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Beauty

„The beauty of your work, along with the beauty of your soul, is all that can protect you from the brutality of the world. […] The world in which artists live and work is no different from the stock market or a slaughterhouse, but we, the artists, have to be terribly different. We have to be blind to the world and brilliantly alive to the work.“
Martha Graham

„The beauty of my work“ ist es wahrscheinlich, was mir in schweren Zeiten Kraft gab, und ich betone immer wieder, dass wir Übersetzer·innen Künstler·innen sind. Und trotzdem, je älter ich werde, umso mehr bin ich der Meinung, dass wir nicht blind für das Geschehen um uns sein müssen und dass es gilt, gegen das Übersehenwerden zu kämpfen. Es grenzt manchmal schon an bewusste Ignoranz, obwohl wir neben der Arbeit, die wir als Übersetzer·innen leisten, häufig auch die besten Literaturagent·innen sind.

Vor Kurzem ist in unseren literarischen Kreisen anlässlich der Neuausgabe des sehr literarisch geschriebenen „Wörterbuch der Symbole“ von Jean Chevalier und Alain Gheerbrand eine Debatte auf Facebook entbrannt. Für seine Arbeit hat der Übersetzer aus dem Französischen 1994 die höchste in Slowenien vergebene Auszeichnung erhalten: den Sovre-Preis. Nun wird die vierte, aktualisierte Auflage erscheinen. Die Aktualisierung wurde sorgfältig von einem Kollegen durchgeführt, der aus dem Deutschen übersetzt und als Lektor für zahlreiche Verlage tätig ist, ihm ist nichts vorzuwerfen. Problematisch ist, dass im Verlagskatalog nur „Bearbeitet von XY“ steht, der Name des ursprünglichen Übersetzers aber nicht einmal aufscheint. Man kann nur hoffen, dass das im Buch anders aussehen wird. Das Slowenische ist eine sich rasch verändernde Sprache, vor allem wegen der Einführung neuer Ausdrücke für Innovationen und Begriffe, die es vor Jahrzehnten noch nicht gab, und seit der Unabhängigkeit auch aus dem Wunsch heraus, sich der sogenannten Kroatismen und Serbismen zu entledigen. Selbst die Terminologie im Bereich der Sprachwissenschaft ändert sich so rasant, dass ich Mühe hatte, meinen Kindern bei Aufgaben aus der slowenischen Grammatik zu helfen. Das Fachvokabular ändert sich im Slowenischen wahrscheinlich noch schneller als in anderen Sprachen (wie zum Beispiel auch der Wortschatz der europäischen Gesetzgebung, wo wir slowenische Termini einfach auf der Grundlage der in Euro-Englisch geschriebenen Originale erfinden), sodass die Aktualisierung jedenfalls gerechtfertigt und sicher anspruchsvoll ist. Die Kritik trifft aber nicht den Kollegen, sondern einen der größten Verlage in Slowenien.

Auf Übersetzungsseminaren in Deutschland konnte ich mich früher damit rühmen, auf den Covers der meisten meiner Buchübersetzungen genannt zu sein; ich hielt das für eine Selbstverständlichkeit. Während ich diesen Beitrag schreibe, habe ich einmal in meinem Regal nachgesehen, wie es sich verhält. Kurz gesagt: Bei den größeren Verlagen steht der Name des Übersetzers immer auf dem Cover, bei den kleineren nicht. Das ist überraschend, denn man sollte eigentlich erwarten, dass kleinere Verlag, die auch um ihre Existenz kämpfen, etwas mehr Verständnis für die „bedrohte Art“ der Übersetzerin oder des Übersetzers aufbringen würden. Oder dass sie den Namen einer·eines anerkannten Übersetzer·in auch zu Marketingzwecken benutzen, wie Claudia Hamm in einem Gespräch auf der Frankfurter Buchmesse so schön gesagt hat:

„Das ist auch die erste Forderung, die ich stellen möchte: Übersetzernamen aufs Cover. [...] Übersetzungen können das Werk eines Autors, einer Autorin einer breiteren Leserschaft in höchster literarischer Qualität zugänglich machen, aber sie können es auch vernichten. Zu wissen, dass Leser·innen einen fremdsprachigen Text in der Stimme eines zweiten Autors, einer zweiten Autorin lesen, darauf haben sie meines Erachtens ein Recht. Wenn der Name von Übersetzenden entsprechend aufgebaut wird, sind diese in ihren Ländern manchmal bekannter als neue Autor·innen und können für eine bestimmte literarische Qualität bürgen, hier berauben sich Verlage selbst eines Marketinginstruments.“

