Journale Prosa So exotisch wie China und so amerikanisch wie das FBI
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So exotisch wie China und so amerikanisch wie das FBI

Übersetzungsjournal zu Richard Ford, „Be Mine“ / „Valentinstag“

Der Roman und sein Erzähler
Die übersetzerischen Herausforderungen
Inszenierung des Gedankens / Satzbau
Schräger Humor
Kulturelle Anspielungen
Namen und Ereignisse als Assoziationstrigger
Nachwort und Anmerkungen
Die Zusammenarbeit mit dem Autor

Der Roman und sein Erzähler

Seit 2001 übersetze ich Richard Ford ins Deutsche, „Be Mine“ ist meine siebte Ford-Übersetzung. Es ist zugleich sein fünftes Buch mit dem Erzähler Frank Bascombe (1986 begann das mit The Sportswriter), den er als alter ego, etwas jünger als er selbst, begleitet. Ich schlüpfe zum dritten Mal in diese Erzählstimme, bin mit dem Bascombe-Sound also durchaus vertraut und mag diesen eigensinnigen US-amerikanischen Jedermann, der mir zwischendurch auch auf die Nerven geht, sehr. Frank ist auf typisch amerikanische Weise pragmatisch, hat sich in verschiedenen Jobs versucht und ist irgendwann Immobilienmakler geworden – eine fantastische Großmetapher für die Beziehung der Amerikaner zu Business, Besitz, Erfolg, Repräsentation, möglichen Wurzeln. Frank ist zwei Mal geschieden, beide Male blieb das diffuse Gefühl, dass das nicht hätte sein müssen, aber offenkundig nicht anders ging; zu beiden Frauen hat er engen Kontakt gehalten, das gegenseitige Sich-Gut-Kennen, aber Sich-Nicht-Wirklich-Verstehen hat sich ebenfalls gehalten. Mit Ann, seiner ersten Ehefrau, hat Frank drei Kinder: Ralph, der mit neun Jahren schwer krank wurde und starb, woran die Ehe mit Ann zerbrach; Clarissa, mit der Frank eine solide Abneigung verbindet und aus der eine herrische Lesbe geworden ist; und schließlich Dauersingle Paul, der immer schon schräg war und sein Leben eher schlecht auf die Reihe bekommen hat; mit ihm teilt Frank einen ähnlichen Sinn für Humor, Absurdes und Abgelegenes. Kommunikation stellt in dieser dysfunktionalen Familie eine fast unüberwindliche Hürde dar, aber man hält zusammen, bemüht sich immer wieder und kriegt „es“ dann doch hin. Über all das – und über Politik und Lebensphilosophie im Allgemeinen – denkt Frank ständig nach, räsoniert aufs Vergnüglichste vor sich hin. Mal verheddert er sich in seinen Denkschlingen, mal zerschlägt er deren gordische Knoten; mal landet er treffsicher auf einem „C’est la vie“-Gemeinplatz, mal überrascht er uns mit geradezu weisen Einsichten. Oder zumindest solchen, über die wir verblüfft einen Moment nachdenken. Zum Beispiel: „Age makes the long game the only game in town.“1 Kurz überlegen, paraphrasieren (Wenn du älter bist, bleibt dir nichts anderes übrig, als Geduld zu üben) und dann transferieren in ein ähnliches Spiel mit idiomatischen Elementen: „Wenn du älter bist, ist der Geduldsfaden oft der einzige rote.“2

Richard Ford: Valentinstag. Aus dem amerikanischen Englisch von Frank Heibert, Hanser Berlin, 2023.

Jedes Bascombe-Buch spielt zeitlich um einen amerikanischen Feiertag herum, Ostern, Weihnachten, Unabhängigkeitstag, Thanksgiving, diesmal Valentinstag. Die Liebe ist denn auch das zweite Großthema neben Sterben und Verlust – in den verschiedensten Spielarten, von der Partnerliebe über alte Lieben und Spätfrühlings-Verliebtheiten bis hin zur Vaterliebe. Im Zentrum des Plots steht eine niederschmetternde Diagnose: Sein Sohn Paul hat ALS, von der schlimmen, schnellen Sorte. Und Frank – im Bewusstsein, Paul nie ein besonders guter Vater gewesen zu sein – ist fest entschlossen, jetzt alles richtig zu machen. Er begleitet Paul in die Mayo-Klinik in Minnesota, eine letzte Chance in Gestalt einer experimentellen Medikamentenstudie. Als diese nichts bringt, drängt er seinen Sohn zu einer Reise, der abgespeckten Version einer Tour, die sie immer schon machen wollten, und ein ziemlich absurdes Roadmovie beginnt. Ziel der Reise ist der Mount Rushmore, und der Weg dorthin führt durch mehrere Fly-over-States und wimmelt von teils banalen, teils schrägen Begegnungen. Jede Nebenfigur, der sie begegnen, wird beschrieben und in irgendeiner Weise eingeordnet, mit dem neugierigen, nur zuweilen wertenden Blick von Frank, der über die Figuren, ihr Leben, ihren Hintergrund spekuliert und mit seinen Assoziationen dazu quasi das Rohmaterial zu einer eigenen Novelle oder einem Roman über sie liefert. Die Leser·innen können das Material weiterspinnen, sozusagen den Suppenwürfel aufgießen, die angebotenen Trigger-Knöpfchen drücken – oder auch nicht. Auf diese Weise entsteht ein Panoptikum aus Nebenfiguren, eine Art comédie humaine des heutigen Amerika; doch statt Balzac’sche Exkurse zu schreiben, scheint der Ich-Erzähler Frank Bascombe zu sagen: ‚Ich weiß, dass ich nichts weiß, aber ich könnte mir dies oder jenes vorstellen, Ihr auch?‘ In dieser erzählerischen Offenheit spiegelt sich die Unsicherheit der modernen Existenz ebenso wie die Unsicherheit in Bezug auf die konkret erzählte Geschichte (wer weiß schon, ob das gut geht, diese Winter-Tour in einem nicht beheizbaren gemieteten Oldie-Wohnmobil mit einem immer hilfloseren Schwerkranken).

