Journale Lyrik Joséphine Bacon, Nomadin der Tundra & Bewohnerin der Stadt

Joséphine Bacon, Nomadin der Tundra & Bewohnerin der Stadt

Ein Journal zur Übersetzung des Gedichtbands Uiesh. Irgendwo

Gedichte als verdichtete Geschichten über das Leben der Innu

Ich erinnere mich noch wie der Verleger und ebenfalls Dichter Rodney Saint-Éloi einmal eines der ersten Gedichte von Joséphine Bacon rezitiert hat:

Je me suis faite belle
pour qu’on remarque
la moelle de mes os,
survivante d’un récit
qu’on ne raconte pas.

Niminunakuitishun
nuash nishkana tshetshi uapatakaniti
tshetshi pishkapatakaniti
nin eka nita
tshe tipatshimikauian. ...

Er sagte, dass in diesen Zeilen so viel drinsteckt und sie von einer Dichterin stammen, die unbedingt gehört werden sollte. Also hat er sie veröffentlicht. Und mit seiner Meinung war er nicht allein. Dany Laferrière mochte ihre Gedichte, so wie viele Leser·innen in Québec und auch außerhalb. Bei Veranstaltungen in Haiti, Frankreich und Deutschland vermochte es Joséphine Bacon mit ihren Versen auf Innu-Aimun und Französisch, ihr Publikum zu berühren.

Als ich ihre Gedichtbände Bâtons à message. Tshissinuatshitakana (Mémoire d‘encrier, 2009) und Un thé dans la toundra. Nipishapui nete mushuat (Mémoire d‘encrier, 2013) gelesen habe, bin ich in eine mir zuvor unbekannte Welt eingetaucht. Ich sah und hörte etwas, was ich vorher noch nicht gesehen und gehört hatte. Joséphine Bacon öffnete mir dir Tür zu ihrer Kultur. Ich war in meiner Berliner Wohnung und stand plötzlich in der Tundra, wo ich Tee mit der Dichterin trank, wo ich den Geschichten der Ältesten und dem Wind lauschte. Ihre Gedichte hatten eine entschleunigende Wirkung auf mich. Bacons Gedichte handeln von Freiheit, vom Leben im Einklang mit der Natur, von der schmerzlichen Vergangenheit, vom Älterwerden und von Zusammenhalt. Sie holten mich ab und hatten ein unglaubliches Echo. Es ist schwer zu beschreiben, weil das Lesen von Gedichten schließlich immer etwas ganz Intimes und Persönliches ist.

Es ist vor allem auch sie als Mensch, die mich in ihren Bann gezogen hat. Sie ist charismatisch, sympathisch, offen und aufmerksam. Sie verfolgt das aktuelle Geschehen und schreibt, wenn es nötig ist. Und es ist nötig.

Joséphine Bacon hat lange Zeit als Dolmetscherin und Assistentin mit den Anthropologen Rémi Savard, José Mailhot und Sylvie Vincent zusammengearbeitet. Sie hat den Ältesten zugehört, ihre Wörter transkribiert und übersetzt. Nun gibt sie die Wörter selbst an die kommenden Generationen weiter, weil sie dem Traum ihrer Freundin, der Dichterin Laure Morali, gefolgt ist und angefangen hat, Gedichte zu schreiben. Und mit ihren Gedichten erlangte sie eine große öffentliche Aufmerksamkeit. Auf diese Weise schlägt die Dichterin eine Brücke zwischen den Generationen und Kulturen.

Ich kann mich Rodney Saint-Éloi nur anschließen. Es steckt so viel in ihren Gedichten, so viel Kraft, Wissen und Weisheit und ich kann allen nur empfehlen, ein Gedicht von Joséphine Bacon zu lesen oder sich anzuhören.

Jennifer Dummer

Jennifer
Ich habe Joséphine Bacon, die Grande Dame der indigenen Dichtung Québecs, im Sommer 2018 bei einer gemeinsamen Veranstaltung1 in Berlin kennengelernt. Ihr Verleger Rodney Saint-Éloi und die Dichterin Natasha Kanapé Fontaine waren auch dabei. Wir verbrachten viel Zeit zusammen: Ich holte sie vom Flughafen Tegel ab, wir tauschten uns im sonnigen Garten des Ratatouille in Berlin-Mitte aus, bereiteten uns gemeinsam vor. Die Veranstaltung wurde sehr gut angenommen, was uns erfreut hat. Außerdem habe ich Joséphine und Natasha ins Aufnahmestudio im Haus für Poesie begleitet, wohin sie zum Einsprechen einer Auswahl ihrer Gedichte für die Onlineplattform Lyrikline2 eingeladen wurden. Drei von Joséphines Gedichten habe ich zusammen mit Odile Kennel ins Deutsche übersetzt.

Mich hat besonders fasziniert, wie die beiden Dichterinnen miteinander Innu-Aimun gesprochen haben und später, wie Joséphine bei der von mir moderierten und gedolmetschten Veranstaltung ihre Gedichte auf Innu-Aimun vorgetragen hat. Alle lauschten still ihrem Vortrag, es herrschte eine ganz besondere Atmosphäre.

