Bernardine Evaristo: Mr. Loverman
Übersetzt aus dem Englischen von Tanja Handels
Zweisprachige Leseprobe, Teil I

Morris is suffering from that affliction known as teetotalism. Oh, yes, not another drop of drink is goin‘ pass his lips before he leaves this earth in a wooden box, he said just now when we was in the dancehall, Mighty Sparrow blasting ‚Barack the Magnificent‘ out of the sound system.

Last time it happen was when he decided to become vegetarian, which was rather amusing, as that fella has spent the whole of his life stuffing his face with every part of an animal except its hair and teeth. Anyways, all of a sudden Morris started throwing exotic words into the conversation like ‚soya‘, ‚tofu’ and ‚Quorn‘ and asking me how I would feel if someone chop off mi leg and cook it for supper? I didn’t even deign to reply. Apparently he’d watched one of those documentaries about battery chickens being injected with growth hormones and thereby deduced he was goin‘ turn into a woman, grow moobies and the like.

„Yes, Morris,“ I said. „But after seventy-something years eating chicken, I notice you still don’t need no bra. So, tell me, how you work that one out?“

Get this now: within the month I found myself walking past Smokey Joe’s fried-chicken joint on Kingsland High Street, when who did I see inside, tearing into a piece of chicken, eyes disappearing into the back of his head in the throes of ecstasy like he was at an Ancient Greek bacchanalia being fed from a platter of juicy golden chicken thighs by a nubile Adonis? The look on his face when I burst in and catch him with all of that grease running down his chin. Laugh? Yes, Morris, mi bust mi-self laughing.

So there we was in the dancehall amid all of those sweaty, horny youngsters (relatively speaking) swivelling their hips effortlessly. And there was I trying to move my hips in a similar hula-hoop fashion, except these days it feels more like opening a rusty tin of soup with an old-fashioned tin opener. I’m trying to bend my knees withough showing any pain on my face and without accidentally goin‘ too far down, because I know I won’t be able to get up again, while also tryin‘ to concentrate on what Morris is shouting in my ear.

Bernardine Evaristo: Mr Loverman. Penguin, 2013.

Morris leidet an dem Gebrechen, das allgemein unter der Bezeichnung »Abstinenz« bekannt ist. O nein, kein Tropfen Fusel kommt ihm mehr über die Lippen, bis er mit den Füßen voran aus dieser Welt scheidet, hat er mir grad erst erklärt, in der Dancehall, während Mighty Sparrow sein »Barack the Magnificent« aus dem Soundsystem schmetterte.

Letztes Mal hatten wir das, als er beschloss, Vegetarier zu werden, ganz großer Witz, schließlich hat der Mann sein Leben lang so ziemlich jeden Teil vom Tier in sich reingestopft, bis auf Fell und Zähne. Aber egal, mit einem Mal fängt Morris an, im Gespräch mit exotischen Wörtern wie »Soja«, »Tofu« und »Quorn« um sich zu werfen, und mich fragt er, wie’s mir denn gefallen würd, wenn mir einer das Bein abhackt und es sich zum Abendessen brät? War mir nicht mal die Antwort wert. Anscheinend hatte er ne Doku über Legehennen gesehn, denen Wachstumshormone gespritzt werden, und messerscharf draus geschlossen, dass er dann demnächst zur Frau wird, dass ihm Männermöpse wachsen und dermehren gleich.

»Alles klar, Morris«, hab ich gesagt. »Aber mir fällt doch auf, dass du nach mehr als siebzig Jahren Hühnerverzehr immer noch keinen BH brauchst. Lass mal hörn, wie du dir das erklärst.«

Was soll ich sagen: Keinen Monat später komm ich an Smokey Joes Hühnerbraterei in der Kingsland High Street vorbei, und wen seh ich drinnen hocken und sich über sein Hähnchen hermachen, die Augen verdreht in wilder Ekstase, als wär er beim altgriechischen Bacchanal und würd von einem knackigen jungen Adonis mit nem Teller saftig goldiger Hähnchenschenkel gefüttert? Sein Gesicht, als ich reingestürmt kam und ihn ertappt hab, wie ihm noch das Fett übers Kinn läuft! Wieso ich da lache? Mann, Morris, du machst mich fertig.

Wir also in der Dancehall, zwischen all den schwitzigen, sexhungrigen Jungspunden (also, aus unserer Sicht), die mühelos mit den Hüften kreisen. Und ich immer bemüht, meine Hüften in ähnlicher Hula-Hoop-Manier zu schwingen, was sich inzwischen leider eher so anfühlt, als würd man versuchen, ne rostige Suppenbüchse mit nem altmodischen Dosenöffner aufzukriegen. Ich versuch also, locker in den Knien zu bleiben, ohne vor Schmerzen das Gesicht zu verziehn oder sie versehentlich zu tief zu beugen, weil ich dann nämlich nicht mehr hochkomm, das weiß ich schon, und dabei muss ich mich auch noch drauf konzentrieren, was Morris mir ins Ohr brüllt.

Bernardine Evaristo: Mr. Loverman. Aus dem Englischen von Tanja Handels. Berlin, Tropen Verlag, 2023.