Diese Elemente der Verunsicherung dienen als ideales Gegengewicht zur potenziell gefühligen Geschichte des Last-Minute-Bondings zwischen Vater und Sohn; durch den oft distanziert beobachtenden Blick und die zu Gebote stehende (Selbst-)Ironie berührt mich diese ‚letzte Reise‘ erst recht.

Die übersetzerischen Herausforderungen

Diesen vielschichtig changierenden Ton zu treffen hat mir, wie immer, Freude gemacht – es war aber nicht die einzige übersetzerische Herausforderung an dieser 500 Normseiten langen Reise. Folgende Punkte lassen sich benennen:

– Die typisch Bascombe’sche Inszenierung der Gedanken sorgt oft für prallvoll gestopfte Sätze mit Verdichtungen, Wortneuschöpfungen, Einschüben, lauter eher typisch schriftlichen Elementen, dann aber prompt garniert mit äußerst mündlichen Wörtern oder Halbsätzen;

– der schräge Humor, den Frank und Paul miteinander teilen, führt zu einer ganzen Reihe oft seltsamer Wortspiele (das war übrigens auch schon in „Die Lage des Landes“ von 2007 der Fall, wo Paul ‚witzige‘ Grußkarten für die Firma Hallmark textete, allerdings waren das häufig – explizit – zu abgedrehte Sprüche, deren Witz etwas an den Haaren herbeigezogen war3; so auch hier gelegentlich);

– die Vielzahl der kulturellen Anspielungen, Bezüge, Vergleiche, die als Triggerknöpfe im Text wichtig sind, aber – passend zu Pauls und Franks Vergnügen an möglichst abgelegenen, originellen Assoziationen – so obskur, dass sie dem deutschen Lesepublikum eher nichts sagen;

– und schließlich der spannende und hilfreiche Austausch mit dem Autor zu vielen Fragen, die mir auch meine üblichen Referenz-Muttersprachler·innen nicht beantworten konnten; Ford legt, wie ich, Wert auf diesen Austausch – aber nach dem, was er mir zum Umgang mit den schwierig zu lösenden Problemen vorgibt, muss ich mich dann natürlich auch richten.

In diesem Journal möchte ich illustrieren, wie ich versucht habe, diese Schwierigkeiten aufzulösen.

Inszenierung des Gedankens / Satzbau

Die vollgestopften, teils schriftlich, teils mündlich wirkenden Sätze kommen oft bei Personenbeschreibungen vor; so etwa die Charakterisierung von Mike Mahoney, einem waschechten Tibeter, der seinen Namen irgendwann zu „etwas Irischerem“ geändert und früher mal in Franks Immobilienbüro gearbeitet hat, jetzt aber sein Chef ist:

„Mike Mahoney, my would-be boss, is as ever a semi-lovable, quasi-honest entrepreneurial dynamo who believes that in all of his money-making forays he’s being natively ‘responsive‘ to the suffering of others by relieving them of their encumbrances—their homes—all of it in accordance with some Dharmic dictum written in a bardo somewhere. I am sympathetic to him if only because he risks his skinny Tibetan ass on longshots and wins.“4

Die Adjektivballung ist ebenso typisch wie die ironische Umständlichkeit in der Beschreibung von Mikes Business-Geist – und dann die plötzliche Direktheit von Franks Reaktion. Solche Sätze gibt es oft, sie haben etwas teils Surfendes, teils Schlingerndes im Ton, und umso befriedigender und oft auch amüsanter ist die Punktlandung auf einer kleinen Pointe, hier „wins“.

„Mike Mahoney, mein Möchtegernboss, ist wie immer ein halbwegs liebenswerter, quasi-ehrlicher Unternehmerdynamo, der es zu seinen angeborenen Vorzügen zählt, dass all seine geldgierigen Beutezüge auch das Leiden anderer lindern, indem er sie von ihren Lasten befreit – ihren Häusern. Steht alles in Übereinstimmung mit dharmischen Sprüchen aus irgendeinem Bardo. Mir für meinen Teil ist Mike sympathisch, und sei es, weil er seinen kleinen tibetischen Arsch riskiert und auf lange Sicht gewinnt.“5

Schräger Humor

In der Abteilung „Wortspiele et al.“ ist einiges los. Mit Eigennamen spielt Ford gern in seinen Bascombe-Werken. Der eine Arzt heißt „Dr. Bendo“ – ergänzt durch den Einschub „if you can believe that“6 (damit man auch an „bend over“, sich vorbeugen, denkt; auf Nachfrage höre ich, Ford hatte mal einen Urologen dieses Namens, if you can believe that). Der andere heißt „Dr. Bogdan Čilić“ und hat den Spitznamen „Bog down“7, also wörtlich, sich festfahren, im Schlamm versinken … Da hilft auf Deutsch nur eine Geschlechtsumwandlung zu „Dr. Hedda Čilić“, die sich „verhedda-t“.8 Zum Glück konnte es in diesem Kontext auch eine Ärztin sein.

