Komik und Kummer
Journal zur Übersetzung von Zerocalcares No sleep till Shingal
„The secret source of humor is not joy but sorrow.“
Mark Twain
Einen witzigen Comic übersetzen, das würde ich gerne mal machen!
Nach den sehr literarischen Projekten zu großen Themen in bedrückenden Zeiten, an denen ich in den letzten Monaten gearbeitet hatte, stand mir der Sinn nach etwas Heiterem – und dann hat sich dieser Wunsch wirklich erfüllt. Zerocalcares (bürgerlich Michele Rech) erste Netflix-Serie1 war gerade angelaufen, der Autor hatte in Italien schon zehn Bücher veröffentlicht, die Schallmauer der vorstellbaren Comic-Verkaufszahlen mit über 2 Millionen Exemplaren durchbrochen und galt vielen italienischen Medienvertretern längst als die „Stimme seiner Generation“. Sein erster Reportage-Comic Kobane Calling war für den Premio Strega nominiert, einen der wichtigsten italienischen Literaturpreise.
Mit „No sleep till Shengal“ legt Zerocalcare nun seine zweite Comic-Reportage vor, die italienische Ausgabe ist im Herbst 2022 bei bao books und ein Jahr später in meiner Übersetzung im Berliner avant-verlag erschienen. Und weil in seinen Büchern meist ein trauriger Kern steckt, war zu erwarten, dass es bei Themen wie Vertreibung und Völkermord nicht ausschließlich heiter werden würde.
Zerocalcare: No Sleep Till Shingal. Aus dem Italienischen von Myriam Alfano. avant-verlag, 2023.
Die Übersetzung der Komik, die ich herbeigewünscht hatte, hat sich in vielen Fällen als harte Nuss erwiesen. Sie entsteht nicht selten durch Referenzen des Autors auf Personen und Ereignisse, die zum italienischen Allgemeinwissen gehören, in Deutschland aber vollständig unbekannt sind. So habe ich oft um Äquivalente gerungen, damit auch das deutsche Publikum etwas zu lachen hat, und viel Zeit dafür aufgewendet, den Konnotationen des italienischen Originals nachzugehen und sie in der Übersetzung zu erhalten. Die Arbeit an No sleep habe ich als verlustreicher empfunden als sonst und bin froh, mit diesem TOLEDO-Journal die Möglichkeit zu haben, zumindest exemplarisch über Verlinkung auf Quellen zu verweisen und Bilder mit den Bildern zu verknüpfen. So können deutsche Leser·innen wenigstens auszugsweise nachvollziehen, was im Buch nicht durch eine Fußnote oder ein Glossar wiedergegeben werden konnte oder sollte.
Worum geht es?
Im Frühjahr 2021 reist Zerocalcare mit einer Gruppe von Aktivist·innen in den Irak, um die von internationalen Spannungen bedrohte und von kurdischen Milizen geschützte Gemeinschaft der Jesiden in Shingal zu besuchen und ihre Lebensbedingungen und ihren Kampf zu dokumentieren. Nach seinen Erfahrungen in Syrien (Kobane Calling, Italienisch 2015 bei bao books, Deutsch von Carola Köhler 2017 bei avant), möchte der Autor herausfinden, was dran ist am demokratischen Föderalismus in dieser Region, die zunehmend aus der Wahrnehmung des Westens verschwindet.
Die Reise in den Nordirak verläuft alles andere als geradlinig und bald weiß der Erzähler nicht mehr, welche Truppe am Checkpoint die Weiterreise jetzt schon wieder verhindert, aber irgendwann kommt er endlich an und kann sich ein Bild von den Bemühungen der Autonomen um eine gerechtere Gesellschaftsform machen. Seine Erkenntnisse, seine Zweifel und Ängste in dieser krisengeschüttelten Region sind in der Reportage gesammelt.
