Journale Prosa Woran denkst du, Chérif?

Woran denkst du, Chérif?

Zweistimmiges Journal zur Übersetzung von Zwei Sekunden brennende Luft von Diaty Diallo

Dienstag, 27. Juni, vormittags: Lena und ich telefonieren. Wir arbeiten: noch ein Mal an diesem Text. Allerletzte Korrekturen. Wir sind aufgewühlt: etwas Neues beginnt. Oder: etwas ist vorbei.

Wir schicken das finale Dokument ab. Wir verabschieden uns. Wir sind aufgewühlt: etwas ist vorbei.

Ich geh raus, trink einen Tee in einem Lokal in dem ich bisher noch nie Tee getrunken habe. Zur Feier des Tages. An der Straßenecke nebenan steht eine Gruppe Jugendlicher dicht aneinandergedrängt und starrt auf ein Telefon. Spiegelneuronen sei Dank hol ich mein Telefon raus. Und lese. Nachrichten: Nahel, 17 Jahre alt, wurde von der Polizei ermordet. Abgeknallt. Neben und hinter ihm zwei Freunde, 14 und 17. Sie haben dem Beamten zugeschaut, wie er den Abzug drückt und das Feuer sich öffnet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Woran denkst du, Chérif?

Ich denk nicht mehr. Der Vulkan unter meiner Schädeldecke ist ausgebrochen. Alles, was von mir übrig ist, hat die Konsistenz von dichtem Rauch. Ich spür meinen Körper, ich spür ihn unter meinen Fingern, aber die Berührung ist Lichtjahre von meinen Synapsen entfernt.1

Schwerbewaffnete Militärs schleichen über einen Platz in der Innenstadt. Finger am Abzug der Maschinengewehre, Blick auf der Suche wie ein Jäger auf der Pirsch.
Sonntagnachmittag Ende Mai 2023.

 

Februar, März 2023. Erst beim Übersetzen bekomme ich ein Gefühl dafür, wie schwer der Text zu übersetzen ist. Wie schwer es ist, den Ton zu treffen, der nicht ein Ton ist, sondern die variierenden Erzähltöne von Astor, dem Erzähler. Die gesprochenen Passagen und Dialoge. Die detaillierten Beschreibungen. Astors innere Monologe. Und die inneren Monologe, die Astor für andere führt.

Gib mir dein Feuerzeug
Guck wie ich Feuer erzeug’

Shit ich bin Feuer für euch2

©privat

April 2023. Nouria liest, was ich bisher übersetzt habe. In ihren Korrekturen und Anmerkungen merke ich, wie gut es sein wird, zu zweit zu arbeiten. Und dass in der Übersetzung einiges neu und anders gedacht werden muss.

(…) Wie gesagt, es ist für mich noch nicht rund. Insbesondere die gesprochenen Stellen. Wobei in dem Originaltext Slang, (Slang)Poesie und „klassische“ schöne Sprache so fein ineinandergewoben sind, dass es schwierig ist, das genau auseinanderzuhalten. Der deutsche Text ist noch nicht „mutig“ genug. Er ist geschrieben, nicht gesprochen. Und man liest eine deutsche weiße Person, man hört nicht die Stimme aus einem Block.

Ich spüre, dass die Kritik mich trifft, aber auch gut tut. Mich aus meinen Routinen als Übersetzerin reißt, meinen Vorstellungen davon, wie ein Text aussehen soll.
Ich überlege, mich in den Zug nach Marseille zu setzen, damit wir zusammen an einem Tisch sitzen können.

(…) Mein Vorschlag, um die Musikalität und den Flow reinzubringen wäre, weniger nah am Text zu arbeiten. Ich glaube, das ist die einzige Art, einen entsprechenden Rhythmus einzubauen. Also bei Wortspielen versuchen, sie an anderen Stellen, wo das Deutsche und sein zeitgenössischer Slang es zulassen, einzubauen. Minimalinvasiv, aber halt so, dass es groovt.

 

Oktober 2022, zum ersten Mal begegnet mir der Text als Musikvideo. Dann höre ich die Playlist. Versuche, die Stimmung zu verstehen. Es ist Sommer. Jugendliche hängen ab, unter dem Platz, auf dem Platz.

