Alle sein
Lange Zeit wollte ich eine andere sein. Wie wir alle? Wie bestimmt viele als Kinder.
Es lag nicht daran, dass es nicht gut war, ich zu sein. Bis auf die Einsamkeit und Langeweile, die ich gelegentlich (oft? ich weiß es nicht mehr genau) verspürte – nicht als zweierlei im übrigen, sondern als ein Gefühl, Langekeit, Eingeweile –, ging es mir gut. Ich war extrem schüchtern, aber behütet und geliebt, und mein Leben war keines, aus dem man dringend hätte fliehen müssen.
Trotzdem entwickelte ich irgendwann in der Kindergartenzeit einen seltsamen Tick, der ungefähr bis in die erste, zweite Schulklasse anhielt und in meiner Familie bis heute Anekdotenmaterial ist; das Genre heißt Diebinich: die bin ich, so meine kindlichen Worte beim Anblick einer Person, meist einer Abbildung, die mein glühendes Verlangen nach (Ab- und?) Anverwandlung weckte.
Meine Wahl fiel oft auf ganz banale Gestalten, Fotomodelle in einem Versandhauskatalog zum Beispiel, oder in einer der Schnittmusterzeitschriften, die meine Mutter kaufte. Figuren von größter Harmlosigkeit, deren betörender Reiz (behaupte ich heute) allein darin lag, dass sie ganz anders waren als ich: erwachsen, schön, und mit langen Haaren, die sich Bürste und Schwerkraft fügten (anders als meine kurzen Locken, die jeden Versuch einer Frisur mit lächerlichem Zu-Berge-Stehen beantworteten). Diese Figuren hatten keine Geschichte, kein Drama verbarg sich hinter ihren glatten Gesichtern, sie waren ganz in ihrem Äußeren enthalten, und in dieses Äußere zog ich in meiner Vorstellung nun ein.
Verbunden damit war das Namenspiel, das eigentlich dem Wunsch entsprang, „normal“ zu sein, sich aber mit dem beschriebenen magischen Effekt verband – Susi Tina Claudia! so heiß ich, die bin ich! –, und erst mit dem fremden Namen, den ich mir überzog und aneignete, war die Verwandlung komplett. Dass meine Familie dabei nur lächelnd, spöttelnd oder oft auch gar nicht mitspielte, war ärgerlich, verhinderte das Spiel aber nicht. Es dauerte manchmal Minuten, manchmal Stunden, überdauerte nie eine Nacht. Das Theater fand vor allem in meinem Kopf statt und löste dort ein kurzes, aber intensives Gefühl von beglückender Freiheit aus.
An die Stelle dieses verlängerten Vexier-Spiegelstadiums trat wenig später – ich rekonstruiere – das Lesen. Die Erlösung von der Eingeweile, die Rettung vorm öden Ich, der Ausweg aus dem sattsam bekannten eigenen Leben in ein anderes. Ich las früh und wir wohnten direkt gegenüber der Stadtbücherei, schon mit sechs Jahren stand mir folglich die Welt offen, und ich machte davon exzessiven Gebrauch (weitere Bilder aus dem Album der Familienanekdoten zeigen das lesende Kind auf der Wiese im Freibad, beim Essen, morgens im Bett, abends im Bett, beim Zähneputzen, auf dem Schulweg – zu Fuß, das Buch in der Hand).
Ich war nicht nur eine gierige, sondern auch eine radikal identifikatorische Leserin. Nils-Karlsson Däumling, der Kater Mikesch, Momo, Winnetou, Winnetous Schwester, die Detektivin Harriet, die querschnittgelähmte, die verwaiste, die ungewollt schwangere jugendliche Heldin, ich war sie alle, ich trug meine neuen Identitäten in schneller Frequenz stapelweise über die Straße und zurück und spazierte bald aus der Kinder- in die Jugendabteilung weiter. Die Push-Faktoren, die mich aus meiner eigenen Existenz vertrieben, nahmen mit der Zeit eher ab (am Horizont tauchten Freundinnen auf, die Schüchternheit legte sich ein wenig), die Pull-Faktoren blieben mächtig. Jetzt war es nicht mehr so sehr die magische Ausstrahlung der Schönheit und Vollendung, die die anderen umgab und mich anzog, sondern das interessante Leben, die Intensität der Empfindungen, die Neuheit der Gedanken, die Tiefe der Farben.
