TALKS Berührungsängste Die Sprache des Feindes
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Die Sprache des Feindes

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Den ersten Fremdsprachenunterricht erhielt ich an meiner polnischen Schule mit 12 Jahren. Das war 1992, Russisch war gerade unpopulär geworden. Die Russischlehrerin hatte man in den Sommerferien umqualifiziert: Zum Schulbeginn am 1. September stand sie als Deutschlehrerin vor unserer Klasse, nahm ein Buch in die Hand und sagte: „Das ist ein Buch“. Es war Liebe auf den ersten Satz – so etwas Schönes hatte ich noch nie vorher gehört.

Eine neu angeschaffte Satellitenschüssel verschaffte mir Zugang zur Welt von RTL und Pro7 mit ihren grellen Werbespots – und erste Erfolge im Hörverständnis. Allmählich wurde mir klar, dass diese Sprache nicht nur schön klingt, sondern auch die Grenzen meiner Welt verschieben kann. Zu Hause rief meine Liebe zur deutschen Sprache eher verhaltende Reaktionen hervor: „aber es gibt doch so viele schöne Sprachen auf der Welt!“ Meine spätere Berufswahl stieß auf ähnlich gedämpfte Begeisterung, zuletzt auf ein resigniertes „na gut, die Sprache des Feindes muss man können“.

In der Oberschule nannte mich mein Italienischlehrer „Achse Berlin-Rom-Tokio“, oft mit dem Nachsatz: „Nur noch Japanisch lernen, Iwona, dann hast du sie alle“. Als wir im Polnischunterricht das Buch „Gespräche mit dem Henker“ lasen, inszenierte die Lehrerin einen Gerichtsprozess, bei dem man mir auftrug, den SS-Verbrecher zu verteidigen. Es machte mich wütend, dass meine Liebe zur deutschen Sprache immer mit der Geschichte, und zwar allein mit diesem Teil der Geschichte zusammengebracht wurde! Zwei Wochen lang schmiedete ich Rachepläne, steigerte mich so hinein, dass ich zu guter Letzt eine flammende Verteidigungsrede hielt, nach der die Klasse den Verbrecher freisprach. Am Ende waren wir alle unzufrieden.

Meine Oma sagte mir einmal, ich sei jemand anderes, wenn ich Deutsch spreche. Eine junge Schauspielerin verlangte von mir, in ihrer Gegenwart kein Deutsch zu sprechen, weil sie regelmäßig von den Kriegsalpträumen ihrer Vorfahren heimgesucht wird. Auch ich träumte schon davon, von polnischen Partisanen gefoltert zu werden – wegen Landesverrats. Es war am Anfang einer Beziehung mit einem Deutschen. Für den es anscheinend auch nicht einfach war, mit einer Polin zusammen zu sein. Bei einem romantischen Essen bat er mich um Verzeihung für die in deutschem Namen begangenen Sünden am polnischen Volk. Die Beziehung hielt nicht besonders lange.

Ich werde oft gefragt, warum eigentlich Deutsch? Was im Subtext heißt: was ist denn mit Dir los? Wenn ich meinen Beruf erwähne, kommt häufig ein provozierender Spruch. In letzter Zeit sage ich eher, dass ich Theatertexte übersetze, meistens wird dann nicht weiter nach der Sprachenkombination gefragt. Die Spannungen haben in den letzten Jahren eher zugenommen. 2016 wurde ein polnischer Professor in der Warschauer Straßenbahn angegriffen, weil er mit seinem Kollegen Deutsch gesprochen hatte.  Ich schaue mir die Mitfahrgäste im Zug genauer an, bevor ich entscheide, welches Buch ich aus der Tasche ziehe. Vorsichtshalber habe ich immer auch ein polnisches dabei.