Und was hat es zu bedeuten, wenn Paul aus heiterem Himmel verkündet, er will sich von jetzt ab „Gus Blaine“ nennen, und fügt als Erklärung hinzu: „No Gus, no glory“?9  Des Rätsels Lösung ist die Redewendung „No guts, no glory“, mit der Ford (Paul) hier spielt, also so viel wie „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt“. Auch hier muss ich den Namen leicht verändern, was ja nicht schlimm ist, denn er dient ausschließlich zur Pointe: Auf Deutsch will Paul „Will Blaine“ heißen: „Wo ein Will, da ein Weg.“10

Zur Familienfolklore gehört ein kontextfreies Wortspiel, über das sich alle früher schiefgelacht haben; im Roman dient es auch als Auslöser, um Erinnerungen an eine Zeit, wo die Familie noch intakt(er) war, abzurufen. Der Satz lautet „You have a cute angina“11 (statt „acute angina“), also eine goldige, keine akute Angina. Eigentlich ein Kinderwitz, ein Missverständnis für den kleinen Paul, der das Wort „acute“ noch nicht kannte … „Du hast eine Deppression“, ist meine Version, „oder kriegen das nur Deppen?“12 Auch das könnte ein Kindermissverständnis sein. Der Witzgrad scheint mir vergleichbar.

Ein letztes Beispiel. In Rochester, Minnesota, wo die Mayo-Klinik liegt, haben Frank und Paul eine Lieblingsreinigung, schon weil ihnen der Name so gut gefällt: „Free Will“. Die möglichen Assoziationen sind vielfältig; ganz vorn steht der uramerikanische Freiheitsgedanke – auf den auch der Werbeslogan im Schaufenster anspielt: „Lint Free or Dye“13 (Fusselfrei oder Färben, als Spruch nur grenzwertig sinnvoll), ein Wortspiel mit dem Motto von New Hampshire, „Live Free or Die“. Sodann gibt es eine Untergruppe von Baptisten, die „Free Will Baptists“, die an einer anderen Stelle des Buches kurz vorkommen; und nicht zuletzt erinnert es an den sentimentalen Orca-Jugendfilm „Free Willy“ (bei diesem Roman ist keine Assoziation zu abgelegen!). Was sind hier die unabdingbaren Aspekte, was die entbehrlichen? Das Werbe-Wortspiel legt die Fährte: Es kommt Ford, wie er mir erläutert, vor allem auf den amerikanischen Freiheitsgedanken an, der sich hier in einer Reinigung austobt.

Nur, welche·r deutsche Leser·in würde aus dem Stand bei einem deutschen Wortspiel à la „Lint Free or Dye“ an New Hampshires Motto denken, für das es auch keine gängige deutsche Entsprechung gibt? („Frei leben oder sterben“ hat keine idiomatische Verankerung.) Ich muss eher schauen, den Werbespruch fürs Schaufenster mit einem Wortwitz zu bauen; den Namen der Reinigung belasse ich auf Englisch („Free Will“ ist für jede·n Ford-Leser·in verständlich), das verweist auf das Uramerikanische und die Free Will-Baptisten. Der schräge Slogan lautet bei mir „Porentief frei – vom Fleck weg“.14 Es geht hier zentral um Freiheit oder Tod. Also nehme ich mir die übersetzerische Freiheit … sonst ist die Pointe tot.

Kulturelle Anspielungen

Ein Teil der bisherigen Beispiele lebt bereits von den Anspielungen auf alle möglichen Bereiche der amerikanischen Kultur im weitesten Sinne – von der Geschichte zur Politik oder Religion, und natürlich kommen die weiten Welten von Sport, Pop, Film und Fernsehen noch hinzu.

Während der Reise hat Paul immer wieder aggressive Momente; gerade dass Frank sich so darum bemüht, alles so gut und richtig wie möglich zu gestalten, reizt ihn und lässt ihn unduldsam werden. So sagt er einmal: „There actually may be an excuse for elder abuse.“15 Zunächst verstehe ich, dass er seinem Vater gerade am liebsten an die Gurgel gehen würde. Aber da ist auch noch der signalhafte Binnenreim excuse-abuse, und siehe da: Es gibt offenbar einen Spruch – einen der vielen Autoaufkleber-Sprüche, die amerikanische Wagenhecks zieren – mit dem Wortlaut: „There’s no excuse for elder abuse“. Es ist unentschuldbar, Ältere zu misshandeln. Ob das auf üble Zustände in Pflegeheimen anspielt, konnte ich nicht zweifelsfrei recherchieren, aber den Aufkleber-Spruch gibt es, und Paul spielt damit. „Vielleicht sollte es doch mal einer wagen, alte Menschen zu schlagen“16 – damit ist sein Satz im Dialog erst einmal inklusive Binnenreim gelöst. Aber der kulturelle Bezug ist für deutsche Leser·innen nicht textimmanent zu liefern. Was in diesem Roman sehr oft passiert.

Was hat es zu bedeuten, wenn Paul irgendwann zu Frank sagt: „You’re the greatest, Alice“17? Da muss man schon wissen, dass das ein leitmotivischer Satz aus der 50er-Jahre-Fernsehserie The Honeymooners ist. Das ist nur eines von vielen Beispielen für die situativ abgerufenen Perlen (manchmal Glasperlen) der US-Popkultur.

