Den Singsang des Kreol in der Kehle
Journal zur Übersetzung von Monique Roffeys Die Meerjungfrau von Black Conch
Gesine Schröder: Soundtrack zur Übersetzung von Monique Roffeys "The Mermaid of Black Conch"
Die Meerfrau
Zu viert zerrten sie an dem Seil und dem Gaff, bis sie schließlich mit einem großen Schwall Wasser und anderen Fischen an Bord schwappte – whoosh, und das Deck übervoll. Sie musste halbtot sein nach dem stundenlangen Kampf mit dem Haken im Schlund und jetzt mit dem Gaff in der Flanke. Blutend, stöhnend, wie betäubt lag sie auf den Planken, und ihre Aluminiumaugen beobachteten die Männer.
Das Schlimmste waren die Haare, ein Gewirr aus Feuer und Drähten und allem Möglichen mehr. Quallen waren mit aus der Tiefe gekommen, büschelweise bläuliche Adern. Tang hing ihr wie Bartsträhnen über die Schultern. Die Rundungen ihrer Hüften waren mit Seepocken übersät. Ihr Rumpf muskulös und kompakt, mit feinen Schuppen überzogen, als trüge sie ein Hemd aus Haihaut. Fischläuse wimmelten. Wenn sie keuchte, wurden lange Schlitze sichtbar, Kiemendeckel, und sie sahen aus, als könnten sie einem die Finger abschneiden.
Diese Figur war es, die mich gleich am Haken hatte – keine Disneyprinzessin, nicht das stumme, wehrlose Ding aus Andersens Märchen, sondern eine ehrfurchtgebietende Bewohnerin der Tiefen. Ein fleischliches Wesen mit einem meterlangen muskulösen Fischschwanz; fast hätte sie damit die Yacht der amerikanischen Sportangler versenkt, die zu einem Big-Game-Wettbewerb in die Karibik gereist sind.1
Eine mermaid, eine „Meerjungfrau“ also – oder? So vieles sprach gegen diese Übersetzung. Einmal die lyrischen Passagen des Romans, in denen sich die Besagte selbst zu Wort meldet: Die drei deutschen Silben würden ihren Rhythmus sprengen. Zweitens der Wortbaukasten, mit dem die Autorin Monique Roffey hantiert: mermaid, merman, merwoman, fishwoman, womanself, fishself. Immer zwei Grundbausteine, keine dreiteiligen Komposita darunter. Meerfrau, Wassermann, Wasserfrau, Fischfrau, Frauselbst, Fischselbst. Und schließlich Roffeys emanzipatorische Haltung. Der Kontrast, den sie zu den weit verbreiteten verniedlichten Meerjungfrauengestalten aufbaut, lässt sich durch die Vokabel Meerfrau im Deutschen stützen. Aufs Cover hat sie es nicht geschafft (obwohl es auch dort typografisch günstiger gewesen wäre), aber im Buch sagen nur die ignoranten Yankees MeerJUNGfrau, und sonst niemand.
Fototrophäe nach einem erfolgreichen Angeltörn auf einer Hafenmole auf Tobago; auf einem amerikanischen Angelblog veröffentlicht.
Dazu auf einer trinidadischen Website dieselbe Szene aus anderer Perspektive.
