Maddie Mortimer: Maps of Our Spectacular Bodies
Übersetzt aus dem Englischen von Maria Meinel
Zweisprachige Leseprobe

Warm-Ups

He’s coming.

The little devil, unlikely hero
singing, staining his way
through the peripheral vein,
all strange and red and
perfectly cooked for destruction.

For one brief moment
blush-quick, a fearful something
slips and limps within me, so much that I
sink
sink
sink past ribbons, scoops,
I sink on through
serosa,
parietal,
stem, great mountains of
mucus before
enterwhatsisname?
Enteroendocrine, marks of some
hard laughs here, footprints
headed home, Yes chief,
i sink on down like a moon
rips through night, or faith parts
reason like a comb, and
hide deep enough to be mistaken for
a mere dodgy dinner,
or a spot of
salmonella.

 

Translation

When Lia came to, Anne was perching next to a bed that was not her bed, in a room that was not her room. Her mother’s large planet-black eyes tapped shut every few seconds. She twitched curiously the way birds do when studying their very first hatching, their first glistening object of great and undivided interest.

Everything about her looked polished, precise.

All that restlessness had vanished.

It’s OK, Anne said, you’re in the hospital.

She had performed one of her intruding mind-tricks.

Lia tried to speak.

Shhh – the hush of soft feather against a forehead.

You had a bad seizure. The ambulance came.

Lia’s eyes made their adjustments. The room trembled,
then cleared and she
marvelled at her mother’s beautiful bird body.

 

Hello.

Hello.

For a moment, Lia wanted more than anything to laugh, but before the signals had completed their journey, Anne was already giggling, before Lia could even begin her Look at us, look at how ridiculous we must look, a bird and her dying yellow daughter, the two of them were laughing together for the very first time. The very last time. Each of their laughs began to rest, lean, test the other’s weight, howl, tone and character – relishing the unlikely harmony of two such newly acquainted sounds.

There she is. There she always was, thought Anne – her little girl’s gums, her little girl’s grin, the naughty chill in her giggle – devilish glee swimming about in her bottomless eyes. Whatever had come before – this was theirs.

Lia watched her mother shaking with faint, stubborn radiancy in
her new white feathers.

Well, Lia thought – there she is. There she always was.

Sometimes it takes a lifetime to receive the world in a
language different to your own; to let the shape and taste
and sense of a thing eclipse its own translation.

A nurse with a particularly feline walk came and took Lia’s blood pressure. Anne felt an acute intrusion.

You’ll be good to go soon, the nurse said.

You’re going home. Harry is just getting the car, Anne said quietly. Iris is with him, too.

She hasn’t left your side all morning, the nurse added, grinning kindly as she peeled off the Velcro before sliding elegantly away.

Time flung forward. The bird tried to wrench it back. She moved closer to her daughter’s bed, her shoes like claws making little clicks on the vinyl floors. She spoke so quietly, now, in less than a whisper – She is the best of you both, you know, her wings shut tight behind her back, her eyes like pools of slick bristling with the clearest meaning she did not need to expound – Really, she added, correcting herself, she is the best of all three of you.

Somebody opened the blinds. Grey, mid-afternoon light swept across the room. Beds lined up in rows like sardines, silver in their oil and machinery.

You have no idea, Anne said. No idea how much you’ve taught me.

I have been a bad daughter to you, Lia said, her voice strengthened by the laughter.

Anne shook her head.

You haven’t.

She let her rehearsed confessions simmer certainly up her throat, for she was prepared. She was ready:

I have been cowardly,
I have been cold, coarse, controlling, inarticulate and selfish,
I have turned a blind eye to protect myself,
I have not, in truth, known how to love you.

But Lia looked at her mother and said, Can I ask a question, first.

Yes. Go on.

It’s silly. But something I want to know. You whispered to Matthew. In the hospital, after the accident, something about losing one of us. You said – I would rather die than lose—

Her. It was her. Of course it was.

Me?

It has always. Always. Been you.

 

Maddie Mortimer: Maps of Our Spectacular Bodies. Pan Macmillan, 2022.

Einsingen

Da kommt er.

Der kleine Teufel, ungewöhnlicher Held,
sudelt sich singend seinen Weg
durch die periphere Vene,
sehr seltsam und rot und
perfekt getrimmt auf Vernichtung.

Für einen kurzen Moment,
schamrotschnell, schlüpft und schlingert
ein banges Etwas in mir drin, so sehr, dass ich
sinke
sinke
sinke vorbei an Schlingen, Schippen,
sinke weiter durch
Serosa,
Scheitelbein,
Stamm, große Berge von
Schleim vorm
Enterwienochma?
Enteroendokrin, Spuren von
heftigem Lachen hier, Fußspuren
hasteten heim, Ja, Chef,
ich sinke hinab wie ein Mond
die Nacht zerreißt, oder Glaube kammgleich
Vernunft durchscheitelt, und
verstecke mich so tief, um durchzugehen als
nur eine suspekte Speise
oder ein Fleck
Salmonellen.