Nach diesem ersten, für mich eindrucksvollen Kontakt sahen wir uns auf der Buchmesse in Paris wieder und ich war auch in Montréal dabei, als sie 2019 von den Buchhändlern für ihren Gedichtband Uiesh. Quelque part mit dem wichtigen „Prix des libraires“ ausgezeichnet wurde. Und 2020 haben wir uns dann für die Heidelberger Literaturtage virtuell wiedergetroffen.

Wie war das bei dir, Andreas? Kanntest du Joséphine Bacon schon vor unserer gemeinsamen Übersetzung?

Andreas
Ich habe Joséphine Bacon vor der Übersetzung von Uiesh. Irgendwo3 nicht persönlich gekannt wie du, aber in drei verschiedenen Rollen: als Autorin, Filmemacherin und Erzählerin. Auf sie gestoßen bin ich durch Recherchen zu einem Porträt der kanadischen Route 138, einer Veröffentlichung, bei der ich zur Abwechslung nicht Übersetzer, sondern Autor4 war.

Für mein Buchprojekt bin ich mit dem Wohnmobil die Route 138 abgefahren. Die ungefähr 1.400 km lange Straße führt von der amerikanisch-kanadischen Grenze im Süden das Nordufer des Sankt-Lorenz-Stroms hinauf bis zu dem kleinen Fischerdorf Kegaska in der borealen Tundra. Auf der Fahrt sind wir auch in Betsiamites5, dem Herkunftsort von Joséphine Bacon, vorbeigekommen.

Neben der Geografie und Geschichte interessierten mich besonders literarische Texte, die an der Route 138 entstanden waren oder an ihr angesiedelt sind, genauso Lieder und Filme. Joséphine Bacon tauchte für mich zunächst als Erzählerin auf, die gemeinsam mit der Sängerin Chloé Saint-Marie auftritt, die einem breiteren Publikum unter anderem durch das Chanson Mishapan Nitassinan bekannt geworden ist, dessen Strophen eine Aufzählung geografischer Namen sind, die aus den Sprachen der nordamerikanischen Erstbewohner stammen, beispielsweise Manhattan, Winnipeg, Acapulco, Alaska … In der Videoaufzeichnung einer gemeinsamen Veranstaltung mit Chloé Saint-Marie beim Internationalen Montréaler Erzählfestival besticht Joséphine durch ihre Ruhe und Freundlichkeit, aber auch ihre Verschmitztheit.

Ganz unerwartet tauchte sie danach als Filmemacherin auf. Sie spürte dem Belgier Johan Beetz mit einem Dokumentarfilm nach. Er hat in einem Örtchen an der Route 138 gelebt und gewirkt, das heute nach ihm benannt ist.

Dann stolperte ich in dem Erzählband Amun über eine Kurzgeschichte von Joséphine Bacon – „Nashtash va à la ville“6 – auch darin spielt die Route 138 eine wichtige Rolle.

Und schließlich wurde ich für eine der frankokanadischen Literatur gewidmeten Sonderausgabe der Zeitschrift die horen mit der Übertragung von einigen Texten aus Joséphine Bacons zweisprachigen Gedichtbänden Quelque part (2018), Un thé dans la toundra (2013) und Batons à message (2009) beauftragt. Damals wusste ich schon, dass du gemeinsam mit Odile Kennel bereits einige Bacon-Gedichte übersetzt hattest. Drei von denen befanden sich nun auch in der horen-Auswahl.

Wie damit umgehen? Sollte ich sie vor meiner eigenen Übersetzung lesen oder sie besser gar nicht ansehen? Ich entschied mich für einen Mittelweg. Zunächst übersetzte ich ohne Kenntnis der schon bestehenden Fassung selbst, dann sah ich mir diese vor meiner Abgabe doch noch einmal an. Erstaunlich fand ich vor allem, dass manche Zeilen in beiden Fassungen identisch waren, obwohl es üblicherweise ja so viele Lösungen wie Übersetzer·innen gibt. Zugegeben, bei kurzen Gedichtzeilen wie „J‘écoute ton cœur“ (Ich lausche deinem Herzen) und „Le noir est le sommeil“ (Schwarz ist der Schlaf) bieten sich wenige andere Formulierungen an. Aber dennoch. Wir hätten jeweils auch „Ich höre auf dein Herz“ und „Die Dunkelheit ist der Schlaf“ übersetzen können.

Jenni, wie seid ihr bei eurer Arbeit an den Bacon-Gedichten 2018 eigentlich vorgegangen? Wie habt ihr eure Lösungen gefunden?

Jennifer
Damals bei der Vorbereitung auf die zweisprachige Veranstaltung gab es von der Dichterin noch keine Übersetzung ins Deutsche, also folgte ich einem Impuls. In Absprache mit Joséphine wählte ich drei Gedichte, die ich ins Deutsche übertrug.

Weil wir zusammen mit Joséphine Bacons Québecer Verlag Mémoire d‘encrier neben der Veranstaltung auch ein literarisches Frühstück mit Verleger·innen und Veranstalter·innen organisierten und dafür eine Broschüre mit Textauszügen zusammenstellten, kontaktierte ich Odile Kennel, Übersetzerin, Dichterin und Autorin. Ich erzählte ihr auch, dass ich die Gedichte bereits einem Impuls folgend übersetzt hatte und so kamen wir auf die Idee, es zusammen zu machen. Ich war erstaunt, wie gut sich das anfühlte, als ich Odiles Anmerkungen bekam. Wir haben nicht lange diskutiert, waren uns bei den meisten Versen einig. Natürlich gab es einige, die einer längeren Betrachtung bedurften, aber insgesamt haben unsere Vorstellungen gut zueinander gepasst. In „Tundra“ haben wir beispielsweise in der Zeile „Der Takt der Trommel bestimmt mein Leben“ versucht, den Trommelschlag spürbar zu machen. Vielleicht liegt die Übereinstimmung zwischen uns Übersetzer·innen auch an der Art und Weise, wie Joséphine ihre Gedichte schreibt und wofür sie stehen?

