Journale Ein Übersetzungsroadtrip.

WENN WIR DANN TUSSIS SIND

Von María Tellechea, übersetzt von Christiane Quandt


Martha und Betty kommen nach einer anstrengenden Autofahrt und einem Tag voller Emotionen und Abschiede in Genua an. Nachdem sie schließlich das Hotel gefunden und dort ihre Sachen deponiert haben, entscheiden sie sich, durch das Hafenviertel zu spazieren und setzen sich in irgendeine Bar. Sie finden zwei Stühle, die vor einer der Bars auf dem Hauptplatz stehen, enttäuscht, dass beim Spaziergang durch diese angeblich so gefährlichen Straßen niemand auch nur versucht hat, ihnen etwas zu klauen. Betty bestellt Aperol Spritz für beide, obwohl sie keine Tussis sind, denn – so Betty – die Tussi-Werdung würden sich die beiden Freundinnen für das Alter aufheben.

2 Stühle und Aperol Spritz auf den Straßen von Buenos Aires

Der Begriff „Tussi“ (minita) ist nicht nur eine Herausforderung beim Übersetzen, weil er der Umgangssprache, dem Slang angehört, und sowohl seine Bedeutung wie seine Übersetzung an die sprachliche Varietät und Subjektivität der Sprecher∙innen gebunden ist, die ihn benutzen, sondern auch, weil er eine Ironie transportiert, die es im Spanischen zu konservieren gilt. Und dafür muss man ein Wort finden, das möglichst allgemein gehalten ist und viele Bedeutungsnuancen abdeckt. Die Ironie dieser Passage liegt darin, dass sich die Protagonistinnen in Tussis (minitas) verwandeln wollen, wenn sie diese Möglichkeit eigentlich gar nicht mehr haben, das heißt, wenn sie nicht mehr jung sind. Gleichzeitig scheint die Tatsache, dass sie eben keine Tussis und unauffällig sind, sie vor Taschendieben zu bewahren.


WIE ICH AUF DAS WORT „MINITA“ GEKOMMEN BIN: Definitionen und Ursprung des Begriffs mina/minita

Sowohl der Begriff „Tussi“ als auch das Wort „minita“ haben verschiedene Bedeutungen und Synonyme, die jeweils nur einen Aspekt des Begriffs beleuchten.

Geht man der Vokabel „minita“ nach, findet man heraus, dass „mina“ von dem portugiesischen Wort „menina“, Mädchen, kommen könnte, aus irgendeinem italienischen Dialekt („minna“), wo es Frau, aber auch Prostituierte bedeuten kann, oder von der Mine, aus der Edelmetalle gewonnen werden. Letzteres in dem Sinn, dass die als „mina“ bezeichnete Frau einer Goldmine gleich von ihrem Zuhälter ausgebeutet werden kann. Ungeachtet der möglicherweise vielfältigen Ursprünge des Wortes „mina“, ist es fester Bestandteil der argentinischen Umgangssprache, wo es meist in der Bedeutung „Frau“ (natürlich je nach Kontext mit etwas unterschiedlichen Bedeutungsnuancen) gebraucht wird. Nun verändert das Diminutiv die Konnotation eines Wortes signifikant, was im Spanischen allgemein und nicht nur in der argentinischen Varietät häufig vorkommt. In diesem Fall im pejorativen Sinn. Man kann sogar sagen, dieses Diminutiv bedeute etwas komplett anderes, viel Spezifischeres. Das heißt, eine „minita“ ist nicht irgendeine „mina“, sondern eine ganz bestimmte, die gewisse Eigenschaften mitbringt. Aber welche sind das? Wie eine davon auswählen, die auch noch in einem einzigen Wort enthalten sein soll?

In einigen Foren zu Argentinismen (dieses Wort wird auf jeden Fall auch in Bolivien und Uruguay benutzt) findet man die Definition, eine „minita“ sei eine junge Frau (bis 25 Jahre), die ins Fitness-Studio geht und die ganze Zeit mit ihrem Äußeren beschäftigt ist, die Markenkleidung trägt und immer modisch daherkommt, sich die Haare blond färbt1, die hohl ist (nicht viel im Kopf hat, ein bisschen doof ist und ein bisschen naiv), oberflächlich und immer zurechtgemacht. Heutzutage gehört auch dazu, dass sie immerzu Selfies auf Instagram postet.

Natürlich gibt es Feministinnen auf Twitter, die sich fragen, warum „eine ziemliche minita zu sein“ gleichbedeutend sein soll mit „ziemlich dumm sein“, was ja praktisch direkt mit „Frau sein“ verknüpft ist. Und das wiederum reproduziert, so die Feministinnen, auf extreme Weise ein Geschlechter-Stereotyp, in dessen Rahmen Frauen selbst zu ihren eigenen Unterdrückerinnen werden.

In den gleichen Debatten fragen sie, was denn das männliche Äquivalent wäre. Die originellste Antwort von allen schien mir „rugbier“, denn das Stereotyp von dem, was wir in Argentinien einen „rugbier“ nennen, entspricht einem extrem männlichen, brutalen, muskulösen und ziemlich „hohlen“ Mann. Das sind alles Merkmale, die als männliches Pendant einer minita gesehen werden können.

Wie man sehen kann, wenn es um soziale Stereotype geht, sind die Diskussionen über Definitionen unendlich und immer kontrovers...

Wenn ihr mehr zum Thema Tussis erfahren wollt, dann besucht auch diese Station.

 

Auf der Route bleiben.

Fußnoten
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