Journale Prosa Zwei plus x

Zwei plus x

Journal zur Übersetzung von Najat El Hachmis Roman Am Montag werden sie uns lieben

Zweiheit
Schlichte Geschichte?
Kann ich das?
Aber darf ich das überhaupt?

Zweiheit

Die katalanische Schriftstellerin Najat El Hachmi hat ihren neuen Roman in zwei Sprachen zugleich geschrieben. Es ist das erste Mal, dass sie so verfährt. Ihre vorigen Bücher (vier Romane und zwei Sachbücher) schrieb sie alle auf Katalanisch. Heimisch fühlt sie sich, wie sie sagt, in beiden Sprachen gleichermaßen – im Katalanischen wie im Spanischen. Auf Spanisch schreibt sie seit Jahren für Zeitungen, zum Beispiel ihre Kolumne in El País. Nun also hat sie die zweite Sprache ihrer Heimat auch als literarisches Idiom verwendet.

Und prompt zeigt der Kulturbetrieb seine üblichen Reflexe: Wo die große der beiden Sprachen ins Spiel kommt, wird die kleine verschwiegen. Najat El Hachmi veröffentlichte ihren Roman im Frühjahr 2021 gleichzeitig als Dilluns ens estimaran auf Katalanisch und als El lunes nos querrán auf Spanisch (Kastilisch). Doch selbst die katalanische Wikipedia nennt nur den spanischen Titel. Und einhellig vermeldeten die ersten Rezensionen, El Hachmi habe die Sprache gewechselt.

Die Autorin selbst sagt dazu: »Ich hatte große Lust, das Kastilische als Sprache auch für mein literarisches Schreiben zu erkunden. Zugleich wollte ich aber nicht auf die Sprache verzichten, in der ich seit jeher geschrieben habe. Deshalb habe ich bei der Arbeit an dem Roman immer wieder hin und her gewechselt zwischen Kastilisch und Katalanisch.«

In der Tat also ein Sprachwechsel, aber ein ständiger. Immer hin und her, der im Alltag gelebte Bilingualismus als Schreibverfahren. Wobei die Welt von Najat El Hachmi, sowohl die ihrer Bücher als auch ihre Lebenswelt, nicht nur diese beiden Sprachen hat, sondern noch eine dritte: das Amazigh, eine Variante des Berberischen, die Sprache ihrer Eltern und Vorfahr·innen. In Gestalt einzelner Wörter ist es in El Hachmis Belletristik präsent. Die Zweiheit der Sprachen im Roman ist ein zwei plus x.

Die eben zitierte Aussage Najat El Hachmis stammt aus einem Gespräch, das wir im April 2021 auf Einladung des Literaturhauses Berlin miteinander führten. Anlass war die Vorstellung ihres Romans »La filla estrangera«, den ich ebenfalls in Deutsche übersetzen durfte (er ist unter dem Titel »Eine fremde Tochter« bei Orlanda erschienen, da die wörtliche Übertragung, »Die fremde Tochter«, auf Deutsch schon an mehrere andere Bücher vergeben war). Und weil in Spanien gerade »Dilluns ens estimaran / El lunes nos querrán« veröffentlicht worden war, gingen wir am Ende der Veranstaltung auch schon kurz auf das neue Buch ein.

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Najat El Hachmi: »Eine fremde Tochter«
Die Autorin im Gespräch mit Michael Ebmeyer im Literaturhaus Berlin 2021.

Die Zweiheit des Romans nehme ich mit in die Übersetzung. Ich arbeite mit beiden Versionen, der katalanischen und der spanischen. Am 11. Mai 2021 fange ich an. Und weil ich zum Glück in dieser Zeit einen Büroraum nutzen kann, richte ich mir zwei Arbeitsplätze ein: Zuhause habe ich die katalanische Fassung, im Büro die spanische.