Andreas
Durch deinen längeren Kontakt zu Joséphine kennst du sie ja recht gut, weißt, wofür ihre Gedichte stehen. Bei unserer gemeinsamen Arbeit habe ich gemerkt, dass wirklich hinter jeder Zeile eine der vielen Geschichten steht, die Joséphine gerne übermitteln möchte. Wenn ich meine Übersetzungen für die Sonderausgabe der horen mit unseren gemeinsamen Lösungen vergleiche, ist der Hauptunterschied, dass ich im ersten Fall die Bilder des Textes als Metaphern übersetzt habe, und wir sie in unserer gemeinsamen Arbeit – dank deiner Expertise – als „verstandene“ Bilder übersetzen konnten, Bilder, die komprimierte Geschichten sind. Ein Beispiel dafür ist gleich das erste Gedicht im Band, über die portage, das Tragen von Gepäck, Ausrüstung und fußlahmen Menschen bei der alljährlichen Wanderung in die Jagdgründe zum Herbstbeginn. Die Stimme, die das Gedicht sagt, ist noch Nomadin, sie „geht nicht wie eine Katze geht“, da sie „viel getragen“ hat.

Jennifer
Dieses Gedicht, das den Band eröffnet, hat uns wohl am längsten beschäftigt. Wir haben viel über den ersten Vers gesprochen. Mich hat er lange begleitet, war immer da, wenn ich andere Bücher las oder auch mal nichts tat, und blieb so lange, bis er sich im Deutschen endlich richtig anfühlte.

Ich würde sagen, dass sich die Dichterin in dem Gedicht selbst beschreibt. Sie stellt sich in einfachen und aussagekräftigen Worten vor. Sie wählt parallele Verse und Vergleiche. Wie gesagt, hat es gleich der erste Vers in sich und wir haben viele Varianten notiert und auch immer wieder neu angesetzt.

 

Das erste Gedicht – vom Original bis zur finalen Fassung:7

Je n’ai pas la démarche féline
J’ai le dos des femmes ancêtres
Les jambes arquées
De celles qui ont portagé
De celles qui accouchent
En marchant

Apu tapue utshimashkueupaniuian pemuteiani
Anikashkau nishpishkun miam tshiashishkueu
Nuatshikaten
Miam ishkueu ka pakatat
Miam ishkueu ka peshuat auassa pemuteti

 

1. Fassung

Ich laufe nicht wie eine Katze (Fortbewegung, Gangart) – bewege mich nicht wie eine Katze/den Gang einer Katze
Ich habe den Rücken einer Ahnin (der alten/betagten Frauen)
Die Beine krumm/gebogen wie ein O
Wie jene, die schwer getragen/gebuckelt/sich Last aufgetragen haben
Wie jene, die gebären
Während sie gehen/laufen/Im Gehen [→ durch Umstellung Auflösung der Parallelität]
 

2. Fassung

Ich laufe nicht leichtfüßig wie eine Katze / Ich habe nicht den eleganten Gang einer Katze / Ich gehe nicht, wie eine Katze geht
Habe den Rücken einer Ältesten
Die Beine krumm
Wie jene, die schwer getragen haben
Wie jene, die im Gehen / Und jene, die ihm Gehen
Gebären

Überarbeitung

Ich lgehe nicht wie eine aufe nicht leichtfüßig wie eine Katze geht / Ich habe nicht den eleganten Gang einer Katze / Ich gehe nicht, wie eine Katze geht
HIch habe den Rücken einer Ältesten
Die krummen Beine krumm
Wie jeneDerer, die schwer getragen haben
Wie jeneDerer, die im Gehen / Und jene, die im Gehen
Gebären
 

Finale Fassung für Uiesh. Irgendwo (KLAK Verlag 2021):

Ich gehe nicht wie eine Katze geht
Ich habe den Rücken einer Ältesten
Die Beine krumm
Wie jene, die schwer getragen haben
Wie jene, die im Gehen
Gebären

Bacons Gedichte sind oft sehr kurz und sie wollen, wie du gesagt hast, einen Moment, ein Erlebnis, eine Erinnerung der Dichterin festhalten. Die Gedichte sind tiefgründig und bildhaft. Man hört die Umgebung, nimmt sie in ihren Farben, Klängen, Düften wahr. Und immer wieder ist da der Klang der Trommel, der den Rhythmus vorgibt.

Andreas
Je mehr ich von Bacons Texten kennengelernt habe, umso deutlicher wurde, dass sie eine Mission hat, dass sie möglichst viel Kulturerbe der Innu an die nächsten Generationen und an Interessierte weltweit vermitteln möchte. Sie kämpft gegen die Zeit, da absehbar ist, dass die Innu, die noch vom Leben in der Tundra, also vom Nomadenleben, berichten können, bald so alt sein werden, dass sie sterben.

