Journale TRANSLATION GAMES.

Rengänzungen

Vor dem Hintergrund meiner Lektüre der Notizen ohne Titel von Kamo No Chômei1 und dessen Auslegung der japanischen Dichtungstradition und ihrer Poetik um 1200 habe ich versucht, mit dem Titel vertical fluting ein Fuzei2, das heißt: ein (zyklustragendes) Konzept zu finden und mich bemüht, meine Übersetzung danach auszurichten. Um, so gut es geht, nah am Text zu bleiben und der gestellten Aufgabe gerecht zu werden, ging ich davon aus, dass mir der Originaltext selbst seine translatorische Behandlungsmethode soufflieren würde. So gewann ich die Übersetzungsanleitung aus dem Sprachmaterial von Sonett I1, das mir als Richtungsweiser die zwei englischen Wörter „vertical“ und „fluting“ lieferte.

Im architektonischen Kontext gebraucht, bedeutet „fluting“ „kannelieren“ und meint, wenn mit dem Beiwort „vertical“ versehen (was zunächst wie ein Pleonasmus wirkt), eine spezifisch senkrecht-konkave Säulengestaltung durch flötenförmiges Rillen und Riffeln des Säulensteins, das eine Verstärkung des Höheneindrucks zur Folge hat und zugleich so über die horizontalen Fugen der übereinander gebauten Säulentrommeln hinwegtäuschen soll, dass der Eindruck entsteht, der Pfeiler sei aus einem Stein gefertigt. Auf meinen Zusammenhang übertragen, bedeutet vertical fluting eine Art hybrid-polyglottes Über- bzw. Hyper- oder auch Hyposetzungsverfahren, das es einerseits erlaubt, mehrere Texte und Textbilder aus ein und demselben Text herzustellen, um sie nach dem Vorbild kannelierter Säulenordnungen aufeinander aufbauend zu gestalten, und andererseits ermöglicht, einen doppelten trompe-l'œil-Effekt zu generieren, indem die Texte und Textbilder sich verhalten wie die an antiken Gebäuden befindlichen kannelierten Pilaster, nämlich: 1. wie Blendgedichte, 2. wie Blendübersetzungen.

*

Ausführlich beschreibt Jacques Roubaud seine Erfahrungen mit dem als zäh empfundenen Arbeitsprozess hinsichtlich der Dichtungsaufgabe, die er sich und seinen Kollegen mit der Renga-Adaptation stellt, als „longue sécheresse, électricité dans la soie, le métal, le papier“ und dekliniert sämtliche Empfindungen (sensations) beim Dichten und Nachdichten des Renga durch, vom „désarroi“ über die „inquiétude“ zur „aggressivité“. Diesen Prozess wollte ich symbolisch in den eigenen Textprozess hineinholen und, anstatt der Gedichte, eher Paz' Bericht des Schaffensprozesses in meinen Suchprozess übersetzen. Dieser Wunsch ist an der grammatischen Verlaufsform „-ing“ abzulesen und in dem Wort „fluting“ angezeigt, das wie in dem imperfektiven Aspekt des Polnischen und seiner Verlaufszeitlichkeit in einem gehaltenen, flottierenden Präsens siedelt, das die zu diesem Zeitpunkt, da ich dies schreibe, nicht abgeschlossene und aufgrund des Titeltempus nunmehr wohl auch nicht abzuschließende Suche nach Ausdruck unterschwellig trägt. Jedes der elf 'Flutings' stellt sich vor diesem Hintergrund für mich wie in statu nascendi dar; noch im Prozess begriffen, Text zu werden und zeitgleich als in diesem Werden und dem damit einhergehenden, nicht aufgelösten Werkstattcharakter aufgehende Textur, die keine andere, bessere, fertigere kennt; ein #-ing-Text aus Text auf dem Weg zum Text, aber kein 'Tex'text', um hier die grammatische Option der Verdoppelung des Französischen à la „terrib'terrible“ u.ä. zwecks Verstärkung zu beleihen – kein vollgültiger Text. Um dieses halbwegs halbgare Textdasein zu unterstreichen, kommt eine Bildebene hinzu, die das ohnehin Wacklige der elf Versuche noch zusätzlich ins Wanken bringt.

*

Die elf Texte (/Textbilder: inspiriert von Paz' Satz: „la succession se fait en zigzag“3...) wären vielleicht als „Ibersetzungen“ zu bezeichnen. „Iber“: das umlautfreie, da mit polnischem Akzent gesprochene und so leicht verschandelte „über“ meint 1. eine Übertragung des Spanischen des Eingangsverses samt seiner Knochen und 2., wie in einem älteren Rechtswörterbuch4 zu lesen, den „Überfall“, die „Bedrohung“ (thi unriuchta iber mit egge) des Renga durch meinen Grubber (=Egge; auch zu poln. grób, Grab). So wird das Ganze – ich übersetze – zum „osario verbal“5.

*


>>> Weiter in den Rengänzungen...

>>> Zu den vertical flutings...

Fußnoten
1
2
3
4
5
PDF