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Journal zur Übertragung von HAIKU von Richard Wright
ZUGÄNGE
Vor einigen Jahren las ich Richard Wrights Native Son / Sohn dieses Landes in neuer Ausgabe übersetzt von Klaus Lambrecht, überarbeitet und ergänzt von Yamin von Rauch (2019 bei Kein & Aber) um es für eine Onlineplattform, die heute eingestellt ist, zu besprechen. Das Buch hatte ich mir ausgesucht aus einer Liste, ich weiß nicht warum. Als Rezensent gibt es solche & solche Leseaufträge. Am schönsten ist es, ein Buch zu verschlingen & trotz kurzer Lesezeit nebst Abgabedruck der Besprechung das Ganze sozusagen schon währenddessen in sich sprudeln zu fühlen. Native Son war ein solches Buch. Es hatte Power, einen eisigen Abwärtssog, solche Schiefe in Worten zwischen Seiten getackert, ich konnte nicht aufhören darin zu lesen, spürte einen starken Drang darüber zu schreiben, dass das Rezensieren naturgemäß zur Nebensache geriet, was es aber gar nicht war, denn es schien kein Ende zu nehmen, ich lange nach der Abgabe ständig auf dieses Buch zu sprechen kam, seine unverfrorene Sprache (es war erstmals ungekürzt erschienen), die Aktualität seiner Themen, Kontroversen darum, seine Resonanzgeschichte (Platz 1, erster Bestseller einer afroamerikanischen Person, Verfilmungen mit Wright selbst, eine Theaterinszenierung von O. Welles, aber auch dargestellte Unliebsamkeit usw.). Schließlich las ich im Zuge ein paar verfügbare Texte zur Person Wright, fand Wrights politischen Weg vom Kommunisten zum Panafrikanisten auf Reisen, zum Exil in Frankreich, noch vor James Baldwin, irgendwie aufschlussreich, andererseits auch nicht. Ich recherchierte weiter. Ein kurzes, gebeultes, äußerst engagiertes Leben & Arbeiten tut sich auf. Nicht aus dem Kopf will mir sein Exil, seine fast ironische Rivalität zu Baldwin & immer wieder diese anderen Werke: Romane, Essays, eine Autobiografie & Gedichte. Gedichte? Ich war perplex. Alles im übrigen unter hochpolitischen Werktiteln – stets eine Stellungnahme, White Man, Listen!, Black Power, Black Boy, The Outsider. Was könnten das für Gedichte sein? Jemand der Sprache so distinkt als Trägerin einsetzt für Story, für Narration, für Figuren, für History, für Future-Engineering, was wären Gedichte aus der Feder dieses Richard Wright? & wann sind sie entstanden, waren sie vielleicht eine Energiequelle, anfangs? Warum finde ich keine? & dann, was ist das für ein Titel, HAIKU? Seriously? Es war praktisch das letzte, was ich erwartet hätte. Die Krönung: Es war das Letze, was Wright überhaupt verfasst hat. Also nach allem, allem all jenen – kommen Haiku?
An dieser Stelle: mein Name ist Jonis Hartmann, ich schreibe Gedichte. Ich war einmal Architekt. Ich habe spät zum Übersetzen gefunden, eigentlich umgekehrt, Übersetzen hat jemanden gefunden. Haiku habe ich zu Schulzeiten das erste Mal gefunden – außerhalb jeder Ansage, es war Zufall, ein Büchereigriff, so etwas. 5-7-5. Das hat sich verfestigt. Es war etwas völlig anderes als die (schulische) Glocke – hat mich nie verlassen. Dass es möglich war, etwas zu sagen-zu zeigen-zu schreiben-zu in 17 angeordneten Silben, das für Literatur gilt. Ich schaffte mir ein kleines Haikubüchlein an, das in eine Brusttasche passte, eine Zeitlang. Ich versagte komplett, einen einzigen Haiku (dieserart) zu verfassen (von Moren hatte ich noch nie gehört), aber natürlich hatte ich etwas Selbstverfasstes von 5-7-5 in Zettelhaufen. Kerouac las ich, konnte die Dharma Bums verstehen, die so etwas wie die Stimmung suchten, fand es seltsam, dass die Silben ihnen nichts bedeuteten, maß aber keine größere Bedeutung hinein. Das war für viele Jahre das letzte. Ich hatte nichts mit Schreiben, nichts mit Lesen zu tun (Zeit fehlte), dafür mit Modulen, nicht studientechnisch, sondern Proportionen-, Raum- & Materialmodule. Für über zehn Jahre & mehr entwickelte sich, im Sinne von aus- & abwickeln, Architektonisches, bzw. das, was der Zunftweg bereithält. Ein Spiel ist das nicht, aber spielen kann man mit Patterns, Mustern, Bewegungen im Raum, Darstellungen, Werkzeug. Seltsamerweise gab es noch eine Extrarunde, als nichts über weitere Jahre mich davon abbrachte, auch noch eine (freie) Doktorarbeit zu verfassen über Entwurfsrhetorik, was im Umkehrakt wiederum aber das Lesen plötzlich neu aktivierte & schließlich das Schreiben. Pattern Language wurde ein Weg, Wiederkehr & Mehrdeutigkeit die beiden Parameter im Entwurf (auf körperwerkzeuglicher Ebene) die ich gesehen haben wollte. Das eigentümliche Wort haiku-artig unter Kolleg·innen tauchte auf, bei allen, die nicht minimalistisch sagen wollten, manche sprachen vom in-between oder dem Halbraum. Nicht draußen, nicht drinnen, nicht Schatten aber auch kein Licht, der transparente Raum usw. Ich kürze ab. Der Punkt ist, dass 5-7-5 ein Bewegungsmuster ist.
