Berührungsängste
Masken, Abstand, Kontaktverbote: Berührungsängste haben in Zeiten der Coronapandemie Sonderkonjunktur. Und motivierten uns zu der Frage, welche Berührungsängste beim Übersetzen eigentlich eine Rolle spielen. Übersetzer·innen kennen das: die Hemmungen, einen Klassiker neu anzugehen oder sprachlich komplexen Ausgangslagen zu begegnen; die Scheu, harten Stoffen eine Sprache zu geben; die Gefahr, politisch vermintes Gelände zu betreten. Ein andersgearteter Themenkomplex hat sich jüngst darübergelegt: postkoloniale Diskurse, in denen sich Übersetzen als Form kultureller Aneignung offenbart. Die Debatten rund um „Sensitivity Writing“ und „Sensitivity Reading“ haben mittlerweile die Übersetzungszone erreicht. Hinterfragt wird, was ein·e Übersetzer·in übersetzen darf und was nicht, ob das Übersetzen nicht über Fachwissen und Sprachexpertise hinaus auch ganz bestimmte persönliche Berührungspunkte voraussetzt. Sind wir auf dem Weg zu etwas, das wir „Sensitivity Translating“ nennen könnten? Nehmen Berührungsängste beim Übersetzen zu?
In der TOLEDO-TALKS-Reihe „Berührungsängste“ spüren Übersetzer·innen den Sensibilitäten nach, die ihre Arbeit mental, politisch oder ideologisch begleiten. Die Reihe sondiert die Welt der Übersetzer·innen und zeichnet eine internationale Landkarte ihrer Berührungsängste, ihrer Berührungswagnisse und Berührungslust. In Form von kurzen Essays, Videos oder Gesprächen tauschen die Übersetzer·innen ihre Perspektiven und Erfahrungen aus. Die hochpersönlichen und hochsensitiven Beiträge nähern sich der Übersetzung als intime und politische Praxis, reagieren aufeinander in der gemeinsamen Suche nach neuen Wegen und Antworten und offenbaren, wie intensiv Übersetzer·innen in gesellschaftliche Diskussionen involviert sind – und auch wie spannungsgeladen der „Austausch der Kulturen“ mitunter verläuft.
Konzeption: Aurélie Maurin
Redaktion: Solveig Bostelmann
Masken, Abstand, Kontaktverbote: Berührungsängste haben in Zeiten der Coronapandemie Sonderkonjunktur. Und motivierten uns zu der Frage, welche Berührungsängste beim Übersetzen eigentlich eine Rolle spielen. Übersetzer·innen kennen das: die Hemmungen, einen Klassiker neu anzugehen oder sprachlich komplexen Ausgangslagen zu begegnen; die Scheu, harten Stoffen eine Sprache zu geben; die Gefahr, politisch vermintes Gelände zu betreten. Ein andersgearteter Themenkomplex hat sich jüngst darübergelegt: postkoloniale Diskurse, in denen sich Übersetzen als Form kultureller Aneignung offenbart. Die Debatten rund um „Sensitivity Writing“ und „Sensitivity Reading“ haben mittlerweile die Übersetzungszone erreicht. Hinterfragt wird, was ein·e Übersetzer·in übersetzen darf und was nicht, ob das Übersetzen nicht über Fachwissen und Sprachexpertise hinaus auch ganz bestimmte persönliche Berührungspunkte voraussetzt. Sind wir auf dem Weg zu etwas, das wir „Sensitivity Translating“ nennen könnten? Nehmen Berührungsängste beim Übersetzen zu?
In der TOLEDO-TALKS-Reihe „Berührungsängste“ spüren Übersetzer·innen den Sensibilitäten nach, die ihre Arbeit mental, politisch oder ideologisch begleiten. Die Reihe sondiert die Welt der Übersetzer·innen und zeichnet eine internationale Landkarte ihrer Berührungsängste, ihrer Berührungswagnisse und Berührungslust. In Form von kurzen Essays, Videos oder Gesprächen tauschen die Übersetzer·innen ihre Perspektiven und Erfahrungen aus. Die hochpersönlichen und hochsensitiven Beiträge nähern sich der Übersetzung als intime und politische Praxis, reagieren aufeinander in der gemeinsamen Suche nach neuen Wegen und Antworten und offenbaren, wie intensiv Übersetzer·innen in gesellschaftliche Diskussionen involviert sind – und auch wie spannungsgeladen der „Austausch der Kulturen“ mitunter verläuft.
