KI und die Zukunft der Übersetzer·innen
Eine Reflexion am Tag der thailändischen Übersetzer·innen und Dolmetscher·innen
Am Sonntag, den 2. Juni 2024, feierte der thailändische Übersetzer- und Dolmetscherverband den 17. Tag der Übersetzer·innen und Dolmetscher·innen bei der Siam Society Under Royal Patronage in Bangkok. Die Veranstaltung bot Anlass sowohl für eine Rückschau als auch für einen Blick in die Zukunft. Durch die Verleihung des „Surin 2024 Award“ wurden die Errungenschaften und Leistungen der Übersetzenden und Dolmetschenden geehrt. Dieser Ehrenpreis des thailändischen Übersetzer- und Dolmetscherverbandes wurde benannt nach Chao Phaya Surindharaja, auch bekannt als Mae Wan, dem ersten thailändischen Übersetzer, der 1901 den Roman Vendetta von Marie Corelli übersetzte.1 Somit erinnerte die Zeremonie auch an den Beginn und den bereits zurückgelegten Weg des Verbandes in den letzten 30 Jahren. Auch wenn das Erinnern das Denken an die Vergangenheit voraussetzt, erfolgt dies nicht zuletzt auch im jetzigen Moment. Darüber hinaus geht es beim Erinnern nicht nur darum, alte Dinge ins Bewusstsein zu rufen, sondern auch darum, an die Zukunft zu denken oder uns diese vorzustellen. Dies zeigte sich in der Botschaft von Pakorn Krisprachant, dem Präsidenten des thailändischen Übersetzer- und Dolmetscherverbandes: „Übersetzer und Dolmetscher reisen durch die Zeit, über Grenzen hinweg und in das, was das menschliche Herz umhüllt. Unsere Werkzeuge sind Worte und ihre Bedeutungen, die die Intentionen, die in den Ausgangstexten tief verwurzelt sind, enthüllen und offenlegen. Doch heute läuft uns die Zukunft entgegen. Das, was uns einst gedient hat, beginnt, uns zu überholen. Und es funktioniert sogar ohne uns. Wird also Übersetzern und Dolmetschern nichts anderes bleiben, als die verträumte Vorstellung, dass doch eigentlich wir diejenigen sind, die bessere Werte schaffen können als irgendwelche Werkzeuge?“2
Diese Botschaft sowie das Motiv der Veranstaltung im Jahr 2024 spiegeln ein viel diskutiertes Thema unter professionellen Übersetzer·innen und Dolmetscher·innen wider: die Rolle der Künstlichen Intelligenz (KI) in der Übersetzung und im Dolmetschen. Im Bereich der Informationstechnologie ist Künstliche Intelligenz längst bekannt. Ein breiteres Publikum in Thailand wurde jedoch erst seit Ende 2023 auf das Thema aufmerksam, als ChatGPT vorgestellt wurde. Dies erkennt man an Vorträgen, Workshops sowie staatlich finanzierten Forschungsvorhaben zum Thema, sei es in Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft oder eben im Bereich der Übersetzung und des Dolmetschens. Die KI ist also in aller Munde, weshalb es nicht überrascht, dass diese auch Gegenstand des Fachvortrags und der Podiumsdiskussion war.3
Beim Fachvortrag „Die Folgen der KI auf die Übersetzung und das Dolmetschen“ zeigte Associate Professor Wirote Aroonmanakun, ein Experte im Bereich Korpus- und Computerlinguistik, die Entwicklung der KI in Bezug auf die Übersetzung zwischen dem Englischen und dem Thailändischen. Die demonstrierte Leistung der KI gilt als ziemlich gut, auch wenn die generierte Übersetzung an einigen Stellen verbessert werden könnte. Der Vortragende ließ die KI auch ein Gedicht von William Blake ins Thailändische in unterschiedlichen Versmaßen übersetzen. Dabei ist anzumerken, dass die thailändischen Versmaße eine hohe Komplexität aufweisen: Vorgaben betreffen beispielsweise die Anzahl der Silben, Reimstellen, Endkonsonanten, Hebung und Senkung sowie bestimmte Tonhöhen. Außerdem unterscheidet sich die Satzstruktur des Thailändischen erheblich von westlichen Sprachen. Die Fähigkeit der KI, englische Gedichte in verschiedenen Versmaßen in so kurzer Zeit ins Thailändische zu übertragen, hat das Publikum sowohl begeistert als auch beängstigt. Allerdings sind die übersetzten Gedichte nicht einwandfrei: Je komplexer das Versmaß, desto mehr Fehler treten auf. Auch auf der ästhetischen Ebene fiel auf: Die Sprache wirkt stumm und liest sich nicht fließend, als ob die KI selbst betonen wollte, dass die Übersetzung von einem Roboter ohne Emotionen stammt. Durch angepasste Eingaben, sogenannte prompts werden die Ergebnisse jedoch immer besser. Interessanterweise sagte der Vortragende abschließend, dass die KI uns bei der Übersetzungsarbeit helfen kann, wenn die Qualität nicht vorrangig ist, sondern das Tempo – er meinte wohl einfache und nicht-literarische Texte.