Die Jugendabteilung im ersten Stock trennte nur eine offene Treppe von den Erwachsenenregalen. Ich wählte nach Titel und erstem Eindruck bei kurzem Blättern, eine über weite Strecken paradiesisch uninformierte Leserin (ich weiß, dass die milde erstaunte Bibliothekarin einmal meine Eltern kontaktiert hat, um sich zu erkundigen, ob sie über meine Lektüren auf dem Laufenden seien); manche Türen gingen auf Anhieb auf, andere sperrten sich oder blieben verschlossen, mit der identifikatorischen Lektüre wurde es jedenfalls schwieriger.
Mit vielleicht vierzehn, fünfzehn stieß ich, um ein Beispiel für eine äußerst schwergängige Tür in einen fremden Kosmos zu nennen, auf den ersten Band der Suche nach der verlorenen Zeit. „Eine Liebe von Swann“ fühlte sich an wie eine Sehstörung, eine Krankheit: keiner der Punkte, auf den der Blick sich richten wollte, hielt, was er versprach, alles wechselte ständig Farbe und Temperatur, Größe und Form, ich war irritiert und entnervt. Einige Jahre später dagegen, bei meinem zweiten Anlauf, verfiel ich dem ersten wie allen folgenden Bänden sofort: Ich lag, diesmal wirklich krank, in einem Ferienwohnungsbett in den Alpen, konnte tagelang kein Wort sprechen und auch kaum etwas schlucken, und las. Und lag und las und laglas in den elastischen, schwingenden Netzen des Proustschen, Rechel-Mertensschen Satzbaus und genoss die optischen Effekte, die mir zuvor einen lästigen Schwindel verursacht hatten. Es war nicht die erste, aber eine sehr prägnante Erfahrung einer anderen Art von Begehren – deren Objekt nicht mehr eine Person, eine Figur aus einer fiktiven Welt war, sondern die Art, wie sie mitsamt dieser Welt vor meinen Augen aus Sprache entstand. Ein Textbegehren.
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Ich kürze ab: Natürlich hat auch der Sog, der vom Erlernen einer anderen Sprache ausgeht, mit der Verlockung zu tun, eine andere zu werden. Entsprechend hemmungslos gab ich mich auch diesem Laster hin. Was für eine Hochstapelei, was für ein Seiltanz, was für eine grandiose Gelegenheit zum Umstieg in fremde Töne, Geräusche, Stimmlagen, Idiome, Flüche, Spitzfindigkeiten, Zärtlichkeiten, Pointen. Als die sprech ich! Und morgen als eine andere! Die goldenen Trompeten des Verrats, wie es bei Kundera hieß ...
Und natürlich liegt es auf der Hand, dass auch der Beruf, bei dem ich einige Zeit später eher allmählich gelandet bin, mit derselben Leidenschaft zu tun hat. Die Erkennungsmelodie des Übersetzens wird von denselben goldenen Trompeten gespielt; es ist eine darstellende, eine Verwandlungskunst, trügerisch von Natur.
Darstellende Kunst? Sehen wir uns das näher an: Wenn ich übersetze, spiele ich eine Rolle. Aber nicht: ich als Person spiele die Person der Autorin, sondern: meine Sprache spielt die Rolle einer anderen Sprache, und sie nutzt dafür, was immer ihr an Eigenem zur Verfügung steht, Sprachhirn und Sprachkörper. Der Text, den ich schreibe, spielt einen anderen: derbinich.
