Und die Menschen dort sind androgyn
Journal zur Neuübersetzung des Romans Die linke Hand der Dunkelheit von Ursula K. Le Guin
„Mir imponieren Le Guins lange, sorgfältige, sehr überlegte Entwicklung zur Feministin und der Humor, den sie sich dabei bewahrt hat, ungemein. Aber Die linke Hand der Dunkelheit steht am Anfang dieser Entwicklung. Ursula K. Le Guin hat 1969, noch in der männlichen Heldentradition verhaftet, einen Mann ins Abenteuer geschickt. Er verhält sich männlich an einem Ort, wo er zunehmend begreifen muss, dass es auch anders und womöglich besser geht. Und sie kann durch die Konstellation, die sie geschaffen hat, seine ganzen männlich-virilen Attitüden aufs Korn nehmen. Das Buch ist eine herausragende Studie von Männlichkeit […].“
Doppeldeutige Aufziehvögel und tiefe Brunnen.
Journal zur Neuübersetzung des Romans Die Chroniken des Aufziehvogels von Haruki Murakami
Die Chroniken des Aufziehvogels gehören zu Haruki Murakamis komplexesten Werken. Sie sind historischer und fantastischer, Abenteuer- und Familienroman zugleich. Die Handlung setzt sich aus realistischen und magischen Strängen zusammen und spielt in verschiedenen historischen Epochen an den jeweiligen Schauplätzen. Erzählt wird aus der Perspektive von mindestens drei Hauptfiguren, die alle durch das Motiv des rätselhaften nur von bestimmten Menschen vernehmbaren „Aufziehvogels“ miteinander verknüpft sind.
Eine Stimme werden, auch wenn ich sie nicht sein will
Zur Neuübersetzung von Curzio Malaparte, „Die Haut“
Curzio Malapartes epochaler Roman „Die Haut“ über das Kriegsende in Italien erschien im Original 1949, in erster deutscher Übersetzung 1950. Über 70 Jahre später erscheint nun eine Neuübersetzung von Frank Heibert. Eindrücklich berichtet Heibert von den Herausforderungen dieser Übersetzung, von seiner ambivalenten Haltung gegenüber dem schillernden, aber nicht unbedingt sympathischen Autor und davon, was es braucht „in dem vom Autor hochgezogenen [Text]gebäude zu wohnen und es zu übersetzen.“
Ein Ungeziefer mit dünnen Beinchen: Kafka auf Japanisch
»Ein Wort steht im Weg wie ein Tier und ich kann nicht weitergehen: „Ungeziefer“. Vielleicht ist es ein sogenanntes Kollektivum, bei dem das Schicksal der einzelnen Kakerlaken oder Ratten nicht zählt. Bei Kafka geht es aber gerade um ein einziges Ungeziefer, das keinen Artgenossen hat.«
Village Literature und Ancient Properties
Eine Wiederbegegnung mit Toni Morrisons Tar Baby
Toni Morrisons Tar Baby erschien 1982 zum ersten Mal in deutscher Sprache, in der Übersetzung von Uli Aumüller und Uta Goridis. Nun veröffentlicht der Rowohlt Verlag den Text in neuer Auflage, sprachlich überarbeitet und aktualisiert von Marion Kraft. Was genau das bedeutet, zeigt Marion Kraft in ihrem Beitrag: Mit sprachlichem Feingefühl kreiert sie einen Text, der den wichtigen Kontext der Tar Baby Folktales und die Besonderheiten des Black Vernacular English würdigt. Dabei reflektiert sie Bewegungen der Übersetzungstheorie seit der Erstveröffentlichung vor über 40 Jahren.
Ein Frauenporträt in der Restauratorinnenwerkstatt
Zur Neuübersetzung von Honoré de Balzacs Cousine Bette
Dass der französische Klassiker Cousine Bette von Honoré de Balzac nach einer Neuübersetzung geradezu schrie, zeigt Nicola Denis eindrücklich in ihrem Text. Mit dem Feingefühl einer Restauratorin antiker Gemälde bringt sie unter den Arbeiten ihrer Vorgänger – deren Fassungen aus den Jahren 1911 und 1923 stammen – einen Text zum Vorschein, der gerade in Bezug auf das Frauenbild Balzacs eine bedeutend andere Geschichte erzählt.
Portrait of a Woman in the Restorer's Workshop
On the retranslation of Honoré de Balzac’s Cousin Bette
The French classic Cousine Bette by Honoré de Balzac was crying out to be retranslated, as Nicola Denis shows indisputably in this text. With the delicacy of a restorer of classical paintings she reveals what lies underneath the work of her predecessors, whose translations were published in 1911 and 1923. The text that emerges tells a significantly different story, especially with regard to Balzac's women.
Wiederbegegnung nach 35 Jahren
Zur Überarbeitung der Übersetzung von Audre Lordes Autobiographie „Zami. A new spelling of my name“
Karen Nölle hat Audre Lordes Autobiographie nach 35 Jahren ein zweites Mal übersetzt. In ihrem TOLEDO TALKS-Beitrag berichtet sie, wie sich seit den 80er Jahren der Diskurs verändert hat, wie Computer und Internet beim Übersetzen helfen und wie sie während dieser eigenen Neuübersetzung ihrem Anfängerinnen-Ich wiederbegegnete.
A Reunion Thirty-Five Years Later
On the revised translation of Audre Lorde's autobiography: Zami. A new spelling of my name
Karen Nölle has translated Aurde Lorde's autobiography a second time after thirty-five years. In her TOLEDO TALKS essay she reports on how the discourse has changed since the 1980s, how computers and the internet can help the translation process and how she re-encountered her beginner-self through her retranslation.