Analogien nur beiseite, Export-Import, das Konzept Haiku, westlich gelesen, die Waage, das ist bekannt, hat sich vage verselbständigt. Es gibt Haikuvereine, -gruppen, exotistisch Interessierte, Spezialist·innen aller Art, großartige Literatur, erbärmliche, in allen erdenklichen Zirkeln, den meisten Weltsprachen, ist modisch, unmodisch, jedoch vielfach aktivierend im Sinne einer gewissen Schwellenlosigkeit – jedenfalls scheint der weltweite Haiku ein Schlagwort wie continental breakfast, nicht erst seit gestern, nicht immer euphorisch. Oft mit einem selben Beigeschmack. Ich stecke nicht drin in der Kunst des Haiku, damit meine ich Japan. Das strenge System, Gliederung-Grenzen, Moren-Dispute, Übertragung, Reinheiten, Auslegung, die Bildsprache, -zeichen, die Abläufe, die thematischen Zügel, die prinzipiell nach Innen gerichteten Parameter, die sich selbstverständlich nicht einzuverleiben wären aus keinem Grund niemals, aber ich kann nicht abstreiten etwas gespürt zu haben/ zu spüren bezüglich. Dass dies eigentlich ein (haltloser) Kokon ist, lediglich gesilbtes 5-7-5 vorzuskelettieren, speziell im Deutschen & von Haiku zu sprechen, wenn sich jemand in Betrachtung der Natur mitteilt. Ja? Richard Wright muss auch etwas gespürt haben.
Zuletzt gab es interessanterweise experimentelle Publikationen zu Haiku bei Urs Engeler, gen Kettengedicht, Renga, Übersetzungenbrücken, Teamarbeit, Reflektionen von Dagmara Kraus, Aurélie Maurin etc., kontinuierlich Publikationen in der Sammlung Dieterich, Klassikerausgaben der Meister·innen Haiku, Zusammenstellungen bei S. Fischer Beat Haiku vs Haiku Beat usw. Das Interesse an Silben. Mir selber geriet die Phrase Silbenstellplatz-Nachweis hinein, doppelte Wegenemesis, gut. Es ist ernster, es liegt etwas darin.
Wright hatte in den letzten Lebensjahren (†1960) mit körperlichem Verfall zu kämpfen. Er war praktisch beständig krank, todkrank, teilweise bettlägerig, müde erschöpft der Verfolgung (nicht nur unter „Generalverdacht“ von Geburt wurde er durch die CIA mit einem Indexeintrag belegt aufgrund kommunistischer „Umtriebe“), finanzieller Engpässe, den langen Reisen, gefühlter Aussichtslosigkeit des Kampfes, lebte zwischen Paris & ländlichem Nordfrankreich, verlor in dieser entscheidenden angespannten Zeit seine Mutter, die in den USA geblieben war, verlor enge Freunde, litt vermutlich nicht wenig unter der Entzweiung mit James Baldwin, dessen Mentor er jahrzehntelang war, der ein anderes Exilleben in Paris führte. Jener Baldwin kehrt nach Wrights Tod in den 60ern für einige Zeit zurück nach Amerika, um sich in den Bürgerrechtsbewegungen & anderen aktivistischen Projekten zu engagieren, verzog dennoch in den 70ern zurück nach Frankreich in einer Art traurigen Ritus. Baldwin verzieh Wright (zunächst) nicht, dass dieser „aktivistische“ Literatur schrieb, beziehungsweise vereinfachend ausgedrückt, steht Baldwin für ein „freieres“ lebendiges Erzählen ein, das nicht zwangsläufig unter politisierenden Diktaten zu stehen hätte, außerdem bekanntermaßen auch genderspezifische Kontexte aktiviert, was bei Wright weniger der Fall schien. Tatsächlich entschrieb sich Baldwin wie bekannt später in Essays dieser seiner Pater-figur Wright – Baldwins eigener Vater war Prediger – unter dem Titel Alas poor Richard, in denen er, was ihn an beiden bedrängte, auf den Punkt brachte. Kurz nach Wrights Tod jedoch folgt die Kehrtwendung Baldwins hinein ins offene Engagement, das Wright auf dessen eigene Art vor ihm beschritt, jedenfalls in großen, aber nicht bei allen politischen Anteilen.
