JUNIVERS 2024
6. Internationales Treffen von Lyrikübersetzer·innen
15.–21. Juli 2024
Literarisches Colloquium Berlin
2024 ging das internationale Treffen für Lyrikübersetzer·innen JUNIVERS in die sechste Runde! Lyrikübersetzer·innen deutschsprachiger Gegenwartslyrik wurden für eine Woche an den Wannsee eingeladen, um sich über ihre poetischen Universen auszutauschen und im persönlichen Kontakt mit Kolleg·innen anderer Länder sowie mit wichtigen Akteuren der Berliner Lyrikszenen Teil eines wachsenden Netzwerkes zu werden. JUNIVERS ist ein internationales Forum, das die Lyrikübersetzung zum Kernstück macht und verschiedene poetische Traditionen weltweit in den Blick nimmt. Neue Texte und Tendenzen der deutschsprachigen Lyrik prägen die Gespräche, genauso wie Entwicklungen und Aktivitäten auf Verlags- und Veranstalterebenen. JUNIVERS umfasst auch eine zweitägige kollektive Übersetzungswerkstatt – 2024 gemeinsam mit der Dichterin Kerstin Preiwuß. Teil des Programms ist überdies wie in jedem jahr der Besuch des Poesiefestivals Berlin – das 2024 ausnahmsweise im Juli stattfand. Aus diesem Grund zog auch JUNIVERS einmalig einen Monat weiter – und umgab sich mit Juliversen.
Die Teilnehmer·innen 2024: Sool Park (Koreanisch), Manuela Klenke (Rumänisch), Karen Leeder (Englisch), Özgecan Kesici (Englisch), Agnieszka Walczy (Polnisch), Steph Morris (Englisch) und Linda Östergaard (Schwedisch).
Mit einem Culture Moves Europe- und TOLEDO-Mobilitätsfonds-Stipendium nahmen außerdem Seda Tunç (Türkisch), Tanja Petrič (Slowenisch), Sven Keromnes (Französisch) und Bojana Denić (Serbisch) teil. Mit einem Stipendium des Auswärtigen Amts und des TOLEDO-Mobilitätsfonds war Yanhui Wang (Chinesisch) Teil des JUNIVERS.
JUNIVERS ist ein Gemeinschaftsprojekt des TOLEDO-Programms des Deutschen Übersetzerfonds und des Literarischen Colloquiums Berlin in Kooperation mit dem Poesiefestival Berlin.
Programm
Montag
TOLEDO- & LCB-KOSMOS
Kennenlernen und Begrüßung, Einführung in die Programme des LCB, des Deutschen Übersetzerfonds und des TOLEDO-Programms
IM JUNIVERSUM VON... AKTUELLE PROJEKTE DER TEILNEHMENDEN
Kurzpräsentationen und gemeinsames Gespräch über die poetischen Universen der Teilnehmenden.
RAHMENPROGRAMM (LCB)
VON PUTTEN, AMORETTEN UND ANDEREN DUNKLEN ENGELN
Lesung mit Lara Rüter, Georg Leß und Alexander KappeDer Abend ist drei lyrischen Neuerscheinungen, darunter zwei Debüts, gewidmet, die eine Gemeinsamkeit verbindet: der Versuch einer Neubelebung des Engel-Topos für die Gegenwartsdichtung. Bei Lara Rüter haben »amoretten in netzen« (Das Wunderhorn, 2024) einen zentralen Auftritt, bei Georg Leß (»Die Nacht der Hungerputten«, kookbooks, 2024) sind es Putten und bei Alexander Kappe begegnen wir in »nachreden auf dunkelengel« (Gutleut, 2023) einem gefallenen Engel. Eine natürliche Verwandtschaft und doch drei ganz eigenständige Poetiken. Im LCB tauschen sich die Dichter∙innen über ihr Interesse an dieser Thematik aus und lesen ihre Texte.