Und Bruchstücke von markerschütterndem House überfluten Kubikmeter von Luft und Beton, heiße Suada aus einem Sampler, auf dem Hawa wie besessen spielt. Die Sounds legen sich übereinander, schlingen sich zu komplexen Luftschlangen. Hohe Töne stürzen sich in den Atem, der aus den Bassboxen weht.3

 

Mai 2023. Wir beginnen, mehrmals die Woche zu telefonieren und uns die Übersetzung – und das Original – am Telefon laut vorzulesen. An manchen Stellen ringen wir mit jedem Satz. An manchen Tagen ringen wir auch miteinander, ringen um Übersetzbarkeit und Unübersetzbarkeit, Mut und Konvention, Texterfahrung, Lebenserfahrung…

 

August 2022. Ich beende Deux secondes d’air qui brûle zum ersten Mal. Ich fange wieder von vorne an. Lese es mir selbst vor. Der Text ist gesprochen, nicht geschrieben. Das Buch in meinen Händen ist
Nebensache.

Diaty Diallo, Zwei Sekunden brennende Luft. Aus dem Französischen von Nouria Behloul und Lena Müller, Assoziation A, 2023.

Diaty Diallo: Deux secondes d'air qui brûle. Paris, Seuil, 2022.

Jugendsprache ist keine geschriebene Sprache. Ebensowenig die der Erwachsenen. Mit Ausnahme von Nachrichtensprecher·innen und Konsorten redet niemand so, wie es geschrieben steht. Aber so schreiben wie man spricht ist falsch, beziehungsweise nicht konform.

 

Was bedeutet: mutig werden?

Mit mutig mein ich auch, Slang ist halt teilweise nichts, was gut aussieht geschrieben (Grammatik etc.), aber genau das ist ja auch so genial in Diatys Buch, dass sie diese „Unsprache“ so fein verwebt hat und auch die Poesie, die darin liegt, und die Zärtlichkeit, die damit möglich ist, zeigt …

 

Ich bin keine Übersetzerin in diesem Sinne. Ich empfinde jede Art von Textproduktion als eine Art Übersetzung. Eindruck zu Ausdruck, zum Beispiel. Ich glaube auch nicht an Übersetzung in diesem Sinne. Etwas bleibt immer ungreifbar. Und damit gilt es klarzukommen. Wie im echten Leben. Die, die als Grenzgänger zwischen „Mehrheit“ und „Minderheit“ aufgewachsen sind, wissen, was ich mein.

ich brauchte 23 jahre bis ich merkte das ich statt zwein keine heimat habe, ausser meine
eigene strasse und den kiez in dem wir warn, die beats auf die sprach
nein keine heimat 1 und keine heimat 2
nur der streit mit dem was sich in beiden ländern so rumtreibt
ich hab mein herz am rechten fleck;
aber deutschland rechter fleck,
ganz europa rechter fleck,
ganze welt ein rechter fleck
seit corona zunge taub
aber weiss wie hetze schmeckt4

 

Mutiger werden: Den eigenen Sätzen beim Scheitern zusehen. Gewohntes nicht machen. Wörter sammeln. Sätze anders bauen. Musik hören. Lesen.

 

Die eigentliche Übersetzungsarbeit passiert beim Lesen. Ent-entscheiden. Der Text ist nicht schwarz auf weiß und der Boden unter unserer Füßen ist ein Möglichkeitsgeflecht.

Kes junge kes kes
Steppback kemba walker treff netz

Mit den wörtern so wie Zion ich bin next next
Jeder track brett wie 90er bei def jam
5

Wörter beobachten, wie sie aufeinandertreffen, sich aufeinandertürmen oder Abstand voneinander halten, die Stille dazwischen, das Tempo, in dem sie aufeinander folgen.

Ich komm
Und bring

Zukunft
Tenet
Anakin
Kill alles
Lenk Sound
Durch Wände6

Zusehen, wie alles zusammenkommt, Sinn, Klang, Rhythmus, Stille.

 

Gleich ruft Lena an, 09:00, 8. Mai. Vor meiner Haustür ist Militärparade und Fahnen und Trompetensoundcheck etc. Die Jungs wurden vom Platz weggewischt mit der Putzkolonne. Während in den Cafés rundherum die Alten sitzen und vielleicht an das Massaker in Sétif am 8.5. denken. La douce France. So früh am Morgen schon.

