Alexandros Kypriotis

Ein gefaltetes Vordach, ein Friedhof, eine Entdeckung u.a.

Während meines dreiwöchigen Arbeitsaufenthalts im Juni 2018 in Berlin habe ich an meiner Übersetzung von Jenny Erpenbecks Roman „Gehen, ging, gegangen“ für den griechischen Kastaniotis Verlag gearbeitet. Dabei hatte ich die Gelegenheit, auch die genauen Stätten zu besuchen, die im Roman erwähnt sind, und konnte einige Übersetzungsprobleme sozusagen mit eigenen Augen lösen, wie z. B. das „gefaltete Vordach“ im folgenden Satz: „auch die Fenster des Fitnesscentrums, das sich direkt beim Sockel des Turms unter einem kühn gefalteten Vordach befindet“. Außerdem hatte ich die Möglichkeit mich mit der Autorin selbst mehrmals zu treffen und verschiedene Übersetzungsprobleme mit ihr zu besprechen, aber auch die Lesung über ihren Roman „Aller Tage Abend“, die Ende Juni in Athen stattfinden würde, vorzubereiten.

Darüber hinaus hatte ich das Glück, im Rahmen des Sommerfestes im Brecht-Haus die „Zweite Geisterstunde“ zu besuchen, eine einzigartige Veranstaltung auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof, wobei verschiedene SchriftstellerInnen und KünstlerInnen aus Werken von verstorbenen Prominenten vorgelesen haben. Unter ihnen lasen Clemens Meyer, Durs Grünbein, Steffi Kühnert und Gerhard Wolf an den Ruhestätten von Wolfgang Hilbig, Thomas Brasch, Anna Seghers und Christa Wolf. Mich interessierte vor allem die Teilnahme von Jenny Erpenbeck, die an der Grabstätte von ihrer Großmutter, Hedda Zinner, Auszüge aus ihren Werken las, nicht nur wegen der Auszüge an sich, sondern auch weil mir dadurch klar wurde, wie meisterhaft sie die Enkelin von Hedda Zinner literarisch für ihren eigenen Roman „Aller Tage Abend“ umgearbeitet hatte. Es war nämlich höchstinteressant, die Inspiration, soszusagen, vor dem literarischen Schaffen zu wissen.

Künstlerisch sehr interessant war auch eine sehr gute Aufführung von der „Blechtrommel“ von Günter Grass mit Nico Holonics in Regie von Oliver Reese im Berliner Ensemble.

Aus historischen Gründen war ein Besuch des Tränenpalasts von besonderem Interesse, vor allem im Vergleich zu einem ehemaligen Besuch von mir im DDR-Museum, das eher eine karikaturistische Darstellung der DDR ist, da im Tränenpalast auch die Ausnutzung der Teilung von Deutschland zu Propagandazwecken sowohl von der BRD wie auch von der DDR sehr klar war.

Übrigens, was noch zu den interessantesten Erlebnissen meines Aufenthalts in Berlin zählt, ist eine Lesung von Fiston Mwanza Mujila und seinem Roman „Tram 83“ im LCB. Dank dem Autor selbst vor allem, aber auch seinen Übersetzerinnen ins Deutsche, Katharina Meyer und Lena Müller, dem Saxophonisten Ben Kraef und der Moderatorin Aurélie Maurin war diese Lesung vielleicht die beste Lesung, die ich jemals besucht habe.

Im LCB hatte ich das Glück auch andere interessante Leute kennenzulernen, wie z.B. den rumänischen Dichter Claudiu Komartin und die russische Autorin Anna Kozlova.

Für eine Entdeckung während meines Aufenthalts im LCB halte ich aber meine Bekanntschaft mit der deutschen Autorin Katharina Bendixen, die zur selben Zeit im LCB war. Ich weiss noch, als ich eines Abends, sobald ich noch eine Erzählung von ihr gelesen hatte, nicht mehr arbeiten konnte und ihr zufällig in der Küche begegnete, seufzte und sagte: „Was machen wir mit deinen Erzählungen? Ich glaube, ich muss dich übersetzen“. Ihr Erzählband „Der Whiskyflaschenbaum“, gehört schon zu meinen künftigen Übersetzungsprojekten und wird nächstes Jahr vom Skarifima Verlag in Griechenland herausgegeben.