem Ausflug in die Festanstellung eingestiegen war.

© Vid Brezočnik

Bei der Beschreibung der Plätze in Ljubljana, die einen erheblichen Einfluss auf mich hatten, komme ich nicht darum herum, das modernistische Gebäude der Philosophischen Fakultät zu erwähnen, in dem 1995 das Institut für Asia- und Afrikastudien (die Afrikastudien wurden nach zwei Jahrzehnten des Nichtbestehens und eines nicht umgesetzten Plans zur Koppelung an andere Institute aus dem Titel des Instituts gestrichen) gegründet wurde. Die Atmosphäre, die den Tempel der Gelehrsamkeit zu jener Zeit durchdrang, würde ich heute als unverständliches Studienchaos bezeichnen. In den Anfangsjahren des Instituts waren wir, die Student·innen der Japanologie und Sinologie, die ganze Zeit über in temporären Räumlichkeiten untergebracht, die Sekretariate des Instituts und die Bibliothek befanden sich im Fakultätskeller, eine Weile hatten wir unsere Lehrsäle sogar in der benachbarten Fakultät für Montanwissenschaften, an der nachmittags, im Gegensatz zum geschäftigen Treiben an der „Filofaks“ eine klösterliche Stille herrschte, in der es sogar möglich gewesen wäre, den in den Vitrinen am Gang ausgestellten Steinen zu lauschen. Ich erinnere mich noch lebhaft an die heutzutage noch unverständlichere Disziplinlosigkeit und Permissivität sowie das Rauchen in den Gängen vor den Vorlesungssälen und im Fakultätscafé, während man sich heute nicht einmal im Hof vor oder hinter dem Gebäude mehr eine Zigarette anzünden kann – immerhin handelt es sich ja um eine Ausbildungsstätte, in der die junge Seelen alle möglichen Laster annehmen können. Lange Rede, kurzer Sinn, es herrschte ein kontrolliertes Chaos, in dem es sich noch verstand, dass die Student·innen vornehmlich selbst die Verantwortung für ihr Wissen tragen, ohne dass man sie unterhalten oder sich ihnen in irgendeiner Weise anpassen musste. Nach vier Jahren am ziemlich rigiden Gymnasium von Kranj, das mich bereits mit seinem vernunftwidrigen frühen Unterrichtsbeginn gequält hatte, waren meine Studienjahre wie ein Balsam für die Seele. Dieses tagtägliche frühe Aufstehen, das eben aufgrund schulischer Pflichten notwendig war und nicht, weil ich vom sanften Vogelgesang in der Umarmung eines romantischen Nebelschleiers geweckt wurde, war mir durch und durch zuwider. Nie wieder, habe ich mir geschworen. Und nichtsdestotrotz musste ich auch auf der Uni ein paar Mal die Woche bereits um acht Uhr früh an Sprachkursen oder Vorlesungen teilnehmen, in den späteren Jahren gestaltete sich mein Stundenplan jedoch etwas entspannter. Im Gegenzug gab es umso mehr Partys und eine gefährliche Menge Leerlauf – als man das Gefühl hatte, alles noch vor sich und im Leben keinerlei Bedarf für Eile zu haben. Das war die Zeit, in der ich Ljubljana als Stadt intensiv kennen lernte, all die Lokale, die unter der Last der Gentrifikation bereits längst verschwunden sind – diese verrauchten Spelunken, in denen es einem nicht peinlich war, auf dem Klo zu kotzen – und natürlich auch den weltbekannten Schauplatz für Konzerte der Alternativszene, die Hausbesetzung Autonome Zone Metelkova (die genau dieses Jahr ihr 30. Jubiläum feiert) – wenngleich mir diese nicht allzu sehr ans Herz wuchs, sondern ich sie viel mehr als einen Ort erlebte, an dem alles sehr billig war. Und natürlich auch die Nachtbusse und das Taktieren, wann ich mich von meinen Saufkumpan·innen loslösen musste, um noch einen der Busse zu erwischen, die mitten in der Nacht nur sehr selten fuhren. War die Debatte interessant genug, um es noch eine Stunde bis zum nächsten Bus auszuhalten oder die Party schon langsam am Ausklingen und es besser, sofort zu verschwinden?