Jennifer
Ich habe auch den Eindruck, dass ihre minimalistischen Gedichte an Bedeutung gewinnen, je mehr man über Joséphine Bacon, ihr Leben und ihre Mission weiß.

„Ma vieillesse s‘installe / J‘ai des mots à transmettre“ - „Mein Alter macht sich bemerkbar / Ich muss Worte überbringen“ heißt es in einem ihrer Gedichte.

Andreas
Ein echter Glücksfall für den Gedichtband ist in meinen Augen, dass du das Gespräch zwischen Joséphine Bacon und Marie-Andrée Gill als Zusatzmaterial ausgegraben hast.

Jennifer
Darauf bin ich bei meinen Recherchen gestoßen. Es stand mal die Idee im Raum, eine Anthologie mit gesammelten Gedichten aus den verschiedenen Veröffentlichungen von Joséphine Bacon zu machen und sie mit weiterem Material wie Gesprächen und Bildmaterial zu ergänzen. Dafür habe ich viel recherchiert, wobei eine umfangreiche Linksammlung zustande kam. Darunter war dieses Gespräch8, das auch in Kim O‘Bomsawins Dokumetarfilm über Joséphine Bacon eingeflossen ist.

Wie du sagst, ist Joséphine Bacon die Weitergabe des Wissens immens wichtig und zwischen ihr und Marie-Andrée Gill scheint eine besondere Freundschaft zu bestehen. Als ich Joséphine davon erzählte, dass ich dem Verleger Jörg Becken vorschlagen möchte, das Gespräch in den Band aufzunehmen, war sie gleich einverstanden.

Das Gespräch zeigt Joséphine als Ahnin, wie sie es im Prolog schreibt. So ganz anfreunden kann sie sich mit dieser Rolle noch nicht. Aber sie füllt sie aus. Sie hat so viele Geschichten in petto, die vom Leben der Nomaden erzählen und vor allem davon, was dieses Leben erleichtert.

Joséphine Bacon veröffentlicht seit 2008, weil sie einem Traum der mit ihr befreundeten Dichterin Laure Morali gefolgt ist. Heute zählt sie zu den wichtigsten Stimmen der indigenen Dichtung Québecs und ist sehr präsent in der Öffentlichkeit: in den Medien, auf Veranstaltungen und Festivals. Sie schreibt, wie du sagst, um das kulturelle Erbe ihrer Kultur und Sprache festzuhalten und weiterzugeben, und das macht sie, indem sie auf Innu-Aimun und Französisch schreibt. Je nach Thema schreibt sie zuerst in der einen Sprache und übersetzt sich dann in die andere.

Andreas
Während sie ihre ersten beiden Gedichtbände zuerst auf Innu-Aimun verfasst hast, sind die Gedichte in Uiesh. Irgendwo hauptsächlich zuerst auf Französisch entstanden.

Jennifer
Wir haben ihre Gedichte aus dem Französischen übersetzt, ich fand es aber auch spannend, den Blick ins Innu-Aimun zu werfen. Während der Veranstaltung auf den Heidelberger Literaturtagen erzählte Joséphine mir, dass ihre Muttersprache eine sehr poetische Sprache ist. Sie unterscheidet zwischen belebten, also Menschen, Tieren, Pflanzen, und unbelebten Dingen. Ihr Alphabet besteht aus elf Buchstaben: sechs Konsonanten (h, k, m, n, p, s und t) sowie vier Vokalen (a, e, i und u). Im Vergleich mit anderen Sprachen sind die einzelnen Wörter sehr lang. Das liegt daran, dass zusätzliche Informationen wie Personalpronomen, Präpositionen und Partikel als Prä- oder Suffix an die Wortwurzel angefügt werden. Da sich die Varianten innerhalb verschiedener sozialer und geografischer Umgebungen entwickelt haben, können Schreibweisen wie auch die Aussprache variieren. An einigen Orten mischen sich zunehmend Begriffe aus dem Französischen in den Wortschatz. Wenn mir bei einem Wort oder einem Vers Zweifel kamen, schaute ich auf die gegenüberliegende Buchseite, versuchte das Innu-Aimun-Wort zu entschlüsseln und schlug es im Onlinewörterbuch dictionary.innu-aimun.ca nach.

Es half mir dabei, die Geschichten und auch die Bilder und Emotionen hinter den Gedichten besser zu durchdringen. Besonders beim gemeinsamen Übersetzen ihres Gedichtbands fand ich gut, dass wir uns so oft getroffen haben und ohne große Absprachen und Planung gut vorangekommen sind.
Das Übersetzen im Duo ist dir nicht unbekannt. Wie würdest du unsere Zusammenarbeit beschreiben?