 

Übersetzung

Als Lia zu sich kam, hockte Anne neben einem Bett, das nicht ihr Bett war, in einem Zimmer, das nicht ihr Zimmer war. Die großen planetenschwarzen Augen der Mutter blinkerten alle paar Sekunden. Sie zuckte neugierig, so wie es Vögel tun, wenn sie das allererste Schlüpfen beäugen, ihr erstes glänzendes Objekt von großem, ungeteiltem Interesse.

Alles an ihr wirkte geschliffen, genau.

Die Unruhe war verschwunden.

Alles gut, sagte Anne, du bist im Krankenhaus.

Sie hatte einen ihrer infiltrierenden Hirntricks angewendet.

Lia versuchte zu sprechen.

Sch – das leise Huschen einer weichen Feder an einer Stirn.

Du hattest einen schweren Infarkt. Der Krankenwagen kam.

Lias Augen passten sich langsam an. Das Zimmer zitterte,
klarte dann auf, und sie
bestaunte den schönen Vogelkörper der Mutter.

 

Hallo.

Hallo.

Für einen Augenblick wollte Lia einfach nur lachen, aber noch bevor die Impulse ihre Reise vollbracht hatten, kicherte Anne bereits, und bevor Lia zu ihrem Sieh uns doch an, sieh nur, wie lächerlich wir aussehen müssen, ein Vogel und ihre sterbende gelbe Tochter anheben konnte, lachten die beiden zusammen, zum allerersten Mal. Zum allerletzten Mal. Jeder ihrer Lacher würde verweilen, sich neigen, Gewicht, Geheul, Ton und Charakter des anderen testen – und die ungleiche Harmonie zweier so frisch bekannter Klänge genießen.

Da ist sie. Da war sie immer, dachte Anne – der Gaumen ihres Mädchens, das Grinsen ihres Mädchens, das freche Frösteln in ihrem Gickern –, teuflische Freude schwamm in ihren bodenlosen Augen. Was immer vorher gewesen war – das hier war ihnen nicht zu nehmen.

Lia sah ihre Mutter in ihren neuen weißen Federn mit blassem,
eigensinnigem Leuchten zittern.

Da ist sie also, dachte Lia. Da war sie immer.

Manchmal braucht es ein ganzes Leben, um die Welt in einer
anderen Sprache als der eigenen aufzunehmen; um zuzulassen,
dass Form und Geschmack und Empfindung einer Sache die
ihr zugewiesene Übersetzung verschatten.

Eine Krankenschwester mit ausgesprochen katzenhaftem Gang kam und maß Lias Blutdruck. Anne empfand das als akute Störung.

Sie werden gleich gehen können, sagte die Krankenschwester.

Du kannst nach Hause. Harry holt gerade das Auto, sagte Anne leise. Iris ist auch bei ihm.

Sie ist den ganzen Morgen nicht von Ihrer Seite gewichen, fügte die Krankenschwester hinzu, grinste freundlich, als sie das Klettband löste, und glitt elegant davon.

Zeit feuerte fort. Vogel versuchte, sie zurückzuzerren. Sie schob sich näher an das Bett ihrer Tochter heran, ihre Schuhe wie Krallen, die auf dem Vinylboden klackten. Sie sprach jetzt ganz leise, und ihre Stimme war kaum mehr ein Flüstern – Sie ist das Beste aus euch beiden, ihre Flügel schlossen sich fest hinter ihrem Rücken, ihre Augen wie Lachen von Schlick, gespickt mit der deutlichsten Botschaft, die keiner Erklärung bedurfte –, Genau genommen, fügte sie hinzu und korrigierte sich selbst, ist sie das Beste aus euch allen dreien.

Jemand öffnete die Jalousien. Graues Nachmittagslicht durchflutete den Raum. Betten, aneinandergereiht wie Sardinen, silbrig in ihrem Öl, ihrer Maschinerie.

Du hast keine Ahnung, sagte Anne. Du hast keine Ahnung, wie viel du mir beigebracht hast.
 

Ich bin dir eine schlechte Tochter gewesen, sagte Lia, ihre Stimme vom Lachen gestärkt.

Anne schüttelte den Kopf.

Bist du nicht.

Sie ließ ihre einstudierten Geständnisse mit Gewissheit die Kehle hochbrodeln; sie war vorbereitet. Sie wollte loslegen:

Ich war kleinmütig,
ich war kalt, kränkend, kontrollierend, wortkarg und egoistisch,
ich habe weggeschaut, um mich zu schützen,
ich habe wirklich nicht gewusst, wie ich dich lieben soll.

Doch Lia sah ihre Mutter an und sagte: Darf ich erst eine Frage stellen?

Aber ja. Nur zu.

Eine dumme Frage. Aber ich möchte es wissen. Du hattest Matthew damals etwas zugeflüstert. Im Krankenhaus, nach dem Unfall, etwas darüber, einen von uns zu verlieren. Du sagtest: Weißt du, wer mir wichtiger ist als mein Leben?

Sie. Es war sie. Natürlich.

Ich?

Immer schon. Immer warst es du.

 

Maddie Mortimer: Atlas unserer spektakulären Körper. Aus dem Englsichen von Maria Meinel. Hoffmann & Campe Verlag, 2023.