Raum und Rhythmus
Platzprobleme durch den vorgegebenen Raum der Sprechblase werden im Zusammenhang mit Comicübersetzungen häufig als zentrales Problem beschrieben. Sieht man sich die Netflix-Serien des Autors an und vergleicht dabei die italienischen Untertitel mit der ursprünglichen Tonspur, stellt man fest, dass selbst in der Originalsprache vieles von dem, was gesprochen wird, in der Untertitelung fehlt. Der Autor spricht die Figuren mit wenigen Ausnahmen auf charakteristische Weise selbst, das Tempo ist rasant und wie wichtig Rhythmus ist, hört man sofort. Der römische Dialekt und die damit verbundenen prosodischen Auswirkungen auf den Text spielen auch in seinen Comics eine wichtige Rolle. Außerdem ist, was so locker und umgangssprachlich daherkommt, wohlüberlegt: „Also bei mir sind die Texte das Wichtigste. Die Texte müssen dem, wie gesprochen wird, so nah kommen wie möglich. Das hat auf der [Comic-]Seite das größte Gewicht.“2
Aber wichtiger noch als diese Erkenntnis war mir, dass der Rhythmus von der Sprache vorgegeben wird, nicht etwa von den Zeichnungen: „[…] der Erzählrhythmus hängt für mich stark von den Dialogen ab. […] Eigentlich wird mir die Geschichte und ihr Rhythmus erst in dem Moment richtig klar, wenn ich die Dialoge schreibe.“3
Das klingt nach einem Plan, um den Ton des Originals adäquat wiederzugeben: Dem Gesprochenen möglichst nahekommen, dann kommt der Rhythmus von allein. Ist doch ganz einfach, oder?
Eine kurze Anmerkung zum Romanesco: Zerocalcare verwendet einige dialektale Elemente und die Übertragung von Dialekten ist ein viel diskutiertes Feld4, das ich in diesem Journal aber nicht zum Thema machen möchte. Ich gehe von der Annahme aus, dass insbesondere die Möglichkeit zur emotiven Identifikation, die der römische Wortschatz für Römer·innen (und affine italienische Leser·innen aus anderen Regionen) transportiert, fast zwangsläufig in meiner deutschen Fassung nicht gleichwertig transportiert werden kann oder ganz verlorengeht. Ein nicht geringer Verlust, der mir Kummer macht. Wo irgend möglich, habe ich eine Lösung angestrebt, die deutschen Leser·innen einen ähnlichen Assoziationsraum eröffnet, ohne dafür einen dialektalen Begriff mit einem dialektalen Begriff des Deutschen wiederzugeben. Aber auch die über das einzelne Wort hinausgehende Referenzen auf die (römische) Alltagskultur bieten interessante Aspekte für eine nähere Betrachtung.
Komik seziert
Rhythmus und Knappheit sind für literarische Übersetzungen keine ungewöhnlichen Kriterien, aber hier kommt verdichtete Komik hinzu. Ohne auf theoretische Begriffs-Unterscheidungen einzugehen, lässt sich runterbrechen: man liest die Graphic Novel, man lacht – und so sollte es Leser·innen der deutschen Fassung möglichst oft auch gehen. Von meinen stundenlangen Recherchen ist eigentlich nur ein Zitat für dieses Journal von Bedeutung. Darin zitiert ein Komik-Experte einen anderen:
„Humor kann viviseziert werden wie ein Frosch, doch wie dieser stirbt auch jener während der Prozedur.“5
Zuallererst hoffe ich natürlich, dass der Humor nicht schon durch meine Übersetzung gestorben ist, und auch wenn es mir unvermeidlich scheint, und ich den zu zahlenden Preis bedauere, will ich hier ein paar Beispiele auseinandernehmen und zeigen, wie Zerocalcare Komik entstehen lässt und wie ich versucht habe, einen ähnlichen Effekt in der deutschen Übertragung herzustellen. So dröge erklärte Witze sind, es sind nur ein paar, im Buch gibt es hoffentlich noch genug zu lachen.
Neben der Komik sind die als „Turpiloquium“ zusammenzufassenden Beleidigungen und Schimpfwörter ein stilistisches Charakteristikum des Autors. Ich spreche lieber altmodisch von „Kraftausdrücken“, denn damit ist eine der Hauptfunktionen für ihre Verwendung in No sleep auch schon umrissen. Vorweggreifend lässt sich sagen, dass hier Schimpfworte und Flüche viel weniger beleidigen, als dass sie bekräftigen, verstärken, unterstreichen. Doch fangen wir mit der Komik an.
Wie oft denken Sie eigentlich ans Römische Reich?
Augenzwinkernd beziehe ich mich auf diesen aktuellen TikTok-Trend und wer ihn kennt (mit dieser Information etwas verbindet), grinst vielleicht, wer nicht, runzelt verständnislos die Stirn, und wer allein bei dem Wort TikTok schlechte Laune bekommt, liest vielleicht gar nicht weiter. „Leser·innen einer Übersetzung brauchen Anknüpfungspunkte für ihr Vorwissen“, schreibt Ulrich Blumenbach in seinem TOLEDO TALK zur Übersetzung von Joshua Cohens Roman Witz und bezieht sich dabei auf Gadamer. Gerade dieser Aspekt ist beim Übersetzen von Komik oft von grundlegender Bedeutung und dass Zerocalcare noch häufiger an das Römische Reich denkt als andere Italiener, macht es für das deutsche Publikum nicht leichter. Immer wieder thematisiert er seine Herkunft, sowohl Rebibbia, das Viertel in dem er lebt, als auch andere Bezüge auf die italienische Hauptstadt spielen in seinen Pointen eine wichtige Rolle und bringen die deutschen Leser·innen ins Schleudern, weil ihnen dieses „Vorwissen“ fehlt.