Zuweilen hat das einen fast dokumentarischen Anschein. Beim touristischen Besuch im „Größten Maispalast der Welt“ – einem Highlight unter den Kuriosa dieser Reise – begegnen wir einer der Listen, die Frank/Ford ab und zu gern bringt. Was hat sich in dieser Vielzweckhalle im Lauf ihrer Geschichte alles abgespielt, wer ist aufgetreten, und was erzählt uns das über das Historisch-Anekdotische hinaus? Frank beschreibt das alles ausführlich.18

„As a youth, I deemed the Palace definitely the most flamboyant of human-constructed amazements—corncob minarets, corncob squinches, corncob Moorish arches and corncob “Russian” roof onions—plus corn entablatures featuring farmers clog-dancing, farmers singing, farmers farming, and Mr. Welk mincing around, pretending to lead the band like Paul Whiteman. On exiting back outside into the hot, soil-fragrant Dakota summer’s eve, I recall thinking I’d made a first contact with the magical union of the unquestionably hay-wire with the inscrutably wondrous. Here, with materials found right under their feet (corn), hapless clodhoppers had built a Taj Mahal better (they thought) than the real one—since theirs was here on Main Street, and nobody needed to go to Agra. Billy Graham could stage a prayer breakfast here—and did. Tennessee Ernie could sing “Sixteen Tons,” Jack Benny could play the violin. Presidential ballots (Grover Cleveland and William McKinley) could be cast. The art league could hold its spring outing of local genius, and the Mitchell Fighting Kernels could shoot hoops. Every last bit of it as American as the FBI. Which is why my son should see it—since connections between the heartfelt and the preposterous are his yin and yang.
   As we approach the street entrance, tourists are streaming in and out of the Palace under the old movie marquee, some taking selfies, smirking and wisecracking about the Palace being a joke only they truly understand. This season’s theme is a “Salute to the Military”—the huge Palace facade showing corn renderings of our Marines on Suribachi, our Air Force dropping the A-bomb on Nagasaki, our sailors on the ill-fated USS South Dakota—casualty of Guadalcanal—as well as ranks of corn soldiers saluting an enormous corn stars-and-stripes. Many out here are veterans and are standing at fierce attention on the freezing sidewalk, saluting the big corn tapestries and having their pictures snapped by loved ones. To them this is the final measure.
   “What the fuck is this?” Paul says, as I’m aiming his chair toward the bank of outside doors.
   “It’s hard to describe,” I say. “It’s my surprise.”   
   “No shit,” as I wheel him straight inside into what is, in essence, a dim-lit, old-style, odiferous theater lobby, unmodernized since my visit sixty-six years ago.
   The big shadowy foyer is blessedly warm, and furnished with playbills of the many famous acts that have graced the auditorium stage, which lies beyond the lobby’s rear doors with red-velvet curtains, which is where all the visitors are headed. There’s a dense, lurid feel inside here of something not-quite-nice being made public, which I sort of like. Paul’s gaping around as if he doesn’t think anything’s particularly strange, taking in photos of the Dorsey brothers, the Three Stooges, Crystal Gayle and Pat Boone, as well as The Great Commoner and right-wing huckster William Jennings Bryan who retailed his “Cross of Gold” speech here in 1900. Liberace is pictured at a white concert grand with candles, wearing a white tux and his trademark venereal grin.“

Frank war als Kind mit seinen Eltern schon einmal hier und will die Erfahrung an seinen Sohn weitergeben. Er benennt, fast schon programmatisch, wofür dieser Ort steht. Für ihn selbst: „the magical union of the unquestionably hay-wire with the inscrutably wondrous“ (das ist Ford pur, dafür muss man ihn lieben), und für Paul: eine Verbindung „between the heartfelt and the preposterous“. Diese Stelle als Schlüssel für das Verständnis der gesamten Szene muss sitzen.

Mitchell Corn Palace, South Dakota

Kurzexkurs: Semantisches Ausfeilen

Die Wortwahl für die Kraftbegriffe, die hier eine Verbindung eingehen, ist bedeutsam. Welches der Fast-Synonyme wähle ich?                  

unquestionably: unstrittig, zweifellos, fraglos, eindeutig etc.;

haywire: chaotisch, kaputt, übergeschnappt, durchgedreht etc.;

inscrutably: unergründlich, rätselhaft, unbegreiflich, unerforschlich etc.;

wondrous: erstaunlich, verwunderlich, wunderbar, wundersam etc.;

heartfelt: herzlich, aufrichtig, tiefempfunden, innig etc.;

preposterous: absurd, lächerlich, grotesk, unsinnig, absonderlich etc.

Das hängt erstens mit den semantischen Nuancen zusammen, die ich herausarbeiten will, und die wiederum ergeben sich aus der Haltung (er meint das mit der Magie hier ernst, will es nicht abtun oder sich darüber lustig machen, sieht aber zugleich, dass es lustig ist), aber auch mit dem Rhythmus in der Kombination. Ich wähle die „magische Vereinigung aus dem fraglos Überdrehten und dem unerforschlich Wundersamen“ und die „Nähe zwischen dem Tiefempfundenen und dem Lächerlichen“.19

Namen und Ereignisse als Assoziationstrigger

Was die kulturellen Ereignisse im Maispalast betrifft, muss ich recherchieren. Das Meiste findet sich im Netz, oder mein amerikanischer Lieblingskollege Danny Bowles, mit dem ich eine Art lockeres Muttersprachler-Tandem für Übersetzungsfragen pflege, erklärt es mir, oder Ford selbst. Und klar ist: Von Liberace hat man hierzulande schon gehört, praktisch alles andere ist Spezialwissen (Musik, Pop, Geschichte, Sport, Militär) und nicht vorauszusetzen. Doch ohne dieses Wissen läuft diese Passage Gefahr, leeres Namedropping und Wortgeklingel zu bleiben. Es ist, wie gesagt, nicht die einzige in diesem Roman.

