Wiederbegegnung nach 35 Jahren
Zur Überarbeitung der Übersetzung von Audre Lordes Autobiographie „Zami. A new spelling of my name“
Die Anfrage, ob ich meine Übersetzung von Zami für eine Neuveröffentlichung überarbeiten möchte, erreichte mich im Sommer 2021. Das Buch sollte bei Hanser herauskommen, wo gerade auch Audre Lordes Essayband Sister Outsider in der Übersetzung von Eva Bonné und Marion Kraft erschienen war. Ich zögerte kurz. Sollte es vielleicht eine Jüngere ganz neu übersetzen, eine Übersetzerin, die mehr in der jüngsten Diskussion um gender- und race-sensibles Übersetzen zu Hause war als ich? Oder wollte ich noch einmal ran?
Meine Übersetzung lag lange zurück. Zami war 1986 auf Deutsch erschienen, es war meine zweite Übersetzung. Vorher hatte ich nur ein halbes Buch übersetzt, Telling Tales von Sara Maitland1, ein Band mit Erzählungen, die patriarchale Narrative auf den Kopf stellten. Ich hatte sie, nicht nur wegen ihrer Art des Umdenkens, sehr gemocht. Die Übersetzung hatte ich selbst initiiert, weil ich in den Beruf umsteigen wollte. Es erschien mir günstig, dass ich die Autorin persönlich kannte und wissenschaftlich an ähnlichen Themen arbeitete wie sie. Dadurch hoffte ich, ihr bei dem, was sie im Schreiben entwarf, gut folgen zu können und so die Gefahr zu umgehen, die Texte durch Kenntnis- und Einfühlungsmängel zu verflachen oder zu konventionalisieren. Denn das wollte ich keiner Autorin antun. Als erste Übersetzung brachte das Buch mir Glück, weil es hieß, meine Mitübersetzerin und ich hätten den neuen weiblichen Blick treffend ins Deutsche übertragen. Das öffnete mir Türen, eine davon zur Übersetzung von Zami. (Als ich vor ein paar Jahren noch einmal darin blätterte, sah ich allerdings nur die Unbeholfenheiten im Deutschen. Falsche Geschmeidigkeit, die inhaltlich zu kurz griff, hatte ich vermieden, dafür aber Umständlichkeiten in Kauf genommen, die mir inzwischen peinlich waren.)
Als mir der Orlanda Verlag 1985 die Übersetzung anbot, sagte ich mit Freuden zu. Ich hatte während meiner Zeit an der Uni Seminare und Vorlesungen über die Geschichte und Gesellschaft der USA, Women’s Studies und Black Women Writers gehalten, liebte intersektionales Denken, kannte Gedichte und Essays von Audre Lorde und war gespannt darauf, wie ich einem Prosawerk von ihr gewachsen sein würde. Die Frage, ob ich als weiße Frau die Richtige für die Übersetzung sei, kam nicht auf. Das war, als Orlanda Margarete Längsfeld mit der Übersetzung von Lordes Gedichten beauftragen wollte, anders. Sie hat darüber in einem Artikel berichtet: »Mit afrodeutscher Stimme«.2 Nachdem zunächst vereinbart worden war, dass Margaretes Übersetzung von einer Afrodeutschen gegengelesen würde, lernten sich Autorin und Übersetzerin kennen und mögen, und Margaretes Fragen an den Text sowie die Lesung eines Gedichts überzeugten Audre Lorde von ihrem Können: »Nach diesem Abend war nicht mehr die Rede davon, daß die von mir übersetzten Texte und Gedichte von einer Afrodeutschen gegengelesen werden müßten«, schreibt sie. »Die Autorin war mit der Übersetzerin einverstanden.« Ähnlich wie heute gingen auch in den Achtzigern das Streben nach Öffnung und der Impuls zur Verengung Hand in Hand. Die Themen waren schon dieselben.
Auch ich lernte Audre anlässlich einer Lesung kennen, las neben ihr eine Passage aus meiner Übersetzung und bekam in mein Exemplar eine freundliche, schwungvolle Widmung. Für die feministische Szene wurde Zami zu einem wichtigen Buch, und viele freuen sich auf die Neuveröffentlichung. Wirklich neu dabei ist, dass Zami jetzt bei einem großen Publikumsverlag als Hard Cover erscheint. In Deutschland war es bislang ein Buch der Szene und wurde, wie so viele Bücher feministischer Autorinnen, wenig von einer allgemeineren Öffentlichkeit wahrgenommen. Wie dauerhaft das spät und plötzlich erwachte Interesse sein wird, beobachte ich mit einer gewissen Skepsis.