Meine erste Übersetzung – dem Stereotyp entkommt man nur schwer – war ein Theaterstück über Emmy Göring. Ein Monolog von Frau Göring, oder von einer Person, die glaubt, sie zu sein, und jetzt im Wartezimmer beim Zahnarzt sitzt, weil aus ihrem Weisheitszahn etwas spricht: Gedanken, die mit ihrer Weltanschauung und der ihres Mannes nicht unbedingt übereinstimmen. Solch ein fremder, neuer Text, den man noch nicht erschlossen hat, der Widerstand leistet, kann einen zunächst verunsichern. Danach kommt ein schwieriger, aber auch schöner Prozess der Domestizierung dieses fremden Tiers. Mit Phasen der Vergötterung und Phasen der Ratlosigkeit oder gar des Hasses. Wie auch der Unsicherheit, ob man es bis zum letzten Satz schafft. Es ist immer eine Reise ins Ungewisse; zwar hat man eine Landkarte, aber der richtige Weg ist nirgendwo gekennzeichnet und man weiß nie, an welcher Stelle der Höhepunkt der Verzweiflung kommen wird. Wo man sich mitten auf die Straße setzt und sagt: ich kann nicht mehr. Und der kommt bei jeder Übersetzung. Wenn nicht: umso schlimmer, da besteht die Gefahr, dass man in eine Falle geraten ist, ohne sie als Falle erkannt zu haben. Mehr noch als die Verzweiflung fürchte ich die Berührung mit Texten, die mich nicht berühren.

Das Wort „Niemcy“ (Deutsche und Deutschland zugleich) kommt im Polnischen von dem Wort niemy, „stumm“. Sie sprachen eine Sprache, die keiner verstand, daher sprach man ihnen die Fähigkeit des Sprechens ab. Als Übersetzerin bin ich eine unsichtbare Person, die einer stummen Sprache Stimme und Bedeutung gibt. Klingt ein wenig magisch.

Und tatsächlich ist Übersetzung ein ziemlich magischer Prozess, dem Schauspiel nicht unähnlich. Ich bekomme einen Text, den ich in einer anderen Sprache „spielen“ muss. Als hätte ich ihn nicht nur selbst geschrieben, sondern auch erlebt. Es ist gar nicht so einfach, von dieser Bühne zurück zu kommen. Die Einfühlung kann zu weit gehen, man kann in fremden Gedanken ertrinken. Ich bin ein psychosomatischer Typ, bekomme sofort Fieber, wenn jemand in der Nähe Fieber hat. In den letzten Jahren habe ich Texte übersetzt, in denen Kindesmissbrauch, Sterbehilfe, Krieg, Folter, Gewalt vorkamen. Auch deswegen musste ich mir 2019 ein Jahr Pause auferlegen.

Ich bin eine ängstliche Person, habe aber immer gedacht, mit dem Übersetzen ein Feld gefunden zu haben, wo Ängste keine Rolle spielen. Wo ich mich zu Hause fühle. Die deutsche Sprache war immer etwas, das ich mir ausgesucht und angeeignet habe, Ausdruck meiner Autonomie. Weil diese Sprache für mich ein „safe space“ in der Jugendzeit war, meine Geheimsprache, in der ich sogar mein Tagebuch geschrieben habe. Aber ganz ohne Ängste geht es nicht. Sie gehören zum Leben dazu, zum Mechanismus des Überlebens. Nur darf es nicht zu viel davon sein. Angst... essen Seele auf.

 

18.12.2020
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© privat

Iwona Nowacka ist Übersetzerin und Kuratorin von Theater- und Literaturprojekten und Teil des freien performativen Minikollektivs Turkowski & Nowacka. Ins Polnische übersetzte sie Werke u.a. von Rainer Werner Fassbinder, Werner Fritsch, Juli Zeh, Falk Richter, Gesine Danckwart, Daniela Dröscher, Andres Veiel, Katja Brunner, Bonn Park, Milo Rau, Sibylle Berg. Sie lebt in Szczecin.

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