Bei einem Treffen mit Richard, seiner Frau Kristina und seiner französischen Übersetzerin Josée Kamoun in Paris sprach ich das Dilemma direkt an. Es gibt tendenziell drei Methoden, mit derlei Passagen in der Übersetzung umzugehen. Entweder, wir lassen die Leser·innen selbst entscheiden, ob sie alles Unbekannte googeln oder (zunehmend gleichgültig oder irritiert?) drüberweglesen wollen; oder wir versuchen, textimmanent oder textextern Erklärendes zu liefern; oder wir streichen heraus, was unverständlich ist.

v.l.n.r. Frank Heibert, Richard Ford, seine Frau Kristina Hensley. Foto: Josée Kamoun

Natürlich muss man sich nicht für nur eine Methode entscheiden. Fords Antwort lautete: Am wenigsten lieb wäre es ihm, die Leser·innen mit diesem cultural gap alleinzulassen. Er will natürlich nicht, dass sie womöglich von Bord gehen, im Gefühl: Dieses Buch meint nicht mich.

Jede einzelne Stelle war daraufhin zu prüfen, ob ich darauf vertraue, dass die Ford-Leser·innen über genug Allgemeinwissen für eine Anspielung verfügen (ich muss nicht erklären, wer Lord Byron ist); wie man es elegant machen kann, wenn die kulturellen Bezüge nicht SO gehäuft auftreten, diskret etwas in den Kontext einzubauen (indem ich z.B. einem hierzulande unbekannten Sportlernamen wie Bob Cousy20 noch die Information „der Basketballer“ mitgebe); ob ich, weil das als abzurufende Assoziation noch nicht ausreicht, noch mehr sagen muss (weil er als „der beste Basketballspieler aller Zeiten“ gilt, was sich nicht mehr in den Text einbauen lässt, ohne nach Abendschulkurs zu klingen); oder ob ich, im Abwägen von Aufwand und Relevanz, beschließe, eine kleine Anspielung zu streichen, die ich für nicht so entscheidend halte.

Nachwort und Anmerkungen

Tatsächlich gab es zahlreiche Stellen, die mehr Erläuterung brauchten, als sich diskret im Text selbst unterbringen ließ(e). Daher stellte ich Richard Ford und dem Verlag die Frage, ob ein Glossar in Frage käme. Für den Autor war das gut denkbar; verständlicherweise war Hanser Berlin, der Verlag, zuerst skeptisch (müssen wir US-amerikanische Gegenwartsliteratur wirklich erklären?), stimmte dann aber zu (für die französische Ausgabe ist das anscheinend undenkbar). Wir kamen überein, dass ich in einem kurzen Nachwort den Sinn der Anmerkungen begründe (hier ein Auszug):

„Ist mein prinzipielles übersetzerisches Ziel Wirkungsäquivalenz, so stößt diese genau hier an ihre Grenzen: Was in den USA selbstverständlich ist, kann in Deutschland unverständlich sein. Bei einem chinesischen Roman würde das nicht überraschen; Ford zeigt uns, die wir ‚Amerika‘ so gut zu kennen meinen, dass die US-Provinz ebenso exotisch sein kann wie China. Und so greift diese deutsche Ausgabe zu einem Mittel, das bei Übersetzungen aus fernen Kulturen gang und gäbe ist – zu dem Angebot, sich bei Bedarf kulturelle Referenzen durch Anmerkungen erläutern zu lassen.“21

Für diejenigen Begriffe und Phänomene, deren Verständnis dem gesamten Textverständnis dient, habe ich kurze, nach den Seitenzahlen geordnete Anmerkungen verfasst; die allererste ist mit einer Fußnote im Text markiert, die auf den gesamten Anhang verweist. Danach stören keine Fußnoten-Zeichen den Lesefluss mehr, doch wer etwas nicht zuordnen kann, weiß nun, dass er hinten nachsehen kann. Wie sieht die oben zitierte Passage auf Deutsch aus?22