Mit dem Rollenspiel stellt sich auch die Frage nach dem Rollenfach: Wie wähle ich es, wenn ich die Wahl habe? Was hat es mit mir zu tun? Soll sich, muss sich die im Text dargestellte Welt mit der meinen überschneiden, damit die Übersetzung gelingt? Eine vorläufige Antwort lautet: Es macht die Arbeit daran einfacher, ja. Es macht die Wortfindungswege kürzer, vielleicht. Und es gibt einen Grad der Unähnlichkeit, bei dem der zu treibende Überbrückungsaufwand so groß wird und ich mein Sprachmaterial in so großer Ferne von meinem bekannten Radius suchen muss, dass der Sprung hinüber ins Fremde sich nicht mehr mit Grazie bewältigen lässt.
Aber.
In den letzten zehn Jahren habe ich nicht ganz zufällig abwechselnd tote Autoren und lebende Autorinnen übersetzt. Ich suche mir also nicht systematisch die Szenerie und die Stimme aus, die von mir selbst und meinem Alltag möglichst weit weg sind. Und doch, auch mit meinen lebenden Autorinnen teile ich so viel mehr nicht, als ich teile. Eine sowjetische Schulbildung, andere Feiertage, die den Alltag rhythmisierten, eine jüdische Herkunft, eine Migrationserfahrung ... Allein schon die Tatsache, dass sie in dieser Sprache aufgewachsen sind und von Kind an denken, sprechen, schreiben, ist so fundamental anders, dass dagegen die Gemeinsamkeiten (Zeitgenossenschaft, Geschlecht; dass wir Locken auf dem Kopf, dass wir Kinder geboren haben ...) verblassen – zumindest beim Übersetzen. Dieses Anderssein steht dem Übersetzen nicht im Weg, es ist vielmehr die Bedingung dafür.
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Wir haben gesehen, schreibt Jurij Lotman in seinem Versuch einer semiotischen Kulturtheorie, „dass der elementare Akt des Denkens die Übersetzung ist. Der elementare Akt des Übersetzens, können wir jetzt hinzufügen, ist der Dialog. Dialog setzt Asymmetrie voraus (...).“1 Die Produktion von Information, von Bedeutung läuft gerade an der Grenze, etwa zwischen zwei Kulturen (Lotman spricht von den Rändern der „Semiosphären“), auf Hochtouren. Dabei wirkt diese Grenze wie eine „filternde Membran, die die fremden Texte so stark transformiert, dass sie sich in die interne Semiotik der Semiosphäre einfügen, ohne doch ihre Fremdartigkeit zu verlieren.“2 Eben dieser Vorgang der Infiltration und Umformung – man könnte auch von kultureller Aneignung sprechen (Diebin ich?) –, für den Lotman zahlreiche Beispiele anführt, sorgt dafür, dass der jeweiligen „Semiosphäre“ (die eine Nationalliteratur, aber auch eine literarische Gattung oder ein Begriffssystem sein kann) nicht der Sauerstoff ausgeht. Nichts anderes tut die Übersetzung. Sie ist, indem sie Fremdes zu (nie restlos) Eigenem macht („Dialog setzt Asymmetrie voraus“), eine Quelle kultureller Produktivität.
Zurück zur Praxis, sechs Sätze, willkürlich gewählt, aus sechs Büchern der letzten Jahre:
„Mit mehreren Zugwechseln und zwei Flecktyphuspatienten im Schlepptau kam ich schließlich nach Cherson.“ 3
„Meine Tante brachte mir bei, über die Hügel zu stürmen wie die wilde Jagd, einer flüchtenden Familie Steinpilze auf den Fersen, oder durch Kiefernschneisen zu streifen und ganze Kolonien von Butterröhrlingen niederzumetzeln – ‚zack, zack, und hier drückst du zu‘.“4
„Sonntags schlief ich in einem billigen neuen Anzug und Schuhen von unanständig gelber Farbe auf dem Gras der ehemaligen Befestigungsanlagen.“5
„Das ist die Peter-Pauls-Festung, sagte meine Mutter, dort hat Babuschka Sarra im Gefängnis gesessen.“6
„Gegen 13 Uhr sahen wir, wie die SS auf der anderen Seite des Stacheldrahts Gewehre an die Kapos austeilte, auch an die Politischen.“7
„Wir stehen auf dem Stück Brachland: die zukünftige Ärztin, der ehemalige Offizier, der graue Wolf und ich – und lesen Gedichte.“8
Sechs Stücke in Sprache verwandeltes Leben, sechsmal „ich“, und nichts davon habe ich auch nur annähernd ähnlich erlebt. Was davon weckte Berührungsängste? Nichts, oder nur eines – nicht Angst, eher Scheu: die „SS-Leute“, der Satz von David Rousset, der hier vom Ende seiner KZ-Haft in Deutschland berichtet. Meine Scheu vor diesem Buch gründete nicht in einer fehlenden persönlichen, sondern in einer vorhandenen übergeordneten Erfahrung, in der abgründigen Mitwisserschaft, die in meiner Sprache, dem Deutschen, aufgehoben und ihr nicht auszutreiben ist: Diesen Bericht über die deutschen Lager in die Sprache der Täter zu übersetzen, der er in gewisser Weise entrissen worden war, war ein heikles, wenn auch logisches und notwendiges Unterfangen.