Dienstag
DIE GROSSE FUGE
mit Volker Braun und Wang Yanhui, Moderation: Florian Höllerer
Zu Gast ist Volker Braun, der die deutschsprachige Gegenwartsliteratur seit Jahrzehnten so lebendig wie kontinuierlich prägt. Unter dem Eindruck der Pandemie veröffentlichte er 2021 den Gedichtband Große Fuge. Dieses Jahr folgten unter dem Titel Fortwährender Versuch, mit Gewalten zu leben (2024) drei poetische Essays – von denen der erste zu großen Teilen China gewidmet ist. Dies gilt auch für den ersten Teil (Dämon) des 2016 erschienenen Lyrikbandes Handbibliothek der Unbehausten. Gemeinsam mit Yanhui Wang spürt Volker Braun den Möglichkeiten und Widerständen nach, seine Lyrik ins Chinesische zu übertragen, ausgewählte Gedichtbeispiele weisen den Weg. Yanhui Wang, Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft am Beijing Institute of Technology (BIT), übersetzte für die 2015 erschienene erste chinesische Lyrik-Anthologie Volker Brauns (sechzig Gedichte aus fünf Jahrzehnten) und ist Verfasser des Artikels Volker Braun und China. Text und Kontext (In: TEXT+KRITIK, Heft 55).
ES BEGINNT. TRAUERREFRAIN
mit Anja Utler und Linda Östergaard
Mit ihrem Band »Es beginnt. Trauerrefrain« (Edition Korrespondenzen 2023) gewann die Dichterin Anja Utler in diesem Jahr den Peter Huchel Preis; ein Buch, das angesichts des Angriffs Russlands auf die Ukraine entstanden ist und dessen Genese sie selbst als ein „Schreiben entlang eines Trauerprozesses“ beschreibt. Neben den 209, an die japanische Haiku-Form angelehnten Gedichten steht ein analytischer Essay, in dem Utler dafür plädiert, „Gefühle nicht länger reflexhaft abzuwehren, sondern sie zu erforschen. Denn als Auskunftgeber über die Beziehungen in der Welt bezeugen sie nicht nur die Bedeutung (ausbleibender) gesellschaftlicher Veränderungen, sie können auch Wege zu besserem Handeln aufzeigen.“ (Verlagstext) Linda Östergaard hat die Texte Anja Utlers ins Schwedische übertragen, unter dem Titel »Det börjar. Sorgerefräng« erschien ihre Übersetzung im März 2024 beim schwedischen Verlag Ràmus. Beide gemeinsam stellen die Bücher und ihre Arbeit daran vor.
SCHRIFTSTELLEN BARBARA KÖHLER
Marie Luise Knott im Gespräch mit Sven Keromnes
Politsprache sei immer darauf aus, einen Konsens zu suggerieren, Mehrheiten zu behaupten, Gegenmeinungen, anders Denkende und Sprechende zu vereinzeln, sagte die Dichterin Barbara Köhler einmal im Interview und dichtete: »Ich harre aus im Land und geh ihm fremd, mit einer Liebe, die mich über Grenzen treibt.« In der DDR geboren und aufgewachsen, begann sie früh, durch und über die Sprache Machtverhältnisse aufzulösen, das Feststehende aufzukündigen, die Bedeutungen aufzubrechen. »Uns ist kein Schnabel gewachsen: wir reden, wie uns der Mund gestopft wurde.« Dagegen schrieb sie an und ersann ihre Poetik der Sprachbefragung und der Spracherweiterung.
„Ich über das Alleinsein, und ich denke, ich habe es darin schon ziemlich weit gebracht. Ich rede mit der Sprache, manchmal antwortet sie. Manchmal antwortet auch jemand anders. Ich rechne nicht mehr damit, verstanden zu werden. Mathematik ist nicht mein Fach.“
PRINZENBAD
mit Ozan Zakariya Keskinkılıç und Jeffrey Trehudic
In »Prinzenbad« (Elif Verlag), dem 2022 erschienenen Debüt von Ozan Zakariya Keskinkılıç, lässt das Lyrische-Ich seine Sehnsüchte sich entfalten. Die stark klanglich arbeitenden Gedichte verbinden diverse Lebensrealitäten wie Familiengeschichte, muslimische Spiritualität, Mehrsprachigkeit und Begehren. Eine Poesie gegen Ausgrenzen. Für Sichtbarkeit. „Diese Gedichte sind in ihrer Gesamtheit unter dem Zeichen einer spirituellen Navigation des Selbst, als rebellische Praxis, Grenzen zu übertreten, um zu existieren.“ (Verlag) Ein eindrucksvolles queeres Debüt! Ozan Zakariya Keskinkılıç wird vorgestellt von Jeffrey Trehudic, der die Gedichte ins Französische überträgt.