Beispiel 1: Stocazzo6
1 Und wisst ihr, WEN sie nicht gefragt haben?
2 WEN sie gar nicht um Rat gebeten haben?
3 Ich weiß es, ich weiß es DENSCHWANZHIER
4 Gürteltier!!!
5 Was sagst du denn da?!
6 Das ist ein ernstes und tragisches Thema!
7 Ich hab’s für dich gemacht. Ich bin ja dafür da, dem, was du denkst, aber dich nicht traust, es zu sagen, eine Stimme zu geben.
8 Und versuch nicht, zu behaupten, du hättest es nicht gedacht.
9 Außerdem, in Rom wird man bestraft, wenn einer „WER/WEN?“ fragt und du nicht mit „DERSCHWANZHIER“ antwortest.
10 Dura lex sed lex.
Hier entsteht Komik einerseits durch den thematischen Bruch (ein Autonomer erläutert sachlich die ernste politische Lage und die territorialen Machtkämpfe der Politik) und anderseits sorgt das unerwartete Auftauchen des Gürteltiers (Zerocalcares Sidekick) und der situativ unangemessene Verweis auf eine derbe (römische) Redensart, für eine Pointe, für die wir im Deutschen keine Entsprechung kennen. Comic Relief als Stilmittel ist in der römischen Alltagskultur und im Werk des Autors häufig im Einsatz. Über den Einfluss seiner römischen Herkunft sagt der Autor selbst:
„[In Rom] zerreißen sie dich, sie schikanieren dich bis aufs Blut, wenn du auch nur den Verdacht erweckst, eine Heulsuse zu sein. Wenn man über Sachen reden will, die traurig oder wehleidig usw. klingen könnten, muss man wissen, wie man sich schützt, das lernt man schon als Kind. Und der beste Schutz ist da immer Ironie, Komik, Selbstironie und so weiter. Damit kann man vorbauen und entschärfen, was von außen eventuell kommen könnte. Alles, was ich schreibe oder zeichne, hat als zentralen Ausganspunkt irgendwie finsteres Zeug, Tod, Trauer usw. Da baue ich dann eine ganze Reihe von lustigen Schutzmechanismen drumherum, damit die Leute mich nicht als Emo bezeichnen können. Und das ist auch schon alles, so arbeite ich.“7
„Dura lex, sed lex“, tja. Aber was mache ich damit? Abgesehen davon, dass wir zum Schimpfen und Fluchen hauptsächlich Ausdrücke aus dem skatologischen Spektrum einsetzen (Gauger nennt es einen „Sonderweg“ des Deutschen),8 kennen wir keine analoge Verwendung von „Scheiße“ oder „Arsch“ wie im obigen Beispiel, bzw. es ließe sich damit keine Pointe auf die Frage: „Wen haben sie nicht gefragt?“ konstruieren. Ich habe mir deshalb mit einer, zugegebenermaßen nicht mehr ganz taufrischen, jugendsprachlichen Wendung beholfen. Wie man an der textnahen Übersetzung oben erkennt, wäre auch die Zeichenanzahl des deutschen Texts in den Sprechblasen nicht unterzubringen. Meine Kompromiss-Lösung lautet daher folgendermaßen:
Volano cazzi – Genitaler Exkurs
Gleich zu Beginn eine kurze Anmerkung: Bei Zerocalcare (aber im Italienischen allgemein) fliegen einem die Schwänze nur so um die Ohren, es „hagelt Schwänze“, könnte man sagen – und häufig in sehr lustigen Wendungen (man hängt sich dran, wenn man nervt; man spült jemanden davon ab, wenn man ihn loswerden will usw.).