Alle anderen Beispiele weckten wenn Angst, dann eher Verfehlungsangst – vor der ausbleibenden oder misslingenden Berührung. Schaffe ich das, bin ich gut genug, habe ich das nötige Werkzeug, finde ich den Weg? Wird das Buch leuchten, oder wird es ein Fiasko? Lampenfieber.
Wovon hängt es ab, ob die Berührung zustandekommt? Ob der Sprung über die Kluft, der Weg über die Grenze besser oder schlechter gelingt? Nach meiner Erfahrung ist es nicht die biographische Übereinstimmung (wie gesagt, ich spiele nicht die Erlebnisse meiner Autorin oder ihrer Figuren, ich spiele den Text), schon gar nicht in Form geteilter Gruppenzugehörigkeiten, sondern viel Spezifischeres und Unwägbareres. Ob ich einen Zugang finde, die richtige Stelle für Absprung und Landung, entscheidet sich an einem Rhythmus, der mir plötzlich in die Satzglieder fährt, einer Verbindung von Schwere und Leichtigkeit, Hitze und Kälte, die mir vage vertraut ist, einer aufblitzenden Freude, die ich im Hinterkopf spüre, einem Gelächter oder unterdrückten Stöhnen, das mir in der Kehle kratzt und mich – auf Ideen bringt. Diesen Faden – eine sehr individuelle und zugleich ganz elementare Art der Verbindung – gilt es im Folgenden nicht zu verlieren.
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Noch ein Punkt ist mir bei der Frage nach biographischer Nähe oder Ferne wichtig; ich komme dafür noch einmal auf das Spiel und die Verwandlung zurück.
Ist der intensivste Moment im Theater dann erreicht, wenn die Schauspielerin auf der Bühne nicht mehr von ihrer Rolle zu unterscheiden ist, weil sie im Grunde sich selbst spielt? Die Witwe wird von einer verwitweten Darstellerin gespielt, die Kinderreiche von einer kinderreichen, usw. – ist das unser Ideal: möglichst keine Differenz wahrzunehmen, auch nicht außerhalb der Performance? Oder entfaltet sich der intensivste Theatermoment gerade dann, wenn wir um die dargestellte Figur herum und über sie hinaus dieses spezifische Flirren wahrnehmen, das aus dem Wissen oder der Ahnung kommt, dass es auch anders sein könnte, dass die Person auf der Bühne, die da ganz sie selbst ist, uns im nächsten Augenblick als eine völlig verwandelte begegnen könnte?
Die Antwort mag auch Geschmackssache sein; für mich ist sie eindeutig: die Differenz ist nicht nur nicht hinderlich, sie ist geradezu notwendig. Im Übersetzen entsteht das neue Leben des Textes, seine Lebendigkeit, nicht zuletzt aus der Spannung zwischen Ungleichheit und gespielter Gleichheit. Es ist der Eros des Unidentischen, der darin vibriert. Und damit eine menschliche Urerfahrung: die Sehnsucht nach Verbindung, ausgelöst durch die Erkenntnis des Getrenntseins.
