Ein Ungeziefer mit dünnen Beinchen: Kafka auf Japanisch
Ein Wort steht im Weg wie ein Tier und ich kann nicht weitergehen: „Ungeziefer“. Vielleicht ist es ein sogenanntes Kollektivum, bei dem das Schicksal der einzelnen Kakerlaken oder Ratten nicht zählt. Bei Kafka geht es aber gerade um ein einziges Ungeziefer, das keinen Artgenossen hat.
Unmensch, Unglück, Ungnade. Die Vorsilbe „un“ sollte das Wort, das folgt, verneinen. Im Fall von „Geziefer“ und „Ungeziefer“ verhält es sich jedoch anders. Ein Ungeziefer kann sich nicht durch die Trennung von der Vorsilbe ins Positive zurückverwandeln.
Am Anfang der Erzählung stehen weitere Un-Wörter wie „unruhig“ oder „ungeheuer“, die den Text charakterisieren. Ich wusste, dass ich diese Wiederholung und diesen Widerhall nicht direkt ins Japanische übertragen konnte. Stattdessen nahm ich mir vor, eine „Unebene“ in den Sprachrhythmus einzubauen. Eine schwankende, ruhelose Bewegung sollte in den einzelnen Satz hineinkommen. Ich versuchte das mit Kommata, die im Japanischen relativ subjektiv eingesetzt werden können.
Zurück zum „Ungeziefer“: Wie haben die anderen japanischen Übersetzer dieses Wort übersetzt? In den neueren japanischen Übersetzungen wie zum Beispiel der von Osamu Ikeuchi (2006) oder von Kenjirō Asai (2008) wird das Wort als „mushi“ (Insekt) übersetzt. Etwas ältere Übersetzungen zogen das Wort „doku-mushi“ (schädliches Insekt) vor, wie etwa die Übersetzung von Yoshitaka Takahashi (1952), Hajime Yamashita (1958) oder Masafumi Nakai (1968), um nur einige Beispiele zu nennen.
Das Wort „Ungeziefer“ fühlt sich für mich ganz anders an als „mushi“. Auch das Kompositum „doku-mushi“ war für mich keine Alternative, denn es enthält das Wort „mushi“, und die Schädlichkeit („doku-“) als Zusatzmerkmal ändert nichts an seinem Wesen.
Das Wort „Ungeziefer“ gehört zu den tierfeindlichsten Wörtern in der deutschen Sprache, viel schlimmer als „Vieh/Viecher“ oder „Köter“. Das Wort „Ungeziefer“ ist abwertend, wird oft mit Abscheu und einem Ekelgefühl ausgesprochen, aber in der „Verwandlung“ klingt es eher wie ein Zitat, das eine Sensation sachlich und dadurch ironisch in den Raum stellt.
Das japanische „mushi“ ist als Wort neutral und das damit bezeichnete Lebewesen ist ein wichtiger Bestandteil des kulturellen Lebens. Grillen (kōrogi/suzumushi) werden seit dem Mittelalter bis heute wie Singvögel als Haustier gehalten und ihr „Gesang“ spielte in der traditionellen Dichtung eine große Rolle. Nicht nur für Menschenohren, sondern auch für Menschenaugen haben die Insekten viel zu bieten: zum Beispiel Tamamushi (Prachtkäfer), deren schimmernde Flügel wertvolle Schatzkästen und Hausaltare schmückten oder die Lichtkunst der Glühwürmchen (hortaru). Eines ist klar: „Mushi“ ist kein Ungeziefer.
Viel wichtiger sind mir aber die Redewendungen, in denen das Wort „mushi“ metaphorisch für das Intuitive oder das Unbewusste steht. Zum Beispiel, wenn man etwas ahnt, ohne dass es ein offensichtliches Zeichen dafür gibt, spricht man von der „Nachricht von mushi“ (mushi no shirase). Verabscheut man eine Person, obwohl man keinen Grund dafür findet, sagt man: „Mein mushi mag sie nicht“ (mushi ga sukanai). Für eine starke Wut, die nicht zu bändigen ist, ist das mushi im Bauch verantwortlich: „Mein mushi im Bauch beruhigt sich nicht“ (hara no mushi ga osamaranai). Ist der Käfer das Unbewusste von Gregor Samsa?
„Mushi“ kommt zwar auch in einigen abwertenden Bezeichnungen vor, wie „mushi-kera“ (Abschaum) oder „ojama-mushi“ (störende Person), aber selbst bei diesen Wörtern bleibt der Ton, anders als beim „Ungeziefer“, mild und sogar humorvoll. In wessen Augen ist Gregor Samsa „Ungeziefer“ geworden?
Auf der Suche nach dem unbekannten U-Wort stieß ich auf eine mögliche Herkunft des Wortes, die meine Aufmerksamkeit fesselte. Im etymologischen Wörterbuch Kluge stand nämlich: „Ungeziefer“ sei ein „unreines Tier“, vermutlich ein „nicht zum Opfer geeignetes Tier“. Ich bekam Gänsehaut, als ich verstand, dass nicht jedes Tier geopfert werden kann. Es muss „rein“ sein.
