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Jiddisch. Eine Rückkehr

Ein Gespräch der Historikerin und Autorin Wolha Babkowa mit dem Übersetzer Sjarhej Schupa

WOLHA BABKOWA: Als ich mich auf das Gespräch mit dir, lieber Sjarhej, vorbereitete, war ich überwältigt von der Weite der unbekannten Welt, die sich vor mir wie eine Schriftrolle in alle Richtungen entfaltete, einer Welt, die so attraktiv, aufregend und riesig ist, dass es mir den Atem nahm. Ich kannte dich noch aus früheren Zeiten in Minsk als Kenner zahlreicher europäischer Sprachen. Aber wann hast du zum ersten Mal die „raue Stimme des Jiddischen“1 gehört? Hier verwende ich eine Metapher des großen jüdischen Schriftstellers Moische Kulbak, der in unserem Gespräch noch oft erwähnt werden wird.

Moyshe Kulbak, © public domain

Foto: wikipedia

SJARHEJ SCHUPA: Als ich klein war, lebte im ersten Stock unseres Plattenbaus in Brod eine alte Frau. Alt ist untertrieben, uralt war sie. Sie sah aus wie eine Mumie, ihr Gesicht war ein mit gelber Haut bedeckter Schädel. (Jetzt überlege ich, was sie in ihrem Leben durchmachen musste und wo.) Sie lebte allein, mit ihrem kleinen Hund Tschapik, wie sie hieß, wussten wir nicht, wir nannten sie „Tschapiks Oma“. Und manchmal saß sie mit ihrer Nachbarin aus dem Erdgeschoss, der fülligen, zänkischen Klara, auf der Bank vor dem Eingang, und sie unterhielten sich mit gedämpfter Stimme in einer verstörenden, rätselhaften Geheimsprache. Ich vermute, dass Tschapiks Oma überhaupt keine andere Sprache sprach. Das war meine erste Begegnung mit dem Jiddischen. Tschapik muss auch nur auf Jiddisch gebellt haben, wenn wir an ihrer Wohnung vorbei die Treppe hinuntergingen.

WOLHA BABKOWA: Es heißt ja, dass Menschen mit einem guten musikalischen Gehör am besten Sprachen lernen können. Ich erinnere mich an deine Plattensammlung mit Aufnahmen hervorragender Musik (ich glaube, wir haben Chormusik gehört). Ich weiß nicht, ob du singst, aber mit Musik kennst du dich aus, das ist klar. Was war zuerst da – die Sprachen, die Musik? Gibt es da für dich eine Verbindung?

SJARHEJ SCHUPA: Meine Mutter unterrichtete Englisch und Deutsch an der nach Glinka benannten Minsker Musikschule, sie sang auch und hätte wohl als Musikerin Karriere machen können. Daher waren Sprachen und Musik seit meiner Geburt in meinem Leben – und es fällt mir schwer, hier eine klare Entscheidung zu treffen. Es gibt definitiv eine Verbindung zwischen ihnen. Und auch Linguistik und Musiktheorie waren für mich bei all ihrer scheinbaren „Geisteswissenschaftlichkeit“ eher exakte Wissenschaften, was meiner Technologenseele immer sehr gut gefiel.

WOLHA BABKOWA: Viele kreative Ideen wurden in unserem Land sowohl zu Zeiten der UdSSR als auch jetzt im unabhängigen Belarus dem herrschenden diktatorischen Regime zum Trotz umgesetzt. Du erinnerst dich bestimmt an die Zeilen aus dem Stück „Clemens“ des litauischen Schriftstellers und Dramatikers Kazys Saja2, adaptiert von dem belarusischen Lyriker Ales Rasanou3: „Und diese Zeit und diese Ordnung sind nicht für immer, ich ruf den Donner, ruf den Hagel, es lebe die Absage.“ Diese Inszenierung, die 1980 auf der Bühne des Nationaltheaters von Wizebsk aufgeführt wurde, war ein Ereignis des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens. Eine derartige Absage gab starke Anreize, Verbotenes zu studieren. Für meinen Freundeskreis war das die Rückkehr zur belarusischen Sprache – als Widerstand gegen das Sowjetische. War das Erlernen des Jiddischen und auch des verbotenen Hebräisch ebenfalls ein solcher Schritt?

SJARHEJ SCHUPA: Ich erinnere mich an diese Zeilen, in der Aufführung war es ein Lied, das wir mit der „Majstrounja“4, wo immer möglich, aus vollem Halse sangen ... Ja, es gab einen gewissen sprachlichen Widerstandsgeist. Von klein auf habe ich gelernt, Radio zu hören – darüber könnte ich ein ganzes Buch schreiben – inklusive aller möglichen „Stimmen“, und als ich dann mal auf der Krim war, hörte ich zum ersten Mal die in Minsk gnadenlos zum Verstummen gebrachte „Stimme Israels“ und hörte sie dann dort auf der Krim einen ganzen Monat lang. Am meisten interessierten mich natürlich die kurzen Hebräischvorlesungen. Dass es eigentlich verboten war, wusste ich bereits – und saugte gierig jedes Wort auf. So fing es an und ist immer noch nicht zu Ende. Beim Jiddischen war es anders. Jiddisch war nicht verboten, aber alles, was es auf Jiddisch gab – Zeitungen, Zeitschriften, Bücher – war so hoffnungslos sowjetisch, dass es keine große Begeisterung weckte. Leider hatte ich zu der Zeit keine Kontakte zu einem anderen Jiddisch, die ergaben sich erst später.