„Cazzo“ (das männliche Glied) wird in Italien als Beleidung (ja, tatsächlich) verwendet, häufig aber einfach zur Verstärkung bzw. Abtönung: Non ho capito un cazzo. (wörtlich: Ich habe einen Schwanz verstanden) Che cazzo fai? (wörtlich: Was Schwanz machst du?) oder Dove cazzo vai? (wörtlich: Wohin Schwanz gehst du?) und kann je nach Situation Ärger, Erstaunen oder Ungeduld ausdrücken. Das klingt für Muttersprachler·innen viel weniger vulgär als eine deutsche Übersetzung mit „Scheiße“, „beschissen“ oder „verdammt“ etc. Zugegeben, es gibt die Analogie (Ich habe einen Scheiß verstanden; Was zum Teufel machst du da? Wo gehst du hin, verdammt nochmal o.ä.), meiner Auffassung nach sind diese Wendungen aber im Deutschen deutlichere sprachliche Markierungen als im Italienischen, denn wir haben zu diesem Zweck eine ganze Reihe von Abtönungspartikeln, die das Italienische nicht hat. Wenn ich also in diesen Fällen einen genitalen Kraftausdruck mit einem skatologischen übersetze, wird die deutsche Version auffälliger als das Original und so habe ich mich entschieden, sie je nach Funktion entweder ganz wegzulassen oder mit anderen sprachlichen Mitteln (Steigerungsformen, Partikeln, umgangssprachlichen Wendungen) nachzubilden. An manchen Stellen, an denen Fäkalsprache im Deutschen idiomatisch wirkt, das Original sie aber nicht vorgibt, habe ich kompensiert, um den Ton des Ausgangstextes nicht zu stark abzuschwächen, wie in diesem Beispiel:
Dài, ma fai schifo! Come puoi averlo dimenticato?
(Komm, du bist ja eklig! Wie kannst du das vergessen haben?)
Wie scheiße ist das denn, wie kannst du das vergessen?
Ein paar Beispiele mit derber Entsprechung9:
… tu su questo spaccavi il cazzo all’inizio
(darüber hast du am Anfang den Schwanz gebrochen / gesprengt / gespalten)
Damit bist du mir eingangs auf die Eier gegangen.
Un cazzo fritto panato
(ein frittierter panierter Schwanz)
Am Arsch die Waldfee.
… fammi una pippa a quattro mani
(hol mir mit vier Händen einen runter)
Leck mich kreuzweise.
Und ein paar Beispiele, in denen ich auf die derbe Entsprechung in der Übersetzung verzichtet habe:
… non c’avete un cazzo da fa‘.
(wörtlich: Ihr habt keinen Schwanz zu tun)
Nix zu tun hier.
… chi cazzo sono e cosa cazzo strillano.
(… wer Schwanz (zum Teufel) die sind und was Schwanz (verdammt nochmal) die brüllen)
Kein Plan wer die sind und was die da brüllen.
Ma come cazzo ci so‘ finito qua?
(Aber wie Schwanz (zur Hölle / zum Kuckuck / verdammt nochmal) bin ich hier gelandet?)
Wie bin ich hier bloß wieder gelandet?
Quando cazzo ti ricapita di vivere tutto questo?
(Wann Schwanz (verdammt) passiert dir das wieder, das alles zu erleben?)
Sowas erlebt man doch nicht alle Tage.
Non c’è un cazzo da raccontare sul ritorno.
(Über die Rückfahrt gibt’s keinen Schwanz zu erzählen.)
Über die Rückfahrt gibt’s nichts zu erzählen. Nada.
Kirche und Komik
Neben dem Sexuellen spielen Familienmitglieder und das Sakrale in italienischen Verwünschungen eine große Rolle. Der verlinkte Zusammenschnitt aus Sketchen des Komikers Renato Pozzetto gibt einen knappen Einblick in die verschiedensten Situationen, in denen die Madonna angerufen werden kann. Im folgenden Beispiel verknüpft der Autor den sakralen Bezug (eben die Madonna) mit einer Redewendung (farsi i cazzi suoi – sich um seinen eigenen Scheiß kümmern) und erschafft eine, in Fankreisen zwischenzeitlich fast schon legendäre, komische Figur.
Zum Kontext: Der Comic-Reporter trifft auf eine Jesidin, die zwei Jahre Gefangene des IS war. Eine einzigartige Gelegenheit, um Informationen für sein Buch zu sammeln. Doch er zögert …
1 Schakale10 scheint sie jedenfalls gewöhnt zu sein, denn sie ergänzt:
2 Jedenfalls habe ich zu diesen zwei Jahren ...
3 nichts zu sagen.
4 Das sagt sie so klar und unumstößlich, dass ich nicht anders kann, als der heiligen Jungfrau zu danken, die ich verehre.
5 Der Madonna kümmer dich um deinen eigenen Scheiß.
6 Die die Wandersleute davor bewahrt, eine Scheißfigur abzugeben.
7 Auf allen Wegen schütze uns.
8 Herrin der Stille / des Schweigens.
9 Strafe die Laberer.
10 //Graphik// Kümmer dich um deinen eigenen Scheiß
Problematisch sind hier nicht nur die komische Übertragung des sakralen Bezugs und die viel zu lange und sperrige deutsche Wendung „sich um seinen eigenen Scheiß kümmern“, sondern auch die Schakale, die im Italienischen anders konnotiert sind als im Deutschen, die bocche de ciavatta (Romanesco für Leute, die nichts für sich behalten können und zu viel reden) und die Redewendung fare una figura di merda (da gibt es im Italienischen mal eine Konstruktion mit „Scheiße“ und wir haben keine Entsprechung dafür. Sich bis auf die Knochen blamieren / dastehen wie ein Vollidiot käme dem nah).
