Journale TRANSLATION GAMES.

Ausschnitte aus Felix Schillers Translator's Statement


Venga, Venga – zwei unterkellerte Rengas 

[...]Als ich die originalen (und was ist das schon in diesem Fall?) 27 Sonette aus Renga von Paz, Roubaud, Sanguineti und Tomlinson las, schien es mir, ich könne dieses frühe Zeugnis interlingualer, kollektiver Autorschaft nicht einfach derart ins Deutsche übertragen, wie es Paz, Roubaud und Tomlinson fürs Spanische, Französische und Englische selbst taten. Warum? Weil ich dem Text zuerst begegnet bin in der bei George Braziller 1971 erschienenen Ausgabe, die neben den mehrsprachigen Sonetten auf den rechten Seiten Tomlisons Übersetzungen ins Englische enthält. Und ich fand es schade, dass mich die Übersetzungen am Semantischen festhielten, dass mir auf jeder Doppelseite deutlich wurde, es gebe auch etwas zu verstehen. Der Geist der Sprache soll durch die Autoren hindurch sprechen, aber auch er hat etwas zu sagen: das konnte ich niemals simulieren. Deshalb habe ich mich entschieden, diesem Hotelkellertext kein Musterhaus in die Nachbarschaft zu stellen, sondern ihn nochmals zu unterkellern: wogegen haben sich die vier Autoren eigentlich gewendet, was hätten sie in einen Keller unter ihrem Keller abgestellt und nie wieder hervorgeholt? Den einsprachigen, alleinigen Autor, der ich im Moment bin, wenn ich schreibe. Dorthin, in den Unterkeller, habe ich mich versetzt, habe ich hoffentlich auch den Text versetzt, also übersetzt. Sind die Impulse aus der Selbsterforschung im Kollektiv und in der Mehrsprachigkeit auch in die Alleinigkeit und Einsprachigkeit zu übersetzen? Wäre diese Übersetzung nicht prozessäquivalenter als eine sorgfältige Übersetzung der Renga-Texte ins Deutsche? Wie lässt sich der eigenen Polyphonie horchen, dem Kollektiven als dem Eigenen, wie die Muttersprache als kontingentes Entanglement von Sprachschichten und -geschichten begreifen? Kann man sich nicht so beeinträchtigen, dass auch die Position des alleinigen, einsprachigen Autors nicht Kontrolle bedeutet, sondern im absurden Prozess abgebildet wird, ständig Kontrolle und Sinn erhalten zu wollen? Wie lässt sich ein Phänomen so entfalten, dass es die eigene Position neu ineinander faltet? Und sind diese Fragen die letzten rührseligen Leuchtraketen einer Subjektbehauptung, die wir nun wirklich mal bald aufgeben sollten?