Andreas
Ich habe schon öfter Texte zu zweit übersetzt, auch lyrische, teils in sprachparalleler, teils in sprachdiagonaler Konstellation. Was unsere gemeinsame Arbeit interessant und produktiv gemacht hat, war nach meinem Empfinden das kleinschrittige Abgleichen der Textvorlage mit unseren jeweiligen Vorerfahrungen. Du kennst dich sehr gut in Joséphine Bacons Universum aus – wie überhaupt in der Québecer Literatur – hast aber noch wenig übersetzt, ich dagegen übersetze seit zwanzig Jahren, kenne mich in Kanada und Québec aus, aber nicht in der besonderen Welt von Joséphine Bacon. Wir haben es schnell hinbekommen, uns beim Überarbeiten unserer jeweiligen Fassungen die Bälle zuzuspielen. Wir konnten gemeinsam am Text rätseln und basteln, ohne uns auf die Füße zu treten und das ist bei einem Übersetzungsduo ja nicht zwangsläufig so. Wie spannend es war, die ersten Zeilen über das nomadische Leben tatsächlich im Gehen zu lektorieren: Ja, viele in unseren Augen überzeugenden Lösungen haben wir im Gehen gefunden. Hilfreich fand ich es auch, dass wir in unserer „kooperativen Unterschiedlichkeit“ ein ziemlich großes Sprachspektrum abdecken können. Und was für eine große Hilfe war es, dass du den direkten Kontakt zur Autorin hast und mit ihr alle aufkommenden Verstehensfragen abklären konntest. Unser gegenseitiges Gegenlesen kam mir wie ein spannender Ballwechsel vor, der so lange geführt wurde, bis niemand mehr an Worten und Wendungen hängen blieb. Und unsere Treffen im Café Butter hatten außerdem den Vorteil, dass wir uns die aktuellen Gedichtfassungen laut vorlesen konnten. Mit vier Ohren hören und vier Augen sehen zu können, war eine luxuriöse Arbeitsweise, die sich für so kurze, dichte Texte wie Joséphines Gedichte besonders anbietet.
 

Jennifer
Ich würde gerne nochmal auf unsere Arbeitstreffen eingehen. Nachdem wir vom Verlag grünes Licht bekommen haben und jeder für sich die ersten Gedichte übersetzt hatte, haben wir uns zum ersten Mal getroffen. Es war an dem Tag, an dem die Außengastronomie wieder öffnen durfte. Wir verabredeten uns zuerst vor einer Covid-Teststation, um uns auf das Virus testen zu lassen. Mit den negativen Ergebnissen in der Tasche spazierten wir bei herrlichem Sonnenschein und vorbei an blühenden, duftenden Bäumen zum Café Butter. Wir waren die ersten Gäste, bestellten und näherten uns langsam dem Thema an. Beide hatten wir uns vorher das poetische und feinfühlige Filmporträt von Joséphine „Je m‘appelle humain“ mehrmals angeschaut, das beim DOK.fest in München seine Deutschlandpremiere gefeiert hat.

Nachdem ich die ersten Gedichte übersetzt und einige Wörter und Wendungen herausgeschrieben hatte, die mir noch unklar waren, freute ich mich, sie mit dir zusammen zu besprechen. Ich hatte einige Übersetzungen dabei. Wir fingen mit dem Prolog9 an. Er ist wichtig für das Buch und war auch wichtig für uns. Darin mussten wir grundlegende Entscheidungen für den gesamten Band festlegen: Stimmlage, Ton, Rhythmus, die für Bacon charakteristische Kompaktheit. Wir pegelten uns ein, miteinander und mit dem Text. Zwischendurch fielen immer mal wieder Tropfen auf die überarbeiteten Zettel. Es folgten weitere Arbeitstreffen in dem Berliner Café, viele in den Gedichten versunkene Stunden.

Andreas
Und wie spannend war es, dich vom Transkribieren des Gesprächs zwischen Joséphine Bacon und Marie-Andrée Gill berichten zu hören. Da saßen wir mitten im Berlin und du warst die direkte Botin für Erlebnisse und Erfahrungen aus der Tundra.

Jennifer
Was für ein passendes Setting für die Übersetzung dieses Gedichtbands, in dem sich Stadt und Tundra überblenden.

Bei jedem unserer Treffen kam es mir so vor, als ob die Zeit nur so verfliegt. Bei einem unserer Treffen haben wir das Gedicht „Ich lebe in meinen geschriebenen Worten“10 vorgezogen, weil Sonja Finck und Frank Heibert am 24. Juni 2021 bei der Nacht der Québecer Literatur im Literaturhaus München die Grande Dame und ihre Lyrik anteasern wollten. Was für eine schöne Idee.

Wir haben schon von den Versen gesprochen, die schnell gefunden sind. Doch dann gibt es Sätze, die viel Überlegung, Diskussion und Zeit brauchen. Es gab da zum Beispiel diesen kurzen Satz aus dem Gespräch zwischen Joséphine und Marie-Andrée Gill „Ce n‘est pas juste.“ Wir waren mit unserer bisherigen Version nicht glücklich, jonglierten, überlegten in verschiedene Richtungen. Letztendlich stellten wir nur zwei kleine Wörter um und waren beide zufrieden.
[Das ist nicht gerecht. - Das ist so ungerecht.]
Die kürzesten Gedichte haben uns am längsten beschäftigt.

Andreas
Was uns auch beschäftigt hat, war der Umgang mit Schlüsselbegriffen des Lebens der Innu, die im Deutschen sehr sensibel zu übersetzen sind. Ganze Wortfelder sind heute wegen ihres immanenten Rassismus nicht mehr zu gebrauchen. Mit Karl May-Begriffen ist eine respektvolle Annäherung an die Kultur der Innu, ein Versuch des Kennenlernens auf Augenhöhe schwer möglich. Um ein Gefühl für die Unhaltbarkeit einiger Begriffe im Jahr 2021 zu bekommen, genügt es beispielsweise das Kinderlied „Gloria Viktoria“ anzuhören: „Ist das hier Amerika? Da riefen alle Wilden Ja!“ Während unserer Arbeit kamen Nachrichten von unmarkierten Massengräbern neben einstigen kanadischen Zwangsinternaten für die Kinder von Erstbewohnern in die Medien. In uns wuchs der Wunsch, neben den Gedichten, dem Gespräch zwischen Joséphine und Marie-Andrée Gill und den Filmstills aus „Je m‘appelle humain“ auch einige Anmerkungen zum Innu-Aimun und zu sensiblen Begriffen wie premières nations (Erstbewohner), communauté (Gemeinschaft), chef (Chef) sowie ein Glossar11 einzufügen.

