Journale Von Hunden und Menschen

Fiktives Interview mit der Schäferhündin Cessy

Hallo Cessy. Ich erlaube mir, dich zu duzen, wenn das in Ordnung für dich ist, und ich bedanke mich sehr für deine Bereitschaft, den Leser·innen des TOLEDO-Journals einige Fragen zu beantworten.

Ja, gerne. Ich bin zwar schon eine etwas betagte Dame, aber für mich ist Duzen ok. Beginn ruhig mit deinen Fragen.

Könntest du uns erzählen, wie du Michael kennengelernt hast?

Den Michael habe ich einst im Tierschutzhaus kennengelernt, wo ich für längere Zeit gelebt habe. Es war damals eine sehr schwierige Zeit für mich. Als mein vorangegangener Besitzer plötzlich verstorben war, hatten mich wildfremde Menschen in grauen Overalls abgeholt und dorthin transportiert. Ich stand unter Schock und konnte mich zunächst gar nicht an diesen Ort gewöhnen. Im Vergleich zu meinem bisherigen Zuhause war es eine Art Gefängnis. Es war laut, schmutzig und es roch unangenehm. Das Fressen war weniger hochwertig und abwechslungsreich. Die Betreuer, die eigentlich ganz nett waren, hatten aufgrund von Überlastung kaum Zeit für einen. So durfte ich höchstens eine Stunde täglich meinen Käfig verlassen und in einem Betonhof spielen, wonach mir oft nicht zumute war. Ich fühlte mich sehr einsam. Das Gejaule der anderen Heimbewohner um mich herum war kaum auszuhalten, obwohl uns ein trauriges Schicksal miteinander verband. So vergingen die Tage in Trübsal, und irgendwann hörte ich auf, die Wochen mitzuzählen. Immer wieder kamen Besucher ins Haus, die sich umschauten, doch die meisten hatten für mich alte Schachtel keinen Blick übrig. Sie behandelten mich wie Luft und hielten Ausschau nach den putzigen Jungtieren. Es schien kaum jemand Interesse an einer etwas zu groß geratenen, älteren Schäferhündin zu haben. Ging die Tür auf, waren es meist Kleinfamilien, und ich wusste schon, dass sie mich nicht wollen. Die Kinder waren oft sehr aufgekratzt und taten uns nichts Gutes. Sie schlugen wie verrückt ans Gitter, was den Käfig zum Erschüttern brachte und mir Angst einjagte. Ich presste mich dann ans hintere Ende des Zwingers, mit dem Rücken zum Gang, sodass man mich nicht sehen konnte und stellte mich schlafend. Ich hoffte einfach nur, dass sie weiterzogen. Vor den Kindern fürchtete ich mich besonders, und es wäre ziemlich übel für mich gewesen, wenn eine solche Familie sich für mich entschieden hätte. Bei der Vermittlung selbst hatte ich ja nicht mitzureden. Ich war also sehr zwiegespalten. Einerseits wollte ich nichts als weg hier und hoffte, dass mich irgendjemand mitnehmen würde, andererseits hatte ich für die meisten, die kamen, kaum Sympathie übrig.

Bei meinem Michael war das anders. Was mir zuallererst auffiel, da stand er noch draußen im Flur und unterhielt sich mit einer der Pflegerinnen, war seine dunkle, kräftige Stimme. Meine Ohren stellten sich auf und meine Nase zuckte. Anhand seines Timbres witterte ich einen Mann, der allein war, ziemlich groß gewachsen und schon fortgeschrittenen Alters sein musste. Er sprach nicht viel. Jedenfalls klang er gesetzt und unaufgeregt, was meine Neugier weckte. Dann ging die Tür auf, und er und die Pflegerin traten in den Raum. Ich fing automatisch an, mit dem Schwanz zu wedeln, da etwas Warmes und Wohltuendes meinen Körper durchströmte, was mich selbst überraschte. Auf meine körperlichen Signale achtend dachte ich, dass jetzt etwas geschehen muss: Ich sollte mich bemerkbar machen. So platzierte ich mich genau in die Mitte des Käfigs und hielt meinen Körper schräg zur Käfigtüre, sodass er von meinem Kopf bis zum Schwanz eine schöne Linie ergab, falls er denn zu mir herabblicken sollte. Ich streckte mich lang, richtete meinen Blick auf, die Ohren weiterhin gespitzt, öffnete die Nasenlöcher und hechelte stärker, um möglichst viele Geruchspartikeln einströmen zu lassen. Allmählich erkannte ich die stattliche Figur von Michael, der langsamen Schrittes direkt auf mich zukam. Am Gitter angekommen, beugte er sich zu mir herab, hielt sanft seine große linke Hand daran, woraufhin ich langsam mein Hinterteil hob, den Hals lang machte und ihm meine feuchte pulsierende Nase entgegenstreckte. Michael roch wohltuend nach einer Mischung aus Seife, Wunderbaum und Tiermist. Darüber hinaus nahm ich Katzengeruch wahr, was mich aber nicht weiter störte, denn Katzen waren mir immer schon sympathische Wesen, die genau wissen, was sie wollen, die sich wenig um jemanden wie mich kümmern und in der Regel ihr unabhängiges Dasein führen. So ereignete sich also unsere erste zärtliche Berührung.