WOLHA BABKOWA: Vor einigen Jahren wurden in Minsk Exkursionen durch belarusische Orte „Auf der Suche nach dem Jiddischen“ organisiert. Eine dieser Exkursionen leiteten der Künstler, Lyriker und Kulturwissenschaftler Michal Anempadystau5, der von der Unaussprechlichkeit dieser verschwundenen Welt fasziniert war, und Iryna Dubjanezkaja, Doktorin der sakralen Theologie mit dem Dissertationsthema „Kosmos und Chaos in der Hebräischen Bibel und die Mythologie des antiken Nahen Ostens“. Es war eine Suche nach Spuren im Gras, in Ruinen ... Welchen Spuren bist du gefolgt?

© privat

© privat

SJARHEJ SCHUPA: Zum Jiddischen bin ich aus einer ganz anderen Richtung gekommen – über das gedruckte Wort. Bücher, Zeitungen, Manuskripttexte. Ich reise durch literarische Landschaften, durch Chroniken von Tageszeitungen, durch Briefzeilen gewöhnlicher Menschen, die eine nicht erfundene Dramatik des Lebens atmen.

WOLHA BABKOWA: Hattest du auf deinen Reisen Gelegenheit, die lebendige, lebensvolle Lexik des Jiddischen zu hören oder hast du in Wörterbüchern nach den wesentlichen jiddischen Schätzen gesucht?

SJARHEJ SCHUPA: Natürlich sind meine Reisen durch die geschriebenen Texte voller unbezahlbarer Schätze. Aber die wirklich lebendige, lebensvolle Lexik, Phraseologie, Intonation, den Humor und einen einzigartigen Stil habe ich dann aus dem Mund meines langjährigen guten Freundes Dovid Katz6, Dozent, Linguist und Schriftsteller, gehört. Er ist heute einer der wenigen Menschen, die außerhalb eines religiösen Umfelds aufgewachsen sind und deren Muttersprache von Geburt an Jiddisch war. Er ist in Brooklyn aufgewachsen, aber seine Eltern stammen aus der Umgebung von Michalischki7 und Swir8 – und man kann sich vorstellen, dass er so spricht, wie die Menschen dort vor etwa hundert Jahren gesprochen haben. Außerdem reiste Dovid fast zwanzig Jahre lang durch alle Städte und Ortschaften zwischen Minsk und Vilnius und hat Tausende Kilometer Tonband und später Video von Gesprächen mit den letzten lebenden Sprechern des dortigen einzigartigen litauisch-belarusischen Jiddisch aufgenommen – er veröffentlicht diesen Reichtum nach und nach auf YouTube9, und auch dort kann man endlos zuhören ...

WOLHA BABKOWA: 2008 gab es in Minsk ein Ereignis! Das „Jiddisch-Belarusische Wörterbuch“ von Ales Astrawuch erschien. Darin habe ich zwei gegensätzliche Aussagen über die Sprache gefunden: 1. Jiddisch habe einen Funken Ewigkeit in sich und sei das größte sprachliche Wunder der Welt (Itzik Manger). 2. Jiddisch sei eine Mischung aus Hebräisch und Deutsch und mache wie jede fremde Mischung einen scheußlichen Eindruck (Karl Puchner. München. 1934). Diese Spaltung in der Wahrnehmung des Jiddischen besteht bis heute. Warum?

Wörterbücher von Siarhei Schupa.
© privat.

SJARHEJ SCHUPA: Die Spaltung kann nur zwischen Wissen und Unwissen bestehen. Zu der Zeit, als die eigenständige Entwicklung des Jiddischen begann, gab es keine deutsche Sprache, die mit der heutigen in Verbindung gebracht werden könnte. Von einem bestimmten Moment an wuchsen aus einem gemeinsamen Stamm einfach verschiedene Äste, einer wurde das Jiddische, ein anderer das Deutsche. Zugleich nahm das Jiddische verschiedene Einflüsse auf – aus dem Hebräischen, den benachbarten slawischen Sprachen. Aber es unterscheidet sich vom Deutschen nicht nur durch die Fülle des Lehnwortschatzes, sondern auch durch die Prosodie, Intonation, Grammatik, Wortbildung. Diese Nähe ist oft nur eine imaginäre, und ich wage zu behaupten, dass beispielsweise ein gewisses Maß an Deutschkenntnissen beim Übersetzen aus dem Jiddischen hinderlich sein kann. Der „Funken Ewigkeit“, „das größte sprachliche Wunder“ – solche Aussagen lassen sich mit wissenschaftlichen Instrumenten natürlich nur schwer messen… Da zitiere ich lieber, was mein geliebter Kulbak über das Jiddische geschrieben hat:

Gezen hob ix jidiše verter, vi fajerlex klejne,
vi fajerlex klejne,
vi funken, gecojgn fun finctern arc.
Gefilt hob ix jidiše verter, vi tajbelex rejne,
vi tajbelex rejne,
di tajbelex vorken un vorken in harc …

WOLHA BABKOWA: Wir beide sind hoffnungslos verliebt in Minsk. An welchen jüdischen Orten der Stadt (oder deren Schatten) wird dir warm ums Herz?

