Journale Annette Hug im Sprachkarussell.

Reform oder Revolution [footnote Hélène Goujat, Réforme ou révolution? Le projet national de José Rizal (1861-186) pour les Philippines, Paris : Connaissances et savoir, 2010.]

 

Was für ein Glücksfall, auf diese ausgezeichnet recherchierte Arbeit gestoßen zu sein, deren zahlreich zitierte Quellen auch Annette Hug benutzt haben mag, vor allem den Briefwechsel zwischen Rizal und Blumentritt. Meist stimmen die beiden Texte überein in der Darstellung der Ereignisse, die kleinen Variationen schärfen meine Wahrnehmung für den besonderen Blickwinkel Annette Hugs. Der Titel hat mich gleich interessiert, denn der wirft eine für mich in Annette Hugs Buch essenzielle Frage auf: Was ist eine Revolution? Wollte Rizal eine Revolution? Das ist letztlich auch das Thema seines Dialoges mit Schiller  mittels Übersetzung, und die ganze Frage konzentriert sich letztlich in dem Pronomen wir, wir gemeinsam [vgl. Reflexion über ein Pronomen].

Ich entdecke in dem Buch zum Beispiel, dass Paternos Rede beim Bankett zu Ehren preisgekrönter Maler auch unter dem Namen Discurso brindis bekannt ist. Die daraus zitierten Passagen sind mir äußert nützlich. Auch wenn das, was dann kommt eine Art Gleichgewichtsübung ist, ein Wort, was mir oft in den Kopf kommt, wenn es um Übersetzung geht: von der Rede so viel verwenden, dass man sie erkennt, sie jedoch genügend paraphrasieren, um die Spannung zwischen den zwei Texten zu erhalten.

 

Ich bin begeistert über das Buch, markiere Seiten, die mich interessieren, habe es immer neben mir liegen, auch wenn ich es gerade nicht lese, verlängere immer wieder meine Leihfrist – zum Glück scheint sich in Lausanne außer mir niemand mehr für Rizal zu interessieren (noch nicht).

 

Hélène Goujat und Annette Hug scheinen sich ziemlich einig zu sein. Beide schätzen Ocampos Artikel, teilen die gleiche Ansicht über sein politisches Projekt. Die Porträts von Paterno, Blumentritt und Morayta entsprechen und ergänzen sich, sind sich verblüffend ähnlich. Auch Goujat und Hug sprechen durch mich hindurch miteinander, und vielleicht werden sie sich eines Tages dank meiner Übersetzung begegnen.

Ihr Projekt als solches ist natürlich nicht das gleiche. Hélène Goujat zeichnet Rizals politische Idee in seiner Gesamtheit nach und verliert nur wenige Worte über seine Zeit in Deutschland. Kein Wort über die Übersetzung von Wilhelm Tell, dafür eine detaillierte Analyse des „Noli“, Rizals erstem Roman (Noli me tangere [footnote Noli me tangere. Aus dem philippinischen Spanisch von Annemarie del Cueto-Mörth. Frankfurt am Main: Insel Verlag, 1987, 449.]), den er unbedingt in Deutschland drucken lassen wollte.

Das Risiko solcher Quellen besteht darin – abgesehen davon, dass man sich leicht in der Masse der Informationen verliert, was nicht weiter schlimm ist –,  dass man sich aufgrund der Vielfalt der Blickwinkel zu einer Perspektive hinreißen lässt, die nicht mehr die der zu übersetzenden Autorin ist. Nach einer Weile sollte man die Quellen Quellen sein lassen, sich daran erinnern, dass man ein Buch und eine Vision übersetzt, und zum Ausgangstext zurückgehen.

Durch Reform und Revolution konnte ich den Weg der Autorin gewissermaßen im Schnelldurchlauf nachholen (sie hat sechs Jahre an ihrem Roman gearbeitet!). Es ist ein Vergnügen, die Briefe zu lesen, die sie vermutlich gelesen hat, die Quellen zu erkennen, auf die sie sich stützt und diese oder jene Information wiederzufinden. Eine Art Fenster auf ihr Arbeitszimmer, ich kann mir ihren Arbeitsprozess vergegenwärtigen, ihr beim Schreiben „zuschauen“ und den Prozess der Fiktionalisierung des Textes verfolgen.

Als Beispiel hier ein Vergleich der Revolte in Madrid wie Rizal sie in einem Brief erzählt. Annette Hugs Interpretations davon (die sicherlich auf verschiedene Quellen zurückgeht) ist im Kapitel 16 dargelegt (Siehe S.170).

Auszug aus: Hélène Goujat, Réforme ou révolution? : le projet national de José Rizal (1861-1896) pour les Philippines, S. 438f.

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