Journale Annette Hug im Sprachkarussell.

Rizal begeistert sich an einem Pronomen. Die tagalische Unterscheidung zwischen inklusivem und exklusivem Wir scheint hier schlummernde in der deutschen Sprache vorhanden, ein gemeinsamer Hintergrund des Verstands will sich eröffnen. (AH, S. 127)

Annette Hug hat Recht, diese Unterscheidung schlummert in den europäischen Sprachen. Der europäische Geist, ganz im Gegensatz zu dem der Orwellschen Protagonisten, kann außerhalb der Sprache denken, kann das aber nicht ausdrücken. Wie im Roman von Annette Hug deutlich wird, fehlt ihm die Ausdrucksmöglichkeit vor allem, wenn er vor etwas Unbekannten steht. Die Möglichkeit in der einen Sprache macht erst das Fehlen in der anderen bewusst. Ein Fehlen, das dann kreativ aufgefüllt wird, je nach Bedarf.

 

Was aber vor allem deutlich wird, ist wie Annette Hug an der Frage nach dem UNS die zentrale Botschaft des Wilhelm Tell herausarbeitet: Die Reflexion über kollektives und individuelles Handeln, die der Kern jeder Revolution ist.

Die Frage taucht mehrfach auf, wie zum Beispiel in der Szene mit dem Sturm. Nach dem Apfelschuss wurde Tell vom Gessler gefangengenommen. Er ist auf dem Schiff festgebunden, als ein Sturm losbricht. Das Schiff droht zu kentern. Bei Annette Hug heisst es so:

 

Kurz darauf scheint es angemessen, dem Landpfleger ein bösartiges kami in den Mund zu legen, wenn er zu Guillermo sagt:

Tell, wenn du dir’s getrautest,

uns zu helfen aus dem Sturm“

Gessler erdreistet sich tatsächlich, von seinem Gefangenen zu verlangen, den Tyrannen und seine Knechte zu retten, aber nicht sich selbst. (AH, S. 127-128)

 

Die Figur von Rizal unterstellt dem Gessler böse Absichten, die Tells Verhalten zum Teil rechtfertigen. Wer würde ihm übel nehmen, dass er vor so viel Bösartikeit sich selbst rettet und das Schiff mit dem bösen Gessler, aber auch mit seinen Soldaten und Knechten zurück aufs Wasser stößt.

 

Sabatier-Ungher hingegen besteht auf das inklusive UNS, darauf, dass der Gessler ,,uns alle gemeinsam“ sagt, und sogar Tell legt er ein inklusives „wir“ in den Mund, was sein Verhalten noch schlimmer macht, denn er lügt, rettet er sich doch am Ende allein, alle andere in den sicheren Tod schickend.

 

Ob nun durch den Sinn, den Rhythmus oder die Zahl der Silben motiviert: Sabatier-Unghers Übersetzung von 1859 interpretiert die Szene jedenfalls ganz anders als Rizal:

 

Et j'entendis alors qu'un des valets

parlait au gouverneur et lui disait:

Voyez, Messire, en quel danger nous sommes ;

tous — à deux doigts nous sommes de la mort —

Et les rameurs ne savent plus que faire,

tant ils ont peur, et ne connaissent, pas

bien la manœuvre. Mais voici Tell, un homme

très fort, qui sait conduire des bateaux.

Si nous nous en servions en ce danger ?

Et l'avoyer me dit : si tu croyais

nous pouvoir tous tirer de la tempête,

de tes liens je te délivrerais.

Et moi je dis: Oui, Dieu aidant, messire,

j'espère bien  nous tous tirer de là [footnote S. 102 – Tells Bericht im Vierten Aufzug, Erste Szene, der gesamte Text ist im Netz verfügbar (Gutenberg-Projekt oder Schiller-Archiv)]

 

Die meiste Zeit konnte ich in meiner Übersetzung so tun, als sei Wilhelm Tell derselbe wie Guillaume Tell, und konnte einfach Friedrich Schiller durch Sabatier-Ungher ersetzen. Hier musste ich aber wohl oder übel eine ad hoc-Übersetzung anfertigen, um die einfache Form des „Uns“ behalten zu können:  

 

Et juste après, il est comme tout indiqué de mettre un méchant kami dans la bouche du gouverneur qui s’adressant à Guillermo dit : « Tell, si tu croyais nous pouvoir tirer de la tempête. » Gessler a le front d’exiger de son prisonnier de le sauver lui, le tyran, et ses valets, mais sans se sauver lui-même.

(AH, CL, S.132)


 

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