Hana Hadas

Aufenthalt im Goethe Institut Prag, 3.-16.6.2019

Wenn Residenz den temporären Sitz eines Herrschers bedeutet, dann kam ich mir in meiner Zeit in Prag wie eine königliche Herrscherin, oder zumindest wie eine Dame von Adel im Fin de siècle vor: die herrschaftliche Freitreppe hochschreitend, vor allem in den späten Abendstunden dieses herrliche Haus ganz für mich allein habend. Einzig nachts erinnerte die Projektion eines Wortes, von Gegenüber auf die Fassade geworfen, dass hier die Gegenwart spielt – KLARTEXTE.

Das Gebäude am Masaryk-Ufer wurde im Jahre 1905 im Jugendstil erbaut, zur Zeit des Kalten Krieges residierte hier die Botschaft der DDR, bevor 1991 das Prager Goethe-Institut (von den Tschechen liebevoll „Géťák“ genannt) einzog. Und ich hatte die Ehre, für zwei Wochen als Residentin in die Gastwohnung einzuziehen, die sich im obersten Stockwerk befindet und seit einigen Jahren an Künstler aus unterschiedlichen Bereichen vergeben wird. Programmkoordinatorin und gute Seele des Instituts, Monika Loderová, berichtet, eine Ausschreibung für die Vergabe der Wohnung an Stipendiaten stünde noch aus. Aber vielleicht melden sich dank dieser Zeilen nun mehr Interessenten.

Goethe-Institut, Klartexte also. Dieses Wort als Lichtinstallation ganz oben an der Fassade. Und ganz klar war auch, dass es hier um meine Texte gehen sollte, oder besser gesagt um einen großen, den ich mir in kleine Häppchen einteilte, die es zu bearbeiten galt. Die Rohfassung meiner Romanübersetzung von Viktorie Hanišovás Debüt „Anežka“ war fertig, jetzt sollte es an den Feinschliff gehen. Eine wichtige Rolle in dieser Mutter-Tochter-Adoptions-Geschichte spielt der Stadtteil Libeň. Berühmt geworden aufgrund des Attentats auf Reinhard Heydrich am 27. Mai 1942, später trank und schrieb sich hier Bohumil Hrabal in die Literaturgeschichte ein. Und nun die Szenerie im Buch: das Wohnhaus oben, die Polizeistation unten, dazwischen der Verkehrsknotenpunkt Palmovka, oben wieder der Friedhof von Libeň, und immer wieder Parks und Grünanlagen, die sich durchs Viertel schlängeln. Gerne lasse ich mich von der Autorin durch den Ort ihrer Inspiration führen. Auf dem Friedhof zeigt sie mir das Grab der Familie Olach, Roma seien das gewesen, mit diesem Namen, ganz klar. So klar war es mir als Deutsch-Muttersprachlerin nicht, aber für den Roman ein wichtiger Hinweis, ist doch das adoptierte Mädchen eine Roma. Ein beeindruckender Parkour durch das hügelige Viertel oberhalb der Moldau, das zu Deutsch übrigens „Lieben“ heißt.

Lieben muss man allerdings die ganze Stadt, die es versteht, einen mit Konzerten, Ausstellungen, Theater- und Kinoveranstaltungen, sowie mit unzähligen Kleinkunst-Festivals zu unterhalten. In der langen Nacht der Museen auf der Quadriennale neue internationale Kunst entdecken oder preisgekrönte, deutsche Kurzfilme im Goethe-Institut gucken, das mit dem Museumsbegriff sieht man hier nicht so eng. Und eine Überdosis Kultur ist garantiert.
Mit Vergnügen durfte ich zudem beobachten, wie an einem Dienstag bei bestem Kaiserwetter zornig-demonstrierende Tschechen die allgegenwärtigen Touristenhorden vom Wenzelsplatz drängten. Bekanntlich hat der Widerstand gegen den Unternehmer/Ministerpräsidenten Andrej Babiš bereits weitere Kreise gezogen…

Dazwischen noch Zeit, sich mit Übersetzerkolleg·innen, Agent·innen, Verleger·innen, Autor·innen, also denjenigen, die durch das feine Netz der Kontakte mit dem literarischen Übersetzen verwoben sind, in aller Ruhe bei einem Café in der schattigen Altstadt oder bei einem Pilsner an der Moldau auszutauschen. Letzteres sehr gerne nach Sonnenuntergang, um danach wie gewohnt die Treppe zu meiner Residenz im Stadtpalast emporzusteigen.