Im März 2022 war im LCB eine Lesung mit dem französischen Autor Emmanuel Carrère angesetzt. Der Autor sagte im letzten Moment ab, sodass seine Übersetzerin Claudia Hamm für ihn sprach. Natürlich konnte sie den exzentrischen Autor nicht ersetzen, sie präsentierte ihn aber ebenso würdig wie ihren eigenen Zugang als Übersetzerin. Dass sie mich überzeugte, das Buch zu kaufen, bestätigt, was sie über das Marketingpotenzial guter Übersetzer·innen gesagt hat.

In Slowenien ist dagegen in letzter Zeit der Trend zu beobachten, dass auch größere Verlage die Übersetzer·innen nicht auf dem Cover nennen, häufig aus gestalterischen bzw. ästhetischen Gründen. Die Neuauflage von Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit wirkt so dekorativ wie der mehrbändige Katalog einer Tapetenfirma und macht sich sicher gut im Regal, doch auf dem Cover fehlt der Name der legendären Übersetzerin. Eine ziemlich raffinierte Art, den Übersetzer·innennamen aus ästhetischen Gründen zu unterschlagen, habe ich bei meiner letzten Übersetzung erlebt – inhaltlich wie formal ein wunderbares kleines Buch, das ich mit großer Freude verschenke und an das mich auch eine sehr schöne Zusammenarbeit mit der Autorin bindet. Mein Name ist zwar abgedruckt, aber in minimaler Schriftgröße und schwarz auf dunkelblauem Grund, sodass unserem Wunsch nach Nennung des Übersetzer·innennamens auf dem Cover Genüge getan wurde; gleichzeitig aber werden wir in die Unsichtbarkeit gedrängt, und zwar noch nicht mal im Namen der Ignoranz, sondern im Namen der „beauty“.

Nächstes Mal können wir uns darüber unterhalten, dass manche slowenische Blogger (die Ausnahmen mögen mir verzeihen) und bisweilen auch Rezensent·innen gern ganze Absätze aus der Übersetzung oder aus dem Nachwort der Übersetzerin oder des Übersetzers zitieren, ohne ihren oder seinen Namen zu nennen oder die zitierten Passagen zu kennzeichnen. Als eine Kollegin unlängst in einer zentralen Tageszeitung ein derartiges Plagiat bei einer namhaften Rezensentin entdeckte, die dem Nachwort nicht nur essenzielle Informationen über das Buch, sondern auch die Analyse der Übersetzerin und ihre persönliche Einschätzung entnommen hatte, erfolgte keine Entschuldigung oder Korrektur; die Online-Version dieses Beitrags wurde lediglich mit dem Hinweis versehen: „Die Rezension entstand auf Grundlage des Nachworts der Übersetzerin.“

Aus den genannten und noch weiteren Gründen werden im Rahmen unseres Gastlandauftritts in Frankfurt 2023 gerade auch Themen des Übersetzens im Vordergrund stehen: Die Übersetzung aus sogenannten kleinen in größere Sprachen, Übersetzen im Tandem, die Rolle der Standesverbände (in Zusammenarbeit mit dem CEATL, der sein diesjähriges Treffen im Mai in Ljubljana abhalten wird), die soziale Situation von Übersetzerinnen und Übersetzern sowie ihre Vermittlerrolle zwischen den Kulturen. Und nicht zuletzt wird im slowenischen Pavillon auch die feierliche Verleihung des Fabjan-Hafner-Preises für die beste Buchübersetzung ins Deutsche in den letzten zwei Jahren stattfinden. Ohne Übersetzerinnen und Übersetzer wären die Regale unseres Pavillons leer. Ich hoffe, dass es uns gelingen wird, zumindest ein klein bisschen von der „beauty of our work“ zu zeigen.

In der RundUmschau#4 im Juli 2023 hat Claudia Hamm auf diesen Beitrag geantwortet: Unschöne Namen

20.02.2023
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Amalija Maček lebt als Übersetzerin und Hochschullehrerin in Ljubljana. Sie übersetzte u.a. Marlen Haushofer, Josef Winkler, Ulrich Peltzer, Terézia Mora und Peter Handke ins Slowenische.

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