Will Self: Phone.
Übersetzt aus dem Englischen von Gregor Hens.
Zweisprachige Leseprobe

The bus is accelerating along Queens Avenue towards Muswell Hill – soon it’ll reach sufficient velocity to escape the poisonous atmosphere of central London. Sensing the outer space beyond the asteroid belt of suburbia, Busner pulls hairy lapels up to stubbly cheeks . . . Mm, scratchy. Which is the name of Ben’s cat, a more than averagely dumb moggy which occupies the sofa in the front room, where it fulfils its nominative destiny by rendering both upholstery and its own coat more and more threadbare. But then: a balding narcissist . . . could there be anything more human? He’d boarded the bus unthinkingly – committed to the rubric of the random, but now he sees where it’s all been headed, for his own head is strapped into some sort of brace . . . or restraint! And he cannot prevent himself from staring down all one thousand, eight hundred and eighty- four rigidly straight feet of its mind-bending central corridor . . . he longest in Europe! And cannot stop himself, try as he might, from seeing this unearthly vision: his post-encephalitic patients at Friern . . . my enkies! performing a wildly intricate ballet in one of the old airing courts – There they are! in their twenties togs, tripping and dipping to some seventies jig . . . I’m an ape-man, I’m an ape- ape man . . . Apish they are – as nimble-footed as chimpanzees, what with their compulsive ticcing, their wildly unpredictable movements and their jazzy fulgurations, which fling their brittle bodies up into the air, only for them to fall back to the desolate ground. This much Busner readily recalls: That brilliant summer, during the era of the moon landings, when he’d awakened the postencephalitics from their marmoreal half-century-long slumbers – and begun to see symptoms of their malady everywhere . . . In the festination of football players flocking round goal mouths – in the echolalia of politicians interviewed on the radio . . . now the problem is happening now, problematically, and in the city itself, taken in toto, which even forty-odd years ago seemed to be on the point of either catatonic dissolution or speeding up and up until it all flew apart . . . But what’d been her name, the old and eloquent enkie who he’d awakened with some of his precious ounce of L-dihydroxyphenylalanine? This much he definitely does remember: It cost a thousand pounds! While . . . for the life of me, I can’t . . . it’s on the tip of my . . . Anyway, one minute she’d been wholly trapped – a sparrow-like woman enmeshed by the bizarre neural net of her malady – the next she’d spread her wings . . . Compos mentis, she’d regarded the craven new world with a certain Edwardian pomp and detachment. She’d been, he thinks, really rather remarkably trenchant – a scientific socialist in her distant youth, she’d been delighted by humankind’s apparent progress. She wasn’t in the least discomfited by the wholesale transformation which had taken place while she Rip-Van-Winkled. The voices of her youth – whether meek and mild or admonitory and hectoring – torn from pulpit, lectern and platform while she slept, had been transformed into this great scritch-itch-itch . . . He peers down at the mobile phone lying in his hand: Milla will try again soon enough – and next time he knows he’ll feel compelled to answer . . . something might be wrong . . . with Ben. . . If only she could be more like the old enkie: stoical, and quite unable to . . . get any reception.

Will Self: Phone, Penguin, 2017. S. 465-467.

