RundUmschau#02
Lange hat sie auf sich warten lassen – endlich ist sie da! Die zweite Ausgabe der RundUmschau präsentiert sich in neuem Gewand und neuer Zusammensetzung. Als Gemeinschaftsprojekt der DÜF-Schwestern TOLEDO und Babelwerk widmen wir uns internationalen Debatten und Neuigkeiten rund um das literarische Übersetzen. Im Herbst 2022 schauen wir in Richtung USA, Polen und Brasilien.
USA: Auf der Suche nach einem gewaltfreien Übersetzen
Susan Bernofsky empfiehlt uns in ihrem Bericht dringend die Lektüre der frisch in den USA erschienenen Anthologie Violent Phenomena. Hier versammeln die Herausgeber Kavita Bhanot und Jeremy Tiang 21 Essays, die in ihrer Zusammenstellung unter den US-amerikanischen Rezensent∙innen als provokative Intervention für die internationale Übersetzungstheorie angesehen werden. Sowohl Übersetzer∙innen als auch Wissenschaftler∙innen nähern sich in ihren Beiträgen dem breiten Gebiet der literarischen Übersetzung im postkolonialen Zeitalter und rühren dabei auch an ganz grundsätzlichen Fragen, etwa zu Vielsprachigkeit, Diversity im Literaturbetrieb oder zum Einfluss persönlicher Erfahrungen und Erlebnisse beim Übersetzen literarischer Texte. Eine unverzichtbare Lektüre für alle, die sich für Übersetzung und Literatur interessieren.
Zum Artikel von Susan Bernofsky
Polen: Furiose Neuübersetzungen
In Polen ist die Neuübersetzung eines Klassikers eher selten ein Thema, das nationale Aufmerksamkeit auf sich zieht. Vor kurzem jedoch – das berichtet Iwona Nowacka in ihrem RundUmschau-Bericht – sorgten gleich zwei Klassikerneuübersetzungen für Furore im polnischen Feuilleton.
So wurde die 2021 erschienene Neuübersetzung des Joyce-Klassikers Ulysses von Maciej Świerkocki äußerst positiv aufgenommen. Die Übersetzung inspirierte nicht nur viele Artikel über das Buch, sondern auch über das literarische Übersetzen an sich – eine erfreuliche Entwicklung, rückt die literarische Übersetzerzunft doch eher selten ins Rampenlicht.
Noch weit größeres Interesse – allerdings kein gutes – weckte im Januar 2022 Anna Bańkowskas Neuübersetzung des kanadischen Kinderbuchklassikers Anne of Green Gables von Lucy Maud Montgomery. Der Unmut der Leserinnen und Leser entzündete sich jedoch nicht an der Qualität der Übersetzung. Die erste Übersetzung gilt vielen Polinnen und Polen als Heiligtum, als Relikt ihrer Kindheit. So gut wie jeder kennt die freche Anne in Polen, nur eben unter dem Namen Ania – und da fangen die Probleme auch schon an. In der alten, heißgeliebten Übersetzung wurden nicht nur unbegründete Übersetzungsentscheidungen getroffen, sie weist auch zahlreiche Fehler und Ungenauigkeiten auf. Damit wollte Anna Bańkowska aufräumen – und entfachte mit dem Dienst am Original einen Social-Media-Shitstorm. Wir hoffen, sowohl für die mutige Übersetzerin als auch für das Buch selbst, die Polinnen und Polen geben der Neuübersetzung doch noch eine Chance.
Brasilien: Sich von außen betrachten und von innen sehen
Die Übersetzerin Simone Homem de Mello taucht für uns in ihrem Beitrag tief in die Geschichte Brasiliens ein und begibt sich gemeinsam mit ihren Landsleuten auf die Suche nach einer nationalen Identität. Ein Meilenstein für die brasilianischen Künstler∙innen war das Anthropophagische Manifest des Dichters Oswald Andrade von 1928, in dem er eindrucksvoll beschreibt, wie sich die Künstler∙innen der brasilianischen Moderne die europäische Kunst einverleibten und in etwas ganz anderes, etwas Eigenes, umwandelten – eine Metapher, deren Anwendung auf die Tätigkeit des literarischen Übersetzens sich sofort erschließt. Heute wiederum gewinnt die Auffassung zunehmend an Bedeutung, dass Amerika und Brasilien nicht entdeckt, sondern von den Europäern besetzt worden sind. Dieser Paradigmenwechsel wirkt sich auch auf die Theorie und Praxis des literarischen Übersetzens aus, so Simone Homem de Mello.
Zum Artikel von Simone Homem de Mello
Foto aus dem Beitragsbild: Green Gables Haus, von: Markus Gregory – Own work, CC BY-SA 3.0, Wikipedia Commons.
Der RundUmschau-Überblick erscheint auch auf Babelwerk.