RAHMENPROGRAMM (poesiefestival, Silent Green Kulturquartier)
Writing Change: In The Gifted Dark
mit Nina Dragičević, Kirils Ēcis, Kim Hyun, Ásta Fanney Sigurðardóttir, Moderation: Ricardo Domeneck
Mittwoch
TOUR D’ANTHOLOGIE
mit Maren Jäger
Gedichte sind selten Einzelgänger; sie tauchen meist in Rudeln auf. Viel häufiger als allein trifft man sie in Sammlungen an, in Nachbarschaft anderer Stimmen. Ein typisches Habitat des Gedichts ist die Anthologie, der eine wichtige Funktionen bei der Lyrikvermittlung zukommt. Sie sorgt in der Nische der nicht gerade marktgängigen Lyrik oft für kleine Bestseller und ist das Nadelöhr der Kanonisierung, verspricht eine Überschau des Unüberschaubaren – und kann doch immer nur Ausschnitte von Ausschnitten zeigen: die Lyrik eines Jahres, eines Landes, einer Sprache, einer Generation, einer Bewegung usf. Dabei geraten Fragen nach Auswahl, Anordnung, Darstellung, Repräsentativität – und nicht zuletzt Übersetzung in den Fokus. Der Vortrag versucht eine kleine (ausschnitthafte) Übersicht – vor allem über deutschsprachige Unterfangen seit der Jahrtausendwende, von Lyrik von Jetzt und Jahrzehnteanthologien aus dem Wunderhorn-Verlag über das Jahrbuch der Lyrik und Frauen | Lyrik bis zur Plattform lyrikline.org und den internationalen Projekten Versschmuggel, Poesie der Nachbarn und Grand Tour. Im gemeinsamen Gespräch über jüngst erschienene und künftige, richtungsweisende oder krachend gescheiterte Anthologien deutschsprachiger Gegenwartslyrik aus aller Welt – und ggf. über eigene Anthologieprojekte und Sammelaktivitäten der Teilnehmenden kann es uns gelingen, die Skizze zu einem kleinen multiperspektivischen und internationalen Panorama zu erweitern.
MUTTERTASK / AUTOBIOGRAPHIE DES TODES
mit Uljana Wolf und Sool Park
Im ersten Teil begeben wir uns in den neuesten Gedichtband von Uljana Wolf: „Muttertask“, der das Mutterdasein sprachlich und poetisch auslotet und sich mit auf eine Reise durch Muttermythen und Ursprungssehnsüchte begibt - von Mutter über Modder zu Motten, von Madrigal zu Madregal, von muttertask zu mutatas. Moderation: Aurélie Maurin.
Im zweiten Teil geben Uljana Wolf unf Sool Park gemeinsam Einblicke in ihre Zusammenarbeit an ihrer Übersetzung des Gedichtbands Autobiographie des Todes der koreanischen Dichterin Kim Hyesoon. Die 49 Gedichte des Bandes bilden einen Stimmenchor aus Geistern und verarbeiten Todeserlebnisse persönlicher und gesellschaftlicher Dimension. Die Übersetzung muss in den oft subjektlosen Sätzen und Fragmenten festlegen, wer der Agens eines Bildes ist – eine lebende oder eine tote Stimme? Oder beide zusammen? Wie kann man die Fluidität markieren, wenn man sich grammatisch für eine Position im Deutschen entscheiden muss? Über diese und andere Herausforderungen aus der Werkstatt werden Sool Park und Uljana Wolf berichten.