Wieder zwei plus x: Ein dritter Ort, in dem ich zumindest ein wenig an der deutschen Fassung schreibe, ist die Bretagne. Ein kleiner Sommerurlaub inmitten eines sehr anstrengenden Jahres, so der Plan. Zerschossen, weil, kaum dort angekommen, mein Name im Zusammenhang mit einem ohne mein Zutun verunglückten politischen Buchprojekt durch die Medien zu geistern beginnt und ich bis zu meinem einzigen öffentlichen Statement in der Sache (Mitte Juli auf Facebook) Tag für Tag zig Journalist·innen am Telefon vertrösten muss.

Aber neben Landschaft und Küche ist es tatsächlich die Arbeit mit »Dilluns ens estimaran«, die mich die absurden zwei Wochen doch ganz gut überstehen lässt. Denn es ist mir eine große Freude, Najat El Hachmi zu übersetzen.

In der Bretagne habe ich die katalanische Fassung des Romans mit.

Schlichte Geschichte?

Zwei Protagonistinnen hat »Am Montag werden sie uns lieben«1: die Ich-Erzählerin und ihre beste Freundin aus der Jugend und den jungen Erwachsenenjahren. Der Roman ist ein langer Brief der Erzählerin an diese Freundin, deren Name nicht genannt wird. Und natürlich gilt auch hier wieder zwei plus x, haben doch zumindest die Mutter der Erzählerin sowie Sam – ein weiteres Mädchen aus der Siedlung »in der Vorstadt einer Vorstadt« von Barcelona, wo die beiden in einer Gemeinschaft berberisch-marokkanischer Migrant·innen heranwachsen – ebenfalls fast den Stellenwert von Hauptfiguren.

»Den Ausdruck ›aus zwei Welten kommen‹ hatte ich gehasst. Wir kamen bloß aus diesem Viertel, nicht aus zwei Welten«, schreibt die Erzählerin; auch ihr Name fällt im Roman erst kurz vor Schluss und nur einziges Mal. Doch wie unerbittlich den Mädchen, und mehr noch dann den jungen Frauen und Müttern, gerade dies aufgebürdet wird – zwei Welten anzugehören –, ist das große Thema des Romans. Gewidmet den »Mutigen, die vom rechten Weg abwichen, um frei zu sein« (erster Übersetzungshaken: Im Katalanischen wie im Spanischen sind »die Mutigen« gegendert [»les valentes«/»las valientes«]; im Deutschen müsste ich »die mutigen Frauen« oder »Mädchen« schreiben, um diese Eindeutigkeit wiederzugeben; sie geht allerdings aus dem Text so klar hervor, dass ich »die Mutigen« hier lieber als generisches Femininum gebrauche und damit die Kompaktheit des Widmungssatzes beibehalte), erzählt er die Geschichte einer schmerzhaften Emanzipation. Zumal, während die Protagonistinnen sich mühsam aus den Zwängen freikämpfen, die ihre Herkunftsgemeinschaft ihnen auferlegt, diese Gemeinschaft ihrerseits immer reaktionärer wird:

 

»Deswegen machten sie solchen Druck mit dem verdammten Kopftuch, behaupteten, es sei eine religiöse Vorschrift. Sie redeten vom Beginn der Zeiten, von Mohammed und seinen Frauen, vom Koran. Doch ich forschte nach, was davon stimmte, und ich fand nichts. ›Verbergt den Schmuck, den ihr tragt‹, hieß es in der Sure zu der Frage, wie sich Frauen kleiden sollten. Die ersten Frauen, die in der Siedlung gelandet waren, hatten knielange Röcke und unbedeckte Haarknoten getragen. Nun legte sogar deine Mutter das Kopftuch an.«

 

Und nicht nur der Repression von ›zu Hause‹ sind die Protagonistinnen ausgesetzt, sondern ebenso dem – teils unverhohlenen, teils in herablassende Gutmenschlichkeit gekleideten – Rassismus der ›Mehrheitsgesellschaft‹. Sie werden dreifach diskriminiert, als Frauen, als »Moras«2 und als der Unterschicht Zugeordnete. Aus diesen drei Komponenten setzen sich »les cotilles que ens comprimien« zusammen, und der Roman ist die Chronik der verzweifelten Versuche, diese »Korsette, die uns einschnürten« zu sprengen – im Wechsel mit den noch verzweifelteren Versuchen, sich den Forderungen der Umgebung anzupassen: »Am Montag werden wir andere Menschen sein. Am Montag werden sie uns lieben.«

