Journale Annette Hug im Sprachkarussell.

Die Übersetzung einer Übersetzung

In ihrem Roman erzählt Annette Hug zwei parallele Geschichten. Zum einen Rizals Zeit in Deutschland: sein Alltag als junger Arzt, seine Begegnungen mit deutschen Ethnologen, die Versuche, die er unternimmt, um seinen Roman zu veröffentlichen und der spanischen Zensur zu entgehen. Zum anderen die Geschichte der Übersetzung auf Tagalog von Schillers Wilhelm Tell.

Die Geschichte der Übersetzung ist auch die Übertragung eines dramatischen Textes in Prosa. Annette Hug greift das Stück in ihrem Roman auf und erzählt die fünf Akte anhand von Rizals Lektüre neu (oder genauer: Anhand Hugs Lektüre von Rizals Lektüre von Schillers Lektüre des Wilhelm Tell-Mythos)

 

Die Intertextualität oder die Übersetzung einer Übersetzung : es erzeugt einen Apfel.

 

 

 

Um das Buch von Annette Hug ins Französische zu übersetzen, musste ich entscheiden, auf welche Übersetzung ich mich beziehen wollte. Es gibt zahlreiche Tell-Übersetzungen, in Bibliotheken und Buchhandlungen findet man meist die Übersetzung von Sylvain Fort mit einem sehr informativen Vorwort [footnote F. Schiller: Guillaume Tell, Üb. Sylvain Fort, L'Arche Editeur 2002.].

Mehrere Übersetzungen fallen schon nicht mehr unters Urheberrecht und sind online verfügbar. Die von François Sabatier-Ungher von 1859 hat mir gleich gefallen. Sie wurde in Deutschland gedruckt, in Königsberg, bei der Verlagsbuchhandlung eines gewissen Herr J.H. Bon. „Bon“ wie „gut“, vermutlich ein „anständiger junger Mann“

In seinem Vorwort erklärt der Übersetzer:

Ein Franzose

Schenkt die Übersetzung dieses dramatischen Meisterwerks aus Deutschland.

Große Dichter sollten das Bürgerrecht haben

Wo ein Sinn für das Schöne und Wahre herrscht.

Möge die aufrichtige Bewunderung

Der gelehrten Männer

Für den Namen Schiller

Ein ewiges Pfand sein für den Frieden

Zwischen uns und Deutschland.[footnote Wilhelm Tell, Poëme dramatique de Schiller, traduit dans le mètre original par François Sabatier-Ungher. (Königsberg, 1859) Der Text (Vorwort und Übersetzung) ist online verfügbar]

 

Dann räsoniert er in einer mir sehr sympathischen Art übers Übersetzen, die mir darüber hinaus dem Geist Rizals zu entsprechen scheint:

 

„Das Volk, mit dem Gesetze und Reiche stehen, aber auch fallen, wenn das Volk die Notwendigkeit dafür empfindet – weil alle, ob sie das Wahlrecht haben oder nicht, es so wollen –, das Volk ist auch ein Souverän hinsichtlich der Sprache. Es bestimmt über ihren Gebrauch, ganz egal, was Grammatiker, Schriftsteller und die literarische Aristokratie dazu sagen; die Sprache verändert sich mit den Ideen und Gewohnheiten, entwickelt sich in der Logik ihrer Zeit, trotz der Puristen, die warnen, dass sie verfällt, wo sie sich doch nur verwandelt.“

 

Es ist nicht ausgeschlossen, dass Rizal diese Übersetzung verwendet hat, denn er konnte und liebte Französisch (er verschlang Eugène Sue und Alexandre Dumas) Er erwähnt auf jeden Fall eine französische Übersetzung von Schiller, die seiner Meinung nach als Grundlage für die spanische Übersetzung gedient habe.

 

(Annette Hug erwähnte mir gegenüber, Rizal hätte seinem Bruder geschrieben, er solle Schiller auf keinen Fall ins Spanische übersetzen, denn die Übersetzungen seien schlecht und vor allem mithilfe der französischen Übersetzungen angefertigt.)

((Eine solche Überlegung zeugt von einem starken Bewusstsein für den Wert von Übersetzungen, im Grunde war Rizal hier seiner Zeit voraus … keine große Überraschung: Rizal scheint in allem, was er unternahm, seiner Zeit voraus gewesen zu sein.))

PDF