Journale Lyrik Kadenzen mit Sprengkraft

Kadenzen mit Sprengkraft

Journal zur Übersetzung von Phillis Wheatleys Gedichten und Briefen

1. Einleitung: Ein Tweet und die Folgen
2. Phillis Wheatley, ein Kurzporträt
3. Übersetzungsprobleme
3.1 Darf der das?
3.2 Form und Rhythmus
3.3 Stilmittel
3.4 Abwertende Ideen und Ausdrücke
4. Das Mentorat
4.1 Bericht des Übersetzers
4.2 Bericht des Mentors Jonis Hartmann

1. Einleitung: Ein Tweet und die Folgen

Auf Phillis Wheatley (1753-1784) wurde ich im Zuge der Beschäftigung mit Amanda Gorman aufmerksam, die Wheatley in einem vielbeachteten Tweet als eine Inspiration im Kampf gegen die rassistische Abwertung von afroamerikanischer Literatur erwähnte. Gorman war im Januar 2021 weltweit auf allen Fernsehkanälen zu sehen, als sie an Joe Bidens Amtseinführung ein Gedicht vortrug, und wurde breit rezipiert, mehrheitlich anerkennend, daneben auch kritisch. In diesem Zusammenhang erinnerte sie an Thomas Jeffersons Abkanzelung von Wheatleys Dichtung als «unter aller Kritik».

Printscreen von Amanda Gormans Tweet vom 1. Februar 2021

Wie viele Parallelen es zwischen Gorman und Wheatley gibt, realisiere ich erst jetzt, nach Abschluss meines Übersetzungsprojekts. Beide afroamerikanische Dichterinnen haben in jungem Alter brillante und engagierte Gedichte geschaffen und entschlossene öffentliche Auftritte absolviert. Beide kamen zu grosser Berühmtheit, erfuhren von vielen Seiten grossen Zuspruch, und wurden allerdings von anderen Seiten hart kritisiert und herabgesetzt.

Das Wichtigste aber: Wie Gorman wehrte sich bereits Wheatley gegen Rassismus und Unterdrückung und redete der weissen Mehrheitsgesellschaft ins Gewissen. Sie stand für ihre Herkunft und Hautfarbe ein, doch nicht in einer feindseligen Abwehrhaltung, sondern stets auf der Suche nach einem gemeinsamen Nenner. Wie Gorman in ihrem Gedicht The Hill We Climb, appellierte schon Wheatley an ein amerikanisches Wir, noch bevor es die Vereinigten Staaten gab. Und sie tat dies mit einem Mass an Begabung, Raffinesse und Hartnäckigkeit, das noch längst nicht ausgelotet ist.

Amanda Gormans Inaugurations-Vortrag vom 20. Januar 2021

Das alles sollte ich allerdings erst allmählich lernen. Was mir bei den ersten kursorischen Recherchen zu Wheatleys Leben und Werk zunächst ins Auge stach, war der ständig wiederkehrende Hinweis auf die Einschätzung von Wheatleys Lyrik als epigonal, als blosse Nachahmung des britischen Klassizismus. Zwar wird diese Sicht meist pflichtschuldig relativiert, aber sie nimmt dennoch oft prominenten Raum ein und stellt ein Vorzeichen des Misstrauens vor jede Beschäftigung mit Wheatleys Versen und deren Inhalten.

Vor nicht allzu langer Zeit hielt es ein Herausgeber von Wheatleys Werken noch für nötig, sein paternalistisches Urteil abzugeben: «Phillis Wheatley is not a great poet, but she is a good one.» Flankiert von einem Abriss der Lebensumstände der Dichterin, die als Kind aus Afrika entführt, nach Neuengland verschifft und als Haussklavin gehalten wurde, ergibt sich so eine Einordnung von Wheatleys Schaffen zwischen vorurteilsbehafteter Herablassung und fehlgeleitetem Wohlwollen: Nicht schlecht – den Umständen entsprechend.

Nichts ist falscher als diese Sicht auf Phillis Wheatleys Werk, die dessen Verdienste nun seit 250 Jahren schmälert und von der Beschäftigung mit ihm abschreckt, und wohl auch verantwortlich für das bisherige Fehlen einer deutschsprachigen Ausgabe ist. Sie hat ihren Ursprung in den abolitionistischen Grabenkämpfen, in deren Kontext natürlich auch die berühmt-berüchtigte vernichtende Bemerkung des USA-Mitgründers und Sklavenhalters Thomas Jefferson gehört, die eines Tages in meiner Twitter-Timeline auftauchte.

Phillis Wheatley: Nie mehr, Amerika! Gedichte und Briefe. Herausgegeben, aus dem Englischen übersetzt und mit einer Einleitung versehen von Florian Bissig. Friedenauer Presse, 2023 

2. Phillis Wheatley, ein Kurzporträt

Phillis Wheatley – oder genauer: die Person, der bald der Name Phillis Wheatley gegeben werden sollte – kam am 11. Juli 1761 im Hafen von Boston an. Sie war eine von 75 Menschen, die an der westafrikanischen Küste als Sklaven gekauft und per Zeitungsinserat angeboten wurden. Ihr Alter wurde auf sieben oder acht Jahre geschätzt. Der Schneider und Händler John Wheatley kaufte das Kind als Haussklavin für seine Frau Susanna. Es bekam wie üblich den Nachnamen seines Besitzers; als Vorname wurde der Name des Sklavenschiffs gewählt.

Phillis Wheatley sollte zu Susannas Dienerin erzogen werden, um sie im Alter pflegen. Doch ein Stück weit bekam sie den Platz eines eigenen Kindes in der Familie. Sie lernte rasch Englisch und zeigte Talent und Interesse am Lesen und Schreiben, worin sie ermuntert und unterstützt wurde. Phillis las die Bibel, aber auch Werke der griechischen und römischen Antike in Übersetzungen und etablierte Werke der britischen Literatur, etwa von Milton, Addison und Pope.