Dass Wright also ein Buch geschrieben hat, das HAIKU heißt & erst 2012 posthum herauskommt, fand ich, will sagen drückte mich, war ein punctum. Wie kommt das? Punctum ist für mich ein ständiges pop-up Konzept. R. Barthes hat es geprägt, meint etwa ein grundlegendes Verhältnis zum Referenten (J. Derrida), etwas Unberechenbares, ein kann-nicht-sagen-warum Aha. Derselbe Barthes schreibt in einem Buch über Japan, „das [er] das Reich der Zeichen nennt“, ein Haiku sei in Performanz dem deutenden Finger eines Kleinkindes vergleichbar mit einem begleitenden Da! Es war ungefähr, was mich selbst am Haiku interessierte: ein Da!, mehr nicht, keine Wertung, keine Überbelegung mit was auch immer, also kein Wort zuviel, im vollen Wortsinn keine Silbe zuviel, auf den Punkt & vor allem Sichtbares, keine Abstraktion, ein Bildaufbau, ein Klick: ein Foto. Barthes‘ punctum ist im übrigen einer Bemerkung zur Fotografie entnommen. Bei Betrachtung eines Foto usw. falle dies ins Auge, hier steckt das individualisierte Zufällige in der Position der Kamera. Warum setzen die Aufnehmenden das Foto genau hier (& nicht dort) bei ihrer Kamera durch, & Teil 2, warum fällt den Betrachtenden zuerst dieses (& nicht das) auf dem Foto entgegen? (Der entgegenkommende Sinn, eine weitere Währung des Autors, wird meines Erachtens hier auch gestreift.)
Wrights Haiku sind Fotos. Die vertextete Bildergeschichte oder Bildstrecke seiner letzten Lebensmonate. Wo er hinging, Wright hatte Bilder mitgenommen, hat eine Kamera aufgestellt, auf den Auslöser gedrückt. Oder ist vom Auslöser gedrückt worden. Dass er das meiste tatsächlich im Bett geschrieben, zu schwach für einen ganzen Absatz, geschweige eine Erzählung, einen Roman, nur noch dieser Blitz eines weitern Haiku, vollkommen welthaltig in aller Konfliktschau, Tragik, allem-in-allem Achse, ist vermutlich eher eine Beigeschichte zu den 817 von ihm noch zu Lebzeiten ausgewählten, durchnummerierten Bildern. Hier liegt wohl auch der ein oder andere Mythos. Fest steht, das Wright über 4000 Haiku verfasste in jenen 18 Monaten & sein HAIKU etwas in der (populären) Form des Haiku macht. Eigenes, Gwendolyn Brooks [auf dem Umschlag]: “A clutch of strong flowers.” Julia Wright, seine Tochter, die bei ihm ist & später den editierten Band bei Arcade Publishing bevorwortet, schreibt: [He wrote his haiku obsessively—in bed, in cafés, in restaurants, in both Paris and the French countryside (Umschlagtext)] ... “to spin these poems of light out of the gathering darkness” & “I believe his haiku were self-developed antidotes against illness” (S. VIII) & “with the haiku, a self-nurturting could begin” (S. XI) & zitiert ihn: “Julia, you can write them, too. It’s always five, and seven and five—like math. So you can’t go wrong” (S. VIII). Eine Obsession – vielleicht. Ein Müssen. Beim Übersetzen ist es nicht selten vorgekommen, auch länger nach Dienstschluss (von wegen natürlich), ständig in trivialsten Gedanken, alltäglichen Äußerungen, Träumen, noch überschüssige Silben zu zählen. Der Übersetzenden-Körper nicht in der Lage aufzuhören, dieses Pattern, das Bewegungsmaß einzuwenden, das sich verselbständigt. Er kann nichts dagegen tun, produziert Ausschuss um Ausschuss. So muss es Wright ergangen sein. Dennoch sehr wohl in der Lage, ein neuartiges performatives Dichtwerk auf ein Darstellungskonzept hin zu prüfen, klebt er zerschnittene Haikukacheln auf große Pappbögen, bis ein dramaturgischer Ablauf dieses letzten Wegs literarisiert, als textliche Bildstrecke aufscheint.