Konzeption: Aurélie Maurin
Redaktion: Solveig Bostelmann
- Verfasser·in
- Shoko Asai
- Christos Asteriou
- Marcelo Backes
- Pieke Biermann
- Ulrich Blumenbach
- Charlotte Bomy
- Eva Bonné
- Claudia Cabrera
- José Aníbal Campos
- Margherita Carbonaro
- Tomás Cohen
- Isabel Fargo Cole
- Michael Ebmeyer
- Roberta Gado
- Gadi Goldberg
- Kübra Gümüşay
- Tanja Handels
- Hadija Haruna-Oelker
- Frank Heibert
- Iryna Herasimovich
- Sandra Hetzl
- Simone Homem de Mello
- Mahmoud Hosseini Zad
- Carla Imbrogno
- Patricia Klobusiczky
- Anna Kove
- Marion Kraft
- Christina Kunze
- Alexandros Kypriotis
- Tess Lewis
- Isabelle Liber
- Christophe Lucchese
- Camille Luscher
- Stéphanie Lux
- Amalija Maček
- Clemens Meyer
- Lena Müller
- Gulnoz Nabieva
- Iwona Nowacka
- Lídia Nádori
- Alexandre Pateau
- Douglas Pompeu
- Steffen Popp
- Kerstin Preiwuß
- Alta L. Price
- Katharina Raabe
- Olga Radetzkaja
- Jayrôme Robinet
- Subroto Saha
- Bradley Schmidt
- Marina Skalova
- Madeleine Stratford
- Uda Strätling
- Julie Tirard
- Beate Tröger
- Nelia Vakhovska
- Lisa Wegener
- Judith Zander
- Autor·in
- Elizabeth Bishop
- Najat El Hachmi
- Amanda Gorman
- Byung-Chul Han
- Christian Hawkey
- Wolfgang Hilbig
- Sophie Hunger
- Ralph Leonard
- Ben Lerner
- Audre Lorde
- Curzio Malaparte
- Clemens Meyer
- Anna Seghers
- Oscar Wilde
- Uljana Wolf
- Sprache Beitrag
- brasilianisches Portugiesisch (português brasileiro)
- Deutsch
- Englisch (english)
- Französisch (français)
- shqip
- Spanisch (español)
- עברית
- Land
- Albanien
- Argentinien
- Belarus
- Brasilien
- Chile
- Cuba
- Deutschland
- England
- España
- Frankreich
- Griechenland
- Indien
- Iran
- Italien
- Japan
- Kanada
- Libanon
- Polen
- Québec
- Russland
- Schweiz
- Slowenien
- Ukraine
- Ungarn
- USA
- Usbekistan
- Schlagworte
Beim Übersetzen von Najat El Hachmis Büchern muss sich Michael Ebmeyer heiklen Fragen stellen. Kann er als weißer Mann der Richtige sein, um Texte über den doppelten Kampf von Frauen gegen die Zwänge einer muslimischen Herkunftsgemeinschaft und gegen den Rassismus der Mehrheitsgesellschaft ins Deutsche zu übertragen? Behält Najat El Hachmi in seiner Version wirklich ihre Stimme? Nach zwei Romanen hat er nun ein Sachbuch von ihr übersetzt – ein kämpferisches Manifest über Feminismus und Identität. Da sind die Berührungsängste noch viel größer, doch zum Glück hat die Autorin selbst ein Wörtchen mitgeredet. Najat El Hachmis Wir wollen die ganze Freiheit! erscheint am 6. Januar 2023 im Orlanda Verlag.
„Wie umgehen mit einer Berührungsangst, die ich erst seit Kurzem verspüre? Seit der Begriff 'Kulturelle Aneignung' derart wahllos für alle möglichen Formen der Annäherung und Inspiration verwendet wird, dass er zum Kampfwort (...) verkommt?“ – fragt sich Patricia Klobusiczky in ihrem Beitrag, in dem sie offen und humorvoll diese neue Berührungsangst mit uns teilt. Gemeinsam mit dem britisch-nigerianischen Autor Ralph Leonard, der Schweizer Musikerin Sophie Hunger und anderen erkundet sie die Gefahren, vor allem aber die Chancen jener Form der Aneignung.
„Wie umgehen mit einer Berührungsangst, die ich erst seit Kurzem verspüre? Seit der Begriff 'Kulturelle Aneignung' derart wahllos für alle möglichen Formen der Annäherung und Inspiration verwendet wird, dass er zum Kampfwort (...) verkommt?“ – fragt sich Patricia Klobusiczky in ihrem Beitrag, in dem sie offen und humorvoll diese neue Berührungsangst mit uns teilt. Gemeinsam mit dem britisch-nigerianischen Autor Ralph Leonard, der Schweizer Musikerin Sophie Hunger und anderen erkundet sie die Gefahren, vor allem aber die Chancen jener Form der Aneignung.
Was ist „sensible Sprache“, was soll uns die und was hat die mit Übersetzen zu tun?
In WOKE IST BROKE macht Pieke Biermann sich auf die Spur der sensiblen Sprache, vor allem der Assimilation von US-amerikanischem Vokabular im Umkreis von sozialer Gerechtigkeit. Anhand von Beispielen aus dem deutschen und englischen Sprachraum fragt Biermann sich, um welche Sensibilität es in der aktuellen Diskussion um sensibles Übersetzen/„Sensitivity Translating“ eigentlich geht und beschreibt eindrücklich, in welcher Umbruchsphase wir uns aktuell befinden. Sie analysiert die Bereicherungen durch Kultur-Transfer, thematisiert aber auch, dass wir in Deutschland Begriffe übernehmen, ohne die ihnen zugrundeliegenden Diskurse des Ausgangslands zu kennen.
„Und ich bin immer noch der Meinung, das Beste, um in all dem Gewusel nicht unterzugurgeln, sind ein offener scharfer Blick, ein kühler Kopf, Wissen. „Woke is broke“ habe ich das Ganze hier genannt – ein Zitat des schwarzen New Yorker Linguisten John McWhorter, dem ich auch einiges hier ausgebreitetes Wissen verdanke. Wissen also. Im Anfang war bekanntlich das Wort, also fangen wir mit einem an: WOKE.“
What is “sensitive language”, what is it good for, and what does it have to do with translating?
In WOKE IST BROKE, Pieke Biermann sets out on the trail of sensitive language, in particular the assimilation of US-American vocabulary in the context of social justice. Using examples from both German and English, Biermann asks what we actually mean when we talk about sensitivity in the current discussion about sensitive translating and describes the paradigm shift in which we currently find ourselves. She analyses enrichment through cultural transfer, but also addresses the fact that in Germany we adopt terms without an awareness of the underlying discourses of the country of origin. “And I still think the best way to avoid gurgling under in all the froth is still to have open, sharp eyes, a cool head, and knowledge. “Woke is broke” is what I’ve called all this – a quotation from the Black New York linguist John McWhorter, to whom I also owe some of the knowledge I display here. So, knowledge. In the beginning, as we know, was the word, so let’s start with words: WOKE.”
Es war einmal ein Märchenbuch, das erzählte nicht nur Geschichten von den Reichen, Schönen und Heterosexuellen, nein, es gab in ihm auch ungewöhnliche Heldinnen, die keine blondgelockten Prinzessinnen waren.