Die weisse Familie Wheatley lebte mitten in Boston an der King Street und war durch die Geschäfte, die Politik und die Kirche vernetzt und angesehen. Sie liess Phillis am Gesellschaftsleben teilhaben: Die Schwarze Jugendliche ging mit auf Besuche und konversierte mit Geistlichen, Schriftstellern und Soldaten, und sie führte briefliche Korrespondenzen. Ab dem Alter von etwa elf Jahren machte sie erste Versuche im Verfassen von Versen.

Im frühen Teenageralter hatte Phillis bereits eine Reihe von Gedichten geschrieben. Eine Textsorte, die sich durch ihr ganzes Werk ziehen sollte, war die Trauerelegie. Zunächst waren es Angehörige des persönlichen Umfelds, später auch Pastoren und Prominente, denen sie ihre Elegien widmete. Mit einer als Einzeldruck publizierten Elegie auf den berühmten Methodistenprediger George Whitefield machte sie ein grösseres Publikum auf sich aufmerksam.

Die Veröffentlichung ihres Gedichtbands Poems on Various Subjects, Religious and Moral erfolgte im September 1773 in London. Mit dazu beigetragen hatte das Netzwerk der weissen Familie Wheatley auf beiden Seiten des Atlantiks, das Patronat einer englischen Gräfin und eine schriftliche «Beglaubigung» durch eine lange Liste von Würdenträgern, die belegte, dass die junge Schwarze Sklavin tatsächlich die Autorin der Gedichte war. Mit dem druckfertigen Manuskript segelte Wheatley für einige Wochen nach London und traf Angehörige des Adels und der politischen und intellektuellen Elite. Kurz nach ihrer Rückkehr wurde sie von ihren Besitzern freigelassen.

Doppelseite mit Frontispiz und Titelseite von Phillis Wheatley: Poems on Various Subjects, Religious and Moral. London: Archibald Bell, 1773.

Phillis Wheatley wurde in den Zeitungen und in ihrem Gedichtband ausdrücklich als Schwarze Dichterin präsentiert – nicht zuletzt durch Beigabe eines Frontispiz-Porträts in den Poems. So wurde sie zu einem Beispiel dafür, dass Schwarze ebenso zu intellektueller künstlerischer Exzellenz fähig wie Weisse und folglich gleichwertig sind, und als solches in die Diskussion um die Rechtmässigkeit der Sklaverei eingebracht.

Wheatleys Dichtung knüpfte notwendig an die ihr zugänglichen literarischen Traditionen und an ihr  weisses, amerikanisch-britisches kulturelles Umfeld an. Sie dichtete mehrheitlich im Heroic Couplet, das sie etwa von Alexander Popes Ilias-Übersetzung kannte.

Die meisten von Wheatleys Gedichten sind nicht offen streitbar gegenüber der Gesellschaft, in deren Gewalt sie sich befand. Das konnten sie nicht sein. Sie rückt mit ihren Texten einerseits in die geteilte christliche Glaubensgemeinschaft ein und andererseits in das Streben der amerikanischen Kolonisten zunächst nach Selbstbestimmung und schliesslich nach Unabhängigkeit.

Doch dabei legt sie wiederholt und unmissverständlich den Finger auf den grossen Widerspruch, den das Festhalten an der Sklaverei im Weltbild der amerikanischen Christen darstellt. Wie die Hebräer möchten auch die Schwarzen nicht bloss spirituell, sondern auch real vom Joch der Sklaverei befreit sein. Und zur Klage der Kolonisten gegen die «Ketten» der britischen Herrschaft passt die Unterdrückung im eigenen Hinterhof schlecht.

Massachusetts Historical Society: «Henry Louis Gates & Peter Galison on Phillis Wheatley / Short Film "No More, America"»

In den Wirren des Unabhängigkeitskriegs und der folgenden Rezession hatte Phillis Wheatley, nun freigelassen und auf sich selbst gestellt, mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten und zudem mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Sie schrieb zwar weiter, konnte jedoch keinen zweiten Gedichtband publizieren. Der Grossteil von dessen Material ist seit ihrem Tod 1784 verschollen.

Wheatley war 1773 die erste afroamerkanische Person, die einen Gedichtband veröffentlichte, und sie sollte es für über 50 Jahre lang bleiben. Ihr Schaffen wurde in Debatten beidseits des Atlantiks vielfach zitiert und diskutiert, und von der afroamerikanischen Leserschaft geschätzt und in Ehren gehalten. Einen Knick erfuhr ihr Ansehen während der Harlem Renaissance und des Black Arts Movement, die Massstäbe von Schwarzer Ästhetik anlegten, denen Wheatleys klassizistische Couplets nicht genügen konnten.

Seit dem 200-Jahr-Jubiläum ihres Gedichtbands im Jahr 1973 hat die afroamerikanische Lyrik ihre Gründerfigur wiederentdeckt und knüpft auf vielfältige Weise an ihr Schaffen an. Ein bemerkenswertes jüngeres Beispiel ist der Gedichtband The Age of Phillis von Honorée Fanonne Jeffers, in dem die vielen Leerstellen in Wheatleys Lebensgeschichte mithilfe von Imagination und Recherchen aufgefüllt werden.

Honorée Fanonne Jeffers: The Age of Phillis. Wesleyan University Press, 2020.

3. Übersetzungsprobleme

3.1 Darf der das?

Beginnen wir gleich mit dem salientesten, wenn vielleicht auch nicht interessantesten Übersetzerproblem: Darf ich als freier weisser Mann eine Schwarze Sklavin übersetzen? Fast alle Kolleg·innen, denen ich von meinem Projekt erzählte, brachten diese Frage auf. Die wenigsten mit grossem Ernst, vielmehr rhetorisch, mit einem Augenzwinkern, provokativ, ironisch, etc. Alle fragten, liessen aber durchblicken, dass es eigentlich gar keine Frage sei oder sein sollte.