Der Bus beschleunigt über die Queens Avenue Richtung Muswell Hill – bald hat er die nötige Geschwindigkeit erreicht, um der vergifteten Luft der Londoner Innenstadt zu entkommen. Busner spürt den kühlen Zug des Weltraums jenseits des Asteroidengürtels der Vororte und zieht den felligen Kragen enger um die Stoppelwangen ... Mm, das kratzt. Kratzi, so heißt auch Bens Katze, eine unterbemittelte Mieze, die das Wohnzimmersofa in Beschlag genommen hat, wo sie ihre namensgebende Aufgabe erfüllt, indem sie sowohl die Polster als auch ihr eigenes Fell bearbeitet und zusehends fadenscheiniger macht. Doch so gesehen: Ein schütterer Narzisst ... gibt es Menschlicheres als das? Er ist ohne Plan und Ziel in den Bus gestiegen – schließlich hat er sich dem Zufallsprinzip ergeben, doch jetzt erkennt er, worauf alles hinausläuft, denn sein eigener Kopf steckt in einer Art Klammer ... oder Gurt! Und er kann gar nicht anders, als die eintausendachthundertvierundachtzig starren, schnurgeraden Fuß des zentralen Korridors hinabzusehen ... Europas längstem! Und er kann gar nicht anders, als sich dieser überirdischen Vision auszusetzen: seine postenzephalitischen Patienten in Friern ... meine Enzies!, die in einem der alten Lichthöfe ein wüst-komplexes Ballett aufführen – Da sind sie ja! sie tragen Zwanzigerjahreklamotten, tanzen den Freudentanz der Siebziger ... I'm an ape-man, I'm an ape-ape man ... und affenartig sind sie auch, mit ihren flinken Füßen, den zwanghaften Zuckungen, den wilden, unvorhersehbaren Bewegungen, den jazzigen Fulgurationen, die ihre gebrechlichen Körper in die Luft aufschmeißen und zurück auf die trostlose Erde stürzen lassen. Soweit erinnert sich Busner: In jenem prächtigen Sommer, in der Ära der Mondlandungen, als er die Postenzephalitischen aus ihrem ein halbes Jahrhundert währenden Marmorschlaf erweckt hatte – als er begann, die Symptome ihrer Erkrankung überall zu entdecken ... im Stolpergang von Fußballspielern, die sich vor dem Tor versammeln – in der Echolalie von Politikern, die im Radio interviewt wurden ... nun ist es so, dass das Problem nun problematisch ist, und in der Stadt selbst, die, in ihrer Totalität betrachtet, vor vierzig Jahren entweder kurz davor stand, sich katatonisch aufzulösen oder aber immer weiter zu beschleunigen, bis alles auseinanderflog ... Aber wie hieß sie denn noch, die alte, gesprächige Enzie, die er mit einem Teil seiner kostbaren Unze L-Dihydroxyphenylalanin erweckt hatte? Was er definitiv nicht vergessen hat: Hat tausend Pfund gekostet! Während es mir ... beim besten Willen ... nicht ... es liegt mir auf der Zunge ... Wie auch immer ... eine spatzenartige Frau, sie war komplett eingeschlossen, eingeschnürt im bizarren Nervenkostüm ihrer Erkrankung, und dann, im nächsten Augenblick, bei vollem Bewusstsein spannte sie ... weit ihre Flügel aus und betrachtete die ... feige neue Welt mit dem Pomp und der Abgeklärtheit des Edwardschen Zeitalters. Sie war in ihrer weit zurückliegenden Jugend eine wissenschaftlich orientierte Sozialistin gewesen, jetzt betrachtete sie mit bemerkenswertem Scharfsinn die Gegenwart und freute sich an dem anscheinenden Fortschritt, den die Menschheit gemacht hatte. Die tiefgreifenden Veränderungen, die stattgefunden hatten, seit sie in ihren Rip-Van-Winkle-Schlaf gefallen war, verunsicherten sie keineswegs. Die mal sanft beschwichtigenden, mal mahnenden Stimmen ihrer Jugend, die sich, seit sie eingeschlafen war, von Kanzel, Lehrerpult und Rednerpodest gewaltsam gelöst hatten, waren zu einem großen Gekratz-atz-atze geworden ... Er betrachtet das Telefon in seiner Handfläche: Milla wird es bald wieder versuchen – und beim nächsten Mal, das weiß er, wird er sich gezwungen sehen, abzunehmen ... Es könnte ja etwas nicht stimmen ... mit Ben ... Wäre er doch nur ansatzweise so wie die alte Enzie: stoisch und unfähig, ein Signal zu finden.

Will Self: Phone, Hoffmann & Campe, aus dem Englischen von Gregor Hens, 2021. S. 478-480.