Meseország mindenkié („Das Märchenland gehört allen“), 2020 im Verlag des ungarischen Lesbenverbandes Labrisz erschienen, ist ein unkonventionelles Märchenbuch, das auch Angehörige marginalisierter Gruppen ansprechen will und im In- und Ausland für viel Aufsehen sorgte – unter anderem deshalb, weil eine Parlamentsabgeordnete der nationalistischen Mi-Hazánk-Bewegung auf einer Pressekonferenz Seiten aus dem Buch schredderte. In „Berührungen weitertragen“ erzählt Christina Kunze uns die Geschichte vom „Märchenland für alle“ und wie es zum Bestseller wurde. Sie schreibt über die Herausforderungen des Übersetzens zu dritt, über Prozesse der Selbsthinterfragung und die doppelten Berührungsebenen beim Übersetzen eines Textes: „Woran wage ich zu rühren, aber auch: Wie sehr möchte ich mich von einem Text berühren lassen?“
Podiumsdiskussion. Berührungsängste haben nicht nur in Zeiten der Coronapandemie Sonderkonjunktur – auch die Gespräche und Podien rund um das „Sensitivity Reading“ und „Sensitivity Writing“ haben seit der Debatte um Amanda Gorman die Übersetzungszone erreicht. Hinterfragt wird, was ein·e Übersetzer·in übersetzen darf und was nicht, ob das Übersetzen nicht über Fachwissen und Sprachexpertise hinaus auch ganz bestimmte persönliche Berührungspunkte voraussetzt. Ist nicht die Literatur und erst recht die Poesie der Ort, an dem in höchster Verantwortlichkeit für das Denken und Fühlen auch der Anderen agiert wird? Reicht sprachliche Sensibilität aus, um die Lücken zu füllen oder Ungerechtigkeiten zu beheben, die durch die weißen Flecken und Verdrängungen in Historiographie, Kulturgeschichte und Mentalitätsforschung erst entstanden sind? Gibt es Sensibilisierungsstrategien für Literaturvermittler·innen, die zu mehr Rücksichtnahme, Einfühlsamkeit und Gerechtigkeit führen, und wie lassen diese sich beschreiben?
»Von all der Berührerei – warum nur steckt Rührei darin? – abgeleitete Malaisen, die beim Übersetzen das Haupt heben und gern schlaflose Nächte bereiten, lassen sich bereits an dessen Oberflächen besichtigen, und wo man tiefer hinabsteigt, nehmen sie eher noch zu.«
»I think we should work towards a future in which translation is acknowledged as the blood-flow of cultural exchange and that its actors, the translators, become ever more evident and relevant in society.«
»Wir müssen auf eine Zukunft hinarbeiten, in der die Übersetzung als Blutkreislauf des kulturellen Austauschs anerkannt ist und die dabei Handelnden, die Übersetzerinnen, in unserer Gesellschaft immer sichtbarer und wichtiger werden.«
»Pois este sim é o meu maior medo na tradução: de no ato tradutório tornar meu texto, a forma como ele afetou minha leitura e me deslocou, transparente e invisível.«
»Because this, yes, is my biggest fear when translating: that in the act of translation, I should turn my text, and the way it affected me and moved me as a reader, transparent and invisible.«
»Denn das ist meine größte Angst bei der Übersetzung: dass mein Text im Akt der Übersetzung, die Art und Weise, wie er meine Lektüre beeinflusst und mich verändert hat, transparent und letztlich unsichtbar wird.«
»Die Differenz ist nicht nur nicht hinderlich, sie ist geradezu notwendig. Im Übersetzen entsteht das neue Leben des Textes, seine Lebendigkeit, nicht zuletzt aus der Spannung zwischen Ungleichheit und gespielter Gleichheit.«
»Not only does the difference pose no hindrance; it is absolutely necessary. In translation, the text’s new life, its vitality, stems largely from the tension between non-equivalence and the illusion, the “acting”, of equivalence.«
»Wenn ich es bedenke, stieß ich von Beginn an in meiner Arbeit als Übersetzerin auf sprachliche und politische Fragen - oder anders gesagt: Es wurde deutlich, dass übersetzerische und politische Fragen immer zusammen und ineinander verwoben auftreten. Es gab ihn nie, den rein-literarischen Moment. Literarisches Übersetzen zeigte sich von Anfang an als eine Arbeit, die zwar die stille und geduldige Hinwendung zum Text erforderte, aber selbst schon auf dem Papier und im Kopf nicht nur literarisch herausfordernd war.«
"If I think about it, I have encountered questions of language and politics since the very beginning of my work as a translator—or to put it differently: It became apparent that issues of translation and politics always present in conjunction and interlaced with one another. That pure literary moment, it never really existed. From the very beginning, literary translation proved to be a discipline that, while requiring serene and patient dedication to the text, poses challenges on the page, and to the mind, that go beyond the literary realm."
»Ich denke, beim Erzählen [und wahrscheinlich auch beim Übersetzen?] macht es schon einen Unterschied, ob man sich selbst als Hausherrin fühlt, und dann vielleicht mit einer Einfühlsamkeit der großen Gesten, beispielsweise, die „Fremden“ im eigenen Haus willkommen heißt, oder ob man das Gefühl, in jenem Haus selbst nur ein Schatten zu sein, der die Wände entlang huscht, von Innen kennt. Nur lassen sich diese Perspektiven nicht unbedingt am Namen oder Teint einer Übersetzerin ablesen.«
"I believe that when telling stories (and maybe also when translating?), it makes a difference whether you feel like the mistress of your own house, in which case you might then make grand compassionate gestures such as welcoming "foreigners" to your home. Or whether you feel, at your core, that you're no more than a shadow slinking along the walls of said house. A translator's name and skin colour don't necessarily reveal which of these perspectives she has."