Mit großer Gewissheit kann ich heute behaupten, dass mir gerade Ljubljana mit seinem Weltbürgertum die Tür zum literarischen Übersetzen geöffnet hat. Im weltweiten Vergleich ist es zwar eine kleine Stadt, doch durch ihren Status als Hauptstadt hat sie trotzdem einiges zu bieten. Hier, wo die größten Verlagshäuser, mehrere professionelle Theater und andere zentrale Institutionen sowie verschiedene Standes- und andere Verbände ihr Zuhause haben, ist es ziemlich einfach, mit Redakteuren, Dramaturgen, Direktoren, Produzenten und all den anderen Künstlern, die das Netz des Kulturlebens spinnen, in Kontakt zu kommen.

© Vid Brezočnik

Ein Platz in Ljubljana, der mittelbar und formativ in meine berufliche Karriere verstrickt ist, ist das Kultur- und Kongresscenter Cankarjev dom, das 2005 die Eventreihe „Japanischer Frühling“ plante und darin auch einen Gastauftritt von einem der bekannten japanischen Schriftsteller inkludierte. Fürs Erscheinen des Begleitbuchs wählte man die Cankarjeva založba, eines der zentralen und etabliertesten slowenischen Verlagshäuser. Im richtigen Augenblick kam ich mit Redakteur Andrej Blatnik in Kontakt und bat ihm meine Übersetzung Skoraj presojna modrina (dt. Blaue Linien auf transparenter Haut) von Ryu Murakami (nein, nicht Haruki!) an und kam so zu meinem Übersetzungsdebut.

Wäre ich auch im Kulturbereich tätig, würde ich irgendwo anders in Slowenien leben? Vermutlich nicht, gerade Ljubljana hat mir alles gegeben, was ein Übersetzer insbesondere zu Anfang seiner kreativen Laufbahn braucht. Abgesehen vom bereits Erwähnten eröffnen sich einem in einer größeren Stadt auch mehr Möglichkeiten, die eigene Arbeit zu promoten. Ruft ein Reporter an und fragt, wo und wann man sich für ein Interview treffen kann, passt man problemlos seinen Terminplan an. Das geht, wenn man in Ljubljana lebt. Doch was, wenn nicht? Schlittert man in die Unsichtbarkeit? Ich fürchte, dass das so manchem schon passiert ist. Unabhängig von der politisch in den Himmel gelobten Dezentralisierung und den Mitteln zur „Entwicklung der ländlichen Umgebung“ braucht Kultur eine (kritische) Öffentlichkeit, ein Publikum, eine Leserschaft, eine Zuschauer- oder Zuhörerschaft, die auf die jeweilige Arbeit anspricht und die Kulturgüter „nutzt“. Das rede ich nicht einfach so daher. Als Organisator von Übersetzungsveranstaltungen im Rahmen des Verbands slowenischer Literaturübersetzer habe ich die Beschwerlichkeit, solche Veranstaltungen in kleineren Orten, etwa an Orten ohne fachliche oder studentische Öffentlichkeit zu organisieren, am eigenen Leib erfahren, – Maribor, die zweitgrößte Stadt Sloweniens, in der das etablierte Festival Prevodni Pranger (dt. Übersetzungspranger) stattfindet, ist hier die lichte Ausnahme – da sich das Publikum auf eine Handvoll Einheimischen stützt, die lediglich die berühmt-berüchtigsten und nicht unbedingt qualitativsten Autor·innennamen kennen. Leider werden Gesprächsveranstaltungen zum Thema Übersetzen fälschlicherweise als etwas überaus Fachliches und Hochintellektuelles aufgefasst, obwohl sich langfristig immer wieder herausstellt, dass die Menschen zumindest bei gesellschaftlichen Veranstaltungen in urbanen Zentren gerne wiederkommen.