[…]Für den zweiten Renga wollte ich den Text der vier Kellerdichter mit einem Text einer anderen Kellergruppe unterkellern. Während meines Volontariats im LCB hatte ich immer wieder im Keller zu tun, wo sich auch das Archiv befindet. Vorbeigelaufen und oft stehengeblieben bin ich immer wieder an einem Regal mit Restexemplaren der LCB-Editionen, einer Buchreihe, die sich als „Versuchsballon“ verstand und deren erste Ausgabe im August 1968 erschienen ist, acht Monate, bevor Renga in Paris entstand. Dort, im Keller des LCB, tagt also seit Jahrzehnten ebenfalls eine temporal community, ein Kellerzirkel der Beiträger·innen zu den LCB-Editionen, die sich in dieser Konstellation niemals real zu gleicher Zeit im LCB befanden, aber mit ihren Schriften im materiellen Sinne sehr nah beieinanderliegen, nämlich als Druckerzeugnis im Regal des LCB-Archivs, an dem ich von 2018 bis 2020 regelmäßig vorbeigelaufen bin. Diese Gemeinschaft vergangener Hausgäste wollte ich nun in einem Kettengedicht noch näher zusammenbringen, indem ich aus ihren in den LCB-Editionen erschienenen Werken ein Renga montiert und arrangiert habe. Dabei habe ich mich an der Form aus der japanischen Tradition orientiert, wie sie Jacques Roubaud beschreibt, bin mit den „Links“ freier umgegangen, nutze den Renga als etwas mehr als Metapher, aber schaffe natürlich auch nur ein verwestlichtes Oberflächenzitat seiner Struktur : einem Oberstollen von 5, 7 und 5 Silben folgt ein Unterstollen von 7 und 7 Silben. Verwendet habe ich jeweils nur Wortmaterial der Seiten 5, 7, 55, 57, 75 oder 77: das Material habe ich frei montiert, allerdings ist kein Wort, keine Flektion, keine Zeichensetzung etc. hinzugekommen, die so nicht in den Büchern zu finden ist. Die erste Zeile des Oberstollens nimmt die Konstruktion des letzten Verses des vorherigen Unterstollens in der grammatischen Konstruktion auf. Zu Beginn gibt es also ein Oberstollen, der nicht durch den Unterstollen eines anderen Autors verändert wird: ein Vers von Gisela Kraft, der einzigen Autorin –kein Witz, die ich in der Gemeinschaft der LCB-Editionen im Keller gefunden habe (zum Glück gab es in der Schriftenreihe jedoch mehr Werke von Autorinnen, als im Archiv lagern). Das Renga endet mit Material aus den LCB-Editionen von Eduardo Sanguineti, mit 2 Stollen, und Octavio Paz, der den Renga mit sechs Stollen beschließt, oder ich beschließe mit den Worten Paz’ oder die Sprache beschließt uns? 

»He [Octavio Paz] wants the attempt to continue; he wants other voices to mingle in it, other poets, other languages.«1 

Ich hoffe, das ist durch diesen zweiten Übersetzungsansatz gelungen.

[V]or allem [...] beim zweiten unterkellerten Renga folge ich einem eigenen Ansatz, mit dem ich gerade vermehrt arbeite. Die deutsche Sprache neigt zur Ausgrenzung anderer Sprachen, nimmt Begriffe der machttechnisch höher gelegenen Sprache willfährig auf (Latein, Französisch, Englisch) und schließt naheliegende Einspeisungen aus beherrschten Sprachen weitestgehend aus, oder inkludiert sie, aber wertet sie ab oder verschiebt ihre Semantik und Kontexte in eine Degradierung (Rotwelsch, Plattdeutsch, Sorbisch, Jiddisch, Türkisch, Arabisch, Serbokroatisch, Russisch). Und für Soziolekte und Idiolekte gilt das ohnehin. Als einsprachig aufgewachsener Deutscher bleibt mir, meine Position auszuhöhlen, die eingewachsenen Splitter meiner Einsprache so zu verdrehen, dass sie brechen, sich lösen, Wunden im Textkörper reißen (ein Versuch, das translatorische Konzept von Johannes Göransson aus » Translation Wounds», in: Johannes Göransson / Joyelle McSweeny: «Deformation Zone«, Ugly Duckling Presse, 2012, für eine monolingual-diachrone Poetik zu nutzen), und so Raum schaffen für Heilung und Raum lassen für das Andere, das sich in die Sprache treibt. Die Methoden dafür sind manchmal spracharchäologisch, etymologisch, selten morphemzertrümmernd, wichtiger sind mir Konstellationen von Sprachatmosphären durch ein Verkontextieren von Worten, das Befragen von Sprachresten in Bildern oder das Auffalten von Sprachtrümmern als Montage, die Eingefaltetes vielleicht zum Vorschein bringt. Ich muss das ohnehin geschichtlich gebaute Haus unterkellern und dort nochmal das Gerümpel so ineinander werfen, dass ein neues Chaos entsteht, auf dem aber kein Staub liegt.

[…]Venga, Venga, der Renga wurde ausrangiert oder neu rangiert oder unterkellert oder wie war das noch, und klar, dass eine Übersetzung ins Deutsche sich Rangierbahnhöfe und Keller als metaphorische Einmachgläser heranzieht, die Grausamkeit schimmert durch meine Sprache, ich habe Angst vor mir selbst, Venga, Venga, diese Sprache, in der Schönes für mich gleichzeitig immer so unheimlich wirkt.

Fußnoten
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