SJARHEJ SCHUPA: Die Liebe zu Minsk führt unausweichlich irgendwann zur jüdischen Thematik. Für mich liefen diese beiden Linien schon in meiner frühen Jugend zusammen, als ich eines Tages mit Freunden unerwartet auf einen Friedhof in der Suchaja-Straße stieß. Das war Anfang der 1970er Jahre, der Friedhof war noch da, aber es war schon alles umgegraben und durcheinander. Es war ein nasskalter Spätherbst, wir liefen zwischen echten Schädeln und Knochen umher, ein überaus starker Eindruck. Und ich, schon damals besessener Linguist, war fasziniert von den vielen Grabsteinen, deren Inschriften ich nicht lesen konnte! Und all das – hier, bei uns, in Minsk! Ein ganzer Minsker Kontinent, abgeschlossen von der Welt, verschlüsselt mit einem Geheimcode ...

Der Friedhof in der Suhaja Straße in Minsk.
© privat

Mein jüdisches Minsk ist vor allem eine Stadt der Schatten. Denn das Allerwichtigste existiert nicht mehr. Das sind der Schulhof mit der Kalten Synagoge, das ist das ehemalige Schlossareal und der Sumpf dahinter. Ich sitze gern bei einem Bier in Traezkae pradmesze über dem Flussufer, blicke zum anderen Ufer und sehe mit den Augen meiner Seele den Schlosshügel, die Läden des Unteren Marktes, die Kuppel des Beit Midrasch der Bestattungsbruderschaft „Shiv'a Kruim“. Wenn ich am Stadion „Dynamo“ vorbeigehe, stelle ich mir den alten Friedhof auf dem steilen Hügel vor, vor hundert Jahren wurde dort schon nicht mehr beerdigt und es herrschte ein mysteriöser und unheimlicher Verfall ... In der Internazyjanalna steht immer noch das Haus, in dem sich die Halperyn-Buchhandlung  befand – ein ehemaliger echter intellektueller Club, den die berühmtesten jüdischen Gäste Minsks, aufsuchten, Politiker, Schriftsteller, Rebellen. Praktisch könnte jedes noch stehende Haus des Alten Minsk seine jüdische Geschichte erzählen.

Der Friedhof in der Suhaja Straße in Minsk.
© privat

WOLHA BABKOWA: Sjarhej, du übersetzt Texte aus dem Hebräischen und Jiddischen ins Belarusische. Was ist für dich als Übersetzer der wesentliche Unterschied bei der Arbeit mit diesen völlig unterschiedlichen Sprachen eines Volkes?

SJARHEJ SCHUPA: Es ist wie ein etwas anderer Boden, eine andere Luft. Durch die Prismen dieser Sprachen sieht die Welt ein bisschen anders aus. Es fällt mir leichter, den Klang desselben Textes in diesen Sprachen zu vergleichen. Als ich zwei von Kulbaks Romanen übersetzte, habe ich oft in ihre hebräischen Übersetzungen von einem jiddischen Muttersprachler gesehen. Diese Texte wirken auf Hebräisch wesentlich ärmer, weil da einfach viele Wörter fehlen, die die belarusische Natur, Landschaft und Lebensweise beschreiben – Namen von Pflanzen, Vögeln, Haushaltsgegenständen. Auch einige emotionale Nuancen des Textes lassen sich schwer wiedergeben, das Jiddische ist in diesem Sinne viel lebendiger. Das Hebräische wiederum hat seine eigenen Möglichkeiten, seine Tiefen, die in der Übersetzung schwer zu bewahren sind – denn fast jedes Wort eines hebräischen Textes findet seinen Widerhall im Alten Testament, im Talmud, in der mittelalterlichen Lyrik.
Gleichzeitig dürfen wir nicht vergessen, dass Hebräisch jahrhundertelang eine der Schriftsprachen auf belarusischem Gebiet war. Während der gesamten Zeit, in der Juden in Belarus lebten, war Hebräisch nicht nur die Sprache der Religion, der Rituale und Gebete, sondern auch der juristischen und geschäftlichen Dokumentation, der öffentlichen Rede, theologischer, historischer, naturwissenschaftlicher Abhandlungen und vieles mehr. Das lokale Hebräisch hatte auch seine eigenen Besonderheiten, von der spezifischen Aussprache bis hin zur Lexik und graphematischen Besonderheiten. Ja, es wurde nicht zu Hause, auf der Straße oder auf dem Markt gesprochen, aber es hat all die Jahrhunderte nicht aufgehört zu leben, und unser berühmter Landsmann Eliezer Ben-Jehuda10 hat es nicht „wiederbelebt“, sondern ihm nur neues Leben eingehaucht, neue Räume geöffnet.

WOLHA BABKOWA: Meine nächste Frage hat eine historische, kulturwissenschaftliche Antwort. Aber ich kenne sie nicht. Warum hat sich das jüdische Volk schließlich für Hebräisch entschieden und das Jiddische fast begraben?