Nachdem ich etwas länger als üblich an Michaels Hand geschnüffelt hatte, neigte ich meinen Kopf zur Seite und fixierte sein Gesicht. Er lächelte und sprach, während er auch mich ansah, weiterhin im Flüsterton mit der Angestellten, die neben uns stand und nickte mir hin und wieder zu. Dieser Moment des gegenseitigen Erkennens schien mir endlos lange. Es war wie Liebe auf den ersten Blick (lacht). Dann kniete er sich zu mir, was ihn einige Mühe kostete, da sein voluminöser Körper auf etwas zu dünnen Beinen lastete, sodass sich unsere beiden Körper auf Augenhöhe befanden, was mir unheimlich sympathisch war. Er sprach zu mir: „Na du? Na?“ und „Guut, guut“, was mein Herz schneller schlagen ließ. Nach diesem zauberhaften Augenblick des gegenseitigen Kennenlernens stand Michael auf, wobei er einige Seufzer ausstieß und sehr zufrieden wirkte. Mein Instinkt sagte mir, dass er Gefallen an mir finden würde und im Stillen hegte ich die Hoffnung, dass er mich auf der Stelle zu sich nehmen würde und mein Dasein im Tierschutzhaus beendet wäre. Und so kam es dann auch. Nachdem die bürokratischen Angelegenheiten erledigt waren, nahm mich Michael mit.

Wie war dein Eindruck von Michaels Zuhause?

Er führte mich an einer offenbar neu erworbenen schicken pinken Lederleine aus dem Tierschutzhaus. Am Parkplatz angelangt, hielt er mir galant die Autotür auf und ich sprang auf die Rückbank, wo eine Wolldecke ausgebreitet war, was ich sehr aufmerksam fand. Ich vollführte zwei, drei Umdrehungen und sank nieder. Der große Michael zwängte sich vorne ächzend ans Lenkrad und ließ den Wagen an. Ich hatte keine Ahnung, wohin die Reise gehen würde. Wir fuhren aus der Stadt heraus und bewegten uns für längere Zeit auf Landstraßen. Allmählich wurden die Häuser immer weniger, die Gegend war leicht hügelig und etwas eintönig, wir fuhren an vereinzelten Kuhherden und schmalen Waldstreifen entlang. Nach etwa einer Stunde hielt Michael vor einem ebenerdigen und nicht allzu großen Haus den Wagen an. Als er die Tür öffnete und mir mit einer Armbewegung anzeigte, dass ich aussteigen durfte und willkommen sei, stieg mir sofort wieder der Katzengeruch in die Nase, und ich wusste, dass ich nicht das einzige Tier sein würde, das hier wohnt. Das Haus bestand aus einem kleinen Vorgarten und vier gemütlichen Zimmern. Michael war Single, das erkannte ich an der schlichten Einrichtung und dem relativ geringen Mobiliar. Dennoch war es sehr sauber und aufgeräumt. Die Katzen ließen sich zunächst nicht blicken, sie mussten bei meiner Ankunft wohl draußen gewesen sein, und so konnte ich mich ganz auf die Erkundung der Zimmerecken, potenzieller Verstecke, weicher Decken und Sichtschluchten konzentrieren.

Erzähl uns bitte von der Entwicklung deiner Beziehung zu Michael.

Michael ist ein stiller, wortkarger und überaus großzügiger Mensch, der mich tun und machen ließ, wozu ich Lust hatte. Nie bekam ich irgendeinen Befehl zu hören, stets schien er den Katzen und mir gegenüber gutmütig und tolerant. Seine sanfte Art gefiel mir sehr. Falls mal etwas daneben ging oder jemand von uns sich erbrach, schalt er nicht und machte es ohne viel Aufhebens einfach weg. Bald vertraute ich ihm blind, und wir gewöhnten uns schnell aneinander. Sehr angenehm war auch, dass er so viel Zeit für uns hatte, was ausgedehnte Spaziergänge ermöglichte, denn Michael war arbeitslos. Er kümmerte sich liebevoll um uns, es gab immer genug zu fressen, ja, er kochte beinah täglich für uns. Alle zwei Tage ging er mit dem Staubsauger durch, da wir natürlich viel haarten und machte sich viel Mühe, um unser Zusammenleben bestmöglich harmonisch zu gestalten.