»Zwar habe ich Diskriminierung (und die Angst davor) in unendlich geringerer Dosierung selbst erlebt und meine genau zu wissen, worum es geht – aber genau deshalb bin ich der Falsche für dieses Buch. Es geht mir viel zu nah. Die Worte würde ich finden können. Aber ich will nicht nach ihnen suchen, will sie nicht aus mir herausholen und durch mich hindurchschicken. Ich will nicht diese Stimme werden.«
»[...] while I’ve experienced discrimination (and the fear of it) myself in infinitely smaller doses, and I believe I know exactly what lies beneath it – this is exactly why I am the wrong person for this book. It hits far too close to home for me. I could find the words. But I don’t want to look for them, don’t want to get them out of me and convey them through myself. I don’t want to become that voice.«
»Mit dieser Haltung kommt man jedoch weder dem Weltfrieden noch einer guten Übersetzung näher, und beide hängen meiner Meinung nach unmittelbar zusammen. Denn die ganze Idee der Übersetzung an sich, auch als das, was man einstmals mit Völkerverständigung bezeichnete, wird ad absurdum geführt, wenn die Voraussetzung für sie ist, dass sich Autorin und Übersetzerin (männliche Form stets mitgemeint) möglichst ähnlich sein müssen (wobei sich noch die Frage stellt, was Ähnlichkeit eigentlich ist).«
"But this attitude doesn’t bring us closer to world peace, nor does it lead to good translations. The two, I’d argue, are directly linked: the whole idea of translation as such – and also as a form of what used to be called “intercultural understanding” – is reduced to absurdity if the prerequisite for it is that author and translator be as similar as possible. (This begs the question of what similarity actually means.)"
»Und es geht, wie gesagt, nicht ohne diesen Mut, gerade bei Texten, die mir selbst nicht nahe liegen, denn sie führen ja zu einer Erweiterung nicht nur des Übersetzerinnen-, sondern auch des oft so viel verzagteren Alltags-Ichs: Wenn ich mich beim und im Übersetzen von Texten berühren lasse, verändern sie mich.«
"Like I said, translation isn’t possible without courage. Especially when there is distance between myself and the text. Translating, in this case, extends both my translator-self and my frequently disheartened everyday-self. I'm changed by the texts I translate when I allow myself to be touched by them."
»Wir glauben, dass wir mit dieser Vermittlungsarbeit einen Prozess der Hinterfragung anstoßen können – einen Prozess, den wir nur zu gut kennen, weil wir ihn selbst durchlaufen haben, ohne behaupten zu können, irgendwie fertig oder irgendwo angekommen zu sein. [...] Wir brauchten ein Format, das über die bloße Veröffentlichung eines Buches hinausgeht, wir brauchten die Theaterbühne, um unsere Berührungsängste zu überwinden.«
» We realised that we would not be able to go it alone and that we needed a format that included staged readings, panels, a workshop, and an intense exchange between the French-language authors and their translators, directors, and actors in a German-language context. We needed a format that went beyond simply publishing a book, we needed the stage to overcome our Berührungsängste, our fear of touch. «
»Überrascht hat mich meine vage Scheu vor Texten, die mir doch seit vielen Jahren so vertraut sind. Vielleicht, weil ich wusste, wie schwierig nicht nur der sprachliche, sondern vor allem der kulturelle Transfer sein kann – insbesondere, wenn der Text explizit einfordert, Sprache in Handeln für die Verwirklichung positiver Visionen von einer anderen Welt zu verwandeln.«
»I was surprised by my vague hesitance toward texts that have been so familiar to me for so many years. Perhaps because I knew how difficult the transfer can be linguistically, particularly in cultural terms, when the text explicitly demands transforming language into action for the realization of positive visions of a different world.«
Veranstaltung im Literarischen Colloquium Berlin:
»Sister Outsider« – Audre Lorde
Buchpremiere, Screening, Gespräch, Szenische Lesungen, TOLEDO TALKS
Stream vom 22.04.21
»La dimensión somática de la traducción aparece durante el camino. Viajo agazapada, traduzco al andar, hay cuerpo en esa operación racional de mi mente traductora y mente en la última célula de mi cuerpo, en lo más profundo, que es la piel.«
»Das somatische Ausmaß des Übersetzens zeigt sich auf der Strecke. Ich reise geduckt, übersetze unterwegs, etwas Körperliches steckt im übersetzerischen Handeln meines Verstands und Verstand noch in der letzten Zelle meines Körpers, im Tiefsten, in der Haut.«
"The somatic dimension of translation emerges during the journey. I travel crouching, translate as I go; there’s body in that rational operation of my translating mind and mind in the last cell of my body, the deepest is the skin."
»Toute la difficulté mais aussi toute la beauté de la traduction découlent de là : respecter l’autre en tant qu’autre, avoir acquis une compréhension suffisamment profonde de sa langue poétique pour pouvoir la revêtir comme une seconde peau, que l’on endosse tout en la tissant.«
»Die ganze Schwierigkeit, aber auch die Schönheit der Übersetzung rührt daher: Das Andere als Anderes zu respektieren, ein tiefgreifendes Verständnis seiner lyrischen Sprache zu erwerben, um sie in dem gleichen Moment, in dem man sie webt, wie eine zweite Haut überzustreifen.«
"That is what makes all the difficulty, but also the beauty, of translation—respecting the other as other, possessing a deep enough understanding of his or her poetic language to be able to slip into it like a second skin, weaving it even as you pull it on."
מי שהוציא אותי מהבוץ היה רמרק עצמו. בריאיון טלוויזיה איתו על ״במערב אין כל חדש״ הוא אמר: ״הנושא שכתבתי עליו היה בעצם נושא אנושי גרידא, לאמור שצעירים בני שמונה עשרה, שאמורים היו בעצם להתייצב מול החיים, נשלחו לפתע אל מול פני המוות.״
»Aus diesem Sumpf gezogen hat mich kein anderer als Remarque persönlich. In einem Fernsehinterview über Im Westen nichts Neues sagte er: „Mein eigentliches Thema war ein rein menschliches Thema, dass man junge Menschen von 18 Jahren, die eigentlich dem Leben gegenübergestellt werden sollten, plötzlich dem Tode gegenüberstellt.“«
'Eventually it was Remarque himself who pulled me out of this rut. On a television interview about All Quiet on the Western Front, he once noted: “My subject matter was in fact purely human, that is, 18-year-olds who were meant to face life, then suddenly sent to face death.”'
