TUPI OR NOT TUPI
Die kannibalistische Praxis einiger indigener Völker Brasiliens, über die europäische Reisende im 16. Jahrhundert berichteten, wurde von der brasilianischen Avantgarde der 1920er Jahre ironisch umgewertet und in eine Metapher antikolonialistischer Interkulturalität verwandelt.
Das „Anthropophage Manifest“ (1928) von Oswald de Andrade ruft dazu auf, bereichernde Einflüsse der europäischen Kultur zu verschlingen, sie mit lokalen Traditionen zu vermischen und das Unnütze auszuspeien. Es wurde zum Ausgangspunkt zahlreicher Reflexionen über dekoloniale Kulturtechniken, Einverleibungspraxis, Hybridität und ethisches Übersetzen.
Diese TOLEDO TALKS versammeln Interventionen aus aller Welt, die über die vielfältigen Resonanzen dieser brasilianischen Denktradition und Übersetzungstheorie berichten und zugleich die Assoziationsfelder der Kannibalismus-Metapher erweitern. Die Reihe ist eine Einladung an Übersetzer·innen, sich dem Phänomen des Kannibalischen und dem Fortwirken des Konzepts der Antropofagia zu nähern und neue Zugänge zu eröffnen. TUPI OR NOT TUPI fragt nach Spuren des Kannibalischen in der Praxis des Schreibens und Übersetzens, nach aktuellen Formen der Kulturtechnik der Einverleibung sowie nach der Möglichkeit, wie eine symbolische Anthropophagie heute aussehen könnte.
Nur die Anthropophagie vereint uns. Sozial. Ökonomisch. Philosophisch.
Das einzige Gesetz der Welt. Verborgener Ausdruck aller Individualismen, aller Kollektivismen. Aller Religionen. Aller Friedensverträge.
Tupi*, or not tupi that is the question.
Mich interessiert nur das, was mir nicht eigen ist. Gesetz des Menschen. Gesetz des Anthropophagen.
aus: Oswald de Andrade, Anthropophages Manifest / Manifesto antropófago. Herausgegeben und übersetzt von Oliver Precht
(*Tupi ist eine der indigenen Völker- und Sprachgruppen Südamerikas, mit der die europäischen Kolonialmächte und Reisenden im 16. Jahrhundert in Kontakt getreten sind.)
Die kannibalistische Praxis einiger indigener Völker Brasiliens, über die europäische Reisende im 16. Jahrhundert berichteten, wurde von der brasilianischen Avantgarde der 1920er Jahre ironisch umgewertet und in eine Metapher antikolonialistischer Interkulturalität verwandelt.
Das „Anthropophage Manifest“ (1928) von Oswald de Andrade ruft dazu auf, bereichernde Einflüsse der europäischen Kultur zu verschlingen, sie mit lokalen Traditionen zu vermischen und das Unnütze auszuspeien. Es wurde zum Ausgangspunkt zahlreicher Reflexionen über dekoloniale Kulturtechniken, Einverleibungspraxis, Hybridität und ethisches Übersetzen.
Diese TOLEDO TALKS versammeln Interventionen aus aller Welt, die über die vielfältigen Resonanzen dieser brasilianischen Denktradition und Übersetzungstheorie berichten und zugleich die Assoziationsfelder der Kannibalismus-Metapher erweitern. Die Reihe ist eine Einladung an Übersetzer·innen, sich dem Phänomen des Kannibalischen und dem Fortwirken des Konzepts der Antropofagia zu nähern und neue Zugänge zu eröffnen. TUPI OR NOT TUPI fragt nach Spuren des Kannibalischen in der Praxis des Schreibens und Übersetzens, nach aktuellen Formen der Kulturtechnik der Einverleibung sowie nach der Möglichkeit, wie eine symbolische Anthropophagie heute aussehen könnte.
Nur die Anthropophagie vereint uns. Sozial. Ökonomisch. Philosophisch.
Das einzige Gesetz der Welt. Verborgener Ausdruck aller Individualismen, aller Kollektivismen. Aller Religionen. Aller Friedensverträge.
Tupi*, or not tupi that is the question.
Mich interessiert nur das, was mir nicht eigen ist. Gesetz des Menschen. Gesetz des Anthropophagen.
aus: Oswald de Andrade, Anthropophages Manifest / Manifesto antropófago. Herausgegeben und übersetzt von Oliver Precht
(*Tupi ist eine der indigenen Völker- und Sprachgruppen Südamerikas, mit der die europäischen Kolonialmächte und Reisenden im 16. Jahrhundert in Kontakt getreten sind.)
- Verfasser·in
- Charlotte Birkner-Behlen
- Jan Brokof
- Ricardo Domeneck
- Mandy Gratz
- Simone Homem de Mello
- Oliver Precht
- Nico Sauer
- Melanie Strasser
- Autor·in
- Haroldo de Campos
- Sprache Beitrag
- brasilianisches Portugiesisch (português brasileiro)
- Deutsch
- Land
- Brasilien
- Schlagworte
»Ein kleiner, hagerer Mann mit einem abgetragenen, dunkelgrünen Anzug, leuchtend rotem Bart und einem weit über den Kopf gezogenen Strohhut steigt auf dem Praça da Sé in São Paulo aus einem Reisebus. Er wird von einer Person ähnlicher Körpergröße, breiter gebaut, mit einer luftigen Tunika, europäisch gearbeiteten Lederschuhen, haarlosem Kinn, dunklen, leuchtenden Augen und einem braunen Der Pate-Hut, unter dem ein schwarzer, geflochtener Zopf hervorschaut, per Handschlag begrüßt. Gemeinsam gehen sie in eine nahegelegene Lagerhalle.«
Haroldo de Campos: Cadavrescrito (Galáxias) – Übersetzung und Kommentar
Die galáxias von Haroldo de Campos (1929-2003) lassen sich nicht übersetzen. Charlotte Birkner-Behlen und Mandy Gratz haben es trotzdem getan und stellen hier ihre Übersetzung von cadavrescrito vor.