Meines Erachtens ist es durchaus eine Frage. Ich habe sie mir ernsthaft gestellt, oder sagen wir, ich habe mich ihr gestellt. Bin ich moralisch befugt, Phillis Wheatley zu übersetzen, herauszugeben und zu vermitteln? Wer ist in der Position, dies zu tun – diesem anspruchsvollen, gewichtigen Thema gerecht zu werden, das für ein grosses, problematisches historisch-politisches Thema steht, das in die Gegenwart hineinreicht und die ganze transatlantische Welt etwas angeht?

Meine tentative Antwort, mit der die Reflexion darüber keineswegs abgeschlossen werden soll, ist, mich gegen das Argument der Positionalität auszusprechen. Gegen den Gedanken also, dass Herkunft, Geschlecht, oder überhaupt Identität des Sprechers über die Frage der Legitimation zur Teilnahme an einem öffentlichen Diskurs zu entscheiden haben. Massgeblich ist meines Erachtens dagegen die Frage, mit welchem Ansatz, mit welcher Haltung eine Äusserung gemacht oder Auseinandersetzung vorgenommen wird. Das Was und das Wie also, eher denn das Wer. Wie gehe ich auf Phillis Wheatley, ihre Geschichte und ihr Werk zu?

Die Kritik am Wer würde mich dann treffen, wenn sie mit dem falschen Wie zusammenfallen würde. Damit meine ich insbesondere, wenn die rassistische, abwertende, herablassende Sicht der weissen Herrschaftskultur auf die Schwarze Künstlerin wiederholt würde, die Wheatley zu Lebzeiten und in ihrer Rezeption so lange und hartnäckig erfuhr.

Eine besondere Gefahr besteht dabei in der, auch unbewussten, Einnahme des selbstgefälligen Blicks der weissen Tradition, der Wheatley nicht mehr zugestehen will, als eine tadellose Imitatorin der besten, grössten, weissen Dichter zu sein, und das Verschliessen der Ohren vor einer genuin neuen, eigenen, eigenständigen dichterischen Stimme und künstlerischen Position.

Ebenso wenig zielführend erscheint mir indessen auch die absolute Gegenposition, die von Anhängern des Black Arts Movements in radikalster Form eingenommen wurde: Wheatley nur als Schwarze sehen zu wollen, und ihr alles vorzuwerfen, was mit nichtschwarzer Kultur zu tun hat, kann ihr nicht, und konnte ihr in ihren damaligen Umständen noch viel weniger gerecht werden.

Wheatley selbst liegt nichts ferner als das Stammesdenken. Sie macht Identitätspolitik, aber eine offene, in kreativer Weise mehrdimensionale. Sie nimmt alle möglichen Positionen an und macht sie sich zu eigen: Sie ist Afrikanerin, Amerikanerin, Britin, Patriotin, Schwarze, Künstlerin, Christin, Mensch! Sie stellt sich in die antike mediterrane Tradition, in die europäisch-britisch-weisse und in die transatlantisch-evangelische. Die Bande, auf die sie den grössten Wert legt aber, knüpft Wheatley durch die Menschlichkeit, durch den Wunsch nach Freiheit, durch die Spiritualität und durch die Kreativität.

3.2 Form und Rhythmus

Natürlich stellt sich bei der Übertragung von Phillis Wheatleys Lyrik eine Reihe von bei historischer Lyrik erwartbaren Übersetzungsproblemen. Das Deutsche ist silbenreicher als das Englische, was es schwierig macht, die Form des Heroic Couplets beizubehalten, dessen sich die Dichterin vorwiegend und charakteristischerweise bedient. Herausfordernd sind insbesondere die einsilbigen Kadenzen. Sie ausnahmslos beizubehalten ist grundsätzlich machbar, führt aber einen Preis im Sprachfluss und in der Flexibilität der Syntax mit sich. Der Weg, zu dem ich mich nach einigen Versuchen und Abwägungen durchgerungen hatte, ist, dass ich mir erlaubte, gelegentliche zweisilbige Kadenzen einzustreuen.

Ein Argument dafür ist, dass Wheatley sich dies sporadisch auch erlaubt, beziehungsweise mithilfe einer Elision eine einsilbige Kadenz hinbiegt. So beispielsweise im Reimpaar «desire / lyre» («Hymn to Humanity», Verse 27 und 30) oder im Reimpaar «show'r / hour» («A Farewel to America», Verse 14 und 16).

Doch in erster Linie habe ich mir diese Freiheit aus der Überlegung genommen, mit ihr auch die relativ häufigen unreinen Reime Wheatleys zu kompensieren. Allein in der Elegie auf George Whitefield gibt es beispielsweise die unreinen Reimpaare: «receive / give» (24-25), «throng / hung» (26-27), «good / food» (28-29), «said / laid» (32-33), «blood / God» (36-37), «mourn / return» (40-41).

Neben der gelegentlichen zweisilbigen Kadenz erlaubte ich mir mit Blick auf Wheatleys zuweilen leicht gelockerten Umgang mit dem Reim meinerseits den gelegentlichen unreinen Reim. An Zeilen 11 bis 13 des genannten Gedichts, «Zum Tod des Rev. Mr. George Whitefield. 1770» («On the Death of the Rev. Mr. George Whitefield. 1770»), lassen sich die beiden Massnahmen gleichzeitig illustrieren:

Behold the prophet in his tow'ring flight!
He leaves the earth for heav'n's unmeasur'd height,
And worlds unknown receive him from our sight.

Seht den Propheten steilen Flugs entrücken,
In höchste Höhn fernab von Erdgeschicken,
In fremde Welten, fort aus unsren Blicken!

