Journale Annette Hug im Sprachkarussell.

Die Liste der Figuren in Sabatier-Unghers-Übersetzung, auf die ich mich berufe, ist ziemlich witzig, versucht sie doch, die deutsche Aussprache der Namen auf Französisch nachzuzeichnen.

 

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Annette Hugs Fassung des Stücks hält sich an Schillers Dramaturgie, so dass man immer weiß, in welcher Szene des Stückes man sich gerade im Roman gerade befindet. Das Vokabular gleicht sich, Teile der Dialoge werden aufgegriffen. Manche Szenen werden anders angeordnet, Dialoge imaginiert.

Alle Hauptpersonen Schillers tauchen in der Neufassung auf, die uns mitnimmt an einen imaginären Ort zwischen der Innerschweiz und dem Archipel am Rand des Pazifiks. Intertextualität und subtiles Spiel mit den Gegensätzen, das dem Original ähnelt und zwangsläufig doch ganz anders ist.

Ich führe die Personen hier in der Reihenfolge ihres Auftretens in Annette Hugs Roman auf:

 

Der Landvogt (S. 19), auf Französisch bekannt unter dem Namen bailli Gessler, auch wenn manche Übersetzungen avoyer (Magistrat) oder vicaire (Kaplan) verwenden. In Rizals Fassung wird er zum hukum, zum Gouverneursrichter. Er ist der Vertreter des Kaisers auf seinem Landbesitz, und es gibt mehrere Berichte darüber, wie er die Bewohner mit Gemeinheiten und Ungerechtigkeiten tyrannisiert.

 

Baumgarten (S. 28) ist eines der Opfer dieser Tyrannei. In den Chroniken, die Tells Geschichte erzählen, ist er gerade dabei, Holz zu schlagen, als der Landvogt (der nicht immer den Namen Gessler trägt, sondern manchmal auch den Namen Wolfenschiessen) auftaucht und bei ihm baden will. Als Baumgarten vom Holzschlagen nach Hause kommt, erwischt er den Landvogt dabei, wie er seine Frau verführen (sprich: vergewaltigen) will; er schlägt ihn bewusstlos und flieht. Es ist die erste Tat, die sich gegen die Fremdherrschaft richtet, und sie verweist bereits auf den späteren Tyrannenmord Tells in der Hohlen Gasse. Baumgarten wird von Tell gerettet, der besser als jeder andere auch im stärksten Sturm mit der Armbrust umzugehen weiß (diese Episode verweist ihrerseits auf den Sturm, der Tell die Flucht ermöglichen wird)

 

Der verzweifelte Ruodi der Bootsmann tritt auf, und Werner der Hirte ebenso.

Sie sind Nebenrollen, erscheinen aber später noch einmal.

 

Wilhelm Tell natürlich, der Jäger, der plötzlich am Waldrand auftaucht, der Einzelgänger. Ein eher widersprüchlicher Held. Er befreit das Land von der Fremdherrschaft, doch bei näherem Hinsehen stellt man fest, dass er grundsätzlich nur tut, was ihm passt. Was die Mehrheit denkt, ist ihm egal. Sein Verhalten ist im Grunde das eines Anarchisten. Man würde denken, dass sich Rizal mit ihm als Revolutionsfigur identifiziert, doch Annette Hug ist da anderer Meinung (vgl. Wilhelm Tell und Rizal).

 

Gertrud (S.40) oder Guertroud, folgt man der Phonetik von Sabatier-Ungher. Sie ist die Frau von Werner Stauffacher, dem Schwyzer, und sie ist die Tochter eines wichtigen Mannes, was in einer Szene deutlich wird, in der sie sich selbst darstellt: 

 

Des edeln Ibergs Tochter rühm ich mich.

Des viel erfahrnen Manns. Wir Schwestern saßen,

Die Wolle spinnend, in den langen Nächten,

Wenn bei dem Vater sich des Volkes Häupter

Versammelten, die Pergamente lasen

Der alten Kaiser, und des Landes Wohl

Bedachten in vernünftigem Gespräch.

Aufmerkend hört ich da manch kluges Wort,

Was der Verständ'ge denkt, der Gute wünscht,

Und still im Herzen hab ich mir's bewahrt.

(Schiller, Wilhelm Tell, 1. Aufzug, 2. Szene [footnote Friedrich von Schiller, Wilhelm Tell, Hamburger Lesehefte Verlag, 7. Heft, Husum/Nordsee])

 

Bertha von Bruneck (S. 58): eine Aristokratin, eine Adelige, die also eher mit Adeligen verkehrt. Sie ist aus dem Ausland im Gefolge Gesslers gekommen, doch die Schweizer gefallen ihr, sie schlägt sich auf ihre Seite. Rudenz macht ihr den Hof.