Anschließend fand eine Podiumsdiskussion zum Thema „Die neuen Landschaften der KI und Sprache“ statt, an der ein Wissenschaftler im Bereich NLP, ein professioneller Übersetzer für Business und Online-Marketing und Betreiber einer Online-Seite für Übersetzer sowie ein Dolmetscher für Business und internationale Konferenzen und Mitglied des Sonderkomitees für die Entwicklung professioneller Standards von Dolmetschern teilnahmen. Die drei Diskussionsteilnehmer thematisierten die Fähigkeiten der KI bezüglich der Übersetzung in die thailändische Sprache und wiesen zunächst auf die Tatsache hin, dass das Thailändische nur in einem Land gesprochen wird, wodurch der Korpus für die KI vergleichsweise klein ist. Ein Teilnehmer vertrat daher die Ansicht, dass die KI noch nicht so ausgereift sei, dass sie für professionelle thailändische Dolmetscher·innen und Übersetzer·innen eine Gefahr darstelle. Diese Einschätzung ignoriert jedoch die Geschwindigkeit, mit der sich die KI weiterentwickelt. Die Diskussionsteilnehmer erwähnten auch das Phänomen, dass die KI von allgemeinen Nutzer·innen für hochintelligent gehalten wird. Die KI sei somit in der Lage, alle Befehle auszuführen. In der Realität sind die aktuellen Fähigkeiten der KI jedoch noch begrenzt: Häufig „halluziniert“ die KI, damit ist gemeint, dass sie falsche Informationen oder imaginierte Antworten liefert. Bei Übersetzungsaufgaben kann dies dazu führen, dass die KI entweder falsch, zu wenig oder zu viel übersetzt. Nutzer·innen müssen daher nicht nur über das erforderliche Wissen zum Inhalt der Übersetzung verfügen, um mit der KI ein gutes Ergebnis zu erzielen, sondern auch ein Bewusstsein für die Kompetenzen, Schwächen und potenziellen Fehler der KI haben. Wenn Nutzer·innen die Übersetzungsfehler der KI nicht überprüfen können, bringe diese moderne Technologie keinen Mehrwert, da die KI Menschen ohne Übersetzungsfertigkeiten nicht automatisch zu guten Übersetzer·innen macht. Die KI sei demnach ein Werkzeug für professionelle Übersetzer·innen.
Die drei Redner stehen der Nutzung der KI in der Übersetzung und im Dolmetschen positiv gegenüber. Sie betonten, dass professionelle Übersetzer·innen bereits seit einiger Zeit mit Übersetzungssoftware und maschineller Übersetzung vertraut sind. Die KI ist daher keine Neuigkeit. Übersetzer·innen passen sich kontinuierlich an und nutzen solche Tools. Besonders in der heutigen Zeit, wo Echtzeit-Marketing immer wichtiger wird, ist Geschwindigkeit entscheidend. Daher benötigen Übersetzer·innen Hilfsmittel. Der Dolmetscher führte ein Beispiel an, bei dem er die KI Wörter auflisten ließ, die auf einer Fachtagung infrage kämen. Dies verkürzte seine Vorbereitungszeit erheblich. Obwohl der Dolmetscher die Hälfte der von der KI erstellten Wortschatzliste verwenden konnte, musste er sich bei einigen Wörtern dennoch an die Experten vor Ort wenden.
Meiner Meinung nach wurden einige Aspekte auf der Bühne nicht angesprochen, was an der begrenzten Zeit oder an der thematischen Ausrichtung gelegen haben mag. Dazu gehört der sich verändernde Status der professionellen Übersetzer·innen und Dolmetscher·innen. Diese Veränderung wird immer deutlicher, da die Nutzung von Künstlicher Intelligenz zunimmt und die KI sich dadurch gleichzeitig weiterentwickelt. Dies ist kein neues Thema und wird seit Jahren unter professionellen thailändischen Dolmetscher·innen und Übersetzer·innen diskutiert. Viele sind der Ansicht, dass die Rolle professioneller Übersetzer·innen schon jetzt zunehmend auf stilistische Korrekturen und Post-Editing beschränkt wird. Sie haben versucht, sich und ihre Fähigkeiten an diese neue Aufgabe anzupassen, da sie erkennen, dass ihnen sonst wenig Alternativen bleiben, um weiterhin in diesem Bereich tätig zu sein. Der Ausweg scheint in der Akzeptanz, der Anpassung und dem Wissenserwerb über neue Technologien zu liegen.
Ein weiterer fehlender Aspekt betrifft die Nutzung der KI zur Übersetzung literarischer und kreativer Texte. Die Diskussion über die Landschaften der KI war thematisch eher auf den Bereich Business und nicht-literarische Texte ausgerichtet, die Stimmen von literarischen Übersetzer·innen bezüglich der KI waren leider nicht zu hören. Meines Erachtens werden in Thailand bei literarischen Übersetzungsaufgaben noch menschliche Übersetzer·innen bevorzugt (in einigen Fällen steht das KI-Verbot sogar im Vertrag), da es ja bei dieser Art von Übersetzung nicht nur darum geht, die Botschaft von der Ausgangssprache in die Zielsprache zu übertragen. Vielmehr sind soziokulturelle, historische und politische Aspekte ebenfalls zu berücksichtigen. Ein weiterer wichtiger Grund besteht darin, dass literarische Texte künstlerisch durch Sprache geflochten sind, und zwar ganz allmählich, raffiniert und mit individuellem Schreibstil. Die Übersetzung von literarischen Texten setzt daher das Wissen sowie eine tiefgründige Recherche seitens der Übersetzer·innen voraus. Leider erfolgte am diesjährigen Tag der Übersetzer·innen und Dolmetscher·innen kein Austausch über das Spannungsfeld „KI und das literarische Übersetzen“ und auch die Politik seitens der Verlage, die menschliche Übersetzer·innen noch präferieren, wurde nicht angesprochen.