Im Grundsatz versuchte ich jedoch, das Metrum und die Paarreimstruktur des Original konsequent nachzubilden, da sie ganz wesentlich zum Charakter von Phillis Wheatleys Lyrik gehört. Denn sie verwendet das Heroic Couplet so, dass sie es in aller Regel zu grammatischer und semantischer Abgeschlossenheit gestaltet. Enjambements vermeidet sie weitgehend. Auf diese Weise akzentuiert Wheatley die ohnehin recht rigide Struktur dieser Versform. Meines Erachtens tut sie dies augenscheinlich systematisch und absichtsvoll. Es ist ein künstlerischer Entscheid und er trägt zu Wheatleys Personalstil bei. Möglicherweise ist das einer Gründe für die verbreitete Sicht, Wheatley verwende die Form des Heroic Couplets in bloss imitativer Art und Weise. Dabei kann sie auch anders, wenn es ihr beliebt. Man beachte etwa die Passage aus dem Gedicht «An den Sehr Ehrenwerten William, Graf von Dartmouth» (Verse 15 bis 19):

No more, America, in mournful strain
Of wrongs, and grievance unredress'd complain,
No longer shalt thou dread the iron chain,
Which wanton Tyranny with lawless hand
Had made, and with it meant t'enslave the land.

Nie mehr, Amerika, sollst Trauer tragen,
Von Weh und unvertriebnen Sorgen klagen,
Nicht länger an der Eisenkette zagen,
Welche die Tyrannei mit harter Hand
Geschaffen, um zu knechten dieses Land.

3.3 Stilmittel

Ein zweites Übersetzungsproblem lag für mich bei Phillis Wheatley in der Gefahr nicht eines Zuwenig sondern eines Zuviel. Nachdem ich bei der Übertragung von Coleridges Lyrik mit einer hohen Dichte an Alliterationen, Assonanzen, Binnenreimen und rhythmischen Variationen konfrontiert gewesen war und um jeden Effekt froh sein musste, der sich mir in der Übertragung anbot, musste ich bei der Überarbeitung meiner ersten Versuche zu Wheatley meinen Gebrauch solcher rhetorischer Stilmittel reflektieren und neu dosieren.

Wheatleys Couplets laufen auf den, meist reinen, Endreim hinaus, sind, wie oben schon bemerkt, meistens in sich geschlossen und haben zuweilen fast den Charakter von Epigrammen. Alliterationen und Assonanzen kommen indessen vergleichsweise sparsam vor, und selten in auffälliger, effekthascherischer Weise. Solches scheint Wheatley vielmehr konsequent zu vermeiden. Insbesondere die Vokale wechseln sich ständig ab und werden selten zu Assonanzen massiert, welche ganze Verse oder Couplets dominieren würden. Plakative Alliterationen wie z.B. «boist'rous billows» («On the Death of a young Lady of Five Years of Age», Vers 34) kommen durchaus vor, aber nicht in einer Überfülle.

Eine wichtige Aufgabe bestand während des Übersetzungsprozesses folglich darin, den Blick für Wheatleys rhetorische und klangliche Arbeitsweise zu schärfen, und in der eigenen Übersetzung einige Darlings zu killen. Dies kann ich am Beispiel eines Entwurfs und der Endversion meiner Übersetzung des Eröffnungsgedichts von Phillis Wheatleys Gedichtband, «An Maecenas», aufzeigen. Zunächst Verse 7 und 8:

While Homer paints lo! circumfus'd in air,
Celestial Gods in mortal forms appear;

Ich begann mit einem Trochäus, um dann auf den Jambus «Homer» das alliterierende Verb «malt» folgen zu lassen, das natürlich betont werden muss, obwohl es im jambischen Schema an unbetonter Stelle steht. Mit dem folgenden Ausruf «sieh» ergibt sich eine pathetische Salve von drei betonten Silben:

Während Homer malt, sieh nur! luftumwallt
Erscheint die Götterschar in Weltgestalt;

Das kann man an sich wohl machen (die Expertise für einen Förderbeitrag lobte meine Übersetzung explizit mit Bezug auf diese Passage), aber in der ganzen Kombination der Stilmittel ist es nicht im Sinn und Geist von Wheatleys meist regelmässig fliessenden Jamben. Im gedruckten Buch steht nun:

Doch bei Homer, o sieh nur! luftumwallt
Erscheint die Götterschar in Weltgestalt;

Es mögen Nuancen sein, aber merkliche. Die drei betonten Silben «-mer, o sieh» bleiben bestehen und sind von Wheatleys ähnlichem Effekt («paints lo! cir-») gedeckt. Doch der alliterierende Zusammenstoss von zwei betonten Silben («-mer malt») wird vermieden. Ausserdem scheidet der gegen den Rhythmus betonte Zeilenbeginn mit «während» aus, der noch dazu die Reimsilbe («-wallt») alliterierend vorwegnahm. All dies auf so kleinem Raum wäre ein Zuviel an Klangspektakel, das am Duktus des Originals vorbeischiessen würde.

Ein zweifelhafter Darling, dem ich im gedruckten Buch nicht nachtrauere ist, stand in meinem Entwurf der Zeilen 31 und 32:

Not you my friend, these plaintive strains become,
Not you, whose bosom is the Muses home;

Nicht dir, mein Freund, geziemt der Klagereim,
Nicht dir, wes Busen ist der Musen Heim;

Auch Wheatley spielt hier ein wenig herum, denn «bosom» ist weitgehend ein Palindrom von «Muses». Doch «Busen»/«Musen» ist als zweisilbiger Binnenreim zweifellos ein weniger subtiler Effekt. Ausserdem ist der Busen, der ja dem im Gedicht ausdrücklich männlich angesprochenen Maecenas gehört, ist im Deutschen heute reichlich angestaubt, wiewohl er freilich ein zeittypisch äquivalenter Ausdruck für den «bosom» ist. Ich emendierte wie folgt:

Nicht dir, mein Freund, geziemt der Klagereim,
Nicht dir, wes Herz doch ist der Musen Heim;

So wurde ein Effekt, der allzu bombastisch und in seiner missverständlichen Anschaulichkeit unfreiwillig komisch wirken könnte, gegen einen subtileren ausgetauscht (nämlich die Alliteration «Herz» / «Heim»), nicht zuletzt auch um eine ausgeglichenere Diktion zu erreichen. In einer solchen wohlbalancierten, rhythmisch flüssigen, klanglich abwechslungsreichen Ausdrucksweise meine ich überhaupt allmählich eine zentrale Maxime zur Übertragung von Wheatleys Heroic Couplets erkannt zu haben.