 

Es macht mich wütend, dass auf dem Umschlag des Originals Fiction steht. Es macht mich wütend, wenn ich Rezensionen lese, die aus dem Text eine Problemviertelsafari machen. Es macht mich wütend, wenn ich aus meinem Küchenfenster schaue und sehe, wie sieben Bullen ein Kind kontrollieren. Es macht mich wütend, wenn ich die große Informationstafel betrachte, auf der angekündigt wird, dass die Nachbarschaft in naher Zukunft ganz anders aussehen soll, dank der geplanten urbanen Modernisierungsmassnahmnen. Modern als Verb. Ich bin wütend.
Eine professionelle Distanz zum Text scheint unmöglich. Aber absolut notwendig. Als Übersetzende: bin ich Brücke. Die Stimmen, die wir hören, sind nicht meine. Ich bin nur (?) Resonanzkörper. Übersetzen als: anarchometaphysische Übung.

©privat

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Manchmal denke ich mir, dass vielleicht Apsilon eine deutsche Fassung vom Roman schreiben sollte. Oder Ebow. Würde ich gern lesen. Aber jetzt sind wir es, die hier übersetzen. Wir legen unsere Stimmen übereinander, um zu einer neuen zu kommen.

 

Was soll das überhaupt sein, Mündlichkeit im geschriebenen Text? Wie geht Slang, Verlan, Jugendsprache, Umgangssprache allsowas? Dass gesprochene Sprache im geschriebenen Text immer Kunstsprache ist, ist irgendwie klar. Im besten Fall eben keine künstliche Sprache. Eine (nach)gebildete Sprache mit eigenen Regeln.

Aber, bruder, der alemanne ist ja gern dozent und mag ne weisheit nach ner andren in die welt scheißen, nur wenn’s drum geht, mal die eigne personhaltung aufzuknacken und’s madengewimmel rauszulassen, ist er nicht mit von der partie. Der alemanne, bruder, frißt krise, scheißt krise, und steckt dich mit ner grübelmikrobe an, daß es auch in dir man kriselt und scheppert bis zum jüngsten tag.7

Wir verbringen viel Zeit damit, alle Verben in der ersten Person Singular genau zu betrachten und uns laut zu sagen ich geh ich gehe ich geh ich geh ich gehe ich geh ich lauf ich laufe ich lauf ich laufe ich lauf ich lauf was hört sich natürlich an wie würdest du das sagen und am Ende ändern wir alles wieder um und wenn wir es dann laut vorlesen werden, dann werden wir es anders lesen, als es da steht.

 

Die Linguistin Heike Wiese beschreibt für Kiezdeutsch verschiedene grammatische Neuerungen, wie Veränderungen von Ortsbezeichnungen („Wir gehen Görlitzer Park“), Verkürzungen („Ich frag mein Schwester“, „Lassma Kino gehen!“) und Veränderungen in der Satzstellung („Danach ich ruf dich an“).8

©privat

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Sprechen Astor und die anderen Kiezdeutsch, während sie durch die Pariser Vorstadt stratzen? Vielleicht, aber auch wieder nicht ganz.

Was es braucht, ist ein eigener Weg, eine eigene ausbalancierte Mischung aus geschriebener Sprache und gesprochener, Slang und Poesie, arabischen, englischen, türkischen, … Einflüssen.

 

Ich wollte mikroskopische Aufzeichnungen sprachlicher Un- und Möglichkeiten festhalten. Aber in welchem Verhältnis steht ein umgangssprachlicher Dativ zu einem Menschenleben?

 

Mit der Zeit beginnen wir an manchen Stellen, an den Stellen, die uns schwerfallen, die sich unserer Sprache entziehen, unsere Sätze dem Original nachzubilden. Also uns nicht weiter vom Text zu entfernen, sondern näher dranzubleiben.

 

Zu zweit über setzen. Mit 1186,04 Kilometer Distanz. Mit einer berührenden Nähe.
Zwei Fremde gehen gemeinsam auf eine weite Reise in einem kleinen engen Gefährt; ich werfe ihr vor, nicht mutig genug zu sein, sie wirft mir vor, nie zufrieden zu sein. Wenn es darum ginge Recht zu haben hätten wir es beide.
Zu zweit schrei ben. Ohne Dualismus und andere Verhältnisse zu reproduzieren.