 

Walther Fürst (S. 60), stammt aus Uri und ist neben Werner Stauffacher und Melchthal einer der drei Schweizer Anführer der Revolte. Wie Stauffacher ist er ein reicher Grundbesitzer, ein „Steinhäusler“, „Gutgestellter“, ein wohlhabender Bürger. Bei Schiller ist er aber auch der Vater von Wilhelms Frau Hedwig, sprich, der Großvater des kleinen Walthers, der Junge mit dem Apfel auf dem Kopf.

 

Melchthal (S. 62), oder auch Arnold von Melchthal, stammt aus Unterwalden, dem Kanton, der mit Schwyz und Uri die ursprüngliche Schweiz darstellt. Oft werden sie in der volkstümlichen Kunst als drei ebenbürtige Waisen dargestellt, doch Schiller zeigt einen ganz anderen Melchthal. Er ist offensichtlich jünger als Fürst und Stauffacher, die ihm sein Ungestüm vorwerfen. Ihm haftet der Ruf an, leicht erregbar und nicht zimperlich in der Anwendung von Gewalt zu sein. Die Fremdherrschaft berührt ihn ganz persönlich, denn sie verletzt „sein eigen Fleisch und Blut“. Die Rache dafür ist eine der hauptsächlichen Triebkräfte seiner Revolte.

 

Der Alpenbaron (S.71) ist der Freiherr von Attinghausen, der zum Landadel gehört. Als Adeliger hat er Knechte, die er gut behandelt, die ihm aber unterworfen sind. Sie sind Vasallen, unfreie Bauern in seinen Diensten.

 

von Rudenz, der Neffe des alten Attinghausenn. (S. 72) Am Anfang ist er von den Fremden fasziniert, die für ihn den Fortschritt verkörpern, die Stadt. Und vor allem ist er in Bertha verliebt, die ihn auch dazu bringen wird, sich in der Revolution auf die Seite seiner Landsleute zu stellen.

 

In Kapitel neun von Annette Hugs Roman geht es um den Rütlischwur, der bei Schiller in der zweiten Szene des zweiten Aufzuges dargestellt wird. Pro Schweizer Kanton (Uri, Schwyz und Unterwalden) treten in dieser Szene elf Vertreter auf, die in das Tal entsandt wurden, um mit einem Eid einen Bund gegen die Unterdrücker zu besiegeln.

Mit dabei sind Ruodi der Bootsmann, Werni der Hirte und Baumgarten, der von Tell gerettet wurde. Auch Rösselmann, der Pfarrer taucht kurz auf, und dann noch einmal bei der Szene mit dem Hut. Am häufigsten ergreift in Hugs Fassung Konrad Hunn das Wort. Er hatte zuvor bei den Fremden vorgesprochen. Wie Werner Stauffacher kommt er aus dem Kanton Schwyz. Wilhelm Tell ist hier übrigens nicht zugegen, sondern zu diesem Zeitpunkt mit seiner Frau Hedwig und seinen zwei Söhnen in seinem Haus in einem abgelegenen Tal. Einer seiner Söhne, der kleine Walther, wird für die Apfelszene wieder auftauchen. Tell ist also auch hier ein Rebell.

 

Guillermo hat sich mit Frau und Kindern in ein Seitental zurückgezogen, weil er jagen will und keine Steuern auf die Beute bezahlen. (AH, S. 86)

 

Guillermo s’est retiré dans une combe avec femme et
enfants parce qu’il aime chasser et ne veut pas payer d’impôt
sur son gibier. (AH, CL, p. 91)

 

Während Tells Abwesenheit kommt Jean le Parricide – Johannes - Juan – bei Schiller im 4. Aufzug – vorbei, Hedwig erkennt ihn aber nicht. Johannes der Mörder ist der Figur des Prinzen Johann von Schwaben nachempfunden, der seinen Onkel Albrecht I. von Habsbourg 1308 ermordete, weil dieser ihm sein Erbe verweigerte.

Laut Schiller sei die Begegnung von Tell und Parricida  (Begegnung des Helden mit seinem „Gegenteil“ – oder seinem Schatten?) der Schlüssel zu allem.[footnote vgl. Alfred BERCHTOLD, Guillaume Tell : résistant et citoyen du monde, Zoé, Genève 2004, p. 49]

 

Jetzt sind alle Figuren des Romans mindestens einmal aufgetaucht. In ihrer Prosafassung der Schillerschen Szenen beleuchtet Annette Hugs für jede Szene einen speziellen Aspekt. Manchmal erstreckt sich ein ursprünglich kurzer Dialog über zwei Seiten, andere Dialoge werden übergangen. Der Apfelschuss ist hier besonders beeindruckend: In Kapitel 12 fächert Annette Hug die Szene kaleidoskopartig auf, beleuchtet sie wieder und wieder aus der je anderen Sicht der unterschiedlichen Protagonisten. Die Szene wird durch unterschiedliche Blickwinkel sozusagen immer wieder neu durchgespielt: Stauffacher, Walther Fürst, Tells Sohn Walther, Rudenz und schließlich Wilhelm Tell selbst.

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