AUFGÄNGE
Zu Beginn war mir nicht klar, dass ich zu einem Übersetzer von Richard Wrights HAIKU werden würde. Ich sah mich nicht in der Rolle darin, hatte bis dato sehr wenig übersetzt – eher selbst Dichter, bis ich als Übung nur für mich selbst versuchte, den einen oder anderen Haiku zu knacken. Das Original präsentierte die Sammlung übersichtlich je vier nummerierte Haiku pro Seite. So konnte durchaus eine Seite inmitten dieser Übung als geschafft gelten, so etwas wie eine mentale Strichliste, also wie ein Trimm-dich absolviert sein. Ein Stück Lebensbegleitung. Als Hitzewellen den Kontinent heimsuchten, mein Körper nicht ein, nicht auswusste, habe ich um Trost & Ablenkung versucht Haiku zu knacken. Während Lockdown-Erfahrung ebenso. Es hielt durch. Es war machbar, übersichtlich. Es gab bald ein paar übersetzte, die deutlich etwas ausstrahlten, empowerten. Sie zeigten an, dass von ihnen etwas ausgeht, das mit mir überhaupt nichts zu tun hat. Die jetzt hier waren, nur für mich bisher, in einem zerschwitzten Sommerkalender. Dann ging mir auf, nach einer gewissen Zeit, dass andere sich entgegenstellten, sie nicht zu knacken waren, sich weigerten. Dann ging mir auf, dass HAIKU aus der Feder Wrights vielleicht gar nicht zu knacken sei von mir. Dass man Fotos nicht knacken kann. Diese Konstellationen. Jedoch es eine andere Art gäbe vielleicht. Dass jene lyrischen Fotos neu zu schießen seien womöglich. Dass die Annäherung meinerseits bedeuten könnte, eine dem Poets-translating-Poets Konzept verwandte Einkörperung zu versuchen. Zum Beispiel mit jambischer Ryhthmisierung zu arbeiten, zum Beispiel mit Verzicht auf jeden einzelnen der aufgerufenen Kontexte zu gewichten, zu hierarchisieren stattdessen. Das eine übergeordnete Bild zu suchen, zu fünfsiebifizieren, streng im Muster, Nummer für Nummer, dann im Nachgang (über Jahre, fünf insgesamt) nachzuhorchen, nachzuerleben ob dieses eine (aus vielen möglichen Personae heraus) eine Annäherung gewesen sein könnte.
Auf einem Seminar auf früher Strecke (zu den ersten 25) im Übersetzerhaus Looren, von Marie Luise Knott & Ulf Stolterfoht, durfte ich die Arbeit an HAIKU das erste Mal vorstellen. Sie einer mächtigen Kritik unterziehen lassen. Der positive Ausgang, enorm hilfreiche Kommentare, das konstruktive Bemitleiden, die Teilhabe am Erfahrungsschatz geschätzter Kolleg·innen, ihr Input, haben das Projekt erst reell zum Laufen gebracht. Ohne ihre Hilfe, auch nach dem Seminar, besonders von Eva Schestag, hätte mich womöglich der Mut verlassen, alles im Lebensabschnitt auf diese Karte zu setzen. Der Hinweis auf Strange Fruit von MLK, die spontanen Wege zu einzelnen Nummern von Michael Pietrucha, Ann Cotten, waren Hinweise & Patterns, auf die ich allein nicht gekommen wäre. Dafür gebührt Dank ebenso wie den Aufforderungen, sich mit dem Projekt auf Förderungen zu bewerben, welche schlussendlich im Prozess die entscheidenden Gabelungen bereitgestellt haben, in öffentlichen Schritten bei der begonnen Arbeit bleiben zu dürfen.