 

Der letzte Tag der Überarbeitung. Wir lesen das letzte Kapitel laut, korrigieren einzelne Formulierungen, aber kaum noch etwas. Die letzte Szene ist so tieftraurig. Dann sind wir am Ende vom Buch, erschöpft und fertig.

Später Abend: Lena: oh no. Warum muss die Realität so verdammt nah am Buch sein?
Nouria: [gebrochenes Herz]

Am Morgen wurde Nahel Merzouk in Nanterre von einem Polizisten bei einer Verkehrskontrolle erschosse

 

 

Abgesehen davon, dass die sogenannte Realität und die allgemein verbreitete Besessenheit, alles was nicht vernünftig oder wissenschaftlich belegbar ist, als nicht real und infolgedessen minderwertig abzustempeln, maßgeblich an der Entwicklung und Verbreitung eines in jedem Sinne lebensfeindlichen Dualismus beteiligt war und ist, hat das Wort Realität seine Wurzeln im Römischen Rechtssystem. Bei allem Respekt für die Römer, meine sechs Jahre Lateinunterricht und die westliche „Zivilisation“ im Allgemeinen:
Das bedeutet nichts Gutes.

Ich habe dieses Buch geschrieben, um auf meine Weise und in meinem Rahmen zu versuchen, dieses Thema unausweichlich zu machen. Ich habe es geschrieben, um zu sagen, dass wir uns nicht täuschen lassen, diese Polizeigewalt ist in erster Linie staatliche Gewalt: kolonialistisch, imperialistisch, kapitalistisch und rassistisch. Sie ist räumlich und viele Jahrhunderte alt. Sie zeigt sich in der Politik der inneren Sicherheit, der Außenpolitik, der Stadtplanung und der Kultur. Man sieht, wie öffentliche Bänke verschwinden, Kameras auftauchen, Plätze eingeebnet werden... Man sieht, wie Theater zu leeren Hüllen werden, das Kino die Angreifer schützt und soziokulturelle Einrichtungen ihre Türen schließen.

Wenn die Masken fallen, wissen wir zumindest, wer wer ist.
Im Zusammenhang mit meinem Buch höre und lese den Satz: „Die Realität holt die Fiktion ein.“ Ich weiß nicht einmal, wo ich anfangen soll.
Vielleicht damit, dass es ein Zeichen von Gedächtnisverlust und extrem gefährlich ist, so etwas zu behaupten.
Ich habe dieses Buch AUS einer unhaltbaren Realität heraus geschrieben.
9 Aus der Gewalt, die sich wieder und wieder gegen Minderheiten richtet, damit sie nie etwas anderes werden als das. Damit wir an unserem Platz bleiben. Diese Gewalt, wie lange müssen wir sie noch aushalten, sie anprangern, aufschreiben, filmen und über sie nachdenken?10

Übersetzen: ist entscheiden. Duden sagt dazu: Bedeutung 1.a) (einen Zweifelsfall) [endgültig] klären und darüber ein Urteil fällen. Ich sage: Scheiße Duden bist du römisch oder was?

 

10. Juli: Liebe Lena Danke für deine Nachricht. Und deine Worte. Entschuldige, dass ich die Wut so rausgelassen habe … du weisst sie ist nicht an dich adressiert. Aber trotzdem ist es eine Energie, die man abbekommt, ich habe mich gerade nicht so wirklich unter Kontrolle, tut mir leid.
Hey danke dir auch für deine Worte und deine Wut. Ich bin froh, dass du sie mit mir teilst. Mein Gefühl ist: es ist eine krasse Situation, politisch, emotional, aber für uns auch sprachlich: wenn wir gerade so intensiv an einem Text arbeiten, der auf solche Weise Echo erzeugt mit dem, was gerade passiert. Dafür braucht es Raum und vielleicht können wir uns den ein wenig geben … dafür danke.

 

Zwei Personen mit unterschiedlichem Hinter- und Untergrund arbeiten zusammen. Wir arbeiten zu zweit. Wir versuchen uns zu treffen anstatt Entscheidungen.

 

Beim Lektorat schlägt der Verlag ein Glossar für jugendsprachliche Wendungen am Ende des Buchs vor.

