TALKS RundUmschau KI und Übersetzung: zur Frage der Zuständigkeit

KI und Übersetzung: zur Frage der Zuständigkeit

In der Aufregung rund um die maschinelle Übersetzung und ihre Auswirkungen auf den Übersetzerberuf scheint mir die Diskussion allzu umstandslos auf die technische Dimension zu fokussieren. So verstrickt sich unser Berufsstand bereits in Rückzugsgefechte, bevor entscheidende Schlachten geführt wurden. Es bedarf einer Besinnung auf die Voraussetzungen und die gesellschaftliche Rolle des Übersetzens, in welcher die menschliche Verantwortlichkeit und Zuständigkeit nicht voreilig preisgegeben werden.

Im vergangenen Dezember hatte der Verband der Autorinnen und Autoren Schweiz (A*dS) sein Übersetzungssymposium dem Thema der künstlichen Intelligenz gewidmet. Vorgängig war eine Studie erarbeitet worden, die sich an Studien des deutschen VdÜ und des französischen ATFL orientierte und auch vergleichbare Resultate zeitigte. Im Urteil der Testpersonen waren die KI-Übersetzungen kaum brauchbar und benötigten eine unverhältnismäßig aufwändige und frustrierende Nachbearbeitung, um zu einem nur gerade akzeptablen Text zu gelangen. Zugleich ergab eine Erhebung, dass sich bereits eine Praxis der Beauftragung von Übersetzer·innen mit dem sogenannten Post-Editing von KI-generierten Rohübersetzungen etabliert hat, nicht nur im Sachbuchbereich, sondern auch bei Kinderbüchern und Romanen.

In den Diskussionen auf dem Podium und abseits des Podiums hielten sich eine belustigte Erleichterung über die künstliche Dummheit und ein kämpferischer Alarmismus die Waage. Die zwei konträren Reaktionen verbinden sich mit zwei Standpunkten. Eine pragmatische Gruppe rät dazu, einen moderaten Umgang mit den Übersetzungs-Bots zu üben und sie soweit sinnvoll als Werkzeuge zu benutzen. Eine kompromisslosere Gruppe drängt auf politische und juristische Schritte zur Deklarationspflicht oder Eindämmung bis hin zum Verbot von KI-generierten Texten.

Ein bemerkenswertes methodisches Detail der Testanordnung bestand in der Wahl des Textes. Es galt, eine französische Übersetzung eines deutschen Textes mit Passagen und Zitaten in Mundart anzufertigen. Das ist freilich eine für die Schweizer Übersetzungspraxis wichtige Aufgabe, da der Dialekt die Alltagssprache der Deutschschweizer ist und auch regelmäßig Eingang in die Literatur findet. Nun ist die Übersetzung von Dialekttexten, und insbesondere von Texten, die Dialekt und Standardsprache kombinieren, auch für menschliche Übersetzer·innen eine Herausforderung. Der im Test verwendete Übersetzungs-Bot war damit überfordert.

Vielleicht war es ein cleverer Zug, der Übersetzungstechnologie mit dem Mundart-Spezialproblem ihre Grenzen aufzuweisen. Anderseits manövrierte diese Strategie die Diskussion an der Konfrontation mit der grundsätzlicheren Frage vorbei. Mit der hochgehängten Latte wurde gezeigt, dass die KI keine fortgeschrittene Literaturübersetzung zustande bringt. Über ihre Kompetenz in der Übersetzung eines einfacheren, linguistisch und stilistisch homogenen Prosatexts ist damit nichts ausgesagt. Es stand demnach die Konzession im Raum, dass DeepL und Konsorten in der Lage sind, einen solchen in annehmbarer Qualität zu übersetzen.

Mancher Übersetzer von anspruchsvolleren literarischen Texten mochte sich gedacht haben: Ach wie gut, dass ich keine banalen Allerweltstexte übersetze und also noch nicht so bald wegrationalisiert werden kann. So hatte ich jeweils auch selbst reagiert, wenn mich Freunde aus anderen Branchen fragten, ob denn meine Tätigkeit durch die KI nicht gefährdet sei. Als Übersetzer von kunstvollen Oden und Sonetten aus dem 18. Jahrhundert würde mir die KI nicht so schnell das Wasser reichen, wischte ich die Frage fröhlich vom Tisch.

In einem Atelier zur Frage nach einer „neuen Philosophie der Übersetzung“ wurde am Schweizer Übersetzungssymposium, zumindest implizit, in dieselbe Kerbe gehauen. Zunächst wurde Walter Benjamins Frage aufgeworfen, „Gilt eine Übersetzung den Lesern, die das Original nicht verstehen?“ Darauf wurden Beispiele von literarischen Kunstwerken vorgestellt, die sich offensichtlich nicht um philologische Originaltreue scheren, sondern sich vielmehr die wildesten Freiheiten der kreativen Entfaltung des Übersetzers leisten.