SJARHEJ SCHUPA: Die Antwort ist sehr einfach. Das jüdische Volk siedelte praktisch auf der ganzen bekannten Welt und sprach neben Jiddisch noch ein Dutzend, wenn nicht mehr, anderer Sprachen. So wie ich es verstehe, meinst du mit dem jüdischen Volk Israel (da das Hebräische dort „gewählt“ wurde). Der moderne Staat Israel entstand als Umsetzung des zionistischen Programms, wo Hebräisch von Anfang an als Nationalsprache aller Juden etabliert wurde. Eine Wahl zugunsten jeder anderen Sprache – zum Beispiel des Jiddischen – wäre ein Verstoß gegen dieses Prinzip und eine Diskriminierung aller anderen Kultur- und Sprachgemeinschaften gewesen.
Jiddisch und Hebräisch standen sich auf unserem Gebiet nur für kurze Zeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gegenüber, als sich das Jiddische einerseits gerade gewisse Rechte als Sprache der Kultur und öffentlichen Kommunikation eroberte (darin ähnelt sein Schicksal ein bisschen dem Schicksal der belarusischen Sprache), und das Hebräische unter dem Einfluss der Ideen des Zionismus begann, aus dem engen traditionellen Rahmen auszubrechen. Bereits in den 1910er Jahren entstanden in Minsk Hebräischlernzirkel – weltliches Hebräisch für die Alltagskommunikation. In den Straßen und Parks von Minsk liefen bereits junge Menschen umher, die nur Hebräisch miteinander sprachen. Unterdessen propagierten die Hauptfeinde des Zionismus – Sozialisten verschiedener Couleur – Jiddisch auf jede erdenkliche Weise. Die Sowjetregierung, die Anfang der 1920er Jahre Hebräisch als reaktionäre und antisowjetische Sprache einfach verbot, half dabei, dass das Jiddische in diesem Wettstreit siegte. In Polen – und im Westlichen Belarus – existierten beide Sprachen jedoch parallel und konkurrierten heftig, beispielsweise in der Schulbildung: Es gab jiddische und hebräische Schulen (des „Tarbut“11 –Bildungssystems). Aber der Krieg machte all dem ein Ende.
In Israel wurde Jiddisch von Anfang an negativ wahrgenommen als Sprache des Exils, als Sprache der Besiegten, als Sprache, die so ähnlich klang wie die Sprache der Holocaust-Täter. Das Interesse am Jiddischen und seine Popularität sind dort relativ neu, es gibt jetzt viele verschiedene Kurse, Gruppen, Seminare. Außerdem lebt das Jiddische in den ultraorthodoxen Gemeinden in Israel und den USA in vollem Umfang weiter, allerdings sind unter denjenigen, die es sprechen, sehr wenige Schöpfer und Konsumenten einer säkularen jiddischen Kultur.

WOLHA BABKOWA: Der hervorragende Übersetzer aus dem Altgriechischen, Lateinischen, Deutschen, Englischen, Französischen, Polnischen und Spanischen, einer der Mitherausgeber der deutsch-belarusischen Wörterbücher, Autor von Sprachlehrbüchern und Lesebüchern, Ljawon Barschtscheuski12, sowie der belarusisch-spanische Übersetzer, Vizepräsident des belarusischen PEN–Zentrums Carlos Sherman13 hatten ihre eigenen „Geheimnisse“ und Tipps: „ein bisschen Schauspieler sein, um einen fremden Text emotional als den eigenen verkörpern zu können“, und auch ein „indianisches Gehör für subtextuelle Strömungen“ zu haben. Was sind deine „Geheimnisse“?

SJARHEJ SCHUPA: Mein Hauptprinzip ist es, dem Autor treu zu bleiben, seine Stimme zu werden, sich nicht vorzudrängeln und ihn nicht mit meinem „Ich“ zu verdecken. Manchmal korrigiert der Übersetzer – vielleicht, weil er seine eigenen kreativen Ambitionen nicht verwirklicht hat – den Autor, „verbessert“ ihn, gibt dem Text seine eigenen stilistischen Farben, die im Original nicht vorhanden sind. Dabei kommt es nicht selten vor, dass ein solches kreatives Umschreiben den Text wirklich ausdrucksvoller, lesbarer und attraktiver macht. Der Übersetzer wird zum Co-Autor, tritt zusammen mit dem Autor und manchmal sogar vor dem Autor auf. Vielleicht macht es für den Leser auch keinen Unterschied – das Lesen kann leichter und angenehmer sein. Meiner Meinung nach bedeutet das aber die Verletzung einiger professioneller Grenzen, das ist dann keine Übersetzung mehr, sondern etwas anderes.

WOLHA BABKOWA: In den Archivdokumenten der Gerichtsbüros des Großfürstentums Litauen schrieben die Juden dort bei der Einreichung von Beschwerden oder Berufungen in “jüdischer Schrift” (pismom schydowskim), und der örtliche Schreiber übertrug die hebräische Schrift (podpis obrejski) ins Altbelarusische, wobei seine Hand manchmal kyrillische oder lateinische Buchstaben auf hebräische Art schrieb. Ist die Wahl zwischen den verschiedenen Bezeichnungen „schyd“, „habrej“, „hebraj“, „jaurej“ für dich ein grundsätzliches Problem beim Übersetzen?