Grenzverletzungen bei Wolfgang Hilbig
»Übersetze ich als Frau den Autor als Mann? Inzwischen nehme ich beim Denken darüber eine Haltung ein, von der ich kaum noch sagen kann, ob sie die Meine ist, so sehr ist sie von einer Überfülle an öffentlichen Haltungen bestimmt. Vielleicht ahme ich eine mir vorgeführte Haltung nach. Vielleicht nehme ich vielmehr reflexiv die Entgegengesetzte ein, aus Trotz oder – positiver ausgedrückt – dem Drang zum Ausgleich.«
Transgressing Boundaries with Wolfgang Hilbig
»Do I translate as a woman? Do I translate the author as a man? At this point in the current debate, these questions make me adopt an attitude that I’m not quite sure is really mine – it’s so heavily shaped by the discourse. Maybe I’m imitating one of the attitudes on display. Or maybe I’m automatically assuming the opposite attitude, out of orneryness or (a nicer way of putting it) a compensatory instinct.«
»Bei diesem „Unterschied ums Ganze“ setzt meine Aufgabe als Übersetzer an. Weil sich meine Persönlichkeit und meine Identität aus anderen biographischen Elementen und familiengeschichtlich vermittelten historischen Fakten zusammensetzen als die von Joshua Cohen, ist mein übersetzendes Lesen von Witz mitunter schmerzliche Arbeit an meinem kulturellen Vorverständnis.«
»My task as a translator begins with this ‘absolute difference’. Because my personality and my identity have been formed from different biographical elements and different historical facts mediated through family history than Joshua Cohen’s has, my exacting reading of Witz as a translator occasionally entailed painful work on my cultural pre-understanding.«
»French, my mother tongue, comes first, closely followed by English, its sister from another mother, so to speak. German and Spanish came into my life later, but also more or less at the same time: I like to think of them as adopted, heterozygous twins. I often slip or code switch. Keeping my languages in check requires constant efforts.«
»Meine Muttersprache Französisch kommt zuerst, dicht gefolgt von Englisch, ihrer Schwester von einer anderen Mutter sozusagen. Deutsch und Spanisch sind später in mein Leben gekommen: Ich betrachte sie als adoptierte, heterozygote Zwillinge.«
»Un malaise récurrent me prenait en ouvrant le livre, j’en faisais des cauchemars – et pour la première fois, j’éprouvais la fameuse « peur de la page blanche », dont je croyais les traductrices et traducteurs par essence épargnés. Je la fixais, l’esprit vide.«
»Ein hartnäckiges Unwohlsein packte mich, sobald ich das Buch aufschlug, es verfolgte mich bis in meine Träume – und zum ersten Mal hatte ich mit der berühmten Schreibblockade zu kämpfen, vor der ich immer geglaubt hatte, als Übersetzerin grundsätzlich gefeit zu sein. Mit leerem Kopf starrte ich auf die leere Seite.«
»I had nightmares—and for the first time in my life I was crippled by the famous ‘fear of a blank page’ which until then I had thought translators immune to. I stared at the empty screen, my mind drained.«
»Erdhi momenti i përkthimit të romanit “Kafsha e zemrës”/ ”Herztier” nga gjermanishtja në shqip dhe përballja me të m’i përfshiu të gjitha shqisat. Më përfshiu të gjithë kohën. Gjithë ditën, madje edhe gjumin e natës.«
»Als man mir die Übersetzung des Romans „Herztier“ der Nobelpreisträgerin Herta Müller anvertraute, erfasste die Konfrontation damit alle meine Sinne. Eine regelrechte Panik erfasste mich, raubte mir den Schlaf. Es war eine völlig neue, irritierende Erfahrung, und sie ging nicht zurück auf die Sorge, einem literarischen Text nicht gewachsen zu sein.«
»When I was entrusted with the translation of the novel Herztier by the Nobel laureate Herta Müller, the confrontation with this engulfed my senses. I was seized by a true panic and it robbed me of my sleep.«
»Ces lignes en forme de corde à sauter, qui tracent une frontière entre l’autre et moi, qui délimitent des espaces et, toujours, se montrent impuissantes à décrire tout ce qui se joue dans cette zone qui va de l’autre à moi et de moi à l’autre, serpentent aussi autour des livres.«
»Diese Linien in Form eines Springseils, die eine Grenze zwischen dem anderen und mir ziehen, die Räume begrenzen und stets machtlos sind, wenn es darum geht zu beschreiben, was sich in dem Bereich abspielt, der vom anderen zu mir und von mir zum anderen führt, schlängeln sich auch um die Bücher.«
»These lines that loop around me like a skipping rope, drawing a boundary between me and the Other, marking out spaces, incapable of describing what goes on in this zone that stretches from the Other to me and from me to the Other—these lines also trace boundaries around books.«
Amanda Gorman in deutscher Übersetzung. Podiumsgespräch
Amanda Gormans »The Hill We Climb« wurde durch ihren Auftritt bei der Amtseinführung von Joe Biden innerhalb kürzester Zeit berühmt. Die Bekanntgabe, dass Marieke Lucas Rijneveld als weiße Person die niederländische Übersetzung des Textes übernehmen sollte, löste große identitätspolitische Diskussionen aus, die schließlich im Rücktritt Rijnevelds mündeten.