Den Ausschlag für die Entscheidung, meine alte Übersetzung zu überarbeiten, gaben zwei Dinge. Ich war neugierig darauf, einmal Zeile für Zeile zu überprüfen, wie ich diese so frühe Übersetzung von mir beurteilte. Und darauf, ob ich dem Text angesichts der 2021 so vehementen Debatte, wer darf wen übersetzen?, befangener gegenübertreten würde als 1985, wo mir der Gedanke, ob ich lesbisch oder Schwarz sein müsste, um Zami zu übersetzen, gar nicht gekommen war. Ein zusätzlicher Reiz war, dass ich 2012 schon einmal leicht in den Text eingegriffen hatte. Damals hatte der Unrast Verlag Zami herausgebracht und mir für die Übernahme der Übersetzung nur ein minimales Entgelt anbieten können, sodass ich mir bloß die Zeit gegönnt hatte, sie einmal gründlich durchzulesen und hier und dort Formulierungen auszubessern. Jetzt konnte ich noch einmal richtig hinschauen.
Die Übersetzung war mir nicht leichtgefallen. Wie nützlich wäre damals ein Rechner gewesen — das Internet! Damals schrieb ich noch mit der Schreibmaschine, manche Stellen habe ich bis zu fünf Schichten dick mit Korrekturband überklebt und etliche Seiten mehrmals ganz neu geschrieben. Auch die Arbeit mit meiner Lektorin, Susanne Stern, war intensiv.
Womit ich u.a. zu kämpfen hatte, war ein Gefühl für die angestrebte Wirkung des Ganzen, das meine Entscheidungen für Ton, Stilhöhe, Erzählhaltung und mehr lenkte. Lorde sprengt in Zami bewusst hergebrachte Genres und erfindet für sich ein eigenes, das sie als »biomythography«, manchmal auch als »auto-biomythography« bezeichnete. Diesem »Neuen« wollte ich gerecht werden, aber was hieß es? Der Begriff »biomythography« ist den meisten englischsprachigen Ausgaben als Untertitel beigegeben, nur in der frühesten, aus der ich damals übersetzte, steht auf dem Cover lediglich Zami: a new spelling of my name. Auf der Umschlagsrückseite wird erläutert: »In Zami … Audre Lorde creates a new form, biomythography, combining elements of history, biography and myth.«
Der Text ist ein Mosaik aus diesen Elementen, frei kombiniert: Romanhafte, lyrische und historische oder sozialpolitische Passagen in essayistischem Stil gehen ineinander über oder sind durch Leerzeilen abgesetzt. Vieles, ganz Unterschiedliches, ist kursiviert, der Prolog kursiv, der Epilog gerade, vor dem Prolog eine Passage mit Leitfragen kursiv, erste Antworten darauf gerade. Das Assoziationsgefüge zu erschließen, um dem Text sowohl die adäquate Dichte als auch ausreichend Luft zu geben, verlangte unvoreingenommene Aufmerksamkeit. Auch bei diesem Durchgang beschäftigte mich wieder die Frage, ob »myth« schlicht die Passagen meint, in denen die weiblichen Traditionen der Grenadinen, deren Sinnlichkeit und andere Formen von Frauengemeinschaft aufgerufen werden, oder nicht vielmehr die Begründung eines neuen Mythos von Weiblichkeit. Sind die Auswahl und inhaltliche Prägung der autobiographischen Episoden durch den Wunsch bestimmt, etwas von mythischer Qualität zu schaffen? Und damit mehr als eine bloß individuelle Lebensgeschichte? Diese Möglichkeit hat mich auch jetzt bewogen, mich in Zweifelsfällen lieber eng an den Wortlaut zu halten, als dem eigenen Stilempfinden zu folgen oder Stellen zu glätten. Denn sicher scheint mir, dass der Text genau das enthält, was Audre Lorde intendiert hat. Zami ist mehr als nur ein Erinnerungsbuch über das Aufwachsen und die Selbstwerdung unter widrigen Bedingungen.