Sensible Sprache – sensible Sache

Wer beim Übersetzen ständig mit Sprache umgeht, wie wir Literaturübersetzenden, wird automatisch sensibel mit ihr sein, dachte ich lange. Die Herausforderung unserer Tätigkeit besteht ja darin, sprachliche Nuancen empathisch zu erfassen und wiederzugeben. Wir würden per se sensibel und feinfühlig formulieren. Pustekuchen! Per se passiert gar nichts. Wir müssen uns aktiv um Kenntnis zum Stand von Debatten bemühen. Also los, lieber Mainstream, tun wir’s!

Vor allem drei Sprachbereiche haben in den letzten Jahren Dynamik entwickelt, endlich, die uns Übersetzende ganz konkret bei unser täglichen Arbeit betreffen: unsere Sprache zur Beschreibung von Gender, Hautfarbe und Herkunft.

Erfahrungsgemäß sind strukturelle Ungleichbehandlung und Gewalt für ihre Zähigkeit bekannt. Missstände scheinen wie in Sprache betoniert. Inwiefern die Debatten und Bewegungen der letzten Jahre nun tatsächlich etwas an den gesellschaftlichen Verhältnissen ändern können, am sozioökonomischen Unterbau und wie schnell, steht auf einem anderen Blatt. Im Sprachgebrauch ist ein deutlicher Wandel aber Realität.

Schauen wir im Detail darauf:

Hashtag Gender: Vor fünfzehn Jahren hätte ich wahrscheinlich noch ohne das leiseste Gefühl von Unangemessenheit „wir Übersetzer“ geschrieben, generisches Maskulinum, obwohl ich damals schon wusste, dass über 80% der Übersetzenden Frauen sind – falsch, als Frauen von anderen wahrgenommen und behandelt werden. Hier korrigiert mich meine Tochter. Sie hat Recht, Rollenzuschreibungen sind eine mächtige, fiese Sache. Vor drei Jahren hätte ich LiteraturübersetzerInnen geschrieben, vor zwei Jahren Literaturübersetzer*innen, seit einem Jahr bin ich mit Literaturübersetzer·innen sehr froh, erfreue mich am Neuzugang des Middle Dots auf der genderpolitischen Tastatur. Was hat die Entwicklung hin zu einer gendersensibleren Sprache so beschleunigt? Die Sprachsoziologie wird diese Frage genauer beantworten können – ja, vor 15 Jahren wären es noch die Sprachsoziologen gewesen –, aber die Dynamik der Gender-Debatte ist sicher nicht losgelöst von der #MeToo-Bewegung zu sehen, die im Oktober 2017 in der breiten Bevölkerung ankam.

Was aber bedeuten Gender-Debatte und MeToo-Bewegung konkret für unsere Arbeit beim Übersetzen? Zuallererst mal müssen wir klar unterscheiden: Bei der Gender-Debatte geht es um die Vielzahl der Geschlechter und deren möglichst diskriminierungsfreie und differenzierte Darstellung, bei der MeToo-Bewegung geht es um Sexismus.

Wie mit Sexismus in literarischen Texten umgehen? Die Übersetzung sexistischer Texte gar nicht erst annehmen. Zeigt sich der Sexismus erst nach Vertragsschluss bei der Arbeit am Text, im Kreis der Ü-Gemeinschaft und mit dem Lektorat darüber reden, sich Hilfe holen, gemeinsam über das weitere Vorgehen nachdenken, auch hier das Schweigen brechen.

Erweisen sich Texte nicht als offen sexistisch, sondern beispielsweise als subtil strukturell misogyn, halte ich es für vollkommen gerechtfertigt, dass wir eingreifen: Seit Flandern und die Niederlande Gastland auf der Buchmesse in Frankfurt waren, also seit 2016, gibt es eine kleine Gruppe von Üs, die sich sportlich darin üben, etwa bei allzu plumpen stereotypen Rollenbildern von Figuren in literarischen Texten, deren Geschlecht teilweise zu variieren und umzuverteilen. Am unaufmerksamen oder stillschweigenden Lektorat vorbei. Wo im Original der Arzt und die Pflegerin in der Nebenhandlung ihren jeweils hoch und niedrig angesehenen Aufgaben nachgehen, sind es in der Übersetzung die Ärztin und der Pfleger. Die Verkäuferin wird ein Verkäufer und der Pilot eine Pilotin. Zur Nachahmung empfohlen.