Prägt mich Ljubljana jetzt, als Erwachsener, noch immer? Natürlich. Was einen im Erwachsenenalter prägt, hängt von der Ebene des Konformismus und der Steifheit des mittleren Lebensalters ab. Ist man offen für Neues, hindert einen nichts daran, sich unaufhörlich zu verändern. Mit den Jahren hafteten mir neue Verpflichtungen an, wie die Mitwirkung in verschiedenen Kommissionen und Aufsichtsgremien unterschiedlicher Institutionen, dem ich außerhalb von Ljubljana nur schwer hätte nachgehen können. Das gab mir etwas Selbstvertrauen, noch die ein oder andere weniger kontaktarme Arbeit beziehungsweise Anstellung auszuprobieren, die mir eine größere soziale Sicherheit ermöglichen würde.

© Vid Brezočnik

Die Drohung, dass mir Ljubljana hinsichtlich meines recht einfachen Einstiegs in den Freiberuf und des Gefühls der Zugehörigkeit zur Übersetzerzunft, das es mir gegeben hat, all das, unabhängig von all den Privilegien des Familienkapitals, das mit der Wohnung, die mein Vater bereits in den Neunzigerjahren gekauft hat, zu mir übergeflossen ist, auf irgendeine Weise auch wieder nehmen wird, da das Leben in der Stadt angesichts der immer größeren finanziellen Unsicherheit immer schwieriger wird, schwebt wie ein Damoklesschwert über meinem Kopf. Einige ernüchternde Momente haben mich dazu bewogen, meinen intellektuellen Freiberuflerstolz hinunterzuschlucken und einzusehen, dass eine feste Anstellung nichts Schlechtes ist, dass ich mich im Gegensatz zu meinem Ich von vor 20 Jahren nicht mehr beweisen muss, ich mit meiner Arbeit bereits viel gezeigt habe und nach all diesen Jahren etwas mehr Komfort und finanzielle Sorglosigkeit verdiene. In meinen jungen Jahren wurde ich noch von meinen intellektuellen Ambitionen angetrieben, die nun nachgelassen haben. Ich habe mich damit abfinden müssen, dass mich der Übersetzerberuf trotz aller Faszination und Vielfältigkeit langsam erschöpft, wobei es nicht unbedeutend ist, zu betonen, dass es immer schwieriger wird, gute Übersetzungsprojekte für angemessene Honorare, die einem selbstständigen Erwerbstätigen das Überleben ermöglichen, zu bekommen. Und dabei handelt es sich nicht um das endlose Gejammer eines Freiberuflers, sondern schlichtweg um die nackte Statistik, wie viel man in Ljubljana für ein anständiges Auskommen und nicht nur ein armseliges Dahinfristen verdienen muss. Dementsprechend sind neue Karrierewege für mich keineswegs ausgeschlossen, jedenfalls jedoch wünsche ich mir, dem Kulturbereich, den ich gut kenne und trotz aller inneren und äußeren Widersprüche ins Herz geschlossen habe, treu zu bleiben.

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Übersetzer und Übersetzungswissenschaftler Iztok Ilc studierte französische Sprache und Literatur sowie Japanologie an der Philosophischen Fakultät der Universität Ljubljana. Nach dem Studium begann er, sich aktiv dem literarischen Übersetzen aus dem Französischen und Japanischen ins Slowenische zu widmen. Sein essentielles Interesse, wie er selbst zu sagen pflegt, besteht darin, den weißen Fleck in der Bekanntheit der japanischen Literatur in Slowenien mit den zentralen Autor·innen des 20. Jahrhunderts, wie Natsume Sōseki, Shūsaku Endō, Kenzaburō Ōe, Yasunari Kawabata, Shuntarō Tanikawa, Minae Mizumura, Hiromi Kawakami, Yoshiharu Tsuge und Jun'ichirō Tanizaki zu füllen. Zu den namhaftesten Autor·innen seines französischen Übersetzungsopus gehören: Didier Eribon, Édouard Louis, Michel Houellebecq, Catherine Malabou, Catherine Cusset und Joël Dicker. Er ist seit mehreren Jahren ein Vorstandsmitglied im Verband slowenischer Literaturübersetzer (DSKP) und seit 2020 auch Vizepräsident des Verbands.

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