3.4 Abwertende Ideen und Ausdrücke

Nicht an seiner Identität, sondern an seinem Tun soll man den Übersetzer messen, schlug ich weiter oben vor: an seiner Leistung, seinen Entscheiden, seiner Haltung. Tatsächlich stellten sich mir in Phillis Wheatleys Werk ganz handfeste Übersetzungsprobleme, bei dem Erwägungen philologischer Natur in einen gewissen Konflikt zu Überlegungen der Ethik und politischen Korrektheit geraten.

Das offensichtlichste Beispiel ist die Frage der Übersetzung des Worts «negro». Es kommt in Wheatleys Lyrik zwar nur ein einziges Mal vor, dafür aber an prominenter Stelle, im bekanntesten und umstrittensten Gedicht «On Being Brought from Africa to America» – einem Text, der zurecht bei jeder Auseinandersetzung mit Wheatley grosse Aufmerksamkeit bekommt. Das Wort taucht überdies in den Zeitungsanzeigen zu Wheatleys Gedichtband und in den Einleitungstexten ihrer Zeitungsgedichte und Einblattdrucke auf, ebenso wie in ein paar Briefen.

Aus den damaligen Verwendungskontexten – Selbst- wie Fremdbezeichnungen – geht meines Erachtens keine abwertende Konnotation hervor, ebenso wenig wie in der Verwendung des Worts in den Zeitungsrezensionen. Im Gegenteil, die «negro poetess» wurde als Genie gefeiert. Wie also übersetzen? Im Deutsch des späteren 18. Jahrhunderts gab es keine Bemühungen um eine diskriminierungskritische Sprache. Das deutsche N-Wort war (nachdem es allmählich an die Stelle des M-Worts getreten war) in einem Gebrauch, der dem des Worts «negro» vergleichbar ist, durchaus auch in nicht abwertend markierten Kontexten. So würde es also aus historisch-philologischen Gründen angezeigt scheinen, «negro» mit dem N-Wort zu übersetzen.

Indessen, schwang beim N-Wort, auch wenn es damals nicht per se ein Schimpfwort war, nicht unvermeidlich die rassistische Abwertung von nichtweissen Menschen mit, die ja hinreichend belegt und dokumentiert ist? Doch. Aber das tat sie im Englischen bei «negro» ebenfalls, und also auch in Phillis Wheatleys Verwendung des Wortes. Und mit Blick auf das berühmte kurze Gedicht muss man sagen: Das ist noch nicht einmal das Hauptproblem.

'Twas mercy brought me from my Pagan land,
Taught my benighted soul to understand
That there's a God, that there's a Saviour too:
Once I redemption neither sought nor knew.
Some view our sable race with scornful eye,
«Their colour is a diabolic die.»
Remember, Christians, Negros, black as Cain,
May be refin'd, and join th' angelic train.

Das Brisante und Verstörende an diesen Gedicht ist, dass darin zwei monströse Thesen aus dem christlich-kolonialen Diskurs artikuliert werden – wobei es Gegenstand einer anspruchsvollen Auslegung ist, zu klären, inwiefern sich Wheatley zu diesen Thesen kritisch, ironisch oder ablehnend verhält. These 1: Die Sklaverei gehört zum Plan der göttlichen Vorsehung, weil sie Menschen aus dem Heidendasein in Afrika nach Amerika und damit ins Christentum führt. These 2: Die physische Schwärze der Afrikaner symbolisiert und widerspiegelt ihre metaphorische, seelische «Schwärze» als Söhne Kains.

Das Gedicht der Schwarzen Sklavin bringt also eine Rechtfertigungsstrategie der Sklaverei und eine rassistische Herabsetzung der Schwarzen zur Sprache. Ist es vertretbar, dies in einer deutschen Ausgabe originalgetreu zu übertragen? Oder müsste man, wenn man die Reproduktion und Weiterverbreitung von Rassismus stoppen wollte, nicht bloss die N-Vokabel streichen, sondern auch gleich die von Wheatley übernommenen rassistischen Ideen?

Ich meine: nein. Eine Übertragung, die noch dazu die erste und einzige Übertragung von Wheatleys Werk ins Deutsche ist, soll das Originalwerk möglichst texttreu und unverstellt verfügbar machen und nicht vorauseilend in dessen Auslegung und Diskussion eingreifen. Dies umso mehr, als sie in der einsprachigen Ausgabe für sich allein stehen können muss. Die Übersetzung soll also das Sprengpotenzial des Originaltexts nicht entschärfen.

Sie soll jedoch auch nicht ohne Not Feuer legen. Das N-Wort, es mag um 1770 im deutschen Sprachgebrauch tatsächlich der etablierte und unmarkierte Ausdruck gewesen sein, mit dem «negro» adäquat übersetzt wurde: In einem Buch, das 2023 erscheint, wäre das heute massiv herabsetzende und offen rassistische Wort eine Irritation, die bei der Lektüre in die Irre führen würde. Im Sinne einer heute verständlichen Übertragung des Gedichts, das die Auslegung von Wheatleys Auseinandersetzung mit den genannten zwei problematischen Thesen ermöglicht, ist eine andere Lösung angezeigt, als jene, die ich oben als historisch-philologisch adäquat bezeichnet hatte.