SJARHEJ SCHUPA: Diese Frage ist viel umfassender als ein persönliches Problem der Übersetzungspraxis. Und sie bezieht sich auf das schmerzhafte Thema der belarusischen Identität: Wer sind wir und wo sind wir? Ein Teil Osteuropas zusammen mit Litauen, Polen, Tschechien – oder ein kulturelles, zivilisatorisches Anhängsel Russlands?
In der altbelarusischen Sprache war das Wort „jaurej“ vor allem ein schriftsprachliches und bezog sich meist auf das biblische Volk, während das Wort „schyd“ einen Angehörigen des Volkes bezeichnete, der seit eh und je unter uns lebte, es war ein lebendiges, ganz gewöhnliches, alltägliches Wort.
In der russischen Sprache hatten diese Wörter andere stilistischen Nuancen, was wir alle gut wissen. Während der länger als zwei Jahrhunderte andauernden russischen Besatzung und unter dem Einfluss einer starken Russifizierung drangen diese russischen Nuancen unweigerlich auch in den belarusischen Kulturraum ein. In den 1920er Jahren tauchte diese Frage im öffentlichen Diskurs auf, und schließlich fiel die Wahl nach mehrjähriger paralleler Verwendung beider Begriffe – „schyd“ und „jaurej“ – auf den letzteren.
Diese Frage tauchte in unserer Zeit wieder auf, nachdem alle sowjetischen Zensurschranken verschwunden waren und das Wort „schyd“ in seiner früheren, neutralen Bedeutung hier und da wieder in den öffentlichen und offiziellen Gebrauch zurückkehrte. Aber aufgrund der Tatsache, dass die belarusischen Juden zu der Zeit fast vollständig russifiziert waren und die Welt ausschließlich durch die russischsprachigen Begriffe wahrnahmen, evozierte und evoziert das Wort bei ihnen eindeutig negative Assoziationen.
Für viele klang das offizielle Wort „jaurej“ jedoch zu sehr nach Trasjanka14, deshalb wurde nach Kompromissen gesucht – „hebraj“, „habrej“, die heute in unabhängigen Publikationen ziemlich weit verbreitet sind. Diese Wörter klingen mir zu künstlich, deshalb habe ich letztendlich angefangen, das Wort „jaurej“ zu verwenden – mich irritiert es nicht besonders, zumal es Verwendungsbeispiele in der altbelarusischen Sprache und der Sprache der 1920er Jahre gibt. Zumindest irritiert es unvergleichlich weniger, als die Juden das Wort „schyd“ irritiert, selbst wenn es neutral, ohne negative Absichten verwendet wird. Ich denke, das ist ein vernünftiger Kompromiss, aber ich würde mir auch von jüdischer Seite mehr Verständnis wünschen, damit es nicht zu so unangebrachten Skandalen kommt, wie der, der um den Namen der Folkband „Schydowatschka“ ausgebrochen ist.

WOLHA BABKOWA: Ich muss sagen, dass die Publikation von zwei Romanen des jüdischen Schriftstellers aus der belarusischen Kleinstadt Smarhon, Moische Kulbak15, „Montag“ (2018) und „Der Messias vom Stamme Efraim“ (2019) in deiner Übersetzung aus dem Jiddischen für die belarusische Literatur ein Ereignis von einfach kosmischer Bedeutung ist. Ich bin mir immer noch nicht sicher – habe ich da Prosa gelesen? So poetisch und metaphysisch klingt Kulbaks Sprache in deiner Übersetzung. Danke für dieses Vergnügen! Wie war das möglich? Bist du nach einer solchen Arbeit mit Wörtern und Bedeutungen nicht selbst zum hebräischen/belarusischen Mystiker geworden?

SJARHEJ SCHUPA: Vielen Dank für diese Einschätzung meiner bescheidenen Arbeit. Ja, ich denke auch, dass man diese Bücher nur sehr bedingt als Romane bezeichnen kann – sie verstoßen gegen die traditionellen Konventionen der Romanstruktur. Kulbak hatte lange Zeit Gedichte geschrieben und plötzlich fing er an, „Prosa“ zu schreiben, und irgendwie war sie einer Prosa nicht sehr ähnlich ... Nun gut. Es war tatsächlich nicht einfach zu übersetzen, vor allem hatte ich Angst, dass die Übersetzung eben wie eine Übersetzung klingen würde – vor dem Hintergrund der Werke der belarusischsprachigen Prosaiker der 1920er Jahre mit ihrer sehr reichen und ausdrucksstarken Sprache. Inwiefern mir das gelungen ist, ist schwer zu sagen, aber ich habe mich bemüht. Mystiker bin ich nicht geworden – der Zauber der Sprache, des Rhythmus und des Stils genügte mir.
Es war wichtig, diese Werke in den belarusischen literarischen Kontext zurückzuholen. Wir haben nicht viele Romanautoren aus den 1920er Jahren.

WOLHA BABKOWA: Auf einem Vortrag der unabhängigen Bildungsplattform Belarusisches Kollegium mit dem Titel „Das Eigene zurückholen: ein Entwurf für einen Kanon der jiddischsprachigen Literatur von Belarus“ hast du über die Besonderheiten von Kulbaks Sprache gesprochen, über den nordöstlichen, litwakischen Dialekt des Jiddischen, der im Gebiet zwischen Minsk und Vilnius von einem Drittel der Bevölkerung gesprochen wurde. Was ist das Besondere an diesem Dialekt? Mit welchen Schwierigkeiten hattest du beim Übersetzen zu kämpfen? Gab es unübersetzbare Wörter, die nur in „ihrer“ Sprache leben können und nicht übersetzt werden können?