»Allmählich wurde mir klar, dass diese Sprache nicht nur schön klingt, sondern auch die Grenzen meiner Welt verschieben kann. Zu Hause rief meine Liebe zur deutschen Sprache eher verhaltende Reaktionen hervor: „aber es gibt doch so viele schöne Sprachen auf der Welt!“ Meine spätere Berufswahl stieß auf ähnlich gedämpfte Begeisterung, zuletzt auf ein resigniertes „na gut, die Sprache des Feindes muss man können“.«
»It slowly dawned on me that as well as sounding beautiful, this new language had the power to shift my world’s borders. At home, my love of the German language met with a less than enthusiastic reaction: “But there are so many nicer languages in the world!” people said. My later career choice was just as coolly received; “Oh well, someone needs to speak the language of the enemy, I suppose,” is still a common response.«
»J’ai renoncé à traduire. Ce dilemme abstrait tant qu’on n’y est pas confronté de savoir si l’on peut traduire un texte qui va à l’encontre de ses opinions personnelles, et qu’on espère ne pas avoir à trancher (...) ce dilemme donc n’en était plus un arrivé à ce point.«
»Ich habe das Handtuch geworfen. Jenes Dilemma, das abstrakt bleibt, solange man sich nicht mit der Wahl konfrontiert sieht, ob man einen Text übersetzen kann, der im Widerspruch zu den eigenen Meinungen steht, und man der Entscheidung aus dem Weg zu gehen hofft, (...) jenes Dilemma also war an diesem Punkt keines mehr.«
»I turned down the translation. This dilemma, abstract until you are confronted with it, of whether you can translate a text that goes against your personal opinions, is something you hope never to have to decide upon, because the choice between earning a crust and sticking to your morals is anything but easy given the precariousness of your condition as a translator. But it was no longer a dilemma at this point.«
»Vor etwa zehn Jahren erhielt ich den schönen Auftrag, den autobiographischen Roman einer deutschen Autorin ins Ungarische übersetzen. Dass die Autorin in meinem Alter war, schien zunächst irrelevant zu sein, aber schon während der ersten Lektüre des Buches empfand ich, was ich hin und wieder gegenüber Autorinnen und Autoren, deren Werke ich übersetze, empfinde: eine Vertrautheit, ja seelische Verwandschaft, als seien wir Zwillinge. [...] Kurzum: ich hörte meine eigene Stimme in dem Buch, es beflügelte meine Arbeit.«
"Around ten years ago, I received the pleasant request to translate a German author’s autobiographical novel into Hungarian. The fact that the author was my age seemed irrelevant at first, but already during the first reading of the book, I felt what I sometimes feel towards authors whose works I translate: a familiarity, even a spiritual kinship – as if we were twins. I was particularly impressed by the matter-of-fact, detached, and ironic narrative tone, which was soothing in view of the expanse of the emotions and tragedy of the events depicted, and which I also like to echo in my own writing. In short, I heard my own voice in the book. It gave my work some wings".
»In these times of confinement and distancing, I’ve been thinking often about the desire for communion, for intimacy, for close contact with a kindred spirit or an admired mind. As so often happens, there is a perfect term in German to convey and give form to this feeling: Berührungssehnsucht. It is this desire for communion that is my principal drive as a translator.«
»In diesen Zeiten des Lockdowns und Abstandhaltens habe ich viel über die Sehnsucht nach Gemeinschaft, nach Nähe, nach einem engen Kontakt zu einer verwandten Seele oder einem klugen Kopf nachgedacht. Wie so häufig existiert auf Deutsch ein perfekter Begriff, um dieses Gefühl zu vermitteln und ihm eine Form zu geben: Berührungssehnsucht.«
Wenn das Genie mitliest
»Weil viele meiner Autor·innen fließend Englisch können, denke ich auch an sie, da sie unweigerlich mitlesen. Wer kann schon ermessen, wie groß der Einfluss ist, den sie auf mich haben, wenn ich sie unbewusst mitadressiere. Diese Berührungsangst habe ich weitgehend überwunden, doch sie lauert immer noch im Hintergrund. Bin ich der Aufgabe gewachsen, die Wünsche des Genies zu erfüllen? Kann ich Lyrik und Prosa überhaupt (nach-)schreiben? Indem meine Autor·innen mitlesen, mitdenken, mitschreiben, wandern sie – ihr Geist – mit in die Flasche, gehen mit auf die Reise ins Ungewisse. Wer weiß schon, von wem die Flasche gefunden wird.«
When the genius looks over your shoulder
»Because many of my authors are fluent in English, I also think of them as well, since they inevitably read along. Who can know how great an influence they have on me when I am unwittingly writing to them as well? I have largely overcome this Berührungsangst, but it still lurks in the background. Am I up to the task of fulfilling the wishes of a genius? Can I even (re)write poetry and prose? By reading along, thinking along, writing along, my authors – and their spirits – move into the bottle with me, go along on a journey into the unknown. Who knows who will find the bottle?«
»Il est communément admis qu’on ne sort pas indemne de certaines lectures, mais que dire alors de certaines traductions ? Du malaise ressenti au moment de transposer dans ma langue maternelle certaines émotions ou atmosphères, dérangeantes, malsaines, il reste des traces.«
»Fast jede·r würde unterschreiben, dass man aus so mancher Lektüre nicht unbeschadet hervorgeht, was aber ist mit manchen Übersetzungen? Vom Unbehagen, das mich befällt, wenn ich verstörende und negative Gefühle oder Stimmungen in meine Muttersprache übertrage? Natürlich hinterlässt das Spuren.«
»It is commonly accepted that you do not emerge unscathed from reading certain books, but what to say about translating them? Traces remain of the discomfort I felt when transposing some disturbing and unhealthy emotions or atmospheres into my mother tongue. Images that imprinted themselves on my brain, modifying my perception of certain situations, of certain objects in the world around me.«
»La vraie question que je souhaite me poser en tant qu’être humain, et donc en tant qu’autrice et traductrice, puisque mon métier consiste à dire le monde – le mien et celui d’une autre personne – avec mes mots, c’est : comment puis-je être une bonne alliée ?«
»Die eigentliche Frage, die ich mir als Mensch stellen will – und mithin als Autorin und Übersetzerin, denn meine Arbeit besteht darin, die Welt (meine eigene Welt und die anderer) in meinen Worten zu erzählen – diese Frage lautet: Wie kann ich eine gute Verbündete sein?«
»The real question I want to ask myself as a human being, and therefore as a writer and translator, since my job is to portray the world – mine and someone else's – with my words, is: how can I be a good ally?«
»L‘une de mes Berührungsängste était en effet non pas l’intuition que je ne disposais pas de l’horizon d’expériences nécessaire, mais au contraire, que j’étais trop proche de mon texte pour garder la distance salutaire à toute bonne traduction.«
»Eine meiner Berührungsängste bestand tatsächlich weniger in dem Gefühl, nicht den notwendigen Erfahrungshorizont zu besitzen, sondern im Gegenteil, ich stand meinem Text viel zu nah, um die nötige Distanz zu wahren, die jeder Übersetzung gut tut.«
»One of my Berührungsängste was indeed not the intuition that I did not have the necessary horizon of experience, but on the contrary, that I was too close to my text to maintain the healthy distance needed to produce a good translation.«
– Mais tu continues à penser que ça aurait dû être traduit par quelqu'un d’autre ?
