Claudia Isa Baricco

Während meines zweiwöchigen Aufenthaltes im EÜK Straelen begann ich, an der spanischen Übersetzung von Josefine Rieks Roman Serverland zu arbeiten. Das Romandebüt der 1988 geborenen deutschen Autorin ist ein kluger und origineller Zukunftsroman über die Gegenwart mit einem faszinierenden Thema: "Das Internet ist seit Jahrzehnten abgeschaltet, die Statussymbole von früher sind nur noch Elektroschrott. Reiner, Mitte zwanzig, sammelt Laptops aus dieser lange vergangenen Zeit und wird zum Begründer einer Jugendbewegung, die verklärt, was es früher wohl einmal gab – die Freiheit einer Gesellschaft, die alles miteinander teilt. Mithilfe einer Autobatterie gelingt es, eine Verbindung zu lange stillgelegten Servern herzustellen. Die Jugendlichen sehen, was seit Jahrzehnten keiner mehr gesehen hat: das Internet".

Der böse Witz und die subtile Ironie, mit denen Rieks über die naiven Utopien aus der digitalen Steinzeit schreibt und dabei einen sezierenden Blick auf unsere Gegenwart wirft sowie eine Narration, die das Zeug eines Films hat und von Bildern einer jungen Videospielergeneration geprägt wird bilden zentrale Herausforderungen dieses Übersetzungsprojekts. 

Aber es gibt noch ein Aspekt, der bei einer spanischen Version zu berücksichtigen ist, nämlich, dass es ganze Teile gibt, in denen die Charaktere Englisch sprechen. Rieks spielt ironisch damit. Offensichtlich sprechen junge Amerikaner nichts anderes als Englisch. Für junge Deutsche ist es ein Grund zum Stolz, ihre Sprache sprechen zu können. Es gibt eine Faszination für die USA, die im Roman thematisiert wird, und die ein Imponier-Effekt des Englischen neben sich trägt. Das gilt auch für den Charakter von Henrika, der sechzigjährigen Holländerin. Darüber hinaus ist die Anwendung der englischen Sprache Ausdruck einer Hegemonie und dient zur Dramatisierung von Machtverhältnissen —Begriffe wie Imperium, Unterwerfung, Kolonisierung spielen hier eine Rolle. So sprechen z. B. einige der jungen Deutschen, unter ihnen auch der Protagonist, ab einem Wendepunkt kein Englisch mehr. Zudem kommt auch natürlich die Vorherrschaft der englischen Sprache im Bereich der Informatik. Da es sich aber um ein weltweites Phänomen handelt, lassen sich  —, wenn nicht alle, weil in Zeiten des Denglish das Deutsche viel stärker als andere Sprachen von diesen geprägt wird— viele von diesen Anglizismen aus dem Original in die spanische Version nahtlos übernehmen: wir sprechen auch von notebooks, hardware und software, PCs, trackpads. Und zum Glück (und obwohl es auch dafür das spanische Wort servidor gibt) auch von servers, sodass der Titel Serverland als Serverlandia (etwa wie Disneyland/Disneylandia) erhalten bleiben kann. Cool man, könnte ein Jugendlicher sowohl im deutschen als auch im spanisch sprechenden Raum sagen —dies angesichts der Neigung zu Anglizismen, die in Jugendsubkulturen zu beobachten ist. Die Frage ist aber: wie viel Englisch (ganze Dialoge, Zitate aus Texten wie die Unabhängigkeitserklärung des Cyberraums, Titeln von YouTube-Videos, usw. ) verträgt eine spanische Fassung? Wie viel English kann man einem spanisch sprechenden Leser zumuten? Und obwohl dieser kein homogenes Wesen ist ­ —rund 450 Millionen Menschen in mindestens vier Kontinenten sprechen einer Vielfalt von Varietäten der spanischen Sprache—, bin ich als Literaturübersetzerin davon überzeugt, dass die Antwort lautet: viel weniger als bei der deutschen Fassung. Spanglish heißt zwar die von der spanischsprachigen Bevölkerung der USA gesprochene Mischform der englischen und spanischen Sprache.  Je näher man an die USA rückt, desto stärker wird der Einfluss des Englischen in den verschiedenen spanisch sprechenden Ländern. Als erste Fremdsprache wird in diesen meisten Ländern in der Schule oft Englisch gelernt. Aber man kann nicht erwarten und es wird nicht vorausgesetzt, dass der Leser bzw. der Zuschauer Englisch kann. Amerikanische Filme werden z. B. synchronisiert oder mit spanischen Untertiteln gezeigt. Für die spanische Version Serverlands finde ich daher notwendig, die Verwendung des Englischen neu zu gestalten und sie auf das notwendige Minimum zu beschränken, ohne, dass es dabei selbstverständlich die Ironie und die metaphorische Ebene verloren gehen bzw. die Entwicklung der Dramaturgie beeinträchtigt wird. Allerdings eine weitere Herausforderung dieses interessanten Übersetzungsprojekts. Ich habe schon angefangen, daran zu arbeiten. Und ich freue mich auf das Zusammentreffen mit der Autorin und die Diskussion über diese Themen, die nicht nur über unsere jeweiligen Sprachen, sondern auch über Kultur und Geschichte viel aussagen wird.

Unweit von der deutsch-niederländischen Grenze gelegen, umgeben von flachen Landschaften, Feldern mit Windrädern, mit ihrer Backsteinhaus-Architektur, Merkmale alle, die an die Romanschauplätze in Holland denken lassen, war Straelen, nicht zuletzt auch aufgrund der vom EÜK angebotenen perfekten konzentrierten Atmosphäre, der perfekte Arbeitsort. Ein guter Anfang.