SJARHEJ SCHUPA: In Belarus und Litauen gab es einen eigenen Dialekt des Jiddischen, der territorial dem Verbreitungsgebiet einer spezifischen „litwakischen“ Zivilisation entsprach. Die Litwaken – die Juden von Belarus und Litauen – unterschieden sich von anderen Juden (den ukrainischen, polnischen) durch ihren charakteristischen Dialekt, durch Charaktereigenschaften (Sturheit, Rationalität), religiöse Besonderheiten und ethnografische (Gefilter Fisch mit Pfeffer und Salz, nicht mit Zucker, wie in Polen oder der Ukraine). Das litwakische Territorium bestand geografisch aus drei Teilen: Schamet (Samogitien), Lite (Litauen) und Rajsn (Belarus), all dies zusammengenommen ist nichts anderes als unser Großfürstentum Litauen. Kulbak ist also wirklich ein Sänger dieser Region, verliebt in ihre Natur, die Luft, das Wasser und die Menschen. Sein Poem „Rajsn“ lässt sich zum Beispiel dem Geist nach durchaus mit dem Poem „Nowaja sjamlja“ von Jakub Kolas vergleichen. Und natürlich machten die zahlreichen belarusischen Wörter Freude, die sich oft in seiner Poesie und Prosa finden, oder syntaktische Konstruktionen, hinter denen sich unsere gewohnten Modelle erkennen lassen.

WOLHA BABKOWA: Haben dir deine Kenntnisse oder zumindest dein Verständnis der deutschen Sprache beim Übersetzen aus dem Jiddischen geholfen?

SJARHEJ SCHUPA: Ich kann gerade so viel Deutsch, dass es mein Verständnis des Jiddischen nicht beeinträchtigt. Ich weiß zum Beispiel nicht, ob die Kenntnis der russischen Sprache jemandem beim Übersetzen aus dem Belarusischen hilft? Oder umgekehrt? So ist es auch hier, auch wenn die Analogie vielleicht nicht ganz treffend ist ...

WOLHA BABKOWA: Bist du neben Wörterbüchern, Handbüchern, Gesprächen mit Spezialisten während der Übersetzung von Kulbak in seine metaphysische Welt eingetaucht, indem du beispielsweise chassidische Melodien gehört hast, dich mit der Geschichte der jüdischen Mystik beschäftigt hast?

SJARHEJ SCHUPA: Um angemessen aus dem Jiddischen zu übersetzen, muss man in jedem Fall in etwas eintauchen. Wahrscheinlich haben alle Schriftsteller, die bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts auf Jiddisch geschrieben haben, das traditionelle jüdische Bildungssystem durchlaufen – Cheder, Jeschiwa. Deshalb gibt es in ihren Werken viele Dinge, die ein Mensch mit demselben kulturellen Hintergrund ohne weitere Erklärung verstehen wird, die aber für den heutigen Leser – und Übersetzer – längst vergessene Weisheiten sind. Man muss also mindestens einen „kurzen Kurs“ in den traditionellen jüdischen Wissenschaften belegen, und da wird es auch Melodien und Mystik geben. Und trotzdem ist es heute schon sehr schwierig, wenn nicht unmöglich, einige Stellen in Kulbaks Texten vollständig zu verstehen. Der lebendige Faden der Sprache, der über Jahrhunderte von Generation zu Generation weitergesponnen wurde, wurde gewaltsam durchtrennt, und es gibt Dinge, die man heute einfach niemanden mehr fragen kann.

WOLHA BABKOWA: Kulbaks Romane wurden ins Hebräische, Englische, Französische, Spanische und Deutsche übersetzt. Von Russisch habe ich noch nichts gehört. Ist die belarusische Sprache deiner Meinung nach mit dem Jiddischen „befreundet“?

SJARHEJ SCHUPA: Auf jeden Fall ist sie das. In den 1920er Jahren hatten die parallelen Prozesse der Durchsetzung des Belarusischen und Jiddischen, mit ihren Erfolgen und Misserfolgen, viele Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten. Diese beiden Sprachen, die jahrhundertelang unterdrückt waren und für nicht würdig befunden wurden, als eigenständige Sprachen betrachtet zu werden, erlebten schließlich ihre Blüte und kreative Entwicklung. Leider nicht für lange.
Bisher wurden nur die „Selmenianer“ ins Russische übersetzt, wobei die erste Übersetzung ins Russische bereits 1937 von Jauhen Trapouski angefertigt wurde, aber nicht mehr veröffentlicht werden konnte. Ich weiß nicht, ob jemand dort noch etwas anderes übersetzt. Dafür weiß ich, dass der von Mindaugas Kvietkauskas ins Litauische übersetzte Roman „Der Messias vom Stamme Efraim“ 2022 erschienen ist.

WOLHA BABKOWA: Sehr viel Gutes sagst du über die Lektorin, Übersetzerin und Jiddischlehrerin Asja Furman16, mit der zusammen du Kulbaks Romane „durchlebt“ und an den Übersetzungen gearbeitet hast. Worin bestand eure Zusammenarbeit?