Michael ist ein Meister der nonverbalen Kommunikation. Wenn wir abends zusammensaßen, las er meist ein Buch oder sah fern. Während er dies tat, gab er uns aber immer das Gefühl, sich in jeder Minute auch davon zu überzeugen, wie es uns ging, ob wir etwas brauchten, ob er etwas für uns tun könne. Sein Blick schweifte in kurzen Intervallen von mir zu den beiden Katzen und zurück zum Buch oder Fernseher. Es war, als spanne er ein Netz der Fürsorglichkeit um uns, als sei er gedanklich immer bei uns, was den Wohnraum zu einem der sichersten Orte überhaupt machte und ihm Dichte und Tiefe verlieh.

Dann lag ich gern an bzw. auf seinen Füßen, die immer etwas kühl sind und ich wusste, dass er meine Wärme gut gebrauchen kann. Michael kraulte mich mit seinen Zehen, fuhr über meinen gesamten Rücken, was einen wohltuenden Druck ergab und massierte so auch meine Hüften. Das hatte einen so entspannenden Effekt auf mich, dass ich mich oft auf den Rücken rollte und ihm meinen Bauch zuwendete. Dann glitt seine Hand herab, die meine Innenschenkel herzte und so von Fuß und Hand massiert zu werden war einfach großartig.

Wie körperlich nahe wart ihr euch?

Nun, das ist eine gute Frage. Ich liebte es, wenn Michael mich herzte und massierte. Ich fand es toll, mich von ihm verwöhnen zu lassen und er wusste genau, wie er mir die schönsten Gefühle bereitete. Bewusst brachte er mich Tag für Tag in angenehmste Stimmungen. Michael schläft meist nackt, und wenn ich ihn so antraf, ging es mir mit meinen Hormonen schon mal durch. Ohne Kleidung gibt es keine Barriere für den Geruchssinn, was meine Sinne enorm reizte. Von meiner Seite her war es aber nicht so, dass ich unbedingt mehr wollte als geherzt, gekrault und massiert zu werden, und ab und zu an ihm zu lecken. Das allerdings gefiel ihm sehr gut, davon konnte er manchmal gar nicht genug kriegen. Ich weiß auch nicht, aber meine Energie für sexuelle Akte darüber hinaus war ziemlich begrenzt. So bin ich einfach. Übrigens war das auch schon so, als ich noch jünger war. Ich hatte nie das sonderliche Bedürfnis, penetriert zu werden, weder von einem Rüden, noch von einem Menschen. Ich glaube, dass Michael sich manchmal schon mehr gewünscht hätte. Aber dank seines Feingefühls und seines Respektes mir gegenüber überschritt er niemals eine Grenze, wo es mir hätte unangenehm werden können. Er begegnete mir eben stets auf Augenhöhe. Früher hatte ich mir schon Sorgen gemacht, ich würde uns etwas vorenthalten, wir verpassten etwas, was Michael im Zusammenleben mit mir unbedingt bräuchte. Doch er gab mir nie das Gefühl, dass ihm unsere Beziehung so, wie sie war, nicht reichte. Er drängte mich zu nichts.

Immer wieder kam es zum Zungenkuss. Vor allem, wenn er nach dem Einkaufen oder den wenigen Besuchen bei Freunden ein paar Stunden später wieder nach Hause kam, und ich mich dann ganz besonders freute, ihn wiederzusehen. Da lief ich ihm schon entgegen, noch bevor er durchs Gartentor geschritten war. Er schloss die Haustür auf und ich sprang mit meinen Vorderpfoten an seine Schenkel und rieb meine Schnauze an seinen Beinen. Er beugte sich zu mir herab, herzte und küsste mich überall. Ich leckte ihn übers gesamte Gesicht, was ihn immer zum Lachen brachte, und auch er streckte seine Zunge heraus, sodass wir dann so verharrten und uns eine Weile lang leidenschaftlich küssten. Dieser Austausch war uns eine Art Ritual, mit dem wir uns vergewisserten, ganz füreinander da zu sein und, ja, dass es nichts als den Tod gibt, was uns trennen könnte.

Ich weiß, dass Michael Sex mit meinem Vorgänger hatte, einem Rüden. Einige Schnappschüsse von ihm hingen an der Wohnzimmerwand und im Flur. Zuweilen hielt Michael vor den Bildern ein paar Augenblicke inne und ich konnte erahnen, wie sehr er ihn geliebt haben muss. Ich bin sicher, Michael liebte mich zumindest genauso wie meinen Vorgänger. Auch wenn ich mich von ihm nicht habe besteigen lassen, hatten wir die beste Beziehung, die man sich hätte wünschen können.   

Liebe Cessy, vielen Dank für das Interview!
 

Zurück zum TOLEDO-Journal

PDF