Die deutschsprachigen Ausgaben informieren unterschiedlich über das Genre. Mal heißt es Mythobiographie, mal nicht. Warum im Deutschen aus Biomytho Mythobio geworden ist, entzieht sich mir. Und ich weiß nicht, wie sehr die Nennung eines Genres auf dem Umschlag die Lektüre beeinflusst, würde aber mutmaßen, dass Leseerwartungen dadurch ähnlich stark gelenkt werden wie durch die Covergestaltung.
In der Reihe Frau und Gesellschaft im S. Fischer Verlag erschien 1993 eine Taschenbuchausgabe, von der ich weder erfahren noch je ein Belegexemplar erhalten habe, sodass ich nicht weiß, ob darauf irgendwo der Terminus Biomytho- oder die Mythobiographie auftaucht. Der Titel: Zami. Ein Leben unter Frauen.
Zami. Eine neue Schreibweise meines Namens. Eine Mythobiografie. Reihe Insurrection Notes. Unrast Verlag 2012.
Für den Ton war jetzt hilfreich, dass es inzwischen das Internet gibt. 1986 hatte ich Lordes markanten Vortragsstil erst nach der Übersetzung erlebt. Es war nützlich, ihre Art, ihre Texte zu intonieren, im Ohr zu haben, das manchmal fast Gesungene, die langgezogenen Vokale, die Pausen zur Steigerung von Ernst und Humor, ihre leise, eindringliche Stimme, die Freude am Auftritt. So wird vermutlich niemand den Text auf Deutsch vortragen, aber ich habe ihn jetzt wo immer möglich auf Mündlichkeit getrimmt.
Schriftlich greift Lorde als Mittel zur Betonung zu Kursivierungen (s.o.) und zu Spielen mit der Groß- und Kleinschreibung von Nomen und Adjektiven. Das macht die neue Ausgabe auf Deutsch mit. In Absprache mit dem Lektorat wird Schwarz immer groß-, weiß kleingeschrieben — jedoch nicht kursiv wie in der deutschen Sister Outsider, da Lorde es in Zami selbst auch nicht macht und die von ihr verwendeten Kursivierungen anderen Zwecken dienen. Ihre Zurückweisung des Herrschaftsanspruchs der USA verdeutlicht sie durch die Kleinschreibung von »america«, »american«, »the white house«, die im Englischen sonst großgeschrieben und damit herausgehoben werden. Auch das wurde für die neue Ausgabe übernommen, obwohl es im deutschen Text mit der üblichen Groß- und Kleinschreibung weniger auffällt und weniger Wirkung entfaltet, weil das Adjektiv »amerikanisch« ohnehin kleingeschrieben wäre. Überall, wo »race« vorkam, habe ich die alten durch neue Formulierungen ersetzt. Hier und dort haben wir — meine Lektorinnen Emily Modick und Lena Stöneberg und ich in Absprache — die Wortwahl entstaubt. Wo es jetzt »Lesbe« oder »Lesben« heißt, stand in der alten Übersetzung meist »lesbische Frauen«, die damals korrekte Form. Dem Wandel der Zeiten zuliebe sind auch Limonen zu Limetten, Pampelmusen zu Grapefruit geworden. In der Zusammenarbeit mit beiden Lektorinnen habe ich mich manchmal wie eine Brücke zwischen der 1934 geborenen Audre Lorde und den viel Jüngeren gefühlt, und es hat Spaß gemacht auszuhandeln, wie viel oder wie wenig wir »neu« machen sollten.
Ein Vergnügen während der Arbeit am Text war auch die Begegnung mit mir selbst von einst. Dass ich nach 35 Jahren über mehr Wortschatz und mehr syntaktische Möglichkeiten verfüge, war ja zu hoffen gewesen. Aber die Anfängerin war mir nicht peinlich, ich mochte sie. Ich empfand sie als sehr ehrlich, sehr um Treue besorgt, und mir gefiel ihr Bemühen, nicht nur das zu Übersetzende genau zu erfassen, sondern auch Kontrolle über die eigenen Formulierungen zu wahren, indem sie sie stets an ihrem Sprachgefühl maß. Am augenfälligsten wurde das für mich durch die vielen Regionalismen. Die erste deutsche Zami ist eindeutig von einer Hamburgerin übersetzt, in die Sprache, die mir damals geläufig war. Davon gibt es jetzt hoffentlich keine Spuren mehr. Aber ich erkenne darin eine Eigenschaft, die mir bis heute wichtig ist. Was ich hinschreibe, muss von meiner Stimme zu füllen sein.
Die Neuausgabe von ZAMI ist im Hanser Verlag erschienen.