Bei der Madonna habe ich anfangs mit einfach mal die Fresse halten gearbeitet, das schien mir am idiomatischsten, aber immer noch zu sperrig. Und manchmal reicht es, mit einer geneigten Kollegin (Tusen tack, Franzi Hüther!) das Problem zu besprechen und zack, findet sich eine knappe Lösung mit Alliteration. Ich konnte ein Stoßgebet zum Himmel schicken…
Komik und (Pop)Kultur
Eine Schwierigkeit für die Übertragung von Komik in No sleep till Shingal ist also die unterschiedliche Art und Weise von Deutschen und Italienern zu schimpfen. Aber auch das eingangs schon erwähnte „Römische Reich“ im weitesten Sinn und andere Anspielungen auf italienische (Pop)Kultur steuern einige Hürden bei.
Zerocalcares Erfolg wird oft damit begründet, dass er die Stimme seiner Generation wiedergibt, er erreicht aber ein Publikum, das weit über seine Altersgenoss·innen hinausgeht. Und er selbst hat Zweifel, ob seine „fetischistischen Nerd-Zitate“11 von seinen Leser·innen überhaupt verstanden werden. Das Personal, auf das er sich dabei bezieht, stammt nicht selten aus Fernsehsendungen der 1990er Jahre, die in Deutschland allerdings entweder gar nicht oder mit sehr viel geringerem Erfolg gelaufen sind. Gerade mit dieser Strategie erreicht der Autor eine starke Verknappung und kann durch die Anspielung auf das im kulturellen Hintergrund verankerte Wissen allein durch das Zitieren einer Figur eine ganze Geschichte erzählen und ein Witze-Feuerwerk zünden.
In No sleep kommt diese Erzähltechnik glücklicherweise seltener zum Einsatz als in seinen anderen Werken, denn ein Eingriff in die Zeichnung ist tabu und so sind es diese Stellen, die ich beim Übersetzen als am verlustreichsten empfinde und mich nach dem Gestaltungsraum der Prosa-Übersetzung sehne.
Hier ein Verdichtungs-Beispiel: Zerocalcare packt mehrere Referenzen in ein Panel (auf Bild- und Textebene), die Figur ist wiederkennbar zeichnerisch festgehalten, der Platz in den Blasen ist begrenzt, die Pointen sitzen.
Die Reisegruppe kommt auf der Fahrt nach Shingal an einem Camp vorbei und sieht Menschen hinter Zäunen. Als der Fahrer zur Erläuterung „ISIS“ sagt, öffnet Zerocalcare diese Parenthese, nach dem Motto: „Stimmt, da war noch was.“ Im Panel sieht man einen IS-Kämpfer mit einer weiteren Figur, die als Hund dargestellt ist.
Wörtlich lautet der Dialog etwa so (gefettet die Stellen mit Bezug auf die italienische Popkultur)
1 Heute klingt er [ISIS] wie ein Name, den man mit anderen verzweifelten Celebrities auf dem absteigenden Ast auf der Insel der Berühmten (Isola dei famosi) treffen könnte.
2 Bitte Signor Uan, ich habe Hunger.
3 Geben Sie mir was von Ihrer Kokosnuss ab.
4 Mach den Schwanz nicht kaputt.
5 Geh zu Morgan und Bugo.
6 Hey, Schnee brauch ich auch, Bruder.
7 Frag den tätowierten Kameramann.
8 Und pass auf, was er dafür will.
Eine Entsprechung für die Isola dei famosi zu finden, ist einfach. Die Reality Show entspricht etwa dem deutschen „Dschungelcamp“ (Ich bin ein Star - holt mich hier raus!), das lässt sich in diesem Zusammenhang gut verwenden.
Schwieriger ist es mit Uan: Diese berühmte Handpuppe aus dem Kinderfernsehen hat in den 1980er Jahren gemeinsam mit Sergio Bonolis durch die Sendung Bim Bum Bam geführt. Ausgestrahlt wurde sie ursprünglich auf dem Sender Italia Uno, daher sein Name Uan, was die italienische Aussprache des englischen One (Uno) wiedergeben soll. Für Bonolis, einen heute noch erfolgreichen italienischen Showmaster, der besonders für seinen vulgären und zynischen Stil bekannt ist, war die Sendung der Beginn seiner Fernsehkarriere. Auch wenn er in diesem Panel nicht vorkommt, ist er mit der Figur von Uan verbunden und stellt eine indirekte Systemkritik dar.