Einige spanische Rezensent·innen haben bekrittelt, El Hachmis Prosa lasse es diesmal an »literarischer Arbeit« mangeln und sei sprachlich zu schlicht. Ich glaube, dieser Vorwurf hat seinerseits den schlichten Grund, dass der Roman, anders als zum Beispiel »Eine fremde Tochter«, kaum mit offenkundigen literarischen Referenzen aufwartet. Das würde zu der gewählten Form auch nicht passen.

Bei der »fremden Tochter« haben die intensiven, identifikatorischen Lektüren von Klassikern der katalanischen Moderne (vor allem »Laura in der Stadt der Heiligen« von Miquel Llor und »Ramona, adéu« von Montserrat Roig), aber auch die Auseinandersetzung mit Nietzsche oder Erich Fromm entscheidende Bedeutung für den Aufbruch der Hauptfigur. Einen ähnlichen Weg der persönlichen Entfaltung und Distanzierung als Leseratte erschließt sich zwar auch die Erzählerin in »Am Montag …« – nicht jedoch die Adressatin ihres Briefs. Und für keine der beiden bietet Bildung wirklich einen Ausweg aus den Konflikten, in denen sie stecken.

Konsequenterweise wird ›das Literarische‹ in »Am Montag werden sie uns lieben« eher beiläufig und in eher bitterem Ton verhandelt. Über ihre Beziehung mit einem Universitätsdozenten bemerkt die Erzählerin: »Die soziale Klasse, der er angehörte, war für mich etwas sehr Exotisches. Doch die Begeisterung für das Exotische ist nicht von Dauer. Das Andere hört auf anders zu sein, wenn es zum Alltag wird.«

Alltag ist ein zentrales Stichwort, um die Erzählhaltung von »Dilluns… « / »El lunes …« zu charakterisieren. In die Routinen, die Demütigungen, den Schmerz des Alltags taucht El Hachmis Prosa tief ein, brennend sinnlich, erbarmungslos präzise. Diese bodenständige, drängende »Schlichtheit« wiederzugeben, ist hier die Herausforderung beim Übersetzen.

Kann ich das?

Als schwer zu übersetzen gilt Prosa, die besonders komplex ist oder sprachlich eigenartig – und Lyrik, fast durchweg. Im Einzelfall hängt es aber vor allem von den Vorlieben oder Stärken der Übersetzer·innen ab, was sie selbst als schwierig empfinden. Mir macht die Lyrikübersetzung mit ihren multiplen Zumutungen in Sachen Form, Klang, Rhythmus und Komprimierung geradezu unendlichen Spaß. Wenn ich ein Gedicht mag, ist die Mühsal, es einzudeutschen, ohne dass es seine Glut und Anmut verliert, für mich meistens mit Glücksgefühlen verbunden.3

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Michael Ebmeyer über "Página blanca" / "Weißes Blatt" | Humberto Quino

Internationales Lyriktreffen in Münster

Auch wenn ich Prosa übersetze, suche ich nach der speziellen Musikalität des Textes und versuche für sie ein Äquivalent in meiner Sprache zu finden. Das Getriebene in Najat El Hachmis Erzählton gilt es ebenso zu transportieren – oder transponieren – wie das Elegische; das Unverblümte wie das um Sagbarkeit Ringende; den Spott, die Wut, die Trauer. Das zu schaffen oder daran zu scheitern ist keine Frage der Semantik. Natürlich muss die Übersetzung ›korrekt‹ sein. Aber das heißt auch, sie darf hinter der Wucht des Originals nicht zu weit zurückbleiben.