Black Conch English
Black Conch waters nice first thing in the morning.2 Wir sind in der Karibik, auf der Insel Black Conch – einer fiktionalisierten Version von Tobago.3 Eine englischsprachige Erzählstimme stellt uns die männliche Hauptfigur vor, den Fischer David Baptiste, und verfällt nach wenigen Sätzen zum ersten Mal in den örtlichen Dialekt. Einzelne Wendungen fallen auf: some kind of flirty-flirty behaviour. Black Conch waters nice. Dann die Stimme des Fischers beim ersten Anblick der Meerfrau: „Ayyy,“ he called across the water. „Dou dou. Come. Mami wata! Come. Come, nuh.“
Gut ein Drittel des Romantextes besteht aus den fiktionalen Tagebucheinträgen dieses Fischers, die sprachlich stark vom Trinidad English Creole geprägt sind. Dazu kommen kurze Passagen aus der Perspektive der Meerfrau, die in freien Versen spricht, in einer Mischung aus gebrochenem Englisch, gebrochenem Creole und Überbleibseln aus der Sprache der Taino, einer indigenen Gruppe in der Karibik: Einer fragmentarisch erhaltenen Legende zufolge wurde eine Taino namens Aycayia von eifersüchtigen Nachbarinnen ins Meer verbannt4 und hat dort, so Roffeys Plotidee, den Untergang ihrer Herkunftskultur überlebt, um im Jahr 1976 dem freundlichen jungen Fischer zu begegnen und von amerikanischen Sportanglern aus dem Wasser gezogen zu werden.
Aus dieser ersten, ganz groben Bestandaufnahme ergibt sich ein nicht unerhebliches übersetzerisches Problem: Damit die Erzählstimme nach den ersten Sätzen in den örtlichen Dialekt verfallen kann, müsste es diesen Dialekt erst einmal geben – im Deutschen.
Caribbean Unlimited
Mitschnitte eines Auftritts des 1988 gegründeten Caribbean Unlimited Orchestra in einer Sendung der „aktuellen Schaubude“ des Norddeutschen Rundfunks 1995 und in der Silvestersendung „Willkommen ’95“ auf N3.
Ein Muttersprachler muss her. Da mein Netzwerk keine in Deutschland ansässigen Exil-Trinbagoaner umfasst, da karibische Restaurants pandemiebedingt geschlossen und Kulturvereine nicht aktiv sind, kontaktiere ich den Honorarkonsul von Trinidad und Tobago in Hamburg, der mich zwei Tage später zurückruft, um mir die Handynummer eines Mitberliners zu diktieren, der aus Trinidad stammt. Dieser inoffizielle Kulturbotschafter, Ex-Musiker des Caribbean Unlimited Orchestra und Hobbymaler im Ruhestand versteht nicht recht, was ich von ihm will, lädt mich aber sofort großmütig zu sich ein.
Von meinen fachlichen Erwartungen an den Besuch erfüllt sich keine. Mein Experte hat keinen Bezug zu Literatur oder Linguistik und spricht ungern deutsch, liefert mir also kaum Anhaltspunkte für einen karibischen Sound im Deutschen und keine differenzierte Einschätzung zur Sprachverwendung der Autorin. Dafür bekomme ich ein Privatkonzert auf der traditionellen Steel Pan, eine Führung durch die häusliche Galerie, eine CD des Caribbean Unlimited Orchestra und eine Fülle von teils neuen Fragen mit auf den Weg.
Da wäre die Frage nach der Identität der Autorin und der Legitimität ihres Tuns – dass eine Weiße karibische Romane schreiben kann (sie ist auf Trinidad aufgewachsen und wurde 2013 mit dem OCM Bocas Prize for Caribbean Literature ausgezeichnet), glaubt mein Gastgeber erst, als sein Bruder es ihm telefonisch bestätigt. Zweitens der Status der von ihr verwendeten Sprache: Ein richtiger trinidadischer Autor, so mein Gastgeber, hätte für einen richtigen Roman nie diese Umgangssprache gewählt, sondern richtiges Englisch. Die Sprache, die Roffey seit ihrer Kindheit liebt und in der sie schwelgt – ihm ist sie als Überbleibsel aus Zeiten vor seinem sozialen Aufstieg ein wenig peinlich. Immer dieses „ent“ (eine Variante von „ain’t“) und die Syntaxfehler – „Oh God“ seufzt er bei der Lektüre und erklärt mir geduldig, wie es korrekt heißen müsste.
Talk (like a) Trini
Eins von zahlreichen Videos, die online Einstiegshilfen in die sprachlichen Besonderheiten von Trinidad und Tobago bieten, hier von dem Expat-Trinidadian Yohan Partap (2019).
Trinidadian English Creole, Tobagonian English Creole, Trinbagonian English, das post-creole continuum – die Sprachenlandschaft des Inselstaats, schon allein ihr dem Englischen eng verwandter Bereich, ist hochkomplex und in steter Bewegung.5 Meine Autorin schreibt eher Trinidadian als Tobagonian, sagt sie, und eher Dialekt als Kreol. Allerdings benutzen ihre Figuren auch distinkte Zeitformen und morphologische Erkennungsmerkmale des Trinidadian Creole.
Eine Mischung aus den Worten der Unterdrücker und denen der Unterdrückten – so beschreibt die Romanfigur Arcadia Rain ihre Heimatsprache. Arcadia ist, so heißt es im Roman, „eine Weiße (...) mit dem Singsang des Kreol in der Kehle“ und in mancher Hinsicht eine Spiegelfigur der Autorin. Sie und der Fischer David Baptiste verwenden nicht nur Wörter aus westafrikanischen, indischen, romanischen Sprachen wie bobolee, chunkaloons, obeah und tabanca sowie dialektale Wendungen, sondern verzichten auf bestimmte Hilfsverben und nutzen unmarkierte Vergangenheitsformen, nicht-standardenglische Pronomen, Wortdoppelungen als Steigerungsformen und vieles mehr.
*Steups*
Der Urheber dieser umfassenden Erklärung zu der regionalen Geste und Vokabel „to steups“ (2016) befasst sich unter dem Namen „Gizmo de Trini“ mit kulturellen und sprachlichen Eigenheiten von Trinidad und Tobago, den USA und Japan.
„O Gott“, sagt mein Lieblingslektor. „Wenn du mich fragst, sei bloß sparsam damit. Mach möglichst wenig.“ Das wäre ein Ansatz. Aber sparsam womit genau, und wenig wovon?
Dialekt mit Dialekt zu übersetzen ist tabu6; Dialekt mit Umgangssprache zu übersetzen ist feige.7
Es gibt gewichtige Argumente dafür, auf syntaktische und morphologische Abweichungen von der Standardsprache zu verzichten8, und ich bin ihnen oftmals gefolgt. Solche Abweichungen werden von Leser·innen oft als sprachliche Defizite empfunden. Die Gefahr ist groß, dass sie Figuren zu radebrechenden Außenseitern machen, obwohl sie sich im Original fließend in der Sprachvariante ihres sozialen Umfelds unterhalten. Bei diesem Roman spricht dennoch einiges dafür, die sprachlichen Unterschiede nicht einzuebnen.
Figurenzeichnung
Wo sich eine Figur in Roffeys Roman auf dem Sprachenkontinuum zwischen Standardenglisch, Dialekt und Kreol bewegt, lässt ihre Gruppenzugehörigkeit, ihren sozialen Status und ihre Haltung zum Geschehen erkennen – Emotionales oder nah Vertrautes wird eher im Dialekt ausgedrückt.
Klangliche Qualitäten
Die trinidadischen Passagen haben einen charakteristischen Rhythmus, einen Singsang, der dem Erzählten eine besondere Färbung verleiht. Black Conch waters nice. Come-nuh, dou dou. Das ist etwas anderes als The coastal waters of Black Conch are nice. Please come, darling.
Kontrastfolie
Ich denke, dass der Roman primär für ein britisches und US-amerikanisches Publikum geschrieben ist. Es gibt trinbagoanische Autor·innen, die ihr „bad English“ als vollgültige Literatursprache nutzen.9 Für Monique Roffey, scheint mir, ist es eher ein besonderes Ausdrucksmittel, mit dem sie ihr britisch-englisches Schreiben variiert und ergänzt: Selbst in den Tagebucheinträgen schwankt die Intensität der sprachlichen Besonderheiten, und die Autorin mutet ihrer Leser·innenschaft keine allzu schwer verständlichen Ausdrucksweisen zu.
Das trinidadische Englisch ist eben nicht der sprachliche Standard des Romans – vielmehr stellt es als Herzens- und Kindheitssprache der Autorin den Standard der Erzählstimme lustvoll in Frage. All das ginge verloren, wenn ich die Unterschiede nicht deutlich sichtbar machte.
King Liar
Eine Karaoke-Version (allerdings mit Gesang) des ausgesprochen erfolgreichen Songs „King Liar“ von dem Calypso- und Soca Musiker Lord Nelson, geboren als Robert Nelson auf Tobago.
Ich beschließe, mir die Kreol-Passagen als Erstes vorzunehmen, und probiere drauflos. Nicht sparsam, nicht wenig, sondern Musik auf die Ohren (jeden Morgen) und dann alles auf einmal. Wie klingen denn im Deutschen unmarkierte Vergangenheitsformen? Unmarkierter Plural? Wie werde ich die Konsonantenhäufungen los? Wie wäre es, die nicht-rhotische Aussprache kenntlich zu machen (nee, das ist Asterix, das geht nicht11), oder wenn ich dentale Frikative durch alveolare Plosive ersetze? Kauft man mir das ab? Lord Nelsons Song „King Liar“ geht mir nicht mehr aus dem Kopf.
I know some of you wouldn’t believe me
But if ah lie, ask me good friend Mackie
Im Lauf der Überarbeitungen schält sich dann heraus, was meiner Meinung nach funktioniert – und was „funktionieren“ hier heißen könnte. Elemente des karibischen Deutschen sollen den Text rhythmisch geschmeidiger machen. Sie sollen verständlich oder leicht erlernbar sein. Sie sollen in den Assoziationsraum Karibik passen (und ihn vielleicht gegenüber der Version aus der „Aktuellen Schaubude“ im Video ganz oben ein klein wenig erweitern); wo ich deutsche Umgangssprache oder bekannte syntaktische Sonderformen einsetze, soll sie möglichst keiner bestimmten Region zuzuordnen sein.
Außerdem: keine Automatismen. Nicht für jede sprachliche Besonderheit muss es eine Entsprechung geben, nicht jede Entsprechung überall verwendet werden. Oh, und keine Apostrophe, just because.
He say he father is Tobago’s best fisherman
Catch a fish a mile wide, eighty feet in span
So, they ketch her. Die ham sie gekascht. My worse fear. Meine schlimmste Angst. (...) My damn fault they pull her out of the sea, bring she back half-dead. Meine scheiß Schuld, dass die sie aus dem Meer geholt ham, halbtot verschleppt ham. I figure she was dead when I saw her hanging so, upside down, mouth and hands tie up, just like a crab ready for the market. Ich hielt die für tot, als sie kopfüber da baumelt, Mund und Arme gebunden wie ein Hummer am Markttag. I feel shame, man, to see her like that, and I figured quick quick how to cut her down. Ich schäm mich, Mann, als ich sie da sehe, und ich denk schnell-schnell, wie ich sie runterholn könnte.
If you really want to hear about fishing
Let me blow your mind, now listen to something
Ich setze auf Fülle statt Schwund – Als deutschsprachige Leser·innen haben wir kein Lautbild von einem karibischen Deutschen im Kopf, wohl aber Eindrücke von karibischem Englisch, aus dem Reggae zum Beispiel, den die Romanfigur Reginald so gern hört. Ausdrücke aus diesem assoziativen Umfeld – auch aus dem Englischen – können daher Wörterbrücken über den Atlantik bauen: Als sie endlich zu mir kam, war es sweet. // Sie guckte ihm straight in die Seele. // Mit einmal wollte sie von Musik nichts wissen. Von keim Sweetman mit seinen Dreads und Kirchenliedern, nichts da. // Davids Onkel Life war ein Sweetman und ein Hornerman, aber richtig. // Jeder wusste, was passiert war. Die wurde böse gehornt.
Whip it up
Make it up
Leh it go
Aus den unmarkierten Vergangenheitsformen, die in der Kreolsprache des Originals vorkommen, werden in der Übersetzung Präsensformen, die an das dramatische Präsens erinnern und wie im Original die Handlung näher an Erzählstimme und Leser·innen heranrücken.
Und keine Angst vor falschen Freunden. Warum nicht Ausdrücke wie „nuh“ (Variante von „now“ und Kennzeichnung einer Bitte) auch im Deutschen benutzen, wenn sie zufällig passende Assoziationen wecken oder sich rhythmisch gut machen? Warum nicht nutzen, dass „steups“ an „seufz“ erinnert? Eine fiktive Idiomatik stützt den Eindruck, es mit einer eigenständigen Sprache zu tun zu haben. // Komm-na, Dou-Dou! // Ruhig, Dou-Dou. Ist gut-na. Ich bins, ich bins nur, alles gut. // Miss Rain steupste – sog durch ihre geschürzten Lippen missbilligend Luft ein. // Priscilla steupste und warf ihm einen Blick zu, der ihn zu Tode verzückte.
Eine Abweichung ist ein Fehler. Viele zusammen, die gut zusammenstimmen, sind was Neues.
Let we meet head on, and when we done
See who head fit to wear de crown
Es bleibt problematisch, dass etliche der von mir gewählten Sprachbesonderheiten im Deutschen Umgangssprachemarker sind somit zwar emotionale Nähe zu den Figuren herstellen, diese aber womöglich auch weniger gebildet erscheinen lassen als die standardsprachliche Erzählstimme. Andererseits nimmt diese Stimme verschiedene personale Perspektiven ein und verfällt manchmal selbst in den Dialekt, was beides den hierarchischen Effekt vermindert.
Dazu kommt die Gefahr, dass eine Kunstsprache Leser·innen abschreckt, weil die beim Lesen notwendigen Lernprozesse kein nützliches Sprachwissen generieren. Während Roffeys Black-Conch-Englisch dem trinidadischen Englisch zumindest nahekommt, ist mein Black-Conch-Deutsch pure Fiktion. Damit diese Sprachfiktion glaubwürdig wird, müssen sich reichlich regionale Vokabeln, ein prägnanter Klang und stimmige syntaktische Besonderheiten gegenseitig stützen. Erst wenn das erreicht ist, kann ich das Ergebnis auch tatsächlich sparsam dosiert einsetzen und beiläufig in die Erzählstimme einfließen lassen.
Teacher Percy say, if yuh tell a lie
You going to hell as soon as yuh die
– Kann es sein, frage ich mich nach dem zillionsten Hören, dass der „König der Lügner“ nicht der im Song erwähnte Sieger des Lügenwettbewerbs ist und auch nicht die Erzählinstanz, sondern Teacher Percy?
Massa Day Done12
Kurze Reportage der Regisseure Tom Harrad und Reuben Millns über die Karnevalstradition „Jab Jab“ in Grenada (2017).
Jede Recherche zur Sprache von Trinidad und Tobago führt zur Musik.13 Jede Recherche zur Musik führt zum Karneval.14 Was mich zur Nachbarinsel Grenada und deren Karnevalstradition Jab Jab geführt hat, weiß ich nicht mehr, aber in dem Video, auf das ich stoße, formuliert Colin Dowe aus Grenada die Verheißung des J’ouvert, des carnival auf den kleinen Antillen.
Karneval war dort zunächst ein Fest der französischen Kolonisatoren, an dem die versklavte Bevölkerung nicht teilnehmen durfte. Sie feierten es dennoch, heimlich. Nach der Sklavenbefreiung mischten sich im Karneval Traditionen aus Westafrika, aus Europa, aus den Zeiten der Sklaverei – wie die Tarnung mit schwarzem Motoröl, das Tragen von Ketten und die Stilisierung zum Teufel im Jab Jab. Jede Recherche zum Karneval, zur Musik oder zur Sprache führt zur Kolonialgeschichte.15 Und manchmal zur Utopie ihrer Überwindung, wie hier in den Worten von Colin Dowe:
Jab Jab – there’s no man and woman
There isn’t boy, girl
There isn’t rich, poor
There isn’t black, white
Because we all in skimpy old clothes
Close enough to naked
In black.
An diesem einen Tag, hieße das, gäbe es keine kulturelle Aneignung. Kein Blackfacing. Lauter halbnackte Kaiser, alle gleich. Das wäre schön.
Moko Jumbie Stilts
Reportage zur Karnevalstradition „Moko Jumbie“ auf Trinidad von Mae Ryan, Ora DeKornfeld und Eugene Yi, 2017, für die New York Times.
When I first saw her, off the rocks of Murder Bay, it was like she was walking on moko jumbie stilts, but that was her tail keeping her upright. // da sahs aus, als wär sie auf Stelzen wien Moko Jumbie.
Moko Jumbies sind Schutzgötter oder -geister, aus west- und zentralafrikanischen Traditionen amalgamiert (selbst ihr Name ist eine Zusammensetzung aus verschiedenen Zeiten und Kulturen), die beim Karneval die tanzende Menge überragen. Auf Stelzen einen Moko Jumbie zu verkörpern, erfordert jahrelange, wenn nicht lebenslange Übung. Oder mehr als ein Leben – die Tradition ist viele Generationen alt und wird oftmals von Eltern an Kinder weitergegeben.
Selbst meine Autorin muss sich fragen lassen, ob sie sich in die Traditionen der Inseln hineinschreiben darf.16 Ich wiederum – ich schnalle mir Eichenholz-Stelzen aus dem nächsten Berliner Baumarkt unter und stakse nach ein paar Wochen Gehübungen drauflos. Jederzeit kann am Straßenrand jemand rufen: Das ist doch alles nicht echt! Ist es auch nicht. Es ist erstunken und erlogen und aus den nächstbesten Materialien lose zusammengezimmert. Die subversiven Lügengeschichten des Calypso, die Illusionskunst des J’ouvert sind uneinholbare Vorbilder, Bestandteile einer Kultur, die sich das Erbe der europäischen Gewaltherrschaft angeeignet und es verwandelt hat. Und sie lassen mich hoffen. Wenn ich nur im Rhythmus bleibe, wenn ich darauf vertraue, dass die Geschichte trägt ...
Die Meerfrau Aycayia wurde von der Autorin immerhin nicht mit Stelzen, sondern mit einem kräftigen Fischschwanz ausgestattet, so dass sie ganz in ihrem Element ist – bis zu dem Moment, wo sie von den amerikanischen Sportanglern an Deck gezerrt wird. Dann fängt sie mit Hilfe des verliebten Fischers von vorn an: „Sie lauf so rechts und links wie ein Baby, das über die eigenen Füße stolpert. Sie hat die Beine so lange im Fischschwanz gefangen, da warn die hinüber. Aufgeben wollt sie aber auch nicht, obwohl es ihr Angst machte, an Land zu sein, ist ja kein Wunder.“
Roffeys Roman erzählt von Menschen, die mit harten historischen Brüchen leben, in einer Sprache, der sich diese Brüche eingeschrieben haben. Die deutsche Sprache, so wandelbar sie insgeheim sein mag, kann davon nur ein schemenhaftes Abbild liefern, nur den Schatten einer Sprache. Da mein karibisches Deutsch eben nicht historisch gewachsen und von kulturellen Zusammenhängen getragen ist, hat sein besonderer Klang nur insoweit irgendeine Bedeutung, wie der darin verfasste Text sie herstellt: als Marker für Gruppenzugehörigkeit und Hierarchien; als melodische Ausdrucksweise von Menschen, denen Musik viel bedeutet; als Begegnungsraum für Begriffe aus unterschiedlichsten Kulturen; als Gegenpol zu einer standardisierten Literatursprache.
Aber das ist ja nicht nichts. Dafür riskiere ich gern einen verknacksten Knöchel. Vielleicht können wir als Sprecher·innen des Deutschen davon lernen, ein bisschen weniger hüftsteif mit unseren eigenen kulturellen Komplexitäten umzugehen.