– Je pense que ce serait bien qu'il y ait plusieurs traductions.
– Aber trotzdem findest du, dass das möglichst von jemand anderem hätte übersetzt werden sollen?
– Naja, ich denke, es wäre gut, wenn es mehrere Übersetzungen gäbe.
»Ich habe Berührungsängste meinem Land gegenüber. Was als Allüre begann, hat sich spätestens seit 2018, der Wahl Bolsonaros zum Präsidenten, zur Krankheit, zum Syndrom ausgewachsen. Ich bin krank an Brasilien, und an dem von Dummheit, Grobheit und Blutgier Besessenen an der Macht. Der schlechteste Präsident in der Geschichte dieses Landes, der meint, die Diktatur habe einen Fehler begangen, indem sie nur gefoltert hat, wo sie hätte töten müssen, genießt in der Bevölkerung auch weiterhin einen Zustimmungswert von ungefähr 40%.«
"I have Berührungsängste – fear of touch, contact, engagement – toward my country. What began as an affectation, no later than Bolsonaro’s election in 2018, had become a disease, a syndrome. I’m sick of Brazil, and of the man in power who is obsessed with stupidity, crudeness, and bloodlust. The worst president in the history of this country, who believes the dictatorship started with a mistake – only torturing where it should have killed – continues to enjoy an approval rating of about 40% nationally."
»Ängste hatte ich immer schon viele: vor anderen Menschen, vor lauten Zügen, vor Großstadt und Einsamkeit. Vor dem leeren weißen Blatt. Wahrscheinlich deswegen ist die Übersetzung in meinem Leben einst so wichtig geworden – sie öffnete mir den Großraum Literatur, blieb aber mit dem Gefühl der Nähe und Intimität verbunden. Mit 23 glaubte ich, mich hinter der Autor·in verstecken zu können, übersetzend meine literarische Stimme zu erheben, ohne mich direkt angreifbar zu machen.«
"I've always scared easily. I’ve been scared of other people, loud trains, big cities, loneliness. And of the blank page. Maybe that’s why translation assumed such an important role in my life when I discovered it many years ago: it opened the world of literature to me, yet it also created a sense of closeness and intimacy. At the age of 23, I thought I could hide behind the author, that I could find my literary voice without laying myself open to attack."
»Eure Einladung erreicht mich in der von außen betrachtet ruhigsten, sesshaftesten Periode meines Lebens, doch unter der lächelnden Oberfläche brodelt es gewaltig – keine Vorahnung, sondern Gewissheit: Es kommen härtere Tage. Meine bisherige Lebensstrategie war stets die Flucht – nur weg, immer weiter. Jetzt aber bin ich auf das innere Exil, auf ein Kopfdasein via ZOOM reduziert, bei dem man allem in die Augen schauen muss. In der Corona-Windstille und im Halbschlaf kommt alles hoch.«
»Your invitation reaches me in what is – seen from the outside – the calmest, most settled period of my life, but beneath the smiling surface there is an incredible churning – not a foreboding, but rather, certainty: harder days are coming.«
»Die bisher größte Berührungsangst beim Übersetzen erlebte ich bei der Neuübersetzung von Thomas Manns „Tonio Kröger“. Das Werk ist auch in Japan sehr bekannt, wurde mehrfach von renommierten Germanist·innen und Übersetzer·innen ins Japanische übersetzt – einige dieser Übersetzungen haben ihrerseits Klassikerstatus.«
"The greatest Berührungsangst – fear of touch, contact, engagement – I have experienced so far as a translator was with my new translation of Thomas Mann’s Tonio Kröger. The work is also very well known in Japan, and has been translated into Japanese several times by renowned German scholars and translators – for their part, some of these translations have classic status."
»Eine Übersetzerin, die den Mut hat, die vielen Tabuzonen zu berühren, muss mit Ärger rechnen. Als ich Ilija Trojanows „Der Weltensammler“ ins Usbekische übersetzte, wurden die Beschreibungen weiblicher Nacktheit oder Andeutungen körperlicher Annäherungen zensiert.«
"There are many taboo zones. A translator who dares to go near them can expect trouble. When I translated Ilja Trojanow's The Collector of Worlds into Uzbek, descriptions of female nudity and allusions to physical intimacy were censored."
»[...] Als Übersetzerin muss ich mich in seinen Kopf hineinschleichen, ihn aus der Nähe und aus der Distanz betrachten, die Spielanordnung des Autors studieren, irgendwie nachahmen. Ich muss Fabers Stimme hören, nicht nur im übertragenen Sinne, als Verkörperung der Syntax, sondern seine ganz reale: wie klingt sie?«
"[...] As a translator, I have to get inside his head, look at him up close and from a distance, study the author’s construction and somehow mimic it. I have to hear Faber’s voice, not just figuratively, as an embodiment of syntax, but his very real one: What does it sound like?"