Bei der Verbreitung von Richard Wrights HAIKU zu unterstützen, bleibt ein Aha. Mir ist nach wie vor der Status dieser Texte nicht bekannt. Ich lese, dass Wright sie tatsächlich als fertiggestelltes Manuskript noch vor seinem Tod Verlagen hat schicken können & dass sie abgelehnt worden sind. Dass sich offenslichtlich nicht viele darum gerissen haben, diese Sammlung zu veröffentlichen. So wenig wie The Man who lived underground, das erst 2020 geborgen worden ist (dt: Der Mann im Untergrund, Kein & Aber 2022). Die Rechte liegen nicht mehr bei Arcade Publishing, dem Verlag der 2012er Ausgabe. Kein Spekulieren hier, aber die Veröffentlichungsgeschichte wirkt auf mich eher wie ein hingenommenes Outsiding. Yoshinobu Hakutani & Robert L. Telner, die Herausgeberschaft bei Arcade, hätten das Manuskriptoriginal in einem Bibliotheksnachlass-Archiv aufgespürt, so verstehe ich. Entgegen aber steht, was mir, über vielleicht entgegenkommender Sinn, aufgeht: der afroamerikanische Haiku lebt. In Kevin Youngs Anthologie African American Poetry 250 Years of Struggle & Song (The Library of America 2020) finde ich dies: sieben Haiku aus HAIKU, unnummeriert aber in der Reihenfolge ihres Originals, beschließen die Section Four: Ballads of Remembrance 1936-1959. (Baldwins Gedichte sind in diese Anthologie nicht aufgenommen worden.) Vor den sieben Haiku steht ein Poem Wrights mit dem Titel Between the World and Me, das oberflächlich scheint als ob Vokabeln & Bewegung den HAIKU Band nachzeichnen, der im übrigen mit bestimmter Sonne, roter Kreis, anfängt & endet. In dieser Sektion, die Young der sogenannten Chicago Renaissance widmet, die diverse Beiträger·innen wie mid-Langston Hughes, Bob Kaufman, Gwendolyn Brooks, Julia de Burgos aufnimmt, liest sich der Herausgeber: “This engagement with form also proved a politics—one where freedom found in form, often organic, stood in for other freedoms, argued over and soon assumed. The poets here are engaged with change, and soon, revolution.” In einer nächsten Sektion fehlen nicht die Weiterentwicklungen von Dichter·innen wie Sonia Sanchez, neben vielen haiku Sanchez‘ auch tanka, & spoken word, (S. 335):
haiku
(for domestic workers
in the african diaspora)
i works hard but treated
bad man. i’se telling you de
truth i full of it.
In Basie Allens Palm-Lined with Potience (Ugly Duckling Presse 2022) finden sich eingeschobene Haiku über den Band verteilt, sowie Widmungenhaiku (S.6, 20, 43, 73), der erste for Richard Wright, der zweite for both Bleecker Streets but... der dritte Love Haiku for You When Things / Feel Difficult But / It’s Ok for Things To Be Difficult Because Things Aren’t Always in a Rigid Binary and Sometimes / Things Can Be Nasty but Also Be Sweet and Ok Too / Like Pickling der vierte Nature Haiku with My Hittas. In Roger Robinsons Gedichtband A portable Paradise (Peepal Tree Press 2019) wechseln Haiku abrupt mit Langgedichten, auch ein Haibun, das Trichterverfahren zur Mündung in den Haiku, fehlt nicht. Auf S. 31 steht:
BEWARE
When police place knees
at your throat, you may not live
to tell of choking.
Später, nach Abgabe des Manuskripts, stoße ich auf Elke Erbs Übertragung von Ales Rasanaus Punktierungen, unter dem Titel Das dritte Auge bei Engeler 2007 erschienen. Ilma Rakusa im Nachwort (S. 106): „von einem Stoff, einem Ding angerührt werden – und darauf antworten. Wobei eines mitspielen sollte: die paradoxe Verbindung von „außerordentlichem Zufall und außerordentlicher Gesetzmäßigkeit“ [...] doch hat er sie [die Punktierungen] – nach eigenen Worten – im Laufe der Zeit „haikuisiert“ [...] Wie kommt es, dass aus der Fülle der Erscheinungen ein bestimmtes Detail, ein bestimmter Moment sich zur zeitlosen Aussage kristallisiert?“
ABGÄNGE
Nicht dichten.
Nicht kleben.
Nicht aussilben.
Nicht untersilben.
Nicht schmücken.
Nicht stolz werden.
Nicht wollen.
Nicht gleichgültig werden.
Nicht unversuchen.
Nicht reimen.
Nicht nicht-reimen.
Nicht abgedichten.
Nicht Worte erfinden.
Nicht Dicken erschaffen.
Nicht abstrakt werden.
Nicht Einwortzeilen verwenden.
Nicht die Zeichensetzung vergessen.
Nicht auf die Zeichensetzung vertrauen.
Nicht lustig sein.
Nicht pathetisch sein.
Nicht aufzählen.
Nicht erzählen.
Nicht zu streng agieren.
Nicht didaktisch daherreden.
Nicht unnatürlich auswachsen.
Nicht wiederholen.
Nicht auf die Wiederkehr scheißen.
Nicht zu schnell werden lassen.
Nicht ins Urdeutsche wandern.
Nicht den einzelnen über die anderen stellen.
Nicht ein grelles Stückwerk zulassen.
Nicht die Module polieren.
Nicht die Module übergehn.
Nicht Instabiles anbauen.
Nicht Stabiles dominant werden lassen.
Nicht Herrschaftssprache verwenden.