Unter dem Aspekt der Verständlichkeit, Lesbarkeit, und auch der Vorlesbarkeit, fielen für mich Varianten mit Asterisken oder mit dem englischen Originalausdruck weg. Ich wählte «Schwarz» (auch im Adjektiv in Grossschreibung) als den heute verbreiteten und sprachüblichen Ausdruck – der in einem Text von 1773 freilich ein Anachronismus darstellt und somit von meinem sonstigen Bemühen um eine epochengerechte Sprache abweicht:

Gnade entriss mich meinem Heidenland
Und lehrte meine tumbe Seel Verstand:
Es ist ein Gott, es ist ein Retter gar.
Ich wusst zuvor nicht, was Erlösung war.
Wir Schwarzen werden meistens nur verhöhnt.
»In Teufelsfarb ist ihre Haut getönt.«
Vergesst nicht, Christen, Schwarze, schwarz wie Kain,
Können sich läutern, können Engel sein.

Nicht epochengerecht, und auch dem Prinzip zuwider, nach dem gleiche Ausdrücke mit gleichen, und verschiedene mit verschiedenen zu übersetzen sind. Doch die Kursivierung, die Wheatleys Kursivierung ist, bewahrt der Übertragung eine typographische Markierung, welche die eigentliche und die metaphorische Wortbedeutung zusätzlich voneinander scheidet.

Ein eher kleiner und gewiss weniger auffälliger Entscheid war im Umgang mit regelwidriger Orthografie und Interpunktion zu fällen. Wie mit Wheatleys Schreibfehlern umgehen? Die überlieferten handschriftlichen Briefe – in vielen Fällen möglicherweise bloss Briefentwürfe – hatte Wheatley ebenso wenig ins Reine geschrieben wie die nachgelassenen Gedichtentwürfe. Die Rechtschreibe- und Syntaxfehler in der deutschen Übersetzung zu rekonstruieren, wäre mir als eine Mühe vorgekommen, die keinem sinnvollen Zweck dient. Auch hier wäre von der Sache abgelenkt worden, mit der sich Wheatley beschäftigt hat. Diese Entscheidung hat an sich nichts mit ihrer Herkunft und ihrem Status zu tun. Indessen wäre im Licht ebendieser Kontexte ein anderes Vorgehen umso unangebrachter gewesen.

Es gehört zu den Herausforderungen jedes Übersetzungsprojekts, in der Zielsprache eine plausible, angemessene Stimme für diejenige der Originalautorin zu finden. Im Fall von Phillis Wheatley ist diese jedoch besonders anspruchsvoll und tückisch, weil die zeitgenössische wie auch die diachrone Rezeption den Blick auf die Qualitäten und Tugenden des Werks verstellt. Es gilt zu vermeiden, Wheatley abermals dem taxierenden, skeptischen, voreingenommenen Blick des weissen Kritikers auszusetzen oder sie gleichsam ein weiteres Mal in paternalistischer Weise vorzuführen und auszustellen.

Zu diesem Ziel muss das Augenmerk des Übersetzers ganz auf dem sein, was die Dichterin anstrebt, was sie performt, und nicht etwa auf etwaigen angeblichen Mängeln oder imitatorischen Aspekten. Diese Haltung zu wahren fiel – insofern ich hoffen darf, dass es mir gelungen ist – nicht nur nicht schwer, sondern machte grosse Freude und lohnte den Einsatz reichlich!

Denn Phillis Wheatleys Schaffen ist in intellektueller und politischer und nicht minder in literarischer Hinsicht gehaltvoll, lohnend und bewegend. Dieser Satz bedarf keiner Einschränkung nach der Kategorie «gemessen an ihrer Lebenssituation». Freilich ist der Gewinn, der in der Erkundung, Lektüre und Aufarbeitung von Wheatleys Werk liegt, nicht zu trennen von ihrer aussergewöhnlichen lebensgeschichtlichen Situation.

Phillis Wheatley, Boston Women’s Memorial, © Meredith Bergmann 2003  

4. Das Mentorat

4.1 Bericht des Übersetzers

Die Übersetzung, Einleitung und Kommentierung von Phillis Wheatleys Werk war ein rechtes Stück Arbeit, und es musste – nachdem ich mich entschlossen und dem Verlag gegenüber verpflichtet hatte, das Buchmanuskript rechtzeitig auf das 250-Jahr-Jubiläum der Originalausgabe der Poems on Various Subjects hin abzuliefern – unter einigem Zeitdruck geleistet werden.

Diese Situation war neu und herausfordernd. Ich hatte erst 2022 als Übersetzer von S.T. Coleridges Gedichten debütiert. Für Coleridge hatte ich profunde Vorkenntnisse und überdies genügend Zeit. Das Projekt, zu dem sich auch noch eine Biografie des englischen Romantikers gesellen sollte, war eigentlich zunächst als einmalige Sache neben meiner Arbeit als Literaturkritiker gedacht, der Liebhaberei zu meinem Dissertationsthema geschuldet.

Mit Phillis Wheatley hatte ich mir nun ein Werk und ein kulturgeschichtliches Kapitel vorgenommen, in das ich mich parallel zum Übersetzen einlesen und einarbeiten musste, und das mich vor eine Fülle von gewichtigen Entscheidungen stellte. So war ich überaus froh und erleichtert, dass mir das Übersetzerhaus Looren im Zürcher Oberland die Möglichkeit bot, ein kleines sogenanntes Wochenmentorat für Nachwuchsübersetzer zu machen und den Lyriker und Lyrikübersetzer Jonis Hartmann als Mentor engagierte.

Bereits nach einem Vorgespräch per Zoom war ich mit einer Fülle von äusserst hilfreichen Hinweisen ausgestattet. Das wichtigste war jedoch die positive, begeisterte und ermutigende Haltung, die Jonis vom ersten Moment an gegenüber Phillis Wheatley und meinem Plan einer deutschen Ausgabe zeigte.

Unbeirrt von jeglichen Vorbehalten gegenüber einer angeblich epigonalen Versproduzentin oder einer zu weissen Schwarzen Autorin, wandte er sich dem Werk zu und bewies sofort einen verständigen Blick für dessen Formen und Qualitäten. Auch während unserer paar Tage im Übersetzerhaus Looren war unsere Arbeit im Kern eine begeisterte gemeinsame Entdeckungsreise durch die Nuancen, Strategien, Vielschichtigkeiten und das kühne und raffinerte Engagement in Wheatleys Texten.

