TALKS RundUmschau Von maschineller Übersetzung und Staubsaugervertretern
fr de

Von maschineller Übersetzung und Staubsaugervertretern

In Frankreich ist das Thema maschinelle Übersetzung wie ein Seeungeheuer, das in regelmäßigen Abständen an die Oberfläche kommt. So auch in jüngster Zeit. Die 2018 in Arles gegründete Observatoire de la Traduction automatique [Beobachtungsstelle für maschinelle Übersetzung], der französischen Vereinigung zur Übersetzungsförderung « Atlas », betreibt entsprechend Forschungen und teilt ihre Erkenntnisse – die von Dominique Nedellec im Jahr 2020 waren unmissverständlich: „Nicht eines der drei Systeme bringt ein zur Veröffentlichung taugliches Ergebnis hervor “.1 Im vergangenen November organisierte der französische Übersetzer·innenverband ATLF anlässlich der Assises de la Traduction in Arles eine Diskussionsrunde zu dem Thema.2 Kürzlich veröffentlichte Marion Piasecki im Online-Magazin der FNAC einen bemerkenswerten Artikel, „16 ans après Google Traduction, l’IA a-t-elle remplacé les traducteurs ? [dt. Hat es die KI 16 Jahre nach der Erfindung von Google translate geschafft, Übersetzer·innen zu ersetzen?]3, in dem sie beispielsweise betonte, dass DeepL immer noch außerstande ist, eine Redewendung wie „Boire la tasse“ [dt. absaufen; den Bach hinunter gehen; erhebliche Verluste machen] zu übersetzen. Im Bereich der Translationswissenschaften folgt eine Fachtagung auf die nächste und sie alle haben zwei quälende Fragen gemein4: Verlieren literarische Übersetzer·innen jetzt durch intelligente Maschinen ihre Jobs? Und können diese Maschinen eines Tages einen literarischen Text übersetzen, ohne dass das Ergebnis einer Lachnummer gleicht? Die Diskussion wird sicherlich durch die beträchtlichen Anstrengungen der Lobbys von Tech-Konzernen verzerrt, die viel Geld investieren, um glaubhaft zu machen, dass ihre Maschinen die Lösung sind. Dies ist offensichtlich nicht der Fall und es wird noch lange dauern, bis es dazu kommt.

Neben vielen anderen in die Geschichte eingegangenen Klischees ist das des Staubsaugervertreters, der einen Fuß in die Tür zwängt, um eine „Hausfrau“ vom Kauf des neusten Wunders der Technik und Leistungsfähigkeit zu überzeugen, ein besonders anschauliches Bild der 60er Jahre in Frankreich. Vertreter der maschinellen Übersetzung scheuen nun schon seit Jahren keine Mühen, um ihre Programme, Internetdienste oder Apps zu verkaufen. Sie geben vor, medizinische Bücher von über 800 Seiten übersetzen, Konferenzen besser als jede versierte Fachkraft dolmetschen oder aber bedauerliche Fehler in den Gebrauchsanweisungen von sogenannten „sensiblen“ Produkten vermeiden zu können. Auf dieser zweifelhaften Grundlage haben es Befürworter dieser mechanischen Übersetzung geschafft, in die französische Verlagsbranche einzudringen, wo in entfernt mit der „Belletristik“ verwandten Bereichen (Liebesromane, Ratgeber, Persönlichkeitsentwicklung), zurzeit angeblich „Experimente“ durchgeführt werden.

Um es deutlich auszudrücken: Die maschinelle Übersetzung hat mit der literarischen Übersetzung etwa so viel gemein, wie eine Tiefkühlpizza mit ihrem hausgemachten, frisch dem Ofen entnommenen Pendant. In der Ausbildung wird sie dazu eingesetzt, um Studierenden zu zeigen, wie eine Übersetzung auf keinen Fall sein sollte: ein geistloses Kopieren von der einen in die andere Sprache, von Wörtern, über die man sich zu keinem Zeitpunkt Gedanken gemacht hat. Denn das ist es, was sie leistet: ein automatisiertes Übertragen von Wörtern, nicht von Bedeutung, von Inspiration und Ästhetik ganz zu schweigen. Eine Maschine kann einen Text nicht ausreichend durchdringen, um dessen Ironie, Ernst, oder trockenen Humor zu begreifen. Dazu ist sie schlichtweg unfähig, genauso wie sie unfähig ist einen Stil, eine „Handschrift“, oder Talent zu erkennen. Sie ist und bleibt eine Maschine. Aber wie so oft mit Maschinen, hoffen wohl einige skrupellose Akteure der Buchindustrie, dass sie eines Tages den kostspieligen Rohstoff – Gedankenstoff in diesem Fall – also das menschliche Handwerk ersetzen kann, wobei es letzterem überlassen wird, die gravierenden Unzulänglichkeiten des künstlichen Übersetzers auszubessern, zum „niedrigsten Preis“ versteht sich – was das Ende jeglicher fremdsprachigen Literatur bedeutet.

Allein auf einer Seite von Robert Menasses Die Hauptstadt, die ich ihr eingespeist habe, war die Maschine zu drei Fehldeutungen gekommen, hatte den Inhalt abgeflacht und alle Reliefs des Textes übersehen. Als ein Taxifahrer, dem ein Schwein vors Auto rennt, einen lauten Schrei ausstößt, hatte sie ihre Version bevorzugt: das Schwein „rief das Taxi“. Die künstliche Intelligenz befindet sich noch weit vor den Toren der Literatur, irrt sie doch noch im Buchstabenlabyrinth umher. Möge sie dort bleiben.

20.02.2023
Fußnoten
1
2
3
4
PDF

©Philippe Matsas/Leextra/Editions Héloïse d'Ormesson

Olivier Mannoni übersetzt aus dem Deutschen ins Französische und leitet die Fachhochschule für Übersetzung École de Traduction littéraire (ETL – Asfored) in Paris. Er hat circa 200 Werke übersetzt, darunter welche von Sigmund Freud, Peter Sloterdijk, Martin Suter et Uwe Tellkamp. 2018 erhielt er den Eugen-Helmlé-Übersetzerpreis. 2022 veröffentlichte er Traduire Hitler [dt. Hitler übersetzen] (Héloïse d’Ormesson).

Verwandte Artikel
20.02.2023
RundUmschau#03
30.01.2023
Gemeinsam anpacken zur Rettung der Sprachen
Über Oralituren, Oralithografien und Konzepte, die uns neue Kraft geben
20.02.2023
Beauty
18.10.2022
RundUmschau#02