„Als Grünschnabel erschien mir der Maispalast wie die flamboyanteste, verblüffendste Konstruktion von Menschenhand – Maiskolben-Minarette, Maiskolben-Trompen, »maurische« Maiskolben-Bögen, ‚russische‘ Maiskolben-Zwiebeltürme, plus Maisfriese mit tanzenden und singenden Bauern und dem Grimassen schneidenden Mr. Welk, der so tat, als leitete er die Band wie Paul Whiteman. Ich weiß noch, wie ich beim Hinauskommen in den nach Erde duftenden Dakota-Sommerabend zum ersten, entscheidenden Mal mit der magischen Vereinigung aus dem fraglos Überdrehten und dem unerforschlich Wundersamen in Verbindung trat. Hier hatten täppische Bauerntrampel aus den Rohmaterialien, die direkt unter ihren Füßen lagen (Mais), einen besseren (so fanden sie) Taj Mahal gebaut als der echte – denn ihrer war gleich hier in der Main Street, und keiner musste dafür nach Agra. In seinen Räumen konnte Billy Graham ein Gebetsfrühstück inszenieren – und tat das auch. Tennessee Ernie konnte Sixteen Tons singen, Jack Benny konnte Geige spielen. Präsidentschaftswahlen (Grover Cleveland und William McKinley) konnten ausgezählt werden. Der Kunstverein konnte seine Open-Air-Frühjahrsausstellung mit Werken seiner lokalen Genies abhalten, und die kämpferischen Mitchell Fighting Kernels konnten Körbe werfen. Alles, bis ins Letzte, so amerikanisch wie das FBI. Weshalb mein Sohn den Maispalast sehen soll, bevor er stirbt – die Nähe zwischen dem Tiefempfundenen und dem Lächerlichen ist schließlich sein Yin und Yang.
   Während wir uns dem Eingang an der Straße nähern, kommen und gehen Ströme von Touristen unter der alten Kinomarkise vorm Maispalast durch, machen Selfies, grinsen und klopfen Sprüche über den Palast, als würden nur sie den Witz wirklich verstehen. Das in Mais gestaltete Motto der Saison lautet ‚Salut dem Militär‘, auf der großen Fassade sind Abbildungen unserer Marines auf Iwojima, unserer Air Force, wie sie die Atombombe auf Nagasaki abwirft, unserer Seeleute auf der unglückseligen USS South Dakota – ein Opfer der Schlacht von Guadalcanal – und aufgereihte Maissoldaten, die vor einer riesigen Stars-and-Stripes-Flagge aus Mais auf einer kompletten Außenwand salutieren. Viele hier sind Veteranen und stehen in Habachtstellung auf dem Glatteis-Bürgersteig, salutieren der Mais-Tapete und lassen sich von ihren Lieben dabei fotografieren. Für sie ist das das Nonplusultra.
   »Was zum Teufel ist das denn?«, fragt Paul, als ich seinen Rollstuhl auf die Reihe der Außentüren zusteuere.
   »Schwer zu beschreiben«, sage ich. »Meine große Überraschung.«
   »Ach nee«, und ich schiebe ihn in diesen funzeligen, miefigen Raum, im Grunde ein altmodisches Theaterfoyer, unrenoviert seit meinem Besuch vor fünfzig Jahren.
   Das große dunkle Foyer ist herrlich warm, und überall hängen Plakate von berühmten Auftritten, die einst die Bühne im Auditorium zierten – jenseits der roten Samtvorhänge ganz hinten, dahin streben alle Touristen. Etwas subtil Schmuddliges hängt in der Luft, als würde etwas nicht so Nettes öffentlich gemacht, irgendwie mag ich das. Paul stiert um sich, anscheinend findet er nichts so richtig schräg, und lässt die Fotos von den Dorsey Brothers, den Three Stooges, Crystal Gayle und Pat Boone auf sich wirken, auch der Große Jedermann und rechtslastige Profitmacher, Präsidentschaftskandidat William Jennings Bryan, ist dabei, der hier Anno 1900 erneut seine »Rede zum Kreuz aus Gold« hielt. Liberace sitzt an einem weißen Flügel mit Kerzen und trägt zum weißen Smoking ein breites lüsternes Grinsen.“

Auch auf Deutsch entfaltet sich die Wirkung des Textstücks erst richtig, wenn die Leser·innen sich eine Vorstellung von den Assoziationen in dieser Passage machen können, die für die kulturelle Zugehörigkeit der hiesigen Menschen stehen. Wer über die Anmerkungen23 hinaus etwas erfahren will, muss im Netz nach Bildern, Songs und weiteren Infos suchen. Hier die Anmerkungen zu der vorhin zitierten Passage:

252 Lawrence Welk (1903–1992): elsässischstämmiger Bigbandleader, erfolgreich von den 1940ern bis in die 70er Jahre

Paul Whiteman (1890–1967): ebenfalls erfolgreicher Bigbandleader (»Symphonic Jazz« wurde sein Stil genannt), aktiv vom Ende des Ersten bis Ende des Zweiten Weltkriegs.

Billy Graham (1918–2018): berühmter Evangelist und Fernsehprediger

Tennessee Ernie Ford (1919–1991): von den 1950ern bis 70ern erfolgreicher Country- und Gospelsänger, größter Hit 1955 die Covernummer »Sixteen Tons«, ein sozialkritischer Song über Bergarbeiter.

Jack Benny (1894–1974): Schauspieler, Musiker, Komiker; spielte in Ernst Lubitschs »Sein oder Nichtsein« den polnischen Schauspieler Joseph Tura.

Grover Cleveland und William McKinley: zwei eher vergessene US-Präsidenten vom Ende des 19. Jahrhunderts, traten 1897 gegeneinander an.

253 Iwojima: Blutige Schlacht zwischen den USA und Japan im Februar/März 1945 auf der Insel Iwojima, berühmt durch das Kriegsfoto der auf dem Vulkan Suribashi aufgepflanzten US-Fahne.

Guadalcanal: Bei der Seeschlacht von Guadalcanal (Salomon-Inseln) im November 1942 gingen zahlreiche US-amerikanische und japanische Schiffe unter, Ford nennt hier naheliegenderweise die USS South Dakota.

Dorsey Brothers: große Musik- und Tanzband der Gebrüder Dorsey, ab 1928, erfolgreich in verschiedenen Umbesetzungen bis in die 1950er Jahre

Three Stooges: US-Komikertrio, erfolgreich in verschiedenen Besetzungen von 1925 bis 1970

Crystal Gayle (* 1951): US-Country-Pop-Sängerin, erfolgreich besonders in den 1970er und 80er Jahren

Pat Boone (* 1934): US-Sänger und Schauspieler, erfolgreich besonders in den 1950er und 60er Jahren

William Jennings Bryan (1860–1925): US-Politiker. Diese Rede, zu den großartigsten politischen Reden der USA gerechnet, hielt Bryan zuerst auf dem Parteikongress der Demokraten 1896, bei dem er zum (später erfolglosen) Präsidentschaftskandidaten gewählt wurde. Es ging vor allem um den Goldstandard als Wertmaßstab für die US-Währung; Bryan war dafür, auch Silber als Standard einzuführen (»Bimetallismus«) und die Nation nicht »an ein Kreuz aus Gold zu schlagen«. 1900 bekräftigte die US-Regierung den Goldstandard.