Beziehungsweise: der Originale. Schließlich ist es ein doppelter Text. In unserem oben verlinkten Gespräch sagte Najat El Hachmi, sie habe am Ende die spanische und die katalanische Version des Romans »in Einklang gebracht, was sehr viel Arbeit war – ein komplizierter, aber auch sehr interessanter Prozess. Denn in manchen Momenten entfernten sich die beiden Texte voneinander.«

Auch das Parallel-Schreiben auf Spanisch und Katalanisch wurde also, zumindest phasenweise, zum Übersetzen. Ich frage Najat, ob es nicht reizvoll gewesen wäre, die Abweichungen, die sich zwischen beiden Fassungen ergaben, stehenzulassen. Ihre Antwort:

»Ich weiß nicht, ob man das machen könnte – zwei Fassungen des gleichen Buchs in zwei Sprachen veröffentlichen, dieselbe Autorin, der gleiche Titel, die sich inhaltlich unterscheiden. Ich bin mir nicht sicher, ob das korrekt wäre. Für mich selbst habe ich entschieden: Nein, es muss alles komplett gleich sein.«

Aber Sprachen sind schlüpfrig und eigensinnig. Was Najat El Hachmi natürlich weiß, bloß diplomatisch ausdrückt: »Für mich war es interessant zu merken, dass ich beim Schreiben auf Kastilisch viele Dinge überprüfen musste, die ich beim Schreiben auf Katalanisch völlig verinnerlicht habe.«4

Dass beide Originalfassungen des Romans identisch sein müssen, ist vor allem eine Parole des Literaturbetriebs; auch wenn – oder gerade weil – dann in der Rezeption so getan wird, als gäbe es nur ein Original, nämlich das spanische. Und beim genau Hinschauen stellt sich heraus: Sie sind nicht identisch. Nur fast. Und dieses ›fast‹ ist faszinierend.

Zum Beispiel die folgenden Zeilen – auf Seite 14 im spanischen, Seite 13/14 im katalanischen Original –, in denen die Erzählerin beschreibt, warum die Freundin, an die sie ihren Brief richtet, ihr so viel bedeutet.

Auf Spanisch lauten sie: »Fuiste alguien muy importante para mí en un tiempo decisivo. Sin ti, estoy segura, mi vida hubiera sido muy distinta. Pude crecer cogiéndome de tu mano, fuiste un asidero indispensable sin el que estoy convencida de que no hubiera sobrevivido.«

Und auf Katalanisch: »Durant uns anys decisius vas ser molt important per mi. Sense tu, n’estic segura, la meva vida hauria estat del tot diferent. Vaig créixer arrecerada a tu, tu vas ser el meu agafador, sense tu, n’estic convençuda, no hauria sobreviscut.«

Die Unterschiede, mehr oder weniger subtil, lassen sich nicht vollständig auf die verschiedenen ›Funktionsweisen‹ der beiden Sprachen zurückführen. Im ersten Satz steht auf Spanisch die zweite Person Singular am Anfang (»Fuiste«), auf Katalanisch wird der Nebensatz vorgezogen, und aus der »entscheidenden Zeit« (»tiempo decisivo«) werden »entscheidende Jahre« (»anys decisius«). Und so weiter, allein über so ein paar Zeilen ließe sich ja ein ganzer spachvergleichender Essay auswalzen.

Die, wie ich finde, interessanteste Abweichung ist »Pude crecer cogiéndome de tu mano« auf Spanisch und »Vaig créixer arrecerada a tu« auf Katalanisch. Die spanische Formulierung, Wort für Wort übersetzt, lautet: »Ich konnte heranwachsen, mich festhaltend an deiner Hand«. Die katalanische Version verzichtet auf das »konnte« (»Vaig créixer« – »Ich wuchs heran«) und auf das Bild der Hand. An dessen Stelle greift sie auf das Verb »arrecerar« zurück, das sich auf Deutsch mit »Schutz suchen« wiedergeben lässt. Auf Spanisch wird die Freundin eher als Leitfigur eingeführt, auf Katalanisch als Beschirmerin. Eine etwas andere Gewichtung, und ähnliche Beispiele finden sich zahlreich im Text.