SJARHEJ SCHUPA: Asja ist vielleicht das Beste, was mir während der Kulbak-Übersetzungen passiert ist. Wir haben jetzt schon, eins nach dem anderen, drei von Kulbaks Büchern durchlebt – „Montag“, den „Messias“ und jetzt die komplette Lyrik, deren Veröffentlichung in Vorbereitung ist. Asja war für mich ein großes Glück – sie ist nicht nur eine ernsthafte Linguistin, sondern auch eine sensible Lyrikerin, wobei sie in fünf (oder vielleicht mehr?) Sprachen schreibt und in allen mit dem gleichen Talent. Sie beherrscht nicht nur Jiddisch in seinen Feinheiten, sondern fühlt sich auch im Belarusischen wie ein Fisch im Wasser. Unsere Zusammenarbeit bestand darin, dass ich ihr stückweise meine Übersetzung schickte, die sie mir mit Korrekturen, Anmerkungen und Kommentaren zurückschickte, dann reagierte ich darauf, sie reagierte auf meine Reaktionen – bis alle Probleme gelöst waren. Dadurch begannen wir uns mit einem halben Wort, einem halben Ton, einer halben Andeutung zu verstehen. Und es wird schade sein, wenn wir Kulbak schließlich zu Ende übersetzt haben ...

WOLHA BABKOWA: Die Veröffentlichung von Kulbaks beiden bereits erwähnten Romanen und davor die Publikation von Kulbaks Erzählung „Munja, der Geflügelzüchter, und seine Frau Malkele“ in der hervorragenden Übersetzung von Wolf Rubintschyk17, Politikwissenschaftler, Publizist und Erforscher der Geschichte des Schachs, in der Zeitschrift „Dsejaslou“18 (2016) und von Kulbaks Theaterstück „Bojtra“ in der Übersetzung des belarusischen Lyrikers Feliks Batoryn19 (2014) fanden meiner Meinung nach nicht die gebührende Beachtung. Ich bin auf keine Literaturkritiken, Rezensionen, Reflexionen aus diesem Anlass gestoßen. Oder liege ich da falsch?

SJARHEJ SCHUPA: Auf die Romane gab es eine gewisse Reaktion, ungefähr ein Dutzend an Besprechungen und Rezensionen habe ich gesammelt.20 Mit Zeitschriftenpublikationen ist es schwieriger – in den meisten Fällen geraten sie schnell aus dem Blickfeld und erregen keine richtige Aufmerksamkeit. Eine echte Publikation ist eine Buchveröffentlichung. Ein Buch ist ein viel klareres materielles Objekt als eine Zeitschrift, das kann man in den Händen halten, das kann man ins Regal stellen. Ich war ja selbst damit konfrontiert und hatte die Gelegenheit, den Unterschied in der Aufmerksamkeit von Lesern und Kritikern zu vergleichen und zu spüren.

WOLHA BABKOWA: Ein nahes Kennenlernen von Kulbaks Werk vergrößert jedoch auch die „Reihen der Schlaflosen“ in den belarusischen Städten. Das kann Tanja Skarynkina21 sein, die wie Moische Kulbak aus Smarhon stammt, oder Wolha Prusak22, Dramatikerin aus Wizebsk. Hast du die jüngste Inszenierung des belarusisch-britischen Theaters HUNCHtheatre Belarus von ihrem Stück „Raben der Streuung“ (Regie: Uladsimir Schtscherban) gesehen?

SJARHEJ SCHUPA: Ja, ich habe die Inszenierung gesehen und davor auch das Stück gelesen. Es freut mich, dass Kulbaks Werk zeitgenössische Künstler inspiriert. Und ich glaube, dass dieses Stück das erste künstlerische Werk ist, in dem Kulbak eine der Hauptfiguren ist. Vor einigen Jahren erschien in der deutschen Presse ein Bericht über die Publikation eines weiteren Buches von Kulbak in deutscher Übersetzung mit dem Titel „Kulbakomania“. Dieses Wort gefällt mir. Wir werden diese „Krankheit“ verbreiten.

WOLHA BABKOWA: Die schöne und überaus wichtige Arbeit, Kulbaks Werke in unsere Literatur zurückzuholen, lässt auf eine ebenso schöne Fortsetzung hoffen. Hast du Pläne für weitere Übersetzungen aus dem Jiddischen?

SJARHEJ SCHUPA: Ja, natürlich habe ich die. Die Arbeit an der bereits erwähnten vollständigen Lyrikausgabe neigt sich dem Ende zu. Es wird, was unsere Bedingungen angeht, eine experimentelle Ausgabe sein. Die Idee dazu entstand so: Ich habe fünf oder sechs verschiedene Übersetzungen von Kulbaks Poem „Childe Harold aus Disna“ verglichen, sie meiner Frau Vesna (Verlag „Viasna“, Prag) vorgelesen – und wir waren uns einig, dass die deutsche Übersetzung am meisten von dem Geist des Originals bewahrt hat. Aber die Sache ist die, dass es die einzige Übersetzung ist, bei der die Form des Werks nicht erhalten bleibt – Rhythmus und Reime. Die anderen Übersetzer, die versucht haben, Kulbaks Gedichte in den vorgegebenen formalen Rahmen zu pressen, waren gezwungen, etwas zu opfern, etwas wegzulassen, etwas für den Autor hinzuzufügen.
Und wir – der bereits erwähnte Verlag „Viasna“ – haben uns entschieden, Kulbaks Lyrik als Paralleltext zu publizieren: das Original neben einer „prosaischen “ Übersetzung. Nicht mit einer Interlinearübersetzung, sondern so, als hätte der Autor selbst seine Werke in „freien Versen“ geschrieben (einige Werke hat er übrigens so geschrieben). Der Originaltext wird in zwei Versionen vorliegen – ein separates Buch auf Jiddisch und im zweiten Buch eine lateinische Transliteration (in der Version des Astrawuch-Wörterbuchs) neben der belarusischen Übersetzung. Der Haupttext ist das Original, dessen parallele Lektüre mit der Übersetzung unserer Meinung nach die Leser anregen wird, sich ein bisschen in die Kraft des Jiddischen zu vertiefen und so die Stimme des Autors zu hören. Und natürlich werden unsere Meister der Lyrikübersetzung das notwendige Material zur Hand haben, um Kulbaks Gedichte unter Beibehaltung der ursprünglichen Form zu übertragen.
Und weiter, um die Sache abzuschließen, möchte ich die „Selmenianer“ neu übersetzen und dann als letzten Band die Übersetzungen der Theaterstücke und aller anderen Texte – Artikel, Briefe – veröffentlichen.
Und anfangen, eine Biografie zu schreiben.