Eine Passage, die gezielt mit kulturellen Anspielungen gespickt ist, lässt sich nicht rein übersetzerisch ins Deutsche transportieren; und das Panoptikum, das Ford hier auffächert, ist auch nicht positivistisch-beliebig, er will mit dieser Anhäufung von Varia et Curiosa aus der Kultur-DNS seines Landes bewusst etwas über einige Versionen US-amerikanischer Identität erzählen, an einem Ort, der so surreal ist wie aus einer Fantasy-Serie und zugleich, ganz konkret, auch muffig und touristenbanal.

Die Zusammenarbeit mit dem Autor

Keine Frage, dass bei der Arbeit an so einem Buch ein auskunftswilliger Autor unschätzbare Hilfe leistet. Richard Ford interessiert sich dafür, was mit seinem Text im Übersetzungsprozess geschieht, und möchte auch nachvollziehen können, welche übersetzerischen Lösungen ich erwäge. Das beinhaltet allerdings das gewisse Risiko, dass nicht alle meine Ideen Anklang finden.

So überlegte ich bei dem Namen-Wortspiel „Dr. Bendo“ – immerhin signalisiert durch „if you can believe that“ – eine Änderung zu einem für deutsche Ohren in anderer Weise sprechenden Namen. Der fragliche Arzt im Roman war kein Urologe, „bend over“ also nicht die direkt zwingende Assoziation (das Thema Prostata in Frank Bascombes Leben wurde in „Die Lage des Landes“ ausführlich abgehandelt). Und da die lesbische Tochter Clarissa ungläubig von dem Arzt und seinem Namen erzählt, dachte ich, nennen wir ihn doch „Dr. Macho“, was im deutschen Sprachraum durchaus als Familienname vorkommt. Doch der Autor wollte gern seinem Urologen auch in der deutschen Übersetzung ein kleines Denkmal setzen, ganz gleich, ob es hier jemand versteht oder nicht. Und so gehört der auf Deutsch dann unverständlich bleibende Einschub „if you can believe that“ zu den sehr wenigen Elementen, die gestrichen wurden.24

Eine kulturelle Anspielung erwies sich als besonders kompliziert. Das Buch spielt zur Zeit des Präsidentschaftswahlkampfs 2019/2020, ab und zu macht Frank kleine Kommentare in dieser Hinsicht; gegen Ende, als es Paul immer schlechter geht, findet sich hingegen dieser Satz:

„An unusual number of cars are brandishing Trump stickers—the election, the impeachment, the whole nationwide Busby-Berkeley being nothing I can pay attention to now. When you’re in charge of a failing son little else goes on.“25

Auf Deutsch klingt das so:

„Ungewöhnlich viele Autos tragen Trump-Aufkleber – die Wahl, die Amtsenthebung, aber mit diesem landesweiten [???] kann ich mich gerade nicht beschäftigen. Wenn du dich um einen dahinschwindenden Sohn kümmern musst, gibt es nicht viel anderes.“

Was ist ein landesweiter „Busby-Berkeley“? Die Recherche ergibt, so heißt ein in den USA berühmter Choreograf der 30er Jahre, auch bekannt für seine fürs Fernsehen produzierten Aufzeichnungen von Tanzdarbietungen. Stilistisch handelt es sich um hochkomplexe, wimmelnde, zugleich geometrisch ausgezirkelte Choreografien, die von oben gefilmt an die Muster in einem Kaleidoskop erinnern. Eine überraschende Formulierung (auch für den Beobachter Frank, wie wir ihn kennengelernt haben), mit der Ford offenbar das schwer zu durch- oder überschauende Durcheinander der vielen, wahlkampftypischen Polit-Strategien und Winkelzüge versinnbildlichen will. Diese Metapher übersetzerisch zu lösen ist knifflig für mich, weil sie für mich nicht hundertprozentig funktioniert. Kein US-Wahlkampf ist so strategisch gezirkelt, ich kann mir höchstens das Wimmelnde, anscheinend Chaotische dieser Choreografien als tertium comparationis vorstellen. Und wer kennt hierzulande Busby Berkeley? Gäbe es einen anderen Tanz- oder Film-Künstler, der das Chaos so inszeniert, dass es mit dem Trump-Biden-Wahlkampf vergleichbar wäre, und dessen Name für deutsche Leser·innen unmittelbar diese Assoziationen auslösen könnte? Lange Namenslisten folgen, schließlich komme ich, durchaus gewagt, auf den Film-Regisseur Tarantino, und überlege, wie das klingen würde: „mit diesem landesweiten Tarantino kann ich mich gerade nicht beschäftigen“ … Deutlich genug? Vielleicht nachlegen? „mit diesem landesweiten Tamtamtarantino kann ich mich gerade nicht beschäftigen“ … wilde Sache, gefällt mir aber. Die großartige Lektorin Julia Graf, stets unerschrocken und unbestechlich, wagemutig und zugleich vernünftig, wiegt mit amüsiertem Lächeln das Haupt und prognostiziert: Das wird Richard Ford dir nicht abkaufen. Ich erkläre es ihm, ausführlich, und warte gespannt. Aber da geht eindeutig der Daumen runter. Im Text soll „Busby Berkeley“ stehen bleiben, egal, wer das versteht. Zum Glück haben wir ja die Anmerkungen – dann muss sich diese Metapher eben darauf verlassen, dass die Leser·innen den Umweg des Nachschauens auf sich nehmen.