(Ach ja: Meine Übersetzung der Stelle ist Exempel für eine fragwürdige Technik, die ich Emphasenverschiebung nenne. Sie liest sich überschwänglicher als die beiden Originale, weil mir – um der Musikalität des Textes gerecht zu werden – ein Ausgleich nötig schien für einige umgebende Passagen, in denen das Deutsche kühler bleibt als die Ausgangssprachen:

»In den entscheidenden Jahren meines Lebens warst du der wichtigste Mensch für mich. Ohne dich, da bin ich mir sicher, wäre dieses, mein Leben ganz anders verlaufen. Ich wurde in deinem Schutz erwachsen, du warst mein Halt, ohne dich hätte ich nicht überlebt.«)

Beim Übersetzen aus beiden Fassungen des Romans stellt sich also immer mal wieder die Frage: Welcher von den beiden folge ich? Eine pragmatische Antwort würde lauten: der katalanischen, denn meine Übersetzung wird vom Institut Ramon Llull gefördert, weshalb es in der deutschen Buchfassung auch heißt »Aus dem Katalanischen von Michael Ebmeyer«. Aber ich fände es schade, mich mit so einer schematischen Lösung der Zweiheit zu entziehen. Meine Übersetzung ist ein Hybrid (und wirkt hoffentlich dennoch wie aus einem Guss).

Um mich zum Ende dieses Abschnitts noch ein bisschen aus dem Fenster zu lehnen: Ich wüsste zwar nicht zu entscheiden, welches der beiden Originale mir besser gefällt. Aber ich würde sagen, das katalanische ist in den emotionalen und zwischenmenschlichen Momenten etwas stärker. Das spanische dafür in den eher analytischen, deskriptiven – und vielleicht auch im Witz.

Aber darf ich das überhaupt?

Ein Berliner Ostwestfale mit käsiger Haut, ohne nennenswerten Migrationshintergrund und ohne islamische Prägung: Kann ich geeignet sein, Texte einer im Rif-Gebirge geborenen und mit acht Jahren nach Katalonien ausgewanderten Autorin zu übersetzen? Ich bin ja nicht einmal eine Frau.

Dass diese Legitimationsfrage in meinem Fall bisher nicht aufkam, obwohl »Am Montag …« schon der zweite Roman von Najat El Hachmi ist, den ich übersetze, und beide aus der Perspektive junger Frauen mit berberischem Hintergrund geschrieben sind, dürfte mehrere Gründe haben. Vor allem einen praktischen: Katalanisch ist eine kleine Sprache, und wir sind wenige, die aus ihr ins Deutsche übersetzen. Bei Übersetzungen aus dem Englischen, wo die Zahl der Kolleg·innen sehr groß ist, lassen sich identitätspolitische Forderungen recht leicht erfüllen. Beim Katalanischen würde es oft darauf hinauslaufen, dass Texte gar nicht oder nur mit erheblicher Verzögerung auf Deutsch erscheinen könnten.

Ich will es mir aber in der Nische nicht bequem machen. Die Binsenweisheit, dass beim Übersetzen der Text schon vorliegt und trotzdem neu erschaffen werden muss und es dabei nicht auf biographische oder sonstige Ähnlichkeit zwischen Autor·in und Übersetzer·in ankommt, sondern auf genaue Lektüre, fundierte Recherche und eine Extraportion Sprachgefühl, reicht als Argument nicht aus. Denn sie vernebelt das Problem, dass ich, egal wie sorgfältig ich arbeite, den Text von einem ganz anderen Ort aus übertrage als dem, an dem Najat El Hachmi ihn geschrieben hat.

An diesem Punkt greift auch der Verweis auf die eigene poststrukturalistische Schulung zu kurz. Der Abschied vom totalisierenden Konzept »Autor« und die Anerkennung des unbezähmbaren Spiels der Differenzen in jedem Text/jeder Lektüre mögen ein grandioser empanzipatorischer Akt sein. In der sozialen Praxis und erlebten Wirklichkeit bestehen hierarchische, misogyne und rassistische Muster dennoch fort, bleiben Mechanismen der Herrschaft und Unterdrückung wirksam (als »Dispositive der Macht«, um hier noch einen Foucault einzustreuen) – und mahlen die Alltagsmühlen weiter.