KLIMAPOESIE
mit Tim Holland, Samuel Kramer und Carla Cerda, Moderation: Felix Schiller
Wurde die auffällige Abwesenheit klimapolitischer Fragen in der deutschen Literatur oftmals beklagt, zeigt sich gerade in der jüngeren Lyrik eine vielseitige und offene Hinwendung. Tim Hollands (*1987) »wir zaudern, wir brennen« (Matthes & Seitz, 2022) ist ein Langgedicht mit angehängten Ordnern und einem Register, das eine postrevolutionäre Welt voller neuartiger Emotionen, Wesen, Lüste und Organisationsformen vorstellt. Unter dem Titel „Die drei Jahreszeiten“ wurde das Langgedicht auch als kinetische Installation umgesetzt (Premiere: Poesiefestival Berlin 2023). Carla Cerdas (*1990) »Ausgleichsflächen« (Engeler/roughbooks 2023) fragt, was die Logik von carbon und biodiversity credits für Gedichte bedeutet. Dafür und für den Debütband »Loops« (roughbooks, 2020) hat sie zuletzt den Basler Lyrikpreis erhalten. Und Samuel Kramers (*1996) Texte verhandeln, wie die Unheimlichkeit und Ungeheuerlichkeit des Klimawandels in gegenwärtige Lebenswelten eingreift, sie ins Absurde verdreht und verschiebt. Kramer hat 2020 die Anthologie »Poetry for Future – 45 Texte für Übermorgen« herausgegeben und wurde u. a. mit dem Lyrikpreis des open mike ausgezeichnet. Ausgehend von kurzen Lesungen der drei Autor*innen diskutieren wir in der Session Fragen wie: Was macht poetische Formen so anschlussfähig für die gegenwärtig brennenden Diskurse? Was kann die künstlerische Praxis spezifisch leisten? Ist das poetische Denken über den Klimawandel potentiell global oder gibt es für den Übersetzungsprozess wichtige Unterschiede und Abweichungen? Welche Formen von Zeitlichkeit, welche Emotionen begegnen in diesen Texten? Und welche Rolle spielen Humor und Ernsthaftigkeit dabei, wie werden sie abgemischt?
ICH FÖHNE MIR MEINE WIMPERN
mit Sirka Elspaß, Moderation: Rike Scheffler
Mit ich föhne mir meine wimpern (Suhrkamp) veröffentlichte Sirka Elspaß 2022 ihr Debüt, das es sogleich auf die Liste der renommierten Lyrikempfehlungen geschafft hat. Dort schreibt Christian Metz darüber: „Elspaß verwischt die Grenzen zwischen Parodie, Ironie und Ernsthaftigkeit. Über viele Jahre gereifte, unbedingt bestaunenswerte Poesie.“ Thematisch behandeln ihre Gedichte „Digitalisierung und Aufgehenwollen im Analogen, zwischen Instagram, Google, Netflix, Wikipedia und Marie Kondos Aufräumtipps, Yoga und Meditation. Sie bewegen sich entlang von Rollenmustern, Geschlechter-, Körper- und Selbstbildern, zwischen leidenschaftlicher Hingabe und humorvoller Distanznahme.“ (Beate Tröger im Deutschlandfunk) Im Gespräch mit der Lyrikerin und Performerin Rike Scheffler stellt Sirka Elspaß ihren Band vor und gibt Einblicke in ihre dichterische Werkstatt.
RAHMENPROGRAMM (poesiefestival, Silent Green Kulturquartier)
Writing Identities: when gender blurs in a poem my world sets a tooth in the gear
mit CAConrad, Logan February, Harry Josephine Giles, Lisa Jeschke, Moderation: Luca Mael Milsch
Donnerstag
KOLLEKTIVE ÜBERSETZUNGSWERKSTATT I
GLÜCKLICHE FÜGUNGEN mit Kerstin Preiwuß
Workshopleitung: Rike Bolte und Tanja Petrič
RAHMENPROGRAMM (poesiefestival, Silent Green Kulturquartier)
Poesiegespräch: Nacht im Palast der Mücken
mit Yang Lian und Jan Wagner, Moderation: Dong LiWriting Class: You can’t poet this
mit Veronika Dianišková, Fran Lock, Radmila Petrović, Zheng Xiaoqiong, Moderation: Christian Filips
Freitag
KOLLEKTIVE ÜBERSETZUNGSWERKSTATT II
GLÜCKLICHE FÜGUNGEN mit Kerstin Preiwuß
Workshopleitung: Rike Bolte und Tanja Petrič
Samstag
Lyrikmarkt und Lesungen im Grünen
Herzstück des Festivals vor sommerlicher Kulisse im Grünen: 40 Lesungen am letzten Festivalwochenende im Garten des silent green.
16:00–17:00 Junivers-Special – Gedichte von Kerstin Preiwuß in Übersetzung (Rike Bolten Tanja Petrič, Verica Tričković udn die gesamte JUNIVERS-Gruppe)
RAHMENPROGRAMM (poesiefestival, Silent Green Kulturquartier)
WELTKLANG. LANGE NACHT DER POESIE
Sonntag
RAHMENPROGRAMM (poesiefestival, Silent Green Kulturquartier)
Lyrikmarkt und Lesungen im GrünenBERLINER REDE ZUR POESIE 2024: Terrance Hayes