Differenz ist das Salz der Kunst und der Kern der Schönheit. Die Aufgabe der Kunst ist es, „Ungleichheiten zu schaffen“, sagt Viktor Schklowskij. Und: „Das tut sie auf dem Weg des Vergleichs.“ Und indem sie es tut, weckt sie „die Welt zu neuem Leben“.9
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Postskriptum
In der Einladung zu dieser Essayreihe klang eine Frage an, auf die einige der Beiträgerinnen schon eingegangen sind: die Frage der Legitimität. Mein Text war bis hierher eine implizite Antwort darauf; zum Schluss ein paar explizite Sätze.
Darf prinzipiell jede Übersetzerin jeden beliebigen Text übersetzen?
Und wenn nein – warum nicht? Welche Gründe gäbe es, welche Vorteile brächte es, das Gegenteil zu behaupten?
Soweit ich die Debatte überblicke, sehe ich im Wesentlichen drei Argumente.
Das erste beruht auf Legitimität im Sinn von Authentizität oder Autorität – man soll von dem sprechen, wovon man „etwas versteht“. Oft geht es in diesem Zusammenhang um Diskriminierungserfahrungen: Ein Nichtdiskriminierter könne nicht nachempfinden/ adäquat übersetzerisch nachbilden, wie eine Diskriminierte sich fühlt.
Wahr ist – ich wiederhole hier Triviales – dass kein Individuum je wissen kann, wie ein anderes Individuum sich fühlt. Auch die Diskriminierte weiß in diesem Sinn nicht, was der Nichtdiskriminierte erlebt; ein plausibles Argument dagegen, dass sie seine Texte übersetzt, sehe ich darin nicht.
Das zweite Argument handelt im Kern von ökonomischer und Diskursmacht: Bei der Frage, wer welchen Text übersetzen darf, geht es schließlich nicht zuletzt um Aufträge, Aufmerksamkeit, Honorare und Fördergelder, kulturelles und soziales Kapital. Warum sollte man nicht dafür sorgen, dass all das vorzugsweise in einem bestimmten Kreis zirkuliert, statt diesen zu verlassen? Zumal wenn man annimmt, dass dieser Kreis von Haus aus benachteiligt ist? Interessenpolitik ist legitim, aber sie sollte mit offenen Karten betrieben werden. Mir persönlich sind die Interessen unseres Berufsstands insgesamt – noch immer ökonomisch benachteiligt genug – in diesem Sinn näher als die einzelner Teile davon.
Die dritte Richtung, in die das Identitätsgebot (nur A darf A übersetzen) wirkt, scheint mir psychologischer Art zu sein: Man bleibt unter sich, das senkt das Stressniveau. Gut möglich, dass es Leserinnen und auch Leser gibt, die sich in einem vergleichsweise homogenen Umfeld einfach wohler fühlen würden. Ich kann mir clubartige Verlage, überhaupt Literaturnischen vorstellen, wo exklusiv von Gleichen und für Gleiche produziert wird.
Wünschen würde ich mir aber, um ehrlich zu sein, das Gegenteil, und davon möglichst viel: maximale Offenheit, maximale Öffentlichkeit. Um noch ehrlicher zu sein: Eine Literatur, die unter sich bleiben will, interessiert mich nicht. Um ganz ehrlich zu sein: Ich zucke zusammen, wenn ich Kolleginnen höre, die Kollegen vom Zugang zu was auch immer ausschließen wollen – nicht weniger, als wenn es sich umgekehrt verhielte. Nicht nur, weil sich da etwas nicht mit meiner Vorstellung von guten Beziehungen und einer offenen Gesellschaft verträgt. Sondern auch, weil das Ethos des Untersichbleibens meinem Berufsethos, oder schlichter: meinem Verständnis davon, was ich Tag für Tag tue und zu welchem Zweck, diametral entgegengesetzt ist. Übersetzen ist das Gegenteil von Untersichbleiben. Wagen wir uns nach draußen, sehen wir uns an, sprechen, singen, spielen wir einander und miteinander, stürzen wir uns in Missverständnisse und arbeiten wir uns wieder heraus, hören wir genau hin und noch genauer, riskieren wir etwas! Der Sinn unserer Arbeit besteht in ihrer Verwandlungskraft: alle können alle sein.