„Ungewöhnlich viele Autos tragen Trump-Aufkleber – die Wahl, die Amtsenthebung, aber mit diesem landesweiten Busby Berkeley kann ich mich gerade nicht beschäftigen. Wenn du dich um einen dahinschwindenden Sohn kümmern musst, gibt es nicht viel anderes.“26

211 Busby Berkeley (1895–1976): US-Filmregisseur und Choreograf, berühmt für seine komplexen Choreografien nach geometrischen Mustern

An manchen Stellen kann man Wirkungsäquivalenz anbieten – erzwingen kann man sie nicht. (Und wie wirkungsäquivalent meine Idee wirklich gewesen wäre, darüber ließe sich, wie immer und hier besonders, natürlich auch diskutieren.)

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In diesem (laut Ford:) letzten Buch der Bascombe-Reihe sehen wir eine Hauptfigur, die sich ihrer Schwächen, Fehler und Lächerlichkeiten nur zu bewusst ist. Frank weiß, er war im Leben seines fast fünfzigjährigen Sohnes Paul selten ein guter, „naher“ Vater; und er versucht das, durch Fürsorge und Präsenz zumindest jetzt, in Pauls letzter Lebensphase, auszugleichen, auf eine berührend liebevolle, ungeschickte, durch die gezeigte Schwäche starke Weise.

Ebenso verletzlich und entblößt zeigt sich Frank in seiner verunglückten Verliebtheit in die vietnamesischstämmige Masseurin Betty, er weiß genau, wie peinlich das ist, wie unrealistisch, doch er steht zu seinen verwirrten Gefühlen und zu der mit dem Älterwerden immer schwierigeren Würde-Balance.

Oder in seiner über Jahrzehnte gepflegten Schwärmerei für die in Kalifornien lebende, zwanzig Jahre jüngere Ostküsten-Schönheit Catherine, bei der er im letzten Kapitel des Romans Unterschlupf findet; der Zug für ihre Lovestory ist eindeutig schon lange abgefahren, aber das sieht er (Weisheit des Alters?) sehr gelassen. Diese Flucht aus seinem bisherigen Leben gipfelt in einer vieldeutigen Schluss-Szene (vielleicht wirklich der allerletzten für FB).

Richard Ford kann menschliche Vielschichtigkeit so auffächern, dass die Wirkung schillert, dass ich als Leser manchmal zwischen Mitfühlen und Fremdschämen hin und her gerissen bin. Als Übersetzer will ich diesen Balanceakt auch den deutschen Ford-Leser·innen ermöglichen.

Wer dieses Buch etikettieren mag oder muss, kann es eine Geschichte über einen „alten weißen Mann“ nennen, geschrieben (und übersetzt) von einem ebensolchen. Doch wenn dieser Protagonist sich so schonungslos und so unlarmoyant reflektiert, in Bezug auf sein Alter, auf die Lebenssituation und die Epoche, in der er lebt, dann ist diese Stimme keine unhinterfragte Machtgeste mehr wie früher vielleicht (ich denke etwa an Philip Roths Nathan Zuckerman, zu dem Fords Frank Bascombe gern in Bezug gesetzt wird); sondern einfach nur ein weiterer Teil der Diversität unserer westlichen Gesellschaften, die sich langsam, aber sicher (endlich!) immer vielfältiger auch auf dem Buchmarkt abbildet.

Vor dem omnipräsenten Hintergrund der speziell zusammengestellten Facetten US-amerikanischer Alltags- und Popkultur schildert Richard Ford in diesem Roman diejenigen Varianten von Liebe, die seinem gealterten Protagonisten (noch) offenstehen und die dem Valentinstags-Motiv seinen Sinn und seine Tiefe geben. Und er erzählt uns von dem Drama eines Vaters, der angesichts eines der schlimmsten vorstellbaren Verluste (wenn das eigene Kind vor einem stirbt) alles tut, was er kann, um, wie er es öfter formuliert, diesem anderen Menschen und dem Leben seinen Tribut zu zollen.

All diese Elemente machen, ganz besonders dort, wo sie nicht unmittelbar zur Identifikation einladen, die Figur Frank Bascombe und ihre Erzählstimme für mich als Übersetzer und als Leser auf die unverwechselbar Ford’sche Weise spannend und nahbarer denn je.

21.08.2023
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©Christa Holka

Frank Heibert, Berlin, geb. 1960, Literatur- und Theaterübersetzer aus dem Englischen, Französischen, Italienischen und Portugiesischen sowie Dozent, Autor, Kritiker, Jazzsänger. Übersetzungen: ca. 100 Romane und Erzählbände, 10 Sachbücher und 110 Theaterstücke, u. a. Werke von Don DeLillo, Richard Ford, George Saunders, Lorrie Moore, William Faulkner, Raymond Chandler, George F. Walker, Boris Vian, Raymond Queneau, Marie Darrieussecq, Yasmina Reza, Michel Marc Bouchard, Karoline Georges u.v.a. Zahlreiche Ehrungen, zuletzt Straelener Übersetzerpreis 2017 (zusammen mit Hinrich Schmidt-Henkel).

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