Nicht Wut unterdrücken.
Nicht Affekt herunterschlucken.
Nicht nicht Ins-Weiße-zielen (R. Piglia)
Nicht unkontrolliert in die Büsche schlagen & abhaun.
Nicht die Rolle vergessen.
Nicht theoretisieren.
Nicht Theorie schaffen.
Nicht zu praktisch sein.
Nicht ein Foto vom Foto machen.
Nicht die Zeit vergessen.
Nicht die Aktualität unterschlagen.
Nicht unverantwortlich übersetzen.
Nicht die Bezüge verwischen.
Nicht die Augen verschließen.
Nicht die Ohren zumachen.
Nicht jederzeit nicht bei Null beginnen.
Nicht die Ausnahme untern Tisch kehren.
Nicht für sich bleiben.
Nicht andere nicht mitübersetzen lassen.
Nicht nehmen.
Nicht verwalten.
Nicht herumwischen.
Nicht unberührt tun.
Nicht wichtig spielen.
Nicht eine Regel schon gar nicht dies hier vollnehmen.
Nicht sicher werden.
Nicht sicher werden.
Nicht sicher werden.
Einer der 817 schwierigsten Haiku war 186. Noch lange im Lektorat, bei verschiedenen Durchgängen, wurde stets moniert, dass 186 nicht kommuniziere, zu undeutlich sei. Das ist vermutlich der Knackpunkt zwischen Halblicht & Schwarzweiß. Wo schleift es? Ab wann ist es möglich, von Kommunikation zu sprechen & reicht das für die Übertragung eines abgewedelten Fotos? Eines persönlichen Fotos? Oder ist das Englische einfach per se so, schmiegt es sich gut oder besser in die Haikustimmung ein? Braucht der „Deutsche Haiku“ mehr Lumen? Wir erinnern Tanizaki Jun’ichiro Lob des Schattens, wie das elektrische Licht die Spezifik des Halblicht (in-between s.o.) zerstört.
186
From these warm spring days,
I can still see her sad face
In its last autumn.
186
Bei Märztagwärme
Seh ich trübe ihr Gesicht
Aus dem letzten Herbst.
186
Das Frühjahrslicht warm,
Vor mir noch ihr trauriges
Letztes Herbstgesicht.
186
Die Frühjahrssonne,
Vor mir scheint ihr trauriges
Letztes Herbstgesicht.
186
Lau die Märztage,
Ist vor mir ihr trauriges
Letztes Herbstantlitz.
186
Im warmen Frühjahr
Bei mir noch ihr trauriger
Ausdruck letzten Herbst.
186
Aus Märztagwärme,
Ihr Antlitz kann ich noch trüb
Schaun, ihr letzter Herbst.
186
In Märztagwärme,
Trübe kann ich ihr Antlitz
Sehn, im letzten Herbst.
. . .
Das Personal von HAIKU ist unterschiedlich & doch tauchen immer wieder dieselben Personen (Tiere, Gegenstände, auch Redewendungen How lonely it is! oder Just enough of [...]) in den Gedichten auf. Im Prinzip wird eine Landschaft zu verschiedenen Tageszeiten abgelichtet. Dazwischen stecken Erinnerungen an die Großstadt, das amerikanische Landleben, die Jugend, die aktuelle Krankheit, der Tod, die Beruhigung davor, das Fliehen vor Dringlichkeit, die 5-7-5 welche den Fortgang ermöglichen, die eine Transzendierung von Bedrängnis hier auf halbem Weg zwischen USA & Japan (Paris), das bewohnte Brückenstück, die Waage zulassen. Ich habe mich von jeder Literatur freigemacht, nicht die Vorbilder aus Japan gelesen, nicht die Parallelschulen von Ginsberg bis etc., nicht die Theorien, nicht Wright selbst, außer die 817 zu übertragenden Bilder. Ich wollte frei sein von jeglichem Einfluss, mich bei 0 jedem einzelnen Bild nähern können, auf nichts zurückgreifen, außer dass, was ich primär im Leseerlebnis spüre, wie ich selbst dieses Bild bauen würde. Erst in Nachgängen habe ich bemerkt, dass die Vogelscheuche, die Schnecke, der Salat, der Frosch im Fluss die großen Themen aller Meister·innen Haiku waren. Interessanterweise haben die wichtigen Vertreter der Hochzeit, sozusagen ihre Avantgardist·innen oder Klassiker·innen Basho, Issa, Buson etc. fast alle ein geplagtes Leben (ähnlich Wright) geführt. Die selbstgewählte Wanderschaft, also Unbehaustheit, die Abkehr von Welt wie-wir-sie-kennen-sollen, der Umgang mit Verlust (Tod, Feuer, Ruin), das Bewegen, sich Ausdrücken in Kunstform als Berufung oder einzige Möglichkeit jetzt-noch verbindet sie. Es verbindet jedoch nicht den Hobbyhaikukoch im selbstgewählten Morgengrauen – pardon. Eine Stimmung allein zu finden & perfekt ins 5-7-5 zu bringen reicht nicht bei HAIKU. Ohne zu drücken, muss sich die Dringlichkeit selbst herdrücken. Sollte sie. Wenn es nicht geht, dann zeigt die Sprachgrenze dieses. Wo es sich verhärtet. Wo es zu leicht wird. Wo es ins Marschieren gerät. Kurzatmig.