Im Anschluss wurden den Atelierteilnehmer·innen Gedichtklassiker verteilt, mit der Aufforderung, innert Minuten ad-hoc-Übersetzungen anzufertigen. Unsere Versuche dürften gern individuell und biografisch geprägt sein, und sie sollten möglichst aus dem Moment und der konkreten Situation heraus artikuliert werden. Ob von der Dozentin intendiert oder nicht, drängte sich in dieser Konstellation von Anregungen und Aufgaben im Kontext einer Tagung zu KI und Übersetzung implizit der folgende Gedankengang auf:

Es gibt eine Kategorie von dienender, originaltreuer, konventioneller Übersetzung, welche die KI beherrscht oder demnächst beherrschen wird, insbesondere für stilistisch gewöhnlichere Prosatexte. Suchen wir Literaturübersetzer·innen uns also ein anderes Steckenpferd. Wenden wir uns vollgültigen Kunstwerken zu. Entfesseln wir auch die Originalkünstlerin und den Originalkünstler in uns und schaffen Übertragungen, die garantiert eine unleugbare Schöpfungshöhe haben. So kann uns die KI nichts anhaben.

Bevor wir als literarische Übersetzer·innen dieser Überlegung folgen, sollten wir sie genauer überprüfen. Kann die Unterscheidung zwischen banaler, konventioneller Prosa auf der einen Seite und künstlerisch anspruchsvoller Literatur auf der anderen überhaupt sinnvollerweise gezogen werden? Wie anspruchslos und austauschbar dürfte die niedere Kategorie gefasst sein – so sehr, dass nur der schäbigste Kioskroman darunterfällt? Und wie schöpferisch und eigenwillig müsste die höhere sein – so hoch, dass allein Werke des Kalibers von Finnegan’s Wake oder Shakespeares Sonetten darunterfallen?

Man sieht rasch, dass diese Unterscheidung höchst problematisch ist. Bereits die Reflexion darauf, welche Aspekte der Literarizität eine menschliche Übersetzung unabdingbar machen, kann nur in der Fundierung durch ein Urteilsvermögen geschehen, das der qualifizierten menschlichen Übersetzer·in eignen muss. Es ist ein Urteilsvermögen, das philologische und literarische Bildung und Weltwissen voraussetzt, und das nicht zu trennen ist von den Kompetenzen des Lesens, Interpretierens, Kontextualisierens und des entschlossenen Sprachschaffens, auf welchen die Kulturtechnik des Übersetzens aufbaut.

Diese Kulturtechnik ist selbstredend menschlich. Sie trägt eine gesellschaftliche Verantwortung. Um nur an einen Aspekt zu erinnern: Eine Übersetzung trifft eine Vielzahl von expliziten und impliziten Entscheidungen, die dafür maßgeblich sind, wie ein Werk aus einem anderen Kulturkreis oder einer anderen Epoche in der Gemeinschaft der Zielsprache rezipiert wird, und damit, wie jener Kulturkreis oder jene Epoche wahrgenommen wird. Als wie fremd belässt – oder konstruiert – man einen Autor und seine Kontexte, oder wie weit eignet man ihn sich an und verleibt ihn dem eigenen Horizont ein? Dem Bereich dieser Verantwortung entzieht sich weder der flott weglesbare Krimi, den sich der müde Reisende reinzieht, noch die rasch wechselnden Moden unterworfenen Buchreihen, die unsere Kinder verschlingen.

Mir scheint, dass sich unser Berufsstand davor hüten sollte, den eigenen Zuständigkeitsbereich vorschnell zu eng zu ziehen und in der öffentlichen Debatte allzu leise aufzutreten. Übersetzungs-Bots mögen in der Lage sein, gewisse verblüffend souverän erscheinende Texte auszugeben, seit es die Informationstechnologie möglich macht. Über die Kulturtechnik des Übersetzens verfügen sie jedoch nicht. Deswegen kann ihnen die kulturell und gesellschaftspolitisch relevante Aufgabe des Übersetzens prinzipiell nicht übertragen werden.

02.02.2024
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©Tonatiuh Ambrosetti

Florian Bissig, geboren 1979, studierte in Zürich, Berlin und Austin. Nach dem Lizenziat in Philosophie promovierte er in Englischer Philologie mit einer Studie zu Samuel Taylor Coleridge (Coleridge and Communication, Trier 2015). Er schreibt als freier Journalist für verschiedene Schweizer Zeitungen und Zeitschriften über Literatur, Musik und Philosophie. Seine Serie mit Auslegungen zu Schweizer Gedichten ist beim Limbus Verlag erschienen (Mauerlängs durch die Nacht, Innsbruck 2018). Beim Zürcher Verlag Dörlemann publiziert wurde seine Übersetzung von S.T. Coleridges Lyrik (In Xanadu) sowie seine Biografie des Dichters und Philosophen (Samuel Taylor Coleridge. Eine Biografie), bei der Friedenauer Presse sein Auswahlband zu Phillis Wheatley (Nie mehr, Amerika! Gedichte und Briefe). Florian Bissig lebt mit seiner Familie in Affoltern am Albis bei Zürich.

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