Uma reflexão sobre a transmissão de conceitos-chave das duas vanguardas modernas brasileiras
In her article, Simone Homem de Mello recaps central episodes in the transmission of the term “Anthropophagia” in Brazilian cultural history since the sixteenth century. In doing so, she explores metaphoric and metonymic displacements which have taken place during the passing on of the image of cannibalism, and questions the discrepancies between the discourse on this cultural phenomenon with the related literary and translatory praxis.
Eine Reflexion über die Weitergabe von Schlüsselkonzepten der beiden brasilianischen Avantgarden der Moderne
In ihrem Artikel rekapituliert Simone Homem de Mello zentrale Episoden der Überlieferung des Antropofagia-Begriffs in der brasilianischen Kulturgeschichte seit dem sechzehnten Jahrhundert. Dabei lotet sie metaphorische und metonymische Verschiebungen aus, die bei der Tradierung des Kannibalismus-Bildes stattgefunden haben, und hinterfragt die Diskrepanzen zwischen dem Diskurs zu dieser Kulturtechnik und der mit ihr verbundenen literarischen und übersetzerischen Praxis.
A reflection on the transmission of key concepts from the two modern Brazilian vanguards
In her article, Simone Homem de Mello recaps central episodes in the transmission of the term “Anthropophagia” in Brazilian cultural history since the sixteenth century. In doing so, she explores metaphoric and metonymic displacements which have taken place during the passing on of the image of cannibalism, and questions the discrepancies between the discourse on this cultural phenomenon with the related literary and translatory praxis.
Eine Verschreibung aus vorhandenen Worten und Bildern der bisherigen 13 Jahre, neu übersetzt, transformiert und collagiert im Jahre 2023.
Wahrhaftige Beschreibung der Tropikalisierung des ostdeutschen Künstlers Jan Brokof.
A prescription from existing words and images of the past 13 years, all newly translated, transformed and collaged in 2023.
A true description of the tropicalization of East German artist Jan Brokof.
Anthropophagie, die metaphorische Einverleibung europäischer Kunst und Literatur und deren Transformation in ein ‹Eigenes›, ist ein wirkmächtiger kultureller Topos aus dem brasilianischen Modernismus. Wie lässt sich der kannibalische Ritus des Verschlingens des Anderen auf den Prozess des Übersetzens übertragen? Welche Möglichkeiten, aber auch welche Schwierigkeiten birgt der Begriff eines ‹kannibalischen Übersetzens›?
Anthropophagy, the metaphorical assimilation of European art and literature and its transformation into something of one’s own, is a potent cultural topos in Brazilian modernism. How could the cannibalistic ritual of consuming others be applied to translation? What possibilities and difficulties are contained within the concept of "anthropophagic translation"?
Em seu texto para as Falas-TOLEDO, o poeta brasileiro Ricardo Domeneck discute como são tendenciosas nossas visões sobre o canibalismo e os sacrifícios humanos em nome da religião nos tempos coloniais e ainda hoje, também trazendo a noção de "nojo" em nossa relação com as outras espécies, antes de apresentar como a intimação de Oswald de Andrade a uma antropofagia cultural foi recebida em diferentes contextos históricos no Brasil e no exterior.
In his text for the Toledo-Talks, Brazilian poet Ricardo Domeneck discusses how biased our views of cannibalism and human sacrifice in the name of religion in colonial times could be and still are, also bringing the notion of 'disgust' in our relationship to other species, before introducing how Oswald de Andrade's call for a cultural Anthropophagy was received in different historical contexts in Brazil and abroad
Der brasilianische Lyriker Ricardo Domeneck erörtert, welche Vorurteile es gegenüber dem Kannibalismus und Menschenopfern im Namen der Religion in der Kolonialzeit gab und weiterhin gibt. Er setzt sich mit dem Begriff des Ekels in unserem Verhältnis zu anderen Spezies auseinander und stellt uns vor, wie Oswald de Andrades Aufruf zu einer kulturellen Anthropophagie in verschiedenen historischen Kontexten in Brasilien und im Ausland aufgenommen wurde.
zu Oswald de Andrade und Haroldo de Campos
Für die brasilianische Kultur des 20. Jahrhunderts ist Anthropophagie ein zentraler Begriff. Oliver Precht hat einige der wichtigsten Büchern und Texten zu dem Thema ins Deutsche übersetzt. In seinem Beitrag beleuchtet er die politische Dimension des allgegenwärtigen Verschlingens (und also Übersetzens) anderer Kulturen.
on Oswald de Andrade and Haroldo de Campos
Anthropophagy is a central concept in brasilian culture of the 20th Century. Oliver Precht has translated several of the most important texts on the topic into German. In his essay, he illuminates the political dimension of the ubiquitous devouring (and translating) of other cultures.