Faszinierend im Englischen ist das Faktum, & Wright macht gebührend davon Gebrauch & das Deutsche kann es nicht oder nur unvollkommen abbilden, dass die Modularität der Zeilen über Anschlüsse geregelt ist. Die silbengleiche erste & letzte Zeile (je 5) können meist bei allen vorliegenden Haiku ausgetauscht werden. Es ändert sich die Dramaturgie, gewiss, aber oft auch nicht wirklich, eher einen Tick, der Rhythmus schlägt ein bisschen anders, doch realiter ändert sich gar nichts. Der Haiku Wrights ist offen. Er ist unbestimmt, er fließt in einer momentanen Konstellation daher, bergab, oder oft auch bergauf. In Fünf Silben, wenigen Worten (natürlich, das Englische besitzt viele starke Einsilber mit Farbvokalen, die lang sich hinziehen, abwechslungsreich, bevor der erste Konsonant & selten mehr als zwei hintereinander sich anschließt) ist schon eine Sinneinheit festgehalten, grammatisch vollständig, inklusive Perspektive & leider auch fast immer mit der Nennung einer Jahreszeit. Wir bedenken Sonnenuntergang, Frühlingsregen/ -licht, Herbst etc. (-> Vogelscheuche, Ameise aus dem Personal) Was tun? Wie die Anschlüsse der Zeilen auch im Deutschen offenhalten, frei kombinierbar, starke Einsilber suchen, am besten Konjunktionen, die drei Zeilen nicht einfach zu einem (pardon) billigen Prosasatz über drei Zeilen mit 17 Silben zusammenmilchen? Ich weiß es nicht.
Haiku als Mittel gegen & als Mittel für die Zeit. Im Satz des Originals sind 95% ungefähr im „korrekten“ 5-7-5. Auf die Dauer ermüdet das Lesen, es sei denn inmitten dieses modularen Schreibens liegen Variationen vor. Wright variiert einiges, andere bleiben stur bei der selben Formulierung Just enough of rain/ light/ sun / to have this / that sometime somewhere ... Manche sind gereimt, Binnen wie End, Klangfärbungen, zum Beispiel
137
A pregnant black rat
Poking in a paper bag
In a purple dawn.
137
Zur Purpur-Frühe
Pratzelt die schwarze Rättin
Trächtig durchs Papier.
137
Zur Purpurfrühe
Die schwarze Rättin, trächtig
Pratzelt durchs Papier.
137
Zur Purpurfrühe,
Schwarze Rättin, trächtig in,
Durchpratzelt Papier.
. . .
Vor den Parametern ihrer Entstehungszeit, den persönlichen Entbehrungen des Autor Wright, seinem Sprach-/ politischen Engagement zuvor, ganz sicher der identifikatorischen Frage, kann sich eine Übersetzung ihrer Verantwortlichkeit nicht entziehen, besonders nicht wenn Worte, Wortstücke wie Farben, Krähen, direkt ausgesprochene Erfahrungen oder Einschreibung von Rassismus, angedeutete, Schnee usw. fallen. Das hat nicht geheißen, auf nicht angekommen „haiku“-inhärente Weise auf irgendeine spekulative Tube zu drücken & subtile Gestaltung good-will-mäßig zu verlassen, sondern mit aller angelegten Mehrbödigkeit (wenn sie angelegt ist) zu agieren. Krähe ist zunächst ein „bekanntes“ Personal mit Flugeigenschaften. Andererseits ist selbstverständlich eine lexische Biografie vorhanden, mit einer Menge Triggern, je unterschiedlich zur Leser·innenschaft, gewiss aber natürlich Übersetzendenverkörperung. Wie mit Erfahrungen, Nichterfahrungen literarisch umgehen. As my delegate ist eine Wendung, die in HAIKU häufiger auftaucht. Was bei aller (wenn auch nicht durchgängigen) Friedfertigkeit von Wrights HAIKU auffällt, dass sie – obgleich wie nicht unselten in der Lyrik – eine grundsätzliche Mitteilung oder einen Schreibsprechakt aus Einsamkeit & Outsiderstand artikulieren. Sie nehmen sich den Weltdetails an, aber sie nehmen sie sich nicht. Sie sind Teil von etwas, indem sie einen Weg finden, sich hineinzuschreiben, entgegen der von ihnen gemachten „realen“ Erfahrungen, nämlich nicht Teil von etwas sein zu dürfen, stattdessen todkrank, exiliert, ausgeschlossen. Die HAIKU fühlen mit Bergen, Tieren, Vegetation mit, schildern Momente aus dem Leben von, nutzen die literarische Brücke der Momentaufnahme. Was sie hingegen nicht tun, über das 5-7-5 hinaus, eine stilistische Actionparade durch ihr Foto laufen zu lassen. HAIKU ist genügsam, just enough of sound / to have another haiku / fill an empty page –