Alle bekannten Puppenfiguren aus dem deutschen Kinderfernsehen dieser Zeit (z. Bsp. Elmo, Bibo, Tiffy, Grobi, Ratz und Rübe), die zumindest die Referenz auf eine TV-Sendung in einem ähnlichen Format transportiert hätten, sehen anders aus, einen Hund konnte ich nicht finden, auch hier wirkt die Zeichnung limitierend. Die Kritik an Bonolis ist nicht mitzuvermitteln. Ich habe mich in diesem Fall für eine knappe Fußnote entschieden und kann diese länglichen Erläuterungen wenigstens um einen Videolink für einen visuellen BimBumBam-Eindruck ergänzen. Ein kleiner Trost war mir die Erkenntnis, dass die heute Mitte-Zwanzigjährigen Italiener·innen das Uan-Zitat (und die Bonolis-Kritik) auch nicht verstehen, die absurde Anspielung auf Morgan und Bugo bringt sie aber trotzdem zum Lachen.
Morgan und Bugo waren ein italienisches Schlagerpaar, das viele Jahre gemeinsam aufgetreten ist und 2020 beim Festival di Sanremo (dem ältesten Schlagerwettbewerb Europas, mit in Italien nach wie vor sehr hohen Zuschauerzahlen), für einen Skandal gesorgt hat und deshalb disqualifiziert wurde. Morgan hatte während der Live-Übertragung eigenmächtig den Text des Lieds in eine Schmährede gegen seinen Sangespartner Bugo umgewandelt, worauf dieser wortlos mitten im Vortrag von der Bühne gegangen war. Die Polemiken zu diesem Vorfall werden auch 2023 noch medial ausgeschlachtet.
Die Erwähnung des Duos in diesem Zusammenhang sorgt für einen ziemlichen Lacher. Mein Favorit für die deutsche Übersetzung war ursprünglich Boris Becker, weil er als abgehalfterter Promi einen durchaus vielschichtigen Skandal-Assoziationsraum öffnet, für eine Pointe taugt und international bekannt ist, also im Kontext eines italienischen Comics nicht irritiert. Um bei dem ursprünglichen Paar zu bleiben, habe ich auch über Al Bano und Romina Power nachgedacht, die sowohl in Italien als auch in Deutschland bekannt sind, ein paar Skandälchen vorzuweisen haben (Al Bano war außerdem tatsächlich Teilnehmer der Isola dei famosi), dann fand ich sie aber doch etwas zu farblos. Nach Durchsicht der Teilnehmerlisten im Netz, scheint sich das deutsche „Dschungelcamp“ mittlerweile zu einem Format entwickelt zu haben, in dem Reality-TV- und Casting-/Dating-Show-Teilnehmer·innen gegeneinander antreten, die lange nicht so bekannt sind wie die beiden Fernseh-Urgesteine Morgan e Bugo. Im Lektoratsgespräch haben wir uns dann vom Paar-Gedanken gelöst und einen trashigen Promi gefunden, der tatsächlich beim Dschungelcamp war, einen Dschungelkönig gar, der schien uns für die Lösung am witzigsten.
So sieht die deutsche Fassung aus:12
Kultur ohne Pop
Auch aus anderen Kulturbezügen entsteht Komik:
Die Reisegruppe darf den letzten Checkpoint endlich passieren, doch dann stellt sich heraus, dass ab jetzt zwei irakische Geheimagenten mit von der Partie sein werden. Zerocalcare ist entsetzt, denn so wird genau der Feind in die Enklave eingeschleust, vor dem die Jesiden geschützt werden müssen. Der Protagonist gerät in Panik, es ist Zeit für einen Comic Relief:
1 Also wir sind sowas wie das trojanische Pferd, mit dem der irakische Geheimdienst nach Shingal reinkommt.
2 Wer ist da?
3 Ciao, die Italiener.
4 Die, die einen Comic machen sollten, um euch zu unterstützen.
5 Wir haben euch Mürbeteigtörtchen mit Weichseln aus Sezze, Burrata aus Andria und zwei Folterknechte aus Bagdad mitgebracht.