WOLHA BABKOWA: Wie beurteilst du insgesamt die aktuelle Situation mit Übersetzungen in unserem Land? Die Übersetzung fremdsprachiger Literatur ins Belarusische ist meiner Meinung nach heute eine Art Rettung vor äußerer Zerstörung und innerem Zank. Dürfen wir viel NEUES erwarten?

SJARHEJ SCHUPA: Übersetzungen in die belarusische Sprache sind ebenso ein Schatz wie belarusische Originalliteratur. Die Situation mit Übersetzungen ist nicht unbedingt ideal, aber sie wird jedes Jahr besser. Neuheiten der Weltliteratur erscheinen schon fast unmittelbar nach ihrer Veröffentlichung im Original. Der Kreis der Sprachen, aus denen übersetzt wird, erweitert sich. Einige übersetzte Bücher werden zu Bestsellern. Die Zahl der Übersetzer wächst, obwohl diese Arbeit keinen großen Reichtum bringt und eher auf Enthusiasmus basiert. Ich hätte gern auch die Schätze der Weltklassik auf Belarusisch und hoffe, dass es eines Tages dazu kommen wird. Ich blicke optimistisch in die Zukunft.

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Wolha Babkowa wurde Ende des Winters 1961 in Minsk geboren. Sie absolvierte die Belarusische Staatliche Universität, ist Historikerin und von 1985 bis heute Mitarbeiterin des Nationalen Historischen Archivs von Belarus, zuletzt als leitende Paläografin der Abteilung für alte Urkunden. Von 2013 bis 2020 war sie Chefdramaturgin des Nationalen Akademischen Janka-Kupala-Theaters. Autorin von Erzählungen, Essays, zahlreichen populärwissenschaftlichen Artikeln. Veröffentlichungen in den Zeitschriften „Dsejaslou“, „Spadtschyna“, „Arche“, „Homo historicus“, „Archivaryus“, „Belarusisches archäografisches Jahrbuch“, „Nascha historyja“ sowie den Zeitungen „Kultura“, „Nascha Niwa“, „Litaratura i mastaztwa“. Für den Essayband zur Alltagsgeschichte des Großfürstentums Litauen „… Wunder und Ängste“ (Minsk, 2010) erhielt sie den Franzischak Bahuschewitsch-Literaturpreis des belarusischen PEN-Zentrums (2010). Als Autorin war sie an der Rubrik „Pentateuch“ der Website von Radio Swaboda beteiligt. Mitglied des belarusischen Schriftstellerverbandes und des belarusischen PEN-Zentrums. Mitherausgeberin der Dokumentensammlung „Testamente des Adels und Bürgertums von Belarus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts“ (Minsk, 2012) und des Buches „Geschichte des Kupala-Theaters. Epoche. Stadt. Menschen“ (Minsk, 2020).

 

Sjarhej Schupa wurde 1961 geboren, wuchs auf dem Minsker Kopfsteinpflaster auf (Douhi Brod), ist Absolvent des Instituts für Fremdsprachen, arbeitete im Verlag „Belletristik“ (Skaryna-Zentrum). Gründer der informellen Übersetzervereinigung „Babylon“ (1986). 1991-2001 in Vilnius – Arbeit für „Nascha Niwa“ und „Radio Baltische Wellen“. Freiberuflicher Übersetzer und Lektor. 1997-1999 und ab 2001 in Prag als Journalist bei „Radio Swaboda“. Herausgeber der „Archive der BNR“, Redakteur des „Englisch-Belarusischen Wörterbuchs“ von W. Paschkewitsch. Autor des Archivromans „Reise in die BNR“. Sjarhej Schupa übersetzte die Werke von P. Mérimée, G. Maupassant, F. Tuglas, M. Unt, E. Poe, J. L. Borges, B. Schulz, E. Keret, M. Pavić, L. Durrell, A. J. Greimas, M. Jergović, O. Milosz, B. Vian, J. Joyce, M. Kulbak, G. G. Márquez. Für die „Archive der BNR“ erhielt er den Ales Adamowitsch-Preis des belarusischen PEN-Zentrums (2000). Preisträger der Zeitschrift „Prajdsiswet“ für die beste Übersetzung des Jahres (2013). Für seine Übersetzung des Buches „Montag“ von Moische Kulbak wurde er mit dem Carlos Sherman-Preis des belarusischen PEN-Zentrums ausgezeichnet.

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Über meine Erfahrung mit Übersetzung-als-Prozess im zeitgenössischen Theater