Natürlich wird Jonis Hartmann nicht behaupten der Richtige zu sein, HAIKU übersetzt zu haben. Eine Übersetzung hat Jonis erstellt. So hat sie sich verhalten. Sie hat sich eigens zu nähern versucht. Sie ist nicht abgeschlossen. Schwankt bei Wright die Silbenverteilung, sprich weicht sie ab, wird ebenfalls abgewichen. Eine Aufweichung wird möglich, wird nötig. Das ist bei Übersilbigkeiten im Original per se zu der Mitteilungsdichte nicht anders machbar. 575 mit einer 0049 vorweg zu wählen, heißt sich einen Notruf aufsetzen, gestalten. Dass spät im Lektorat erst aufging, dass der Band einsprachig erscheint, lässt das Original verstummen. Es kann nicht mehr zusammenarbeiten mit der Übersetzung. Ein Sensitivity Reading konnte nur angeregt werden. Die Überlegung, das gesamte Original hier ins Journal zu zitieren, ist ein Flugversuch.
HAIKU hat mich in die Bahn begleitet, ins Bett, in den Arbeitsraum, in die Bar, auf den Fußboden, in den Park, zu einer Bank in der Nähe von Looren, ein paar Dienstreisen, viele Träume, Kreislaufkollaps, Seminare, Lesungen. Vor dem Erlahmen, Ermüden, dem Nichtmehrhinwendenkönnen 100%, weil die Mengezahl zu groß ist, besonders beim Editieren, Selbstkorrigieren sehr schnell die Sicherung fliegt, Glück nicht sofort erkennbar ist, hatte ich die größte Angst. Noch. Dem klugen, sichtigen Lektorat bin ich sehr dankbar, vertraue diesem & allen, die sich hineingemüht haben im Umfeld.
Richard Wright: HAIKU. Aus dem Englischen von Jonis Hartmann. Matthes & Seitz Berlin 2024.
Mitten in den Übersetzungsarbeiten, zwischen den mittleren Nummern, als längst ein Überarbeiten der bereits geleisteten das Voranschreiten an den neueren ziemlich blockierte, sich sich gegenseitig beargwöhnten & die Tage ins Schlingern gerieten mit anderen Projekten, die sich auf die Stimme legen wollten, schrieb ich ohne zu zögern dies – ohne Ahnung, ob es etwas löst:
überzusetzen Richard Wright HAIKU – haibun
die bilder werden aufgenommen, wohin der blick fällt, in aufrechter position oder im liegen.
es entstehen über 4000 bilder in 18 monaten.
die arbeit stockt, unterbrochen durch husten oder schwächeln des körpers, aus
zurückliegender oder akuter krankheit oder umstand: verschuldung, exil, trauerfälle in der
familie, freunde, anfeindungen, überwachung aus politischen gründen.
die bilder, sobald getippt, werden ausgeschnitten, montiert, in reihenfolge gebracht. auf
kartonbögen entsteht ein ablauf, geklebt, von 817 ausgewählten bildern.
ihr titel lautet HAIKU.
fünf, sieben, fünf ist das schrittmaß, das Richard Wright zur bewegung nutzt. streng
darin, belichtet Wright figurinen & staffagen japanischer (vor) bilder mit dem licht einer
französischen lebenswelt, von paris oder mit erinnerungen an eine kindheit im ländlichen
mississippi.
er hat die anthologien gelesen, er ist inspiriert.
er wird keine stimmung, sondern bilder verfertigen. maßvoll, durchnummeriert.
er stirbt nach dem 817. bild. erst posthum verwirklicht sich daraus ein buch, das Richards
tochter Julia Wright mitbesorgt, das inspiriert hat, abzüge jener bilder in deutsches
überzusetzen, in dem schrittmaß weiter gehen zu lassen.
ein ganzes stetig-
konstruieren mit verlust,
mond & der sonne.
Richard Wright ©Gordon Parks