Journale TRANSLATION GAMES.

Dagmara Kraus zu vertical fluting I1 – 11


Wenn man eine Zwangsregel im Sinne der oulipotischen „contrainte“ aus einer Sprache, einer Literatur, einer Kultur in eine andere überträgt, kann man sie, logisch, für den neuen Kontext entweder adaptieren oder nicht. In den regentonnenvariationen aus dem gleichnamigen Band von 2014 übernimmt Jan Wagner etwa die Moren-Vorgaben des Haiku und eignet sich diese ohne jede Abwandlung oder Anpassung als strikte Silbenvorgaben seiner Verse an, wie dies auch in jedweder Haiku-Übersetzung ins Deutsche der Fall ist. Für das Versschema ergibt das knappe 5-7-5 Silben. In nicht-morigen Sprachen wie dem Deutschen aber, das in seiner Dichtung heute eher selten silbenzählend vorgeht, scheint eine solche Übernahme der 5-7-5-Regel des Haiku ohne eine Erweiterung m.E. kaum durchführbar zu sein, da die Spezifizität der Sprache, in welche die Regel übersetzt wird, eine ganz andere ist, als die der in diesem Fall morigen, folglich zu großer Ausdruckskürze fähigen Ausgangssprache.

Das Deutsche hält im Vergleich mit den meisten anderen Sprachen große Dehnungen aus, was die Silbenakkumulation anbelangt. Dieser deutschen Eigenheit könnte man in einer Übersetzung der Haiku-Regel nachgeben und ihr rigid-minimalistisches 5-7-5-Schema auf adäquate, „deutschere“ Versmaße übertragen, indem man – mit einem Versetzungszeichen – beispielsweise #8-9-8 Silben (nicht Moren) als Parameter festlegte. Damit entfiele zwar der Zweischritt zwischen 5 und 7, aber es würden dafür mit dem 8- und 9-Silbler zwei im Deutschen gängige Verslängen eingeführt, die hinsichtlich der Ausführung des Haiku keinerlei sprachlicher Verrenkung mehr bedürften. Schließlich wirken 5- und 7-morige Zeilen im Japanischen ebenso selbstverständlich oder vielmehr 'natürlich' wie ein 8- und 9-Silbler im Deutschen, der durchaus auch ein 10-Silbler sein könnte, welchem ich vor japanischem Dekor mit verwaschenem Himmel in Jeansoptik augenzwinkernd den höchsten Grad an Natürlichkeit zuspreche:

So machte man aus einem Haiku vielleicht ein „Deuku“. Aber was lässt sich aus und mit dem Renga machen?  

Negra, rengaine, renégat, mégot, verrengung, garenne (egge), herrengabe, rengpass, udrenga (asàrotos òikos), gedrenga, übersetzling/übresetzlinga (wakana) – elf pseudo-translatorische Ableitungen, elf miteinander verwobene (Para-)Übersetzungen kreisen als textruktionistischer1 Rengareigen (Rengareihen) um die Roubaud-Paz-Tomlinson-Sanguineti'sche Sonett-Sammlung RENGA und zumal um deren Doppel-Eins, das Einleitungsgedicht, aus dessen Titelzahl sich auch die hiesige Elf ergibt: Sonett I1. Das Gedicht wird dabei teils entkernt, teils ergänzt, teils neu geflochten, gewellt und geflutet, verschüttet, zerbrochen und versandet ruiniert, um schließlich neu gepflanzt zu werden, wie ein Baum, der zwar kein japanischer Kirschbaum in seiner zu allen Zeiten bejubelten Frühlingsblüte sein kann, aber vielleicht eine im Wachstum befindliche, winzige deutsche Irdel in gefälschter Nipponlandschaft.

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„Il ne s'agit pas du renga de la tradition japonaise mais de la métaphore, une de ses possibilités, un de ses avatars“2, schreibt Octavio Paz in seinem Vorwort zu dem Sonettband Renga und bekennt sich derart vorsichtig zu dem, was sich – partiell – womöglich als ein Scheitern lesen ließe: Das Scheitern an einer selbstgesetzten Aufgabe, die eingestandenermaßen zwar nicht gelöst werden konnte, wie sie es anfangs hatte sollen, aber, anders angegangen und durchgeführt, dennoch ein vorzeigbares Resultat zeitigte, und zwar die relativ frei von einem Modell inspirierte Anverwandlung einer Textgattung, die sich aufgrund ihrer strengen, wohl allein dem Japanischen und seinen sprachlichen und poetologischen Eigenheiten vorbehaltenen Struktur nicht zur Übersetzung in eine europäische Sprache und Kultur eignet.

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Gäbe es so etwas wie Barbara Cassins berühmtes Dictionnaire des Intraduisibles auch für Literaturgattungen oder Versformen, wären Renga, Tanka und Haiku vielleicht drei der Lemmata. Analog zu Paz' Eingeständnis und Vorgehen sowie im Glauben an die Notwendigkeit eines Umpolens japanischer Dichtungsregeln zu deutsch-polyglotten, soll für den folgenden Beitrag gesagt sein: Nicht Renga, Rengen, Rengae, nicht Rengi – oder wie auch immer der Plural des japanischen Wortes lauten mag – sind aus meiner Beschäftigung mit dem Renga und dem Versuch seiner Übersetzung entstanden, sondern etwas anderes, vages, schiefes – vielleicht etwas wie Möglichkeiten aus seinen Möglichkeiten, stets mit dem Versetzungszeichen „#“ zu denken und als Annäherung an die Idee einer Übersetzung, die in der folgenden Gestalt vor allem eines dokumentiert: das (spielerische) Ringen um das Renga.


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Fußnoten
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