»[...] Schwierig sind zur gleichen Zeit die Annäherungsversuche an Thomas Melles Die Welt im Rücken – eine längst überfällige, immer wieder unterbrochene Übersetzung, deren Stoff rund um die bipolare Erkrankung des Autors („wenn die Neuronen außer Rand und Band feuern“) mich als Hochsensitiven in Mitleidenschaft zieht. Die Arbeiten bedeuten lange Tage am Bildschirm, parallel zum Lockdown mit all seinen Folgen.«
"[...] At the same time, there are difficulties approaching Thomas Melle’s The World at Your Back [Die Welt im Rücken] – a long overdue, repeatedly interrupted translation whose subject matter revolves around the author’s bipolar disorder (‘when the neurons fire out of control’), which strongly affects me as a highly sensitive person. The work means long days in front of a screen, parallel to the lockdown with all its knock-on effects."
»Zu den „Berührungsängsten“ fällt mir als Erstes ein etwas aus der Mode gekommener Begriff ein: Berufsethik. Aspekte der Moral, des Respekts und der kritischen Reserve können sich darin ausdrücken – nicht die schlechtesten Begleiter im Leben als Grenzgänger zwischen den Sprachen und Literaturen.«
"For me, the first thing that comes to mind on the topic of Berührungsängste—fears of touch, of contact—is a somewhat outdated term: professional ethics. Contained within it are considerations of morality, of respect, and of critical restraint—not the worst companions for a life straddling borders between languages and literatures."
»[...] In diesem Moment wurde mir klar, was Zensur eigentlich ist. Sie ist eine Hexe, die Dichter verstummen und erblinden lässt. Mir ging durch den Kopf, dass der iranische Freund mit der Auswahl seiner Gedichte vielleicht vorsichtiger sein sollte. Sie zu publizieren war riskant.«
"[...] In that moment I realised what censorship actually is. It is a witch who silences poets and blinds them. I began considering whether my Iranian friend should be more careful in selecting his poems. Publishing them was risky."
»Vor relativ kurzer Zeit kam die Diskussion darüber auf, ob Schriftsteller und Übersetzer eine Legitimierung im Hinblick auf ihre Themen mitbringen müssen. Es wurde die Ansicht vertreten, sie müssten über den erforderlichen Erfahrungshintergrund verfügen, um einen „sensiblen“ Text entweder zu schreiben oder zu übersetzen. Nachdem ich gerade die Übersetzung des Erzählbandes Der Trost runder Dinge von Clemens Setz abgegeben habe, in der unter anderem auch das Thema einer Panikattacke behandelt wird, kann ich nicht behaupten, dass es mir in irgendeiner Weise geholfen hat, die „legitimierenden“ Kriterien für diesen Auftrag zu erfüllen. Ich habe zwar früher einmal eine Panikattacke durchgemacht, aber das wirkte sich auf die Übersetzung selbst kaum aus.«
"There has been some discussion recently about whether authors and translators ought to prove ‘legitimacy’ when it comes to representing certain themes. One view is that we can only write or translate a ‘sensitive’ text if we ourselves have had the experiences portrayed. Having recently completed my translation of Clemens Setz’s collection of short stories Der Trost runder Dinge (The Comfort of Round Things), which includes a depiction of a panic attack, I can’t say that having this type of ‘legitimacy’ somehow helped me. I have indeed experienced a panic attack, but this had a negligible effect on my translation."
»Eine bestimmte Art von Angst hat mich lange vom Übersetzen abgehalten: Anders als beim literarischen Schreiben hat man immer ein Original vor sich, das einen, so kommt es mir wenigstens vor, permanent anschaut. Einer vorher existierenden Schrift folgen zu müssen, hatte etwas Beängstigendes für mich.«
"For a long time, a peculiar type of fear deterred me from translation: unlike authors, we translators always have the original text in front of us, watching us, or at least that’s how it feels to me. There’s something daunting about having to follow an existing piece of writing."
»Translating, I’m accustomed to taking certain pages of text and transforming them into other pages of text. The blank page is not my home turf; it can be uncomfortable.«
»Beim Übersetzen bin ich es gewohnt, Seiten mit Text in andere Seiten mit Text zu verwandeln. Eine leere Seite ist kein vertrauter Ort für mich und löst ein gewisses Unbehagen aus.«
»1980er Jahre. Wir waren ein dreiköpfiges Team und hatten den Auftrag eines renommierten Teheraner Verlags erhalten, Brechts Gesamtwerk ins Persische zu übersetzen. Nach über zwei Jahren harter Arbeit und der Veröffentlichung der ersten Bände wurde Brecht auf eine schwarze Liste gesetzt. Die islamische Revolution von 1979 hatte gesiegt – Ende des Projekts.«
"The 1980s. We were a team of three and a renowned Tehran publishing house had commissioned us to translate Brecht’s complete works into Persian. After more than two years of hard work and the publication of the first volumes, Brecht was blacklisted. The Islamic Revolution of 1979 had won – and that was the end of the project".
»Bei Anna Seghers‘ Büchern, die einen so direkten historischen Bezug zu Mexiko haben, drängt sich eine mexikanische Variante geradezu auf, zumal die Werke hier wenig bekannt und nur schwer erhältlich sind.«
»Given that they have such a direct historical link to Mexico yet are practically unknown here, with copies very hard to track down, Anna Seghers’s books are virtually crying out for Mexican Spanish editions.«
»Etwas nicht berühren zu können, ist viel schlimmer. Dann hat die Angst gar keine Chance, wegzugehen. Vielleicht weil ich in dieser Nacht Zeugin einer wahren Berührung zweier Geschichten war, glaube ich an dieses Mittel noch immer.«
»Not being able to touch something is far worse, I thought, because there’s no way to release the fear. Perhaps it is because of this night on the train, when I witnessed two stories truly “touch“ each other, that I believe in the power and importance of touch.«
- Hattest du Berührungsängste, als du mich übersetzt hast?
- Ich hab sie immer noch.