Journale Annette Hug im Sprachkarussell.

„en file indienne“

wenn die Übersetzung idiomatische Wendungen zum Leben erweckt.

 

 

Der Weg zwischen den Fjorden ist abschüssig. Maultiere

gehen langsam in einer Reihe den Berg hoch und

vor der Passhöhe gehen sie nicht mehr auf dem Boden,

sondern in der Luft.

(AH, S. 12)

 

Le chemin entre les fjords est abrupt. Les mulets grimpent lentement en file indienne et, au moment d’atteindre le col, ce n’est plus le sol qu’ils foulent, mais l’air. (AH, CL, S. 14)

 

Der Ausdruck „en file indienne“ fällt als Übersetzungsentscheidung für „in einer Reihe“ zunächst nicht besonders ins Auge. Als Annette Hug in einem schon sehr früh fertiggestellten Auszug der Übersetzung den Ausdruck entdeckte, machte sie mir darauf Aufmerksam. Mir wurde klar was für eine Dimension im Kontext von kulturellem Austausch und Vermischung er annahm, und ich musste mich erstmal fragen, ob ich ihn beibehalten könnte.

Aber auf den so vielfältigen Einflüssen ausgesetzten Inseln des philippinischen Archipels – Dschunken aus China, Galeonen aus Spanien, Worte aus Indien  – ist ein Ausdruck wie „file indienne“ wie geschaffen, um „in einer Reihe“ zu übersetzen, denn es eröffnet neue Echoräume.

 

… auch wenn die Frage drängt, welchen Weg die Lieder genommen haben: Welche Gestalten kamen von Indien über Java und Sulu bis hinauf in die Kordilleren der Insel Luzon, wer kam schon viel früher, auf urzeitlichen Flotten der malayischen Entdecker – was ist am Rande des Pazifiks ganz ursprünglich entstanden und wer sind die Kreuzritter wirklich, die jetzt durch das Vulkangebirge irren? Wenn die Inder ihre Worte nach Ost und West verstreut haben, sind dann auch ihre Heldenlieder in beiden Richtungen um die Welt gegangen?

(AH, S. 151f)

 

In diesem Zusammenhang stolpert man plötzlich über den an sich alltägliche Ausdruck (die tote Metapher, Katachrese), und fragt sich auf einmal, was er eigentlich bedeutet. Das ist die poetische Seite der Übersetzung, ihre belebende Macht.

Und auch wenn der Ausdruck sich eher auf die nordamerikanischen Unreinwohner bezieht, so wird er in diesem Roman durch lexikalische Ansteckung mit einer neuen Bedeutungsaura versehen.

Hätte ich einen anderen alltäglichen Ausdruck verwendet – „à la queue leu leu“ zum Beispiel –, wäre ich ganz woanders gelandet, denn „leu“ kommt ursprünglich von Wolf.

 

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