Zerocalcare nutzt hier die kulinarische Anspielung, die im Kontrast zu den „Folterknechten“ für den Witz sorgt – im Deutschen fällt sie ins Leere, weil die regionalen Zuordnungen uns irritieren und zum Grübeln bringen, statt zum Lachen. Im Original ist die Nennung der Herkunftsorte der Weichseln und des Weichkäses in ihrer Bedeutungslosigkeit eine starke komische Überzeichnung. Ein Bezug auf deutsche Delikatessen könnte schon lustig sein, wirkt aber im Kontext der reisenden Italiener irritierend. Italienische Spezialitäten kennen wir in Deutschland genug, auch die Burrata liegt in jedem zweiten Kühlregal, aber eine witzige und rhythmische Lösung wollte mir damit nicht einfallen.
Aus einem Werbespot der 1970er / 80er Jahren mit einer (oder strenggenommen zwei) Erfindungen eines Süßigkeitenherstellers stammen schließlich die Begriffe meiner Wahl. Die Übersetzung bleibt im vorgegebenen „Lebensmittel-Referenzrahmen“ und könnte einen ähnlichen Effekt auslösen wie das Original:
Kultur, die Letzte
Manolo (die Figur im Panel, ein Mitglied der Reisegruppe) gehört zu den „Alten“, die immer wieder für Komplikationen sorgen. Der Kontrast Alt/Jung ist ein Running Gag in No Sleep.
Zum zigsten Mal wird die Gruppe an einem Checkpoint festgehalten und Manolo versucht, den Verdacht abzuwenden und den irakischen Milizionär davon zu überzeugen, dass sie keine PKK-Mitglieder sind. Dafür fällt er vor ihm auf die Knie, was Zerocalcare wundert. Hier erläutert Manolo ihm seine Strategie.
1 Mach dich locker, hier funktioniert das so.
2 Er muss glauben, ich respektiere ihn.
3 Sieh zu, wie ich den Armleuchter um den Finger wickle.
4 In einer halben Stunde verkauf ich dem den Zirkus Maximus und gebe ihm Goleador13 statt Wechselgeld.
Die umgangssprachliche Verwendung des Begriffs sarchiapone geht zurück auf einen legendären Fernseh-Sketch von Walter Chiari.14 Dort bezeichnet die Wortschöpfung ein Tier, von dem man nicht weiß, ob es überhaupt existiert, aber alle tun so, als wüssten sie genau, worum es sich handelt. Die Wortbedeutung wurde mit der Zeit erweitert und in den 80er und 90er Jahren bezeichnete man einfältige Personen als sarchiapone. Zerocalcare verwendet den Begriff, um sprachlich zu patinieren, eine jüngere Figur würde diesen Ausdruck nicht verwenden (und auch jüngere Italiener·innen kennen ihn nicht mehr, empfinden aber das Wort als komisch).
Eine interessante „Kulturpraxis“, die im Deutschen erklärungsbedürftig ist, ist die Sache mit dem Kaubonbon. In den 70er Jahren herrschte in Italien akuter Münzgeldmangel und ich kann mich gut erinnern, dass ich beim Einkaufen Bonbons oder Briefmarken statt Wechselgeld bekam, darauf spielt Manolo an. Auch wenn diese konkrete Referenz für deutsche Leser·innen wohl dunkel bleibt, sollte sie in der Übersetzung zum Schmunzeln bringen, damit es plastischer wird (und ein paar Buchstaben konnte ich damit auch sparen), habe ich außerdem den Zirkus Maximus durch das Kolosseum ersetzt.
Komik und Bild
Es liegt in der Natur der Sache, dass es im Comic immer wieder Stellen gibt, in denen die Graphik einen sprachlichen Ausdruck bebildert, der im Deutschen nicht dasselbe bedeutet oder keine übertragene Bedeutung hat. Ein Eingriff in die Graphik ist aber nicht möglich. An zwei Beispielen möchte ich diese comic-spezifische Problematik anschaulich machen.
Wenn in Italien von „Schakalen“ die Rede ist, dann sind im übertragenen Sinn Plünderer gemeint, die wir im Deutschen – um bei der Tiermetapher zu bleiben – am ehesten mit Geiern / Aasgeiern assoziieren. Hier trifft der Protagonist auf die im Beispiel weiter oben bereits erwähnte ehemalige Gefangene des IS und hadert mit sich, ob er sie zu ihrer Zeit in Gefangenschaft befragen darf. Seine Skrupel drückt er über die folgende Metapher aus und zeichnet sich mit Schakalmütze. Die Geier konnte ich an dieser Stelle nicht einsetzen und habe für eine ebenfalls vierbeinige Lösung optiert, die ich umgangssprachlich „seelisch unempfindlich“ gemacht habe:
1 Zwei Jahre Gefangene des IS.
2 Für den Comic wäre das echt interessant.
3 Aber um sie nach der Sache zu fragen, musst du schon ein patentierter Schakal sein.
4 Wie macht man das?
Noch ein Beispiel für limitierende Graphik gibt es ein paar Seiten weiter: Die Reisegruppe darf nach langer Unsicherheit und Bedrohung die Fahrt endlich fortsetzen. Als der Protagonist sich wieder in Sicherheit wähnt, verschafft er sich grimassierend Erleichterung durch eine Beschimpfung. Zerocalcare thematisiert immer wieder, dass er nicht gut Gesichter zeichnen kann, und so sind die italienischen Lippenbewegungen auch eher mäßig geglückt. Für mich war das von Vorteil, es hat die „Synchronisation“ leichter gemacht:
1 Abschied
2 Überschäumend vor Glück fahren wir ab.
3 Mit den Lippen spreche ich die traditionelle Formel, mit der man ehrenhaft besiegten Gegnern Respekt zollt.
4 Hey, Mister
5 Read this
6 Lips
7 Häng dich an den Schwanz
Ein weiterer Vorteil für die Übersetzung in diesem Beispiel ist, dass die Anzahl der Buchstaben nicht mit den einzelnen Mundbewegungen übereinstimmen muss, was große Freiheit in der Einschränkung bedeutet. Hier ein paar Ideen, mit denen ich für die Beschimpfung gespielt habe:
Le ck mi ch am
Arsch Al t e r
F i ck Di ch
Sa ck ge si cht
Wieder war mein Eindruck, dass in diesen Versionen die deutsche Fassung härter, stärker markiert klingt und zudem der erste Ansatz den Rhythmus des Originals nicht wiedergibt. In beiden Fällen finde ich die deutschen Beschimpfungen nicht so lustig wie die Romanesco-Variante und habe daher eine weniger derbe, knappere Version gewählt, bei der die abgebildeten Grimassen zumindest in der ersten Zeile ähnlich gut zur Buchstabenfolge passen wie im Original.
Gewinne und Verluste: von Grottenolmen und Rapünzchen
Nachdem jetzt viel von Schimpfwörtern und Kulturbezug die Rede war, möchte ich kurz noch eine weniger auffällige sprachliche Methode des Autors erwähnen, mit der er für komische Effekte sorgt.
Sehr gezielt wechselt Zerocalcare das Register und platziert veraltete und ungebräuchliche Bezeichnungen, die entweder aus diesem Grund oder wegen ihres Klangs einen gewissen Wortwitz entwickeln, bspw. rabdomante (Wünschelrutengänger), crotalo (Klapperschlange), rocambolesco (kühn, waghalsig), cupidigia (Habsucht), lapalissiano (offensichtlich, auf der Hand liegend). Wo die deutschen Wörter gewöhnlicher klangen, habe ich versucht auszugleichen. So wurde zum Beispiel sein Blick einer Klapperschlange, was ohnehin viel zu lang war, zu seinem Echsenblick. Zwei Zeilen später konnte ich einen Grottenolm hinzufügen, der die unangenehmen Eigenschaften der Figur verstärkt.
Mit Mannaggia alla locusta papale! (ungefähr: Verdammt sei die päpstliche Heuschrecke!) hat Zerocalcare einen sehr lustigen eigenen Fluch kreiert. Locusta kann neben „Heuschrecke“ auch Nervensäge, habgieriger Mensch, Blutsauger oder Feldsalat bedeuten – und ist außerdem der Name einer der ersten Serienmörderinnen im antiken Rom. Wie viel von diesen Bedeutungen bei den italienischen Leser·innen mitschwingt, ist unklar. Die Kombination Heuschrecke und Papst ist natürlich schon von sich aus witzig. Ich habe lange gegrübelt und in den beiden Kontexten, in denen der Fluch sich in No sleep findet, für „Heiliges Rapünzchen!“ optiert. Über Humor lässt sich bekanntlich streiten, aber hier hatte ich den Verdacht, dass Übersetzer·innen nicht so viel wagen dürfen wie Autor·innen. Das Rapünzchen ist nicht durchs Lektorat gekommen und hat sang- und klanglos Platz geschaffen für die anderen Wörter in der Sprechblase.
Komik zu übersetzen, hat mir etliche neue Impulse für den Sprachtransfer beschert. Ich habe viele Stunden mit Recherchen und Rücksprachen mit Muttersprachler·innen verschiedenen Alters verbracht, um die kulturellen Referenzen nachzuvollziehen oder meine Lösungen auf Tragfähigkeit abzuklopfen. Beim nächsten Band ist der Zeitrahmen großzügig genug, um auch den Autor bei Fragen einzubeziehen. Das wird sicher ein großer Spaß!