9. Juli: Ich bin 100% nicht einverstanden! Am allerwenigsten mit einem Glossar!!!! Das dreht alles, was Diatys Buch ist, um.
Ich denke auch, das Glossar sollten wir auf jeden Fall verhindern.
Das Buch ist FÜR die Community und dann müssen manche Leute halt einmal im Leben aushalten, dass es nicht tausend Prozent auf sie abgestimmt ist und sie eventuell etwas nicht verstehen. Es geht auch um eine gewisse Radikalität, die das Buch hat, was wo wie für wen etc. Auch Diatys Sprache ist radikal. Extrem sogar. Auf mehreren Ebenen. Ich bin da jetzt knallhart. VOR ALLEM jetzt. Es ist kein Witz, was hier los ist. Dieses Buch ist wichtig. Wenn wir jetzt alles glattbügeln und in mundgerechte Häppchen für Feuilletonlesende portionieren, machen wir alles kaputt, was dieses Buch ausmacht.
Ich denke, wir haben die Argumente auf unserer Seite, um zu sagen, dass dieses Buch auch sprachlich unversöhnlich bleiben muss.
Ich bin so wütend, Lena. Seit Tagen schlafe ich nicht, vor Trauer, vor Wut. Ich weiß nicht, ob man in Almanya mitbekommt, was hier abgeht. 15jährige Kinder kriegen 10 Monate Gefängnis für eine geklaute Dose Redbull während der Riots, ohne Prozess, ohne Beweise, Urteil in 10 Minuten. Es gibt nichts mehr, was irgendwie hält.

Ich wollte diesen Beitrag nicht schreiben.
Ich wollte ihn nicht allein schreiben. Die Analyse einer Zeit braucht Distanz, man muss darüber schlafen und verschiedene Stimmen zusammenbringen.
Ich hatte keine Lust, meine eigene kleine Analyse, meine Betroffenheitslyrik abzuliefern.
Ich hatte keine Lust, die Expertin unserer Zeit zu spielen.
In diese Falle zu tappen, die Faïza Guène in dem 2016 erschienenen Film
Nos Plumes von Keira Maameri so treffend beschreibt: Man verlangt von uns sogenannten Literaten, für unsere kleinen Brüder, die Wilden, zu sprechen, die Kakophonie zu übersetzen, die man ihnen zur Last legt, das Chaos, für das man sie verantwortlich macht, das aber schon lange vor ihrer Geburt da war.
Von uns mit der dunklen Haut wird verlangt, dass wir bei jeder Revolte, in der manche einen Bruch sehen, als Dolmetscher fungieren.
Wir, die Autorinnen und Autoren des Asphalts, der Ränder, sollen helfen - wem genau? Wer tut sich noch schwer zu begreifen, welche Probleme Frankreich nach Jahrhunderten des Imperialismus und Kolonialismus zerreißen – zu lesen und zu verstehen, was doch vor aller Augen beschrieben wurde? Wir brauchen nur unsere Augen zu öffnen, um zu sehen, wie eine Welt aus den Fugen gerät.
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Veranstaltungshinweis:
25.09.23 um 19h im Literaturhaus Berlin, vor Ort und im Livestream
Diaty Diallo »Zwei Sekunden brennende Luft«

Die Autorin im Gespräch mit Sonja Finck. Es lesen Lena Müller und Nouria Behloul.
In deutscher und französischer Sprache.

Mehr Infos

21.09.2023
Fußnoten
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PDF

Lena Müller ©Franziska Wenzel; Nouria Behloul ©Valeria Zia

Lena Müller lebt als Übersetzerin und Autorin in Berlin. Für ihre Übersetzungen aus dem Französischen, u.a. von Shumona Sinha, Nicolas Mathieu und Fiston Mwanza Mujila, wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Außerdem ist sie Autorin mehrerer Hörspiele (zuletzt mit Leo Weyreter: Tiefer sinken auf sandigen Grund, rbb 2023) und eines Romans (Restlöcher, Edition Nautilus 2021).

 

In ihrer interdisziplinären Praxis erforscht Nouria Behloul die Poetik und Politik sozialer Strukturen. Ihre Arbeit geht von Text zu Artistic Research, Performance und Kuratieren. Sie wurde international in verschiedenen Kontexten gezeigt. Im Jahr 2021 wurde ihr Buch "Poetry is the only way out of here" bei Bom Dia Books veröffentlicht. Sie lebt in Marseille, wo sie die Buchhandlung Semiotext(e) Marseille und deren Programm leitet.

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