Garielle Lutz: Geschichten der übelsten Sorte
Übersetzt aus dem Englischen von Christophe Fricker
Zweisprachige Leseprobe

Claims

If I go so far as to say that at this point I had a friend, the most it can possibly mean is that once a year, toward the end of it, I had to drive from wherever I was letting myself be lived, wherever I had given consent for my life to keep being done to me, and this friend-person had to drive from his own whereabouts, just so we could meet for lunch in a sandwich shop where, years earlier, while schooling together, we had flirted with each other impatiently, wrongheartedly. By then, things were always his idea. He was the one who kept talking as if there would always be room in the world for whatever he might say. I was merely the one who kept clearing space. The thing I was good at was keeping things sufficiently placeless for whoever’s turn came next.

Every year, he told me the same story—he had a double life and was going to have to do something big and final about it pretty soon. He explained that by day he sat at his engineering desk and threw together bridges and such for governments, and that by night he bogged himself down in department-store men’s rooms, adult bookstores, highway rest stops. Year after year, I listened to him tell me this.

So I said to this friend-person, “Apart from that, other than the as-per-usuals, what are we harping on?”

He repeated everything already said. There was no other matter for the facts to get wrapped around. In his voice was the enormous gloating noise of somebody standing up for his rights.

I made the mistake of looking at our waitress, who was setting plates down in front of us. It was a mistake because sometimes when you look at someone, especially someone young, you get too good a look. You see the life heaved messily, meagerly, into the person. You get a sense of the slow-travelling trains of thought, the mean streaks and off-chances, everything that has had to be crossed out or memorized so far. The parts out front—the eyes; the teeth and tongue inside the open, moving mouth—look cheap and detachable, unset, just barely staying put.

What I am saying is that through all this, all through this, I was only loosely in the midst of myself, already lapsing my way into whoever this waitress was, organizing myself within the dark of the body she was sticking up for herself inside.

Gary Lutz: Stories in the Worst Way. Alfred A. Knopf, 1996.
© Tyrant Books

Ansprüche

Wenn ich jetzt sogar sage, dass ich damals mit jemandem befreundet war, kann das höchstens heißen, dass ich einmal im Jahr, jeweils gegen Ende, von dem Ort, an dem ich mich hatte leben lassen, an dem ich mein Leben mit mir geschehen ließ, und dass auch jene Freundschaftsperson von ihrem Aufenthaltsort aus losfahren musste, und zwar nur damit wir in einem Café, wo wir Jahre zuvor, als wir gemeinsam beschult wurden, ungeduldig, irrig geflirtet hatten, zusammen zu Mittag essen konnten. Da war schon alles immer seine Idee. Er redete immer so, als wäre auf der Welt immer noch Platz für das, was er sagen würde. Meine Aufgabe war es allenfalls, eben diesen Raum zu schaffen. Mir gelang es gut, alles einigermaßen ortlos zu halten für den, der jeweils als nächstes dran war.

Jedes Jahr erzählte er mir dieselbe Geschichte – er führe ein Doppelleben und müsse bald etwas tun, entschieden und endgültig handeln. Er sagte, tagsüber sitze er an seinem Ingenieurstisch und würfele Brücken und so was zusammen, für Regierungen, und nachts vertiefe er sich in Kaufhaustoiletten, Erwachsenenbuchhandlungen, Raststätten. Jahr um Jahr hörte ich zu, wie er mir das erzählte.

Also sagte ich zu dieser Freundschaftsperson: „Und sonst, außer dem Üblichen, worauf kaprizieren wir uns?“

Er sagte alles nochmal. Es gab keinen anderen Bestand, den die Tatsachen aufnehmen konnten. In seiner Stimme lag das ungeheure Angebergeräusch eines Menschen, der auf seinen Rechten beharrt.

Ich machte den Fehler, nach unserer Bedienung zu schauen, die uns Teller vorsetzte. Das war insofern ein Fehler, als man manchmal, wenn man jemanden anschaut, besonders jemand Jungen, zu genau hinschaut. Man sieht, wie dem entsprechenden Menschen das Leben schlampig, knauserig eingetrichtet wird. Man spürt die engen Gedankengänge, die Schäbig- und Zufälligkeiten, all das, was bis dahin schon zu streichen oder zu erinnern war. Die Einzelteile auf der Vorderseite – Augen, Zähne, die Zunge im offenen, beweglichen Mund – wirken billig und austauschbar, sitzen schlecht, könnten jederzeit rausfallen.

Was ich sagen will, ist, dass ich die ganze Zeit überhaupt nur irgendwie so inmitten meiner selbst war und schon in die, die die Bedienung war, hineinrutschte und mich im Dunkel des Körpers einrichtete, den sie innerlich für sich eintrat.

Garielle Lutz: Geschichten der übelsten Sorte. Aus dem Englischen von Christophe Fricker. Weissbooks, Berlin, 2022, S. 95f.