Ben Lerner: No Art – Poems
Übersetzt aus dem Englischen von Steffen Popp
Zweisprachige Leseprobe

»Gather your marginals, Mr. Specific. The end
is nigh. Your vanguard of vanishing points has vanished
in the critical night. We have encountered a theory
of plumage with plumage. We have decentered our ties. You must quit
these Spenglerian Suites, this roomy room, this gloomy Why.
Never again will your elephants shit in the embassy.
Never again will you cruise through Topeka in your sporty two-door coffin.
In memoriam, we will leave the laws you’ve broken broken.«
On vision and modernity in the twentieth century, my mother wrote
»Help me«. On the history of structuralism my father wrote
»Settle down«. On the American Midwest from 1979 to the present, I wrote:
»Gather your marginals, Mr. Specific. The end is nigh.«
I wish all difficult poems were profound.
Honk if you wish all difficult poems were profound.

Ben Lerner: The Lichtenberg Figures,
Copper Canyon Press, 2004.

 

The passengers are asked to clap
            It was always the same
window in his poems
for the two soldiers. We were delayed
In every seat, a tiny screen
A tiny bottle. The same traffic
            High up in the trees, small
rain. He held the subject
            constant. Now I

get it. I looked out
            over Denver, but could see
only our reflection. Dim
the cabin lights. Robert is dead
Articles may have shifted
I didn’t know him. Why am I
            clapping. We are beginning
our final descent into
            A voice described as torn

On the recording, I could hear
            the hesitation
A certain courage. I can’t explain
as music. We could watch
our own plane crash. We would be
Our men and women
            permitted to call down
in uniform. When I heard him live
            it was lost on me

Ben Lerner: Mean Free Path,
Copper Canyon Press, 2010.

 

I know it’s full of flowers, music, stars, but
But the pressures under which it fails
How it falls apart if read aloud, or falls
What we might call its physics
Together like applause, a false totality
Scales. The words are just there to confuse
The censors, like mock eyes on the wing
Except for Ari. No energy is lost if they collide
The censors inside me, and that’s love


And that’s elegy. I know I am a felt
This is the form where my friend is buried
Effect of the things that I take personally
A gentle rippling across the social body
I know that I can’t touch her with the hand
That has touched money, I mean without
Several competing forms of closure
Irony, now warm and capable of
Decay on strings as we descend

Ben Lerner: Mean Free Path,
Copper Canyon Press, 2010.

»Pack deine Fußnoten ein, Dr. Akribisch. Das Ende
ist nah. Deine Vorhut Fluchtpunkte verflüchtigte sich
in der kritischen Nacht. Wir begegneten einer Theorie
des Gefieders mit Gefieder. Wir dezentrierten unsere Krawatten. Gib
diese Spengler-Suiten auf, diesen geräumigen Raum, dieses verheulte Warum.
Nie mehr werden deine Elefanten in die Botschaft scheißen.
Nie mehr wirst du in deinem zweitürigen Sportsarg durch Topeka kurven.
Zur Erinnerung werden wir die Gesetze, die du gebrochen hast, gebrochen lassen.«
Über Vision und Modernität im zwanzigsten Jahrhundert schrieb meine Mutter
»Hilfe«. Über die Geschichte des Strukturalismus schrieb mein Vater
»Bau dir ein Haus«. Über den Mittleren Westen von 1979 bis heute schrieb ich:
»Pack deine Fußnoten ein, Dr. Akribisch. Das Ende ist nah.«
Ich wünschte, alle schwierigen Gedichte wären tief.
Hupen Sie, wenn Sie wünschten, alle schwierigen Gedichte wären tief.

Ben Lerner: No Art – Poems / Gedichte.
Aus dem Englischen von Steffen Popp,
in Zusammenarbeit mit Monika Rinck.
Suhrkamp Verlag, Berlin, 2021. S. 72/73

 

Die Fluggäste werden gebeten zu klatschen
            Es war immer dasselbe
Fenster in seinen Gedichten
für die beiden Soldaten. Wir hatten Verspätung
In jedem Sitz ein winziger Bildschirm
Eine winzige Flasche. Der selbe Verkehr
            Hoch oben in den Bäumen, kleiner
Regen. Er hielt das Thema
            konstant. Jetzt

versteh ichs. Ich schaute hinaus
            über Denver, sah aber
nur unsere Spiegelung. Dimm
das Kabinenlicht. Robert ist tot
Gegenstände könnten sich verschoben haben
Ich kannte ihn nicht. Warum
            klatsche ich. Wir beginnen
unseren Landeanflug auf
            Eine Stimme als zerrissen beschrieben

Auf der Aufnahme konnte ich
            das Zögern hören
Einen gewissen Mut. Ich kann nicht erklären
als Musik. Wir könnten unseren eigenen
Flugzeugabsturz ansehen. Wir wären
Unsere Männer und Frauen
            mit Anschnauzerlaubnis
in Uniform. Als ich ihn live hörte
            ließ es mich leer zurück

Ben Lerner: No Art – Poems / Gedichte.
Aus dem Englischen von Steffen Popp,
in Zusammenarbeit mit Monika Rinck.
Suhrkamp Verlag, Berlin, 2021. S. 420/421

 

Ich weiß, es ist voller Blumen, Musik, Sterne, aber
Aber der Druck, unter dem es scheitert
Wie es beim Vorlesen auseinanderfällt oder
Was wir seinen Aufbau nennen mögen
Zusammen wie Applaus, eine falsche Totalität
Gewichtet. Die Wörter sind nur da, um die Zensoren
Zu verwirren, wie Scheinaugen auf dem Flügel
Außer Ari. Kein Energieverlust, wenn sie kollidieren
Die Zensoren in mir, und das ist Liebe


Und das ist Elegie. Ich weiß, ich bin eine gefühlte
Dies ist die Form, in der mein Freund begraben ist
Wirkung der Dinge, die ich persönlich nehme
Ein sanftes Kräuseln über dem sozialen Körper
Ich weiß, ich kann sie nicht mit der Hand berühren
Die Geld berührt hat, ich meine, ohne
Etliche konkurrierende Formen von Schlüssen
Ironie, jetzt warm und in der Lage zu
Klingen an Saiten aus, da wir hinabsteigen

Ben Lerner: No Art – Poems / Gedichte.
Aus dem Englischen von Steffen Popp,
in Zusammenarbeit mit Monika Rinck.
Suhrkamp Verlag, Berlin, 2021. S. 466/467