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Neues Übersetzungsmanifest fordert Veränderungen

Im Frühjahr 1970 veröffentlichte das Translation Committee des PEN America seine Translator’s Bill of Rights und ein erstes Manifest. Dies rief zum Umdenken und Handeln auf: „Viel zu lange waren [die Übersetzer] die verlorenen Kinder im Zauberwald der Literatur. Ihre Namen bleiben fast immer unerwähnt, sie sind schrecklich unterbezahlt und ihre Arbeit erhält, ungeachtet ihrer Kunstfertigkeit, den gleichen leicht herablassenden, mitleidigen Respekt wie einst ein neues Dienstmädchen.“ In den vergangenen fünfzig Jahren haben sich die Arbeitsbedingungen der Übersetzer·innen in manchen Punkten verbessert, in einigen wichtigen allerdings nicht. Wir irren weiterhin durch den Zauberwald, haben inzwischen aber schon ein paar Kiesel auf die Wege legen können: Immer häufiger nennen uns die Verlage auf dem Buchcover, immer mehr internationale Preise würdigen Übersetzer·innen an unterschiedlichen Stationen ihrer Laufbahn, über ein Dutzend von Kleinverlagen wurden in den letzten zwanzig Jahren in den USA gegründet, die ausschließlich oder vorrangig übersetzte Literatur veröffentlichen, es kommt somit häufiger zu Haupt- und Nebenrechtsbeteiligungen und das Angebot an Stipendien und sonstiger Förderung ist größer als zuvor. Dennoch bleibt das Übersetzen ein prekärer Beruf und der geleistete Beitrag zum kulturellen Leben wird immer noch nicht angemessen honoriert.

Als wichtiges, konkretes Ergebnis der 2020 abgehaltenen Konferenz Translating the Future, die auf das Treffen von 1970 zurückblickte (siehe RundUmschau #01), verfasste das Translation Committee des PEN America jüngst ein neues Manifest. Das von zwei Dutzend Übersetzer·innen gemeinsam erarbeitete Dokument zieht nicht nur kritisch Bilanz, was sich in den vergangenen fünfzig Jahren verändert hat und was nicht, sondern analysiert im Übersetzungsbetrieb der USA auch Ungleichbehandlungen hinsichtlich geschlechtlicher und ethnischer Zuschreibungen, verknüpft mit der Frage, wer welche Aufträge bekommt und welche Texte übersetzt werden, außerdem ruft es die Welt der Akademia auf, mehr Verantwortung bei der Aus- und Weiterbildung zu übernehmen, und berichtet über den vermehrten Einsatz digitaler Technologie im Verlagswesen.

Auch die Leser·innen spielen beim Erhalt dieser kreativ-künstlerischen Arbeit eine Rolle. Sie sollten bewusst nach übersetzten Werken Ausschau halten, sollten in Bibliotheken und Buchhandlungen Übersetzungen nachfragen und Organisationen im Kulturbereich auffordern, bei literarischen Veranstaltungen und Festivals auch Übersetzer·innen einzubeziehen.

Das Translation Manifesto von 2023 ist viel umfangreicher als sein Vorgänger und fordert Veränderungen nicht nur bei den Arbeitsbedingungen der Übersetzer·innen, sondern auch bei der politischen Weltsicht: „Jede Übersetzung nimmt Einfluss auf die aktuelle geopolitische Ökonomie ... Wir müssen weiterhin Strategien entwickeln, um dem gegenwärtigen Trend der Assimilierung und Domestizierung von Texten und der Gleichsetzung menschlicher Erfahrungen entgegenzuwirken. Wir sind angehalten, mit den von uns erschaffenen Texten aktiv gegen die Setzung kultureller, sprachlicher und kanonischer Normen anzugehen.“

Eine bedeutsame Maßnahme aus jüngerer Zeit zur verbesserten Sichtbarkeit von Übersetzer·innen und des literarischen Übersetzens ist die am 2. Juli 2023 erschienene Sonderausgabe des New York Times Book Review, in der eine Gesprächsrunde mit fünf Übersetzer·innen die Branche einer kritischen Prüfung unterzieht.

Am Samstag, den 13. Mai, gab es beim PEN World Voices Festival eine Auftaktveranstaltung zum Manifests, hier dokumentiert, bei der beispielsweise diskutiert wurde, inwiefern Übersetzung ein grundsätzlich politischer Akt sei und wie wir Übersetzungskunst lehren, rezensieren und erforschen können, ohne ihren jeweiligen kulturellen Kontext auszublenden.

Veränderungen beginnen mit Erkenntnis. Bis die Allgemeinheit das Übersetzen als eine Form des Schreibens und das literarische Übersetzen als eine Kunstform anerkennt, die zur Bereicherung, zum Erhalt und zur Verbreitung nationaler wie internationaler Kulturen ebenso grundlegend beiträgt, wird das Übersetzen weiterhin nicht angemessen honoriert und als belanglos oder marginal abgetan werden. Einige der im Manifest angesprochenen Punkte beziehen sich speziell auf Gegebenheiten in den USA, doch bei den meisten besteht in allen Ländern der Welt dringender Handlungsbedarf.

13.07.2023
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©Sarah Shatz

Tess Lewis ist Schriftstellerin und Übersetzerin aus dem Französischen und dem Deutschen und lebt in Bronxville/New York. Sie hat Werke u.a. von Peter Handke, Maja Haderlap, Christine Angot und Philippe Jaccottet ins Englische übersetzt. Mehrfach kuratierte sie das Festival Neue Literatur, New Yorks jährliches Festival für deutsche Literatur auf Englisch. Sie ist Mitglied des PEN America Translation Committee. www.tesslewis.org

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