Als Dichter und als Lyrikübersetzer, etwa von Bob Kaufman, hat Jonis ein gutes Ohr. Er ergänzte meinen eigenen eher akademisch geprägten Zugang zu Wheatleys Stil und war ein enorm wichtiges Korrektiv bei meiner Suche nach einer adäquaten deutschsprachigen Entsprechung dafür. Jonis zeigte mir beispielsweise auf, dass ich meine Übersetzungsentwürfe (wie im Abschnitt zu den Übersetzungsproblemen dargelegt) mit poetischen Mitteln ausgestattet hatte, die Wheatleys Stil nicht entsprachen. Beim Durcharbeiten, Ausprobieren und gegenseitigen Vorlesen kreisten wir gemeinsam die Elemente ein, die uns zentral und charakteristisch schienen und denen in der Übertragung das Hauptaugenmerk gelten sollte.

Über die Arbeit an Lexik, Klang und Form hinaus führten wir vom frühen Kaffee bis zum späten Glas Weis ausgedehnte Gespräche über alle möglichen Aspekte der Beschäftigung mit dieser einzigartigen Autorin – einer Schwarzen Sklavin, die in einer weissen Gesellschaft ihre poetische und politische Stimme erhob und sich Gehör verschaffte. Dies half mir auch, meinen Blick noch klarer von tendenziösen und vorurteilsbehafteten Aspekten der Rezeptionsgeschichte zu befreien. Nicht zuletzt resultierten aus Jonis' frischem Blick auf das Manuskript und auf meine Entwürfe für die Einleitung und den Kommentarteil wichtige Anregungen zur definitiven Auswahl der Texte und zur Gliederung und Gestaltung des Bandes.

Ich bin überzeugt, dass das kompetente Mentorat, das mir durch Jonis Hartmann und dank des Übersetzerhauses Looren ermöglicht wurde, ganz wesentlich zur Qualität des Buchprojekts beigetragen hat. Meines Erachtens ist für das Gelingen von solch herausfordernden Projekten unabdingbar, irgendeine Form von professionellem Dialog führen zu können. Das gilt gewiss insbesondere für Nachwuchsübersetzer, aber nicht nur für sie. Ich für meinen Teil bin bei der Übersetzung von Phillis Wheatley jedenfalls ganz bestimmt noch einmal ein Stück gewachsen.

Florian Bissig und Jonis Hartmann während des Mentorats ©Florence Widmer, Übersetzerhaus Looren

4.2 Bericht des Mentors Jonis Hartmann

einwurf aus dem mentorat

The poet asks, and Phillis can’t refuse / To show th' obedience of the Infant muse, als ich diese verse Wheatleys las, ich mich erinnerte, als Florian Bissig zu mir zoomsagte sie lässt durchblicken, dass sie performt, hatte mich etwas in der hand. gern sagte ich das mentorat auch von herzen zu.

            bis dato hatte ich mich mit lyrik aus dem 20. jahrhundert befasst & aktueller, um sie aus dem englischen zu übertragen. sie steht mir näher. eine stimme zu finden für über 250 jahre ältere poesie scheute ich. stattdessen spürte ich ab einem zeitpunkt des gegenseitigen antastens, kennenlernens im projekt plötzlich, dass Florian in sich etwas gespürt hat, das ihm Phillis Wheatley zu übertragen zu einem anliegen gemacht hat. nachdem er sich bereits in den heroic couplets von Samuel Taylor Coleridge eine metrische fertigkeit erarbeitet hat, wollte er mit Wheatley, deren position nicht unumstritten ist, sich seinerseits in die nicht unumstrittene position begeben für die verbreitung ihrer texte, als auch ihrer briefe zu kämpfen.

            ihm schwebte eine literaturwissenschaftliche herausgabe samt umfangreicher bevorwortung & apparat vor – kein leichtes anliegen in einem weiß zu lesenden umfeld, daher unter anderem der wunsch nach einem mentorat, mithilfe des erfahrungsreichen Übersetzerhaus Looren, sich nicht allein einem möglichen elefanten im raum zu stellen.

            die paarung, die Florence Widmer vornahm, war auf den ersten blick nicht nur aufgrund meiner geringen vorkenntnisse – zwar hatte ich zu BIPOC-autor:innen & auch diasporischer lyrik gearbeitet, doch nie in durchgängig klassisch gebundener metrik – noch durch das gegebene zeitfenster (Florians zügige abgabe des manuskripts bei der Friedenauer Presse drückte auf das vorhaben) nicht augenblicklich sicher für mich. ich scheute, ich war mir (bin es noch immer) unsicher in der gegebenen konstellation, vor allem wusste ich zunächst nicht, ob Phillis Wheatley hier erneut ausgestellt werden & sich ihre biografische lyrikerinwerdung in skepsis einer historischen mehrheit wiederholen wird. doch es gab (früh) den oben beschriebenen moment, als ich spürte, dass Florian aufrichtig etwas fühlte bei dieser aufgabe. so wollte ich die herausforderung annehmen, nach besten kräften zu unterstützen, wo ich konnte, da ich nun ebenso etwas fühlte, schließlich selbst etwas lernen, mitnehmen, einschätzen dürfen bei diesem komplexen vorhaben, Phillis Wheatleys vielschichtigkeit in werk & person sichtbarer zu machen.

            die stimme dafür hatte Florian schon gefunden. so war die frage: wohin führt das ganze? was sollte kein weiteres mal Phillis Wheatley & ihren gedichten angetan werden? was ist die wirkungsmacht Wheatleys? warum ist sie heute wichtig, welche andere(n) stimme(n) benutzt Wheatley noch, welche verfahren setzt sie ein, was ist das, was Wheatley performt, wie Florian richtig sagt, & wie kann es bei der kürze der bearbeitungszeit noch möglich sein, unabhängig von einzelnen problemen oder detailzonen in jeweiligen gedichten, eine aufrichtig-kohärente, klugeditorische, sprachkünstlerisch-übersetzerische antwort/ verantwortung im gegebenen umfeld für ihr werk auf deutsch einzurichten?

