Journale Vernetzungen.

(1) Siebtes Kapitel: Lüg mich nicht an Rachel, S.133

Nein, sie wird Atara nicht erzählen, in welchem Zustand sie Meno am nächsten Tag vorgefunden hatte, am frühen Morgen nach jener furchtbaren Nacht, noch im Dunkeln, als er gerade den Petroleumkocher anzündete und einen verrußten Blechkessel daraufstellte, wie sie sich ihm langsam genähert und versucht hatte, ihn zu umarmen. »Auch diese Tage gehen vorüber«, hatte sie ihm zugeflüstert und zitternd vor Kälte in die blaue Flamme gestarrt, »es werden andere Zeiten kommen, und wir werden hier ein normales Leben führen können. Wir sind doch erst zwanzig, Meno, unser Leben hat gerade erst begonnen.« Doch er hatte sich zu ihr umgedreht, sie von sich gestoßen, und auf seinem hageren Gesicht zuckten die Schatten der Flammen. »Lüg mich nicht an, Rachel, hier wird es kein normales Leben geben, wir haben umsonst gekämpft! Dieses Land ist verflucht! Es ist ein Wüstland, und es verwüstet uns. Ein blutrünstiges, verlogenes, treuloses Land«, er hatte sie feindselig angestarrt, als sage er das über sie, und den dampfenden Kessel geschwenkt, und sein Kiefer war zur Seite gerutscht, und ein schiefes Lächeln hatte sich auf seinem Gesicht ausgebreitet.

 

(2) Achtes Kapitel: Wie kannst du es wagen, Atara? S. 150

Etwas beschämt erinnert sie sich an jenen Geburtstag. Sie hatte Freunde nach Hause eingeladen und ihre Eltern gebeten, auszugehen, doch ihr Vater war aus irgendeinem Grund früher zurückgekehrt, plötzlich, während der Party kam er rein, als eine Freundin gerade Gitarre und ein Freund auf dem Saxophon spielte, und sie hatten gesungen, getanzt und gelacht. Nur sie bemerkte sein Kommen, sah, wie sein Gesicht sich verdunkelte, sein Kiefer zur Seite rutschte. Die Veränderung, die in solchen Momenten in ihm stattfand, war absolut unfassbar. „Wie könnt ihr es wagen, so vulgär zu feiern!“, brüllte er, „Draußen ist Krieg! Leute werden getötet, und ihr macht ein Fest? Wie kannst du es wagen, Atara? Drunter tust du‘s wohl nicht?“

 

(3) Neuntes Kapitel: Wofür hast du gelebt, Rachel? S. 184

Sie öffnet die Augen und sieht ihren Tod über sich schweben. Wie eine Fledermaus, kleiner als erwartet. Wie klein ist der Tod. Sie staunt. Kann es sein, dass mit ihrem zunehmenden Alter der Tod schrumpft?

Ohne Angst lächelt sie ihn an. Wenn sie sich schon in ihrer Jugend nicht vor ihm gefürchtet hat, dann gewiss nicht im Alter. Sie ist überrascht, er lächelt zurück und wendet sich in menschlicher Sprache an sie. »Wofür hast du gelebt, Rachel?«, möchte er wissen, während er sie umflattert, »warum bist du so alt geworden?« Und sie hört sich mit fester Stimme antworten, als habe sie sich Jahre auf diesen Moment vorbereitet: »Ich habe gelebt, weil die meisten meiner Freunde gestorben sind. Sie alle waren etwa zwanzig, als sie starben: zwanzig Jahre für Dov und noch zwanzig Jahre für Ariela und für Boas und Elchanan, aber jetzt hab ich keine Kraft mehr, ich kann nicht mehr für alle leben.« Und er breitet seine Flügel aus und bläst einen glühenden Odem über ihr Gesicht, und ihr ist, als werde sie gleich in ihrem Bett schmelzen und nur eine kleine Pfütze hinterlassen. Und er sagt mit einem schiefen Lächeln, »du lügst, Rachel, ich glaube dir nicht.«

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