Gregor Samsa opfert sein Leben, um die Schulden der Eltern zurückzuzahlen. Er findet die Tätigkeit als Handelsreisender sinnlos, aber die Möglichkeit, gegen den Willen des Vaters das eigene Leben zu gestalten, ist innerhalb der Textlogik nicht vorhanden. Es ist, als würde er in einem antiken Theaterstück agieren, in dem ihm, dem „Familiensohn“, die Opferrolle zugeschrieben ist. Er kann unmöglich daraus ein modernes Theaterstück machen, in dem er gegen den Vater rebelliert. Seine einzige Chance ist, die uralte Regel der Rituale zu nutzen, um seiner Aufgabe zu entkommen: Würde er sich in ein unreines Tier verwandeln, wäre er nicht mehr als Opfertier tauglich. In der Tat muss er ab dem Zeitpunkt, an dem er sich in ein unreines Tier, Ungeziefer, verwandelt hat, nicht mehr seiner Arbeit nachkommen.
Es war keine Geisha im alten Bordellviertel Yoshiwara und nicht etwa die Erzählung der Tora „Bindung Isaaks“, die mich dahin führte, Kafkas „Verwandlung“ als eine Geschichte einer Opferung zu lesen. In der Edo-Zeit passierte es, dass Bauernmädchen aus der Provinz an eine der Amüsiereinrichtungen in Yoshiwara verkauft wurden, um ihre Familien aus der finanziellen Misere zu retten. Der Betrag, den die Eltern dabei kassierten, wurden die Schulden, die das Mädchen ihr Leben lang abarbeiten musste. War das Mädchen sehr jung, wurde ihr Wert wegen ihrer „Unschuld“ und „Reinheit“ höher geschätzt. Dass Menschheit überhaupt in der Lage sind, ihre Kinder zu opfern, scheint ein universales Thema zu sein. Daher möchte ich dieses Motiv weder auf die Bibel noch auf die Biografie von Kafka reduzieren.
Nun ist die Frage immer noch nicht beantwortet. Wie übersetze ich das Wort „Ungeziefer“? Mir schien es die beste Lösung zu sein, das Wort nicht zu übersetzen. Stattdessen transkribierte ich es in die japanische phonetische Schrift Katakana und erklärte in Klammern seine Etymologie. So bleibt das Wort ein Platzhalter für das, was nicht übersetzt werden kann, und dennoch ist es nicht leer. Das Tier „Ungeziefer“ ist ein Fremdkörper im Text, daher kann das Wort in der Übersetzung auch ein Fremdkörper bleiben.
Als ich das Ungeziefer „phonetisch“ übertrug, wurde mir die Ebene der Klangübersetzung erneut bewusst. Onomatopoetische Momente der deutschen Sprache lassen sich gut ins Japanische übersetzen. In diesem Gebiet stellt Japanisch eine große Ressource zur Verfügung. Und wenn sie doch nicht ausreichen sollte, könnte ich neue onomatopoetische Ausdrücke erfinden, was im Japanischen im Allgemeinen – nicht nur in der Manga-Kultur – akzeptiert wird.
Die Ausdrücke, die höchstwahrscheinlich onomatopoetisch ins Japanische übersetzt werden, sind in Hinblick auf die Körperlichkeit des Textes von Bedeutung. Schon in der Anfangsszene „flimmern“ die kläglich dünnen Beine des Ungeziefers. Etwas später schließt Gregor seine Augen, um die eigenen „zappelnden“ Beine nicht sehen zu müssen.
Das Wort „flimmern“ habe ich mit „kira kira“ in Kombination mit einem Verb übersetzt, während die anderen Übersetzer andere Ausdrücke – „biku biku“ (Takahashi), „chira chira“ (Yamashita), „hira hira“ (Nakai), „waya waya“ (Ikeuchi) oder „chira chira“ (Asai) – ausgewählt haben. In meiner Übersetzung ist der visuelle Aspekt des Flimmerns stärker betont als in den anderen. Mir war das wichtig, weil Gregor Samsa zuerst seine Beinchen ausschließlich visuell wahrnimmt. Sonst würde er nicht denken, dass er seine zappelnden Beine einfach durch das Schließen der Augen vergessen könnte. Der Tastsinn, der zuerst im Hintergrund steht, wird langsam durch die visuelle Wahrnehmung eingeführt: Gregor Samsa spürt ein Jucken auf dem Bauch, auf dem weiße Pünktchen zu sehen sind. An dieser Stelle kam in mir der Anblick der Pünktchen zusammen mit dem Gefühl des Juckens, das ich an meinem eigenen Bauch spürte. Gregor Samsa versucht, sie mit seinen Beinchen zu berühren, in dem Moment überfällt ihn ein „Kälteschauer“. Im Wort „Schauer“ ist für mich ein onomatopoetisches Moment enthalten, allerdings schwächer als in „flimmern“, weil es relativ weit in ein Substantiv integriert ist. Ich versuchte, auf den Grad der Integration zu achten.