Journale Die Funken der Erlösung.

Moliwdas Bittbrief, Übersetzung aus dem »Jüdischen Literaturblatt«, 
Magdeburg, im Januar 1882


Am selben Abend verliest Moliwda der Gemeinschaft feierlich einen Brief, den er einige Tage zuvor im Namen seiner walachischen, türkischen und polnischen Brüder eilig aufs Papier geworfen hat:

Josef Jakub Frenk, welcher mit Frau und Kindern und mit mehr als 60 Personen die Türkei und die Walachei verliesz, mit Verlust eines bedeutenden Vermögens und kaum das Leben rettend, da er und die Seinen auszer seiner vaterländischen und einiger Orientalischen Sprachen keine andere verstand und die Sitten dieses erlauchten Landes nicht kannte, bittet flehentlich Ew. Majestät, beim Mangel jedes Lebensunterhaltes seinerseits wie auch dieses zahlreichen Volkes, das er zum wahren Glauben geführt hat, um eine Stätte und eine Möglichkeit zum Lebensunterhalte ...   

Hier räuspert sich Moliwda und hält inne, ein plötzlicher Zweifel beschleicht ihn. Ob das Schreiben nicht gar zu unverschämt anmutet? Was sollte dem König daran gelegen sein, benötigen doch seine Untertanen – all jene christlich geborenen Bauern, Scharen von Bettlern, verwaisten Kinder und Krüppel – selbst dringend Hilfe. 

… Ich bitte darum mit Thränen Ew. Majestät, dasz wir uns schon ruhig niederlassen könnten; denn es ist uns unerträglich mit den Talmudisten zusammenzuleben wegen ihrer Ränke, ihres Zankes und Haders und wegen der Furcht, von dem Wege des Heiles abgedrängt zu werden, da uns dieses verbissene Volk nicht anders nennt als: Glaubenshunde, Abtrünnige u. dgl. m. Ohne Rücksicht auf das von Ew. Majestät uns verliehene Recht drücken sie uns beständig, und allwärts plündern und schlagen sie uns, wo sie nur können, wie es beispielsweise unlängst bei unserer Durchreise durch Lublin vorkam, und was am Schlimmsten, sogar hier in Warschau, in dem Orte und in der Nähe Ew. Majestät … 

Hinten aus dem Raum erklingt ein einzelner Schluchzer, weitere folgen.

… Wir bitten Ew. Majestät um unverzügliche Ernennung einer Kommission in Kamieniec und in Lemberg, damit uns das unschuldigerweise Weggenommene zurückgegeben werde, und dasz das Dekret von Kamieniec in Podolien zur Ausführung gelange, indem uns unsere Frauen und Kinder ausgeliefert würden. Dasz ferner durch Ew. Majestät Personen von Ansehen bevollmächtigt würden, diese Hartnäckigen und Gewaltthätigen zu zwingen, damit sie ohne Ausflüchte uns genugthun, was allseits gerechtfertigt ist, und wodurch allein die Unsrigen, ins tiefste Elend gerathenen, die Möglichkeit eines Lebensunterhaltes gewinnen. Möge Ew. Majestät durch einen öffentlichen Erlasz kundthun, dasz, wo nur immer unsere Brüder in einem ähnlichen Verlangen nach dem heiligen Glauben, wie wir selbst, sich befinden – soweit uns bekannt müssen ihrer viele sein – sie ohne Furcht hervortreten, und dasz ihnen die Herren in diesen Orten beistünden bei der Annahme des Heiligen Glaubens und dasz wenn die Talmudisten die Absicht zeigten, auf sie einen Druck auszuüben oder gegen sie Schmähungen zu erheben, sie die Freiheit haben sollen, mit ihrem Eigenthum einen anderen Wohnsitz aufzusuchen.

Der blumige Stil scheint allen Anwesenden zuzusagen, und überaus zufrieden mit sich selbst lehnt Moliwda später auf dem Teppich zwischen weichen Pölstern. Seit der Ankunft seiner Familie wohnt Jakob in einer größeren Kammer, die Chana nach türkischer Art eingerichtet hat – seltsam wirkt das, toben doch vor dem Fenster Wind und Schneegestöber. An den kleinen Scheiben haftet feuchter Schnee und verdeckt fast vollständig die Sicht. Öffnet man die Tür ein Stück, weht gleich der Pulverschnee in die nach kaffa und Lakritze duftende Stube. Dabei schien doch bereits der Frühling gekommen zu sein.

„Ich bleibe ein paar Tage bei euch“, sagt Moliwda. „Hier ist es wie in Smyrna.“

Es ist wahr, zwischen den hiesigen Juden fühlt er sich wohler als in Warschau, wo sie nicht einmal kaffa anständig zubereiten können. Übermäßig viel füllen sie in die Tassen, zu dünn ist das Gebräu außerdem, dass es Sodbrennen und nervöse Zustände hervorruft. Hier aber sitzt man auf dem Boden oder auf Ottomanen an niedrigen Tischlein, auf denen kaffa in zwergenhaft winzigen Tässchen serviert wird. Auch einen ordentlichen Ungarwein weiß man ihm in Iwanie zu kredenzen.

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