In »Am Montag werden sie uns lieben« findet sich auch dazu die passende Stelle:

»Ich erwischte mich dabei, wie ich während der Kurse in Gedanken zu meiner Einkaufsliste fürs Abendessen abschweifte oder zum Schwimmkurs meines Kindes am nächsten Tag, anstatt mich auf hybride Subjektivitäten, den Tod des Autors oder die Dekonstruktion literarischer Verfahren zu konzentrieren. Nur für den Abschluss studierte ich weiter.«

Selbstverständlich wünsche ich mir, ein guter Übersetzer von Najat El Hachmis Texten zu sein. Ich traue es mir auch zu. Aber nur, wenn ich mir dabei meiner blinden Flecken so bewusst wie möglich bin (ohne zu glauben, dass sie sich damit vollends erhellen können). Wenn ich mir nicht einbilde, den Text ›im Griff zu haben‹, sondern ihm immer mit der Haltung des Lernenden, Fragenden begegne. Eine Übersetzung wie diese kann, denke ich, nur gelingen, wenn sie Ausdruck eines Lernprozesses ist.

Und so verlockend es sein mag, sich vor den Herausforderungen der Wokeness in taktische, (vorgeblich?) postmoderne Ironie zu flüchten: Mir scheint es produktiver und nicht zuletzt dem Spiel der Differenzen angemessener, die neu formulierten Einwände gegen das Anything Goes ernst zu nehmen und meine Arbeit anhand dieser Einwände zu hinterfragen.

Ein Luxus-Traum: Es gäbe mehrere deutsche Fassungen von Najat El Hachmis Roman, oder zumindest von Passagen daraus. Die anderen Übersetzer·innen wären Frauen mit ähnlichem Hintergrund wie die Autorin. Und wir könnten untersuchen, ob und wie sich Unterschiede zwischen den Versionen auf die unterschiedliche lebensweltliche Nähe zurückführen lassen. Aber vielleicht existiert so etwas ja längst als Forschungsprojekt, vielleicht mit Texten aus einer größeren Sprache.

Ich habe überlegt, Najat El Hachmi selbst zu fragen, wie sie es findet, dass ein weißer Mann sie übersetzt. Aber was sollte sie darauf in diesem Rahmen schon antworten, ich habe sie als einen sehr höflichen Menschen kennengelernt. Lieber frage ich es sie ganz direkt, wenn wir – hoffentlich – gemeinsame Veranstaltungen machen können mit »Am Montag werden sie uns lieben«.

 

 

Fußnoten
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Leseprobe Leseprobe PDF

Michael Ebmeyer ©privat

Michael Ebmeyer ist Autor und Übersetzer aus dem Spanischen, Katalanischen und Englischen. Er hat Romane wie »Plüsch«, »Der Neuling« (verfilmt als »Ausgerechnet Sibirien«) und »Landungen«, aber auch Sachbücher wie die »Gebrauchsanleitung für Katalonien« geschrieben. Zuletzt sind folgende von ihm übersetzte Titel erschienen: Jordi Puntís Fußballbuch Messi. Eine Stilkunde (aus dem Katalanischen), Kunstmann, München 2020. Die Lyrikbände Sprengkopf von Néstor Mendoza und Chaosforschung von Rery Maldonado (aus dem venezolanischen und dem bolivianischen Spanisch), jeweils bei hochroth Heidelberg, 2020. Najat El Hachmis Roman Eine fremde Tochter (aus dem Katalanischen), Orlanda, Berlin 2020. Jesús Ortegas Kurzgeschichten Der Nagel an der Wand (aus dem Spanischen), hochroth Heidelberg 2021. Die zweisprachige Gedichtauswahl Jemand anders sein und es nicht wissen / Como ser otro y no saberlo von Humberto Quino (aus dem bolivianischen Spanisch), hochroth Heidelberg 2021.

Homepage: https://michaelebmeyer.wordpress.com

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