Nun zum Gendern: Wie können wir eine gendergerechte Sprache für unsere Übersetzungen finden? Hilfreich sind bei dieser Frage die Beiträge zum „Gendern in der Belletristik“ aus dem Börsenblatt-Newsletter, etwa von der Übersetzerin Maria Poets. Die Beiträge zeigen die Bandbreite der Haltungen und Möglichkeiten, die wir haben. Ganz konkret sind in Übersetzungen aus dem Englischen an vielen Stellen weibliche beziehungsweise genderoffene Formen anstelle des generischen Maskulinums zu wählen: Vorbei ist die Zeit, in der in zeitgenössischen Texten beispielsweise „the pupils“ oder „the students“ unreflektiert mit „die Schüler“ oder „die Studenten“ übersetzt werden kann. Je nach literarischer Stimme ist zu entscheiden, wie gegendert werden soll, oder – ganz bewusst – auch nicht. Richtschnur dafür kann die Frage sein, wie wohl von dieser Stimme ein deutschsprachiger Originaltext formuliert würde: mit Gender-Sternchen, Middle Dots, generischem Maskulinum, Umgehungsstrategie, Neuwortschöpfungen – so viel ist möglich.

Besonders sensibel ist bei der Übersetzung historischer Texte vorzugehen, wenn sich im Spannungsfeld zwischen historischer Authentizität und heutigen Maßstäben von Angemessenheit die Gender-Frage wieder ganz anders stellt. Bei historischen Texten spielt nochmal mehr die Textsorte und die Rahmung eine große Rolle. Gedankenpause. Lisa Eckhart spricht in punkto Gendern von einem „bunten Bastard aus Dekonstruktion und Essentialismus“ und hat kein Interesse an einem „sprachlichen System“, das uns „in ein Korsett schnürt“, in dem „jeder Angst hat, den anderen zu belästigen“. Nochmal Gedankenpause.

Hashtag Hautfarbe: Wenn die Wiener Sängerin Gustav in ihrem durch und durch provokanten Song „Rettet die Wale“ 2004 noch singt „und sagt nicht Neger und nicht Tschusch“ (im Imperativ), so lautet die Zeile 2011 bei einem Live-Auftritt „und sagt nicht N und sagt nicht Tschusch“. Von den beiden abwertenden Bezeichnungen ist eine in den dazwischenliegenden sieben Jahren unaussprechlich geworden. Die andere nicht. Die Debatte um abwertende Bezeichnungen für Menschen mit dunkler Haut währt also schon lange, die Tötung von George Floyd im Mai 2020 und der darauffolgende weltweite Aufschrei hat die Diskussion um abwertende Begriffe aber in die breite Bevölkerung gebracht und dynamisiert. Gustavs Haltung gegenüber PoCs hat sich über all die Jahre wahrscheinlich nicht verändert, die sprachlichen Gepflogenheiten aber schon. Vor einem Jahr hätte ich „PoCs“ im Onlinewörterbuch nachschauen müssen. Heute führt für viele Textsorten kein Weg an der Bezeichnung vorbei, die zumindest von einem Teil der Menschen mit dunkler Haut als Selbstbezeichnung akzeptiert ist. Im Englischen. Was bedeutet das für Übersetzungen ins Deutsche? Bislang sind Bezeichnungen wie „farbig“ und „schwarz“ geläufig, doch ist denen mit Recht vorzuhalten, dass sie die Norm als „weiß“ definieren, von der „farbig“ und „schwarz“ abweichen. Und wer bestimmt, was die Norm ist? Es kommt Bewegung in die Reihen der strukturell ungleichbehandelnden Begriffe. Wörter, denen ein Kondensat ihrer rassistischen Geschichte anhaftet, sind nur noch gut für die Tonne. Die Recyclingtonne? Wohl kaum. Bedeutungsverschiebungen haben sich auf der Skala von „wertschätzend“ über „neutral“ zu „abwertend“ allzu oft in Richtung „abwertend“ vollzogen. Einmal dort angekommen gibt es keine Aussicht auf Rehabilitation. Und das ist auch gut so, denn sie waren und sind die Vehikel für Leid und Erniedrigung. Doch nun, wie weiter? Es besteht Begriffsbedarf. Nicht dass ich glaube, das Austauschen von ein paar Begrifflichkeiten würde strukturellen Rassismus beenden können. Rassismus springt von einem alten auf ein neues Wort über, schneller als man es tippen kann. Der Bedarf besteht in einem ganz praktischen Sinn: Irgendeinen Begriff müssen wir uns doch geben, um rassismusfrei beispielsweise über die Unterrepräsentation von Menschen mit dunkler Haut in der Übersetzungsbranche debattieren zu können. Das Übernehmen des englischen „PoC“, auch das Großschreiben von Schwarz und Braun ist da ein Versuch. Ein erster. Bemühter. Gedankenpause.

Hashtag Herkunft: Sensibler Umgang mit Sprache ist auch bei den Bezeichnungen von Menschen, die kolonialisiert und ihrer kulturellen Identität beraubt wurden, eine Herausforderung für uns Übersetzende. Die Frage, wer die Berechtigung hat, über einstmals kolonialisierte Menschen zu schreiben, und dass die Betroffenen sich im besten Fall natürlich selbst zu ihren Belangen und ihrer Geschichte äußern, spielt natürlich auch in unser Vorgehen beim Übersetzen mit hinein. Was kann gegen latent oder offen diskriminierende Darstellungen in Übersetzungen helfen? Viel Recherche, möglichst viel Austausch mit den Autor·innen, möglichst keine folklorisierenden und damit herabsetzenden Begriffe. Das Wortfeld (im Dornseiffschen Sinn) der Karl May-Romane ist wenig geeignet, den heutigen Lebensrealitäten einst kolonisierter Menschen gerecht zu werden. In Texten über die Erstbevölkerung Kanadas ist heute im Englischen von den „First Nations“, im Französischen von den „Premières Nations“ die Rede. Wie lassen sich diese Begriffe übersetzen? „Nationen“ würde für die Gemeinschaften, die im einzelnen „Mi’kmaq“, „Cree“, „Mohawk“, „Naskapi“, „Innu“ usw. heißen, im Deutschen nicht funktionieren. „Gemeinschaft“ klingt vielleicht ungewohnt, ist aber einer der Begriffe, die ein Karl May-Vokabular ersetzen können, das Vehikel für Erniedrigung war und ist.

Mit den Eigennamen der Gemeinschaften lässt sich in deutschsprachigen Texten ohne Befangenheit formulieren, da sie Selbstbezeichnungen sind. Der Begriff „indigen“ hingegen, der in manchen heutigen Übersetzungen auftaucht, klingt in meinen Ohren nach ethnologischer Fachsprache und lässt den Begriff „eingeboren“ durchscheinen, dessen sprachhistorisches Gepäck ihn auf der Skala von „wertschätzend“ über „neutral“ bis „abwertend“ nach unten zieht. Oder lässt sich ein Begriff durch häufigen wertschätzenden Gebrauch auf der besagten Skala doch nach oben ziehen? Gedankenpause.

Fazit: Seien wir beim Übersetzen sensibel und dennoch frei und kreativ – und in unseren Entscheidungen so vielfältig wie die Originalstimmen!

Andreas Jandl

Jennifer
Das erste und letzte Gedicht sind in Französisch, Innu-Aimun und Deutsch abgedruckt. Das haben wir dem Verleger Jörg Becken so vorgeschlagen und er fand die Idee auch sehr gut.

Übrigens gibt es eine auch virtuelle Begegnung12 zwischen Jörg Becken und Joséphine Bacon für die Videoreihe „Québec im Gepäck“ des Verlegerverbands Québec Édition.

Ende Juni haben wir unsere Übersetzung fertiggestellt und sie an den Verlag geschickt. Als wir dann das fertige Buch noch einmal geprüft haben, bevor es in den Druck ging, war das ein toller Moment.

Ich bin gespannt, wie die deutschsprachigen Leser·innen es aufnehmen werden. Bei den Heidelberger Literaturtagen war das Interesse groß und das Publikum fragte, was von Joséphine Bacon auf Deutsch verfügbar wäre. Jetzt können wir sagen: Uiesh. Irgendwo.

Joséphine, die damals zugeschaltet war, richtete sich mit folgenden Worten ans Publikum:
„Ich hoffe, dass ich euch bald in Deutschland besuchen werde, um euch, die ihr mich heute empfangt, die Geschichten meiner Ahnen zu erzählen.“

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Videobotschaft von Joséphine Bacon


Mit freundlicher Genehmigung der Heidelberger Literaturtage der UNESCO-Literaturstadt Heidelberg und der Dichterin Joséphine Bacon.


Joséphine Bacon, geboren 1947 in Pessamit, ist Dichterin, Übersetzerin, Geschichtenerzählerin und Dokumentarfilmerin. Sie hat ihr Leben dem Zuhören und Weitergeben des Wissens der Ältesten gewidmet. Als Zeugin einer Ära, die von der Moderne fast vollständig überformt wurde, ist sie die erste ihrer Generation, die sich mit Charisma und Sensibilität gegen das Vergessen und Verschwinden ihrer Sprache, Kultur und Traditionen einsetzt. Sie wurde mehrfach ausgezeichnet, u.a. erhielt sie für die weltweite Vermittlung ihrer Sprache und Kultur 2019 in Paris den „Prix Samuel de Champlain“. 2020 feierte der Dokumentarfilm „Je m‘appelle humain“ mit ihr und über sie Premiere. „Uiesh. Quelque part“ (2018 bei Mémoire d‘encrier in Montréal erschienen) ist ihr dritter Gedichtband und wurde neben weiteren Preisen 2019 mit dem „Prix des libraires du Québec“ und dem „Prix littéraire des enseignants de français“ ausgezeichnet.

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Jennifer Dummer studierte französische Literaturwissenschaft in Mainz, Berlin und Montréal. Auf jennismusikbloqc.com und quelesen.com informiert sie über die Québecer Musik- und Literaturszene. 2019 war sie Goldschmidt-Stipendiatin. 2020 erschien ihre zweisprachige Anthologie „Pareil, mais différent - Genauso, nur anders“ (dtv) mit Kurzgeschichten von frankokanadischen und Québecer Autor·innen. www.jenniferdummer.com


Andreas Jandl übersetzt seit 2000 aus dem Französischen und Englischen, vor allem Belletristik und Dramatik. Zu seinen Übersetzungen zählen u.a. Werke von Daniel Danis, Nicolas Dickner, Christian Guay-Poliquin, Marie-Renée Lavoie, Jennifer Tremblay und Gaétan Soucy. Für seine Arbeit wurde er mit dem Christoph-Martin-Wieland-Übersetzerpreis (zusammen mit Frank Sievers) und dem Eugen-Helmlé-Übersetzerpreis ausgezeichnet.

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