            in ein, zwei digitalen treffen vorab, & zusätzlich danach, haben wir innerhalb einer sehr intensiven arbeitswoche in Looren zwischen fein- & übergeordneter werkarbeit versucht, ohne dass ich dabei ins lektorieren geraten durfte, die vorragenden knotenpunkte zwischen gedichten & briefen zu finden, um das vermeintlich redundante in der poesie zum fließen, das menschliche, das in den briefen wiederum vermeintlich konträr zu den bisweilen mechanistischer wirkenden gedichten steht, zum sprechen zu bringen, Phillis Wheatley selbst Phillis Wheatley sein & anspielen zu lassen.

            and Phillis can’t refuse to show [...] ist für mich eine dafür wichtige zeile (aus An answer To The Rebus, By The Author Of These Poems), die leider nicht in das knapp bemessene projekt mitaufgenommen werden konnte, genausowenig wie leider Phillis Wheatleys originales englisch, das aus ebenjenen platzgründen nicht hereingefunden hat, obwohl Florian auch dafür gekämpft hat. wie überhaupt er sich nach unserem ersten kontakt & speziell in der arbeitswoche immer weiter zu einem advocate entwickelt hat – die sache hatte ihn in die hand bekommen. so war es neben vielen nicht möglich zu erkämpfenden standorten, um Phillis Phillis sein zu lassen (nicht zu übernehmen, nicht auszustellen, nicht ihre stelle einzunehmen etc.) Florians geglückter vorstoß, Honorée Fanonne Jeffers zum teil des buches zu machen, das choriger nun das ursprüngliche konzept erweitern konnte, die vielen traurigen wie auch empowernden spuren, markpunkte, wendungen, sprachkämpfe von Phillis Wheatley auf ihrem weg zu einer selbstbestimmten, freien dichterin zu zeigen, in ihren verzweigungen heutig auftreten zu lassen.

            in den gedichten inhaltlich gelenkt von der strengen entscheidung florians, das metrum zu übernehmen, mit allen damit verbundenen schwierigkeiten zu leben, war es die verantwortung, in den briefen wiederum eine sprache zu finden, die abgesetzter im ungebundenen, wiewohl eloquent, die register des Wheatleyschen sprachgebrauches ausmacht, sie darstellt. auf solche art herauszuarbeiten, wie die lyrische gedichtsprache von ihr eine kunstsprache ist, streng in den konventionen, doch voller leichtigkeit in ihrem besonderen flow & jederzeit als mittel zu erkennen, empowernd zu wirken – auf sich selbst als person, als autorin, auf ihresgleichen, auf lesende im weitestgemeinten sinne. das bedeutete, sich nicht von den details verfrühstücken zu lassen, es in der gegebenen kurzen zeit hinzunehmen, dass es möglicherweise „perfektere“ lösungen geben könnte im (oder gar außerhalb eines – für Bissig ein no-go) heroic couplet, dabei gleichzeitig Wheatleys eigenes schnelles, manchmal selbst ungenaues dichten zum thema zu machen, das heißt priorisch ihren schwunghaften fluss, den sie beliebig anstellen, nach dem musenanruf, & auch einfach abstellen konnte, als performance zu kennzeichnen. nicht auf den missgriff hereinzufallen, eine akademistische klassikerweiße tradition als duktus über den speziellen Wheatleysound zu stülpen, sondern anzuerkennen, das dieses buchvorhaben bedeutete, das ganze zu sehen, den gesamten schwingungschor, der von Wheatleys werk & leben bis heute ungebrochen (/manchmal gebrochen) ausgeht, mit hoher aufmerksamkeit mitabzubilden in einer edition, die sich ihrer sensibilitätszonen bewusst sein muss. Florians vorwort versucht dazu beizutragen, auch die begriffsklärungen im apparat. die fast gleichwertige gewichtung von gedichten & briefen, Honorée Fanonne Jeffers hymne bilden bausteine eines frischen bedeutens von Wheatley heute. in den gegebenen umständen war dies kein leichtgängiges unterfangen, gewiss bleiben fragen, doch ein erster leseschritt ist dank Florian Bissigs projektmut nun hierzusprachs möglich in die welt der pionierin Phillis Wheatley. ich bin dankbar für dieses mentorat.

 

06.11.2023
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© Tonatiuh Ambrosetti (Foto Florian Bissig)
© privat (Foto Jonis Hartmann)

Florian Bissig, geboren 1979, studierte in Zürich, Berlin und Austin. Nach dem Lizenziat in Philosophie promovierte er in Englischer Philologie mit einer Studie zu Samuel Taylor Coleridge (Coleridge and Communication, Trier 2015). Er schreibt als freier Journalist für verschiedene Schweizer Zeitungen und Zeitschriften über Literatur, Musik und Philosophie. Seine Serie mit Auslegungen zu Schweizer Gedichten ist beim Limbus Verlag erschienen (Mauerlängs durch die Nacht, Innsbruck 2018). Beim Zürcher Verlag Dörlemann publiziert wurde seine Übersetzung von S.T. Coleridges Lyrik (In Xanadu) sowie seine Biografie des Dichters und Philosophen (Samuel Taylor Coleridge. Eine Biografie), bei der Friedenauer Presse sein Auswahlband zu Phillis Wheatley (Nie mehr, Amerika! Gedichte und Briefe). Florian Bissig lebt mit seiner Familie in Affoltern am Albis bei Zürich.

 

Jonis Hartmann, 1982 in Köln geboren, ist Autor & Übersetzer in Hamburg Schlump. Schwerpunkt seiner Arbeit ist das Hören.

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