Überlebensfragen
Zwischen Vergessen und Vergegenwärtigen. Zur Neuübersetzung von Viktor Schklowskis Zoo.
Sehr genau beleuchtet Olga Radetzkaja in ihrem Beitrag zur neuen deutschen Ausgabe von Viktor Schklowskis „Zoo“, wie Übersetzung Zeiten verbindet – und wie jede Neuübersetzung eine neue Tür zu einem Buch öffnet, hinter der sich oft etwas anderes verbirgt als erwartet. „Überlebensfragen“ ist eine Einladung, in den sehr besonderen Kosmos von „Zoo“ – das russische Berlin der 1920er Jahre –, in die verwickelte Editionsgeschichte und die überraschende Gegenwärtigkeit dieses 99 Jahre alten Textes einzutauchen.
Questions of survival
Between Forgetting and Making Present. On the new translation of Viktor Shklovsky's Zoo.
In her contribution to the new German edition of Viktor Shklovsky's Zoo, Olga Radetzkaya illuminates how translation connects times - and how every new translation opens a new door to a book, behind which something unexpected is often concealed. "Questions of Survival" is an invitation to dive into the unique cosmos of Zoo - Russian Berlin in the 1920s -, into the tangled history of this edition and into the ways in which this 99-year-old text remains surprisingly contemporary.
1984 neuübersetzen
Frank Heibert und Josée Kamoun haben mit ihren Neuübersetzungen von Orwells „1984“ viel gewagt, gerade auch mit der Entscheidung, den Roman ins Präsens zu setzen. Im Videogespräch tauschen sie sich über Tempus, Legitimität, Dialekt und Neologismen aus sowie über die verschiedenen stilistischen Herausforderungen ihrer jeweiligen Sprachwelten. Josée Kamoun hatte in den französischen Medien auch dadurch eine Debatte ausgelöst, dass sie das etablierte „Novlange“ in „Néoparler“ abänderte – und Big Brother beobachtet uns nicht nur, er duzt uns auch!
Wie ich lernte, den Krieg zu lieben
»Aus diesem Sumpf gezogen hat mich kein anderer als Remarque persönlich. In einem Fernsehinterview über Im Westen nichts Neues sagte er: „Mein eigentliches Thema war ein rein menschliches Thema, dass man junge Menschen von 18 Jahren, die eigentlich dem Leben gegenübergestellt werden sollten, plötzlich dem Tode gegenüberstellt.“«
How I Learned to Stop Worrying and Love the War
'Eventually it was Remarque himself who pulled me out of this rut. On a television interview about All Quiet on the Western Front, he once noted: “My subject matter was in fact purely human, that is, 18-year-olds who were meant to face life, then suddenly sent to face death.”'
Berührungsängste im Transit
»Bei Anna Seghers‘ Büchern, die einen so direkten historischen Bezug zu Mexiko haben, drängt sich eine mexikanische Variante geradezu auf, zumal die Werke hier wenig bekannt und nur schwer erhältlich sind.«
Widersacher?
Zur Neuübersetzung von Emmanuel Carrères L’Adversaire
Nicht oft erscheinen Bücher lebender Autor·innen in mehreren Übersetzungen – Emmanuel Carrères L’Adversaire gehört dazu. Warum Neuübersetzungen besonders deutlich machen, welche Stimmen in Texten sprechen, zeigt Claudia Hamms Blick auf die beiden deutschen Übersetzungen Der Widersacher und Amok. In einer komplexen (Selbst-)Beobachtung beschreibt sie, was beim und zwischen dem Lesen und dem Schreiben, sprich Übersetzen, passiert und warum ein Buch ruft.
1984. Schrecken übersetzen
In ihrer Neuübersetzung den Orwells 1984 trifft die französische Übersetzerin Josée Kamoun die Entscheidung, den Roman ins Präsens zu holen und die in die Alltagssprache übergegangenen Neologismen der ersten Übersetzung zu ersetzen. „Novlange“ wird „Néoparler“ und der Big Brother duzt einen künftig. In diesem Essay beleuchtet sie ihre Übersetzungsentscheidungen und wir erleben, wie diese Neuübersetzung uns aus der literarischen Komfortzone holt.
1984 und die Zeit
1984 – ein Klassiker, bei dem bislang meistens über den dystopischen Inhalt diskutiert wurde. Was er uns heute zu sagen hat und wie er in Gestalt von Neuübersetzungen lebendig bleiben kann, hat ebensoviel mit stilistischen Entscheidungen tun. Darüber denkt Frank Heibert – als Antwort auf Josée Kamoun – in seinem Essay nach.
Hügel und Giebel
Zu den polnischen Neuübersetzungen von Ulysses & Anne Of Green Gables
In Polen ist die Neuübersetzung eines Klassikers eher selten ein Thema, das nationale Aufmerksamkeit auf sich zieht. Vor kurzem jedoch sorgten Klassikerneuübersetzungen von James Joyce und Lucy Maud Montgomery für Furore im polnischen Feuilleton.
RundUmschau#01
Tess Lewis berichtet über zwei kostbare Übersetzungsressourcen, die aus der pandemiebedingten Not eine digitale Tugend gemacht haben: die Tagung „Translating the Future“ und die Literary Translation Clinics. Gábor Schein und Lídia Nádori haben sich für uns die Neuübersetzungen von Dantes Göttlicher Komödie und Victor Klemperers Kultbuch LTI – Notizbuch eines Philologen ins Ungarische angeschaut und geben uns